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Full text of "Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur"

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ZEITSCHRIFT 


FL'R 


DEUTSCHES  ALTERTUM 


L'ND 


DEUTSCHE  LITTERATUR 


HERAUSGEGEBEN 


EDWARD  SCHROEDER  UND  GUSTAV  ROETHE 


DREIUNDVIERZIGSTER  BAND 

DER  NEUEN  FOLGE  EINUNDDREISSIGSTER  BAND 


BERLIN 

W  EIDMANNSCHE  BUCHHANDLUNG 

1S99. 


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3003 


INHALT. 

Die  spräche  der  namen    des  ältesten  Salzburger  verbrüderungsbuchex. 

von  Schatz  (vgl.  Anz.  s.  395) 1 

Zu  Hrotsvits  Theophilus  v.  17,   von  vWinterfeld 15 

Die  quelle  der  Origo  gentis  Langobardorum,  von  Brückner    ...  17 

Der  dialog  des  alten  Hildebrandslieds,  von  Joseph 

Aus  der  litterarischen  tätigkeit  eines  Augsburger  büchsenmeisters  des 

16  jhs.,  von  Hörn Mi 

Der  mythus  des  zweiten  Merseburger  Zauberspruches,   von  Niedner     .     101 

Zu  Konrad  von  Würzburg,  von  Schröder 11 '2 

Per  dichter  des  Waltharius,  von  Wilhelm  Meyer  (aus  Speyer)    .     .     .     113 

Altvile  im  Sachsenspiegel,  von  Björkman 146 

Zur  geschichte  von  der  'säugenden  tochter',  von  Kretschmer      .     .     .     1Ö1 

Copulative  eigennamen,  von  Bichard  MMeyer 

Zum  rhythmus  Ganymed  und  Helena,   von  Praechter 169 

Chatti  und  Hessen,  von  Möller 

Heinrich  von  Hesler,  von  Schröder .     .     1V|> 

Das  lied  des  Möringers,   von  dems 

Über  Dietrichs  erste  ausfahrt,  von  Lunzer  (vgl.  Anz.  s.  395)  ....     193 

Zu  Moriz  von  Craon,  von  Schröder 

Erek  und  Lanzelet,  von  Gruhn 

Wülpenwert  und  Wülpensand,  von  Schröder 

Büdiger  von   Bechlaren  und  die  Harlungensage,  von  Maltbaei     .     . 

Lückenbüfser  :  Zum  Guten  Gerhard,  von  Schröder  ... 

Die   heimat  der  altsächsischen  Bibeldichtung,  von  Wrede 

Steigerung  und  häufung  der  allitteration  in  der  westgermanischen  dich- 

lung,  von  Schröder »61 

i.  Die  anwendung  alliterierender  nominalcomposita     ... 
Die  herkunft  Erasmus  Albers,  von  frhrn  Schenk  zu  Schweinsberg 
Zu  Ebernands  Heinrich  und  Kunigunde,   von  Jellinek     .     . 

'Christi  geburt' v.  88  ff,  von  dems 


DIE  SPRACHE  DER  NAMEN  DES  ALTESTEN 
SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCHES. 

Das  älteste  verbriideruügsbuch  des  Stiftes  SPeter  in  Salzburg 
ist  als  original  erhalten  und  ligt  in  zwei  ausgaben  vor;  die  erste 
veranstaltete  ThC.vKarajan,\Vien  1652,  die  zweite  besorgt  SHerzberg- 
Fränkel  für  die  Monuraenta  Gerraaniae  (Necrologia  n  1 ,  1890). 
die  beschreibung  der  hs.  gibt  Karajan  einleitung  s.  vf.  in  dem 
puncte,  der  bei  der  ausgäbe  eines  solchen  denkmals  am  meisten 
ins  gewicht  fällt,  in  der  bestimmuog  der  zeit  einer  eintragung 
und  in  der  absonderung  der  einzelnen  Schreiber  von  einander, 
war  der  erste  herausgeber  nicht  glücklich;  Herzberg-Fränkel  hat 
das  in  einer  sehr  lesenswerten  abhandlung  im  IV'euen  arch.  d. 
ges.  f.  alt.  deutsche  geschichtskunde  (1857)  12,  53 ff  nachgewiesen 
und  vüüig  von  neuem  die  Scheidung  der  bände  und  die  zeitliche 
bestimmuog  der  eintragungen  vorgenommen,  danach  ist  das  ver- 
brüderungsbuch  im  j.  784  angelegt  worden;  der  erste  Schreiber 
war  nur  in  diesem  jähre  tätig  und  hatte  nur  namen  zu  ver- 
zeichnen, deren  träger  dem  bairisch-salzburgischeu  kircheubezirk 
angehörten,  die  fortsetzer  hielten  sich  fast  gar  nicht  mehr  an 
die  einteilung,  welche  der  erste  Schreiber  geschaffen  halte,  so 
viel  namen  wie  dieser  hat  auch  kein  späterer  eingetragen  :  der 
grundsteck  umfasst  nahezu  900  deutsche  namen,  darunter  etwa 
175  weibliche,  die  mehrzahl  der  spätem  Schreiber,  bei  denen 
sich  nicht  mehr  die  örtliche  bescbränkung  in  der  aufnähme  der 
namen  zeigt,  wie  beim  ersten,  war  vom  ende  der  SO  er  jähre  de^ 
8  jhs.  bis  zum  3  Jahrzehnt  des  9  jhs.  tatig;  einige  lassen  sich 
aus  der  2  haltte  des  9  jhs.  nachweisen,  im  10  jb.  sind  die  ein- 
tragungen  nur  spurenweise  zu  finden. 

Die  neue  ausgäbe  lässt  die  namen  aus  der  band  des  ersten 
Schreibers  durch  corpusdruck  hervortreten,  ein  steru  bezeichnet, 
dass  ein  neuer  Schreiber  beginnt,  s.  4f  sind  jene  uamenlisten 
zusammengestellt,  die  vom  herausgeber  je  einem  Schreiber  zu- 
gewiesen werden;  wo  sich  eine  zeitliche  bestiminuug  der  eiu- 
Z.  F.  D.  A.  XLIII.      N.  F.  XXXI. 


2  SCHATZ 

tragungen  treffen  liefs,  hat  der  herausgeher  es  angemerkt 
(8.  8/9.  9.  10  uaa.);  nieine  arbeit  stützt  sich  ganz  auf  die  vor- 
arbeiten Herzberg- Fränkels. 

An  der  spitze  jedes  abschnittes  sind  die  lautlichen  Verhält- 
nisse, die  sich  beim  ersten  Schreiber  finden,  genau  dargestellt; 
seine  spräche  verdient  diese  Sonderstellung,  da  das  Salzburger 
verbrüderungsbuch  das  älteste  bairische  original  ist,  das  uns  er- 
halten geblieben  ist. 
Vocalismus  der  Stammsilben  in  uamen  des  ersten 
Schreibers. 

Umlaut  des  a.  nur  wenige  namen  weisen  die  Schreibung 
des  umlauts  auf;  das  Verhältnis  des  nicht  umgelauteten  a  zum  um- 
gelauteten  e,  ae,  ce,  e  ist  11  :  1.  die  namen  mit  bezeichnetem 
umlaute  sind  folgende  :  Aediram  11,  11.  Elizo  43,  39.  JEgino 
44,20.  Reginhoh  58,  192.  Tepizo  58,  37.  Regindnid  70 ,  4. 
Meginhilt  70,  9.  Reginfrid  71,  15.  Egiolf  83,  182.  Eginolf  83,  28. 
Hreginni  95,  3.  JEgina  96,  12.  von  diesen  erweist  sich  Elizo 
43,  39  als  späterer  zusatz  des  Schreibers,  wie  man  aus  der  der 
ausgäbe  beigegebenen  abbildung  deutlich  erkennt:  sp.  42  und  43 
enden  in  gleicher  tiefe,  Elizo  ist  auch  weiter  rechts  eingesetzt 
als  die  andern  namen  der  spalte,  welche  alle  genau  untereinander 
stehn.  zu  Reginhoh  58,  192  merkt  der  herausgeber  an:  'a  prima 
manu  scriptum  sed  fortasse  add.'  eine  reihe  von  namen  in  dieser 
spalte  sind  spätere  zusälze  des  1  Schreibers  (auch  Enzolo  58, 342). 

Die  namen  mit  e  in  den  sp.  70  und  71 ,  in  welchen  die 
verstorbenen  nonnen  verzeichnet  erscheinen,  fass  ich  als  nach- 
gebessert auf;  ursprünglich  stand  einfaches  e,  das  a  wurde  nach- 
träglich übergeschrieben,  in  der  absieht  die  nicht  umgelautete  form 
herzustellen,  eine  derartige  regelung  zeigt  Agihilt  97,  9,  wobei 
der  herausgeber  'corr.  ex  Egihilf  anmerkt.  %  ist  vom  Schreiber 
nur  zur  bezeichnung  des  aus  ai  entstandenen  e  verwendet  wor- 
den, anfechten  liefse  sich  allenfalls  noch  Mgino  44,  20%  man 
vgl.  die  abbildung,  dann  Eginolf  83,28,  das  der  letzte  name 
dieser  spalte  von  der  band  des  ersten  Schreibers  ist,  und  Egiolf 
83,  182,  das  an  zweiter  stelle  steht,  zu  Tepizo  58,  37  ist  Tapizo 
76,  38  zu  vergleichen. 

Zweierlei  lässt  sich  aus  den  vorgeführten  namen  abnehmen : 
einmal  kannte  der  Schreiber  den  umlaut  und  seine  bezeichnung 
(e,  ae),    dann  vermied  er  es,    ihn   zu   schreiben;    die  änderung 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBl  CH 

Agihilt  aus  Egihilt  zeigt  deutlich,  dass  a  statt  des  umlaul 
Schreibweise   gemäfs   war   und   dass   er   es   überall   durcbgi 
haben  wollte,    aus  den  vereinzelten  bezeichnungen  des  umlautet 
ergibt  sich,  dass  dieser,  wie  er  in  der  spräche  gesprochru  wurde, 
auch  der  Orthographie  nicht  mehr  fremd  war.  die  ältere  Beitreibung 
ist  hier  bewust  durchgeführt. 

Das  aus  ai  entstandene  ahd.  F  ist  in  den  stammen  gSr  und 
er-  belegt;  sicher  gehört  hierher  auch  Aeuo  9,  15,  s.  Förstemano 
i  392f;  geschrieben  findet  sich  kaer-  10 mal,  aer-  2,  -kaer  11, 
-gaer  8,  kqr-  2,  -ker  1,  ker-  3,  er-  1,  -ker  4,  -ger  1,  ker-  1, 
ker-  6,  -ger  2,  also  im  ganzen  ae  32,  e  9,  e  3,  e  9 mal,  und 
zwar  in  der  Stellung  als  erstes  glied  ae  13,  e  4,  e  2,  e  1,  als 
zweites  glied  ae  19,  e  5,  e  1 ,  e  8.  eine  genauere  Scheidung 
der  Schreibungen  nach  ihrer  Verwendung  lässt  sich  nicht  durch- 
führen; möglich  ist  es,  dass  er  einer  nachbesserung  zuzuschreiben 
ist  und  also  aus  er  durch  darüberschreibung  iU'*  a  ein  aer  her- 
gestellt werden  sollte  —  unter  den  19  fällen  mit  alleiniger 
Schreibung  ae  von  spalte  79 — 97  steht  Kerrod  82,26,  die  an- 
dern e  stehn  von  sp.  63  an.  in  sp.  70,  2  steht  Kerlind,  hier  ist 
e  auch  als  umlautsbezeichnung  verwendet,  s.  üben,  es  erhellt 
übrigens  deutlich,  dass  e  im  schreibgebrauch  noch  entschieden 
vom  e  getrennt  gehalten  wird.  Hrodker  26,28  und  Eerman 
58,  102  sind  in  der  ausgäbe  als  Zusätze  bezeichnet. 

Das  aus  au  entstehnde  ö  iindet   sich   im    ersten  gliede  bei 
diesem  Schreiber  4  mal  als  au  :  Audo  42,  28.    Auto  74,  8.    Mm 
76,17.   Cauzo  76,29,  dagegen  als  ao  in  caoz-  ISmal,  in  aot-  15, 
aostar-  7,  aon-  4,  Craos  1,  Maoricho  1;   diesen  40  au  steht  im 
ersten  gliede   nur  einmal  Sconhari  20,2  zur  seite;    im   zweiten 
namengliede  steht  -gaoz  4,   -caoz  9,   -/mos   1  mal  gegen  -yos  3, 
-eoz  2  (IfcAo*  20,  19.    Richoz  78,  17,    vgl.  ifcAooa  79,  11,  in 
Perhtcoz  30,30  ist  o  über  o  geschrieben,  wol  ebenso  eine  nach- 
besserung wie  Caozharih  30,29,    wo   statt  -hari  rih 
werden  sollte),  ferner  -holt  4,  -ÄdÄ  1,  -hooeh  Imal;  es  zeigt 
dass  im  zweiten  wortgliede  o    nichts  ungewöhnliches  i-: 
14  paoz  (c-,  *-)  kommen  9  0  in  -</oi  ic-)  5  und  -ÄOÄ    I 
und  dazu  noch  je  ein  6,  oo.    ich  glaube,  es  ist  zu  bi  ai  nten, 
das  einzige  o   im   ersten  gliede   in  Sconhari  in   einem  stammt 
treten  ist,  der  von  dieser  band  sonst  nicht  vorkommt,  d 
der   hier   nur   als  zweites  glied  auftretende  stamm  -höh    i 

i* 


4  SCHATZ 

ao  geschrieben  sich  findet,  dagegen  aber  je  einmal  mit  6,  oo, 
bezeichnungen,  welche  für  diesen  laut  sonst  nie  verwendet  er- 
scheinen, die  regelmäfsig  durchgeführte  bezeichnung  ist  ao,  im 
zweiten  gliede  machen  sich  einige  o  geltend,  von  denen  die  hälfte 
auf  den  stamm  höh  kommen,  die  4  au  weisen  ebenso  auf  eine 
frühere  periode  zurück,  wie  die  o  auf  die  sich  bahn  brechende 
neuem  ng. 

Das  alte  ai  erscheint  nur  einmal  sicher  als  ei  in  Comaleih 
11,  13,  sonst  kennt  dieser  Schreiber  nur  ai;  Zeizo  43,  302  und 
58,  22  sind  vom  herausgeber  als  zusätze  bezeichnet;  vgl.  die 
namen  Teotlaih  26,  31.  Hugilaih,  Tutlaih  75,  3.  7,  dann  Sigihaid 
34,  2.  Teotlaip  71,  13.  Cholduuaih  96,  16.  Inguaid  96,  2.  Mi- 
mistain  81,  16;  im  ganzen  stehn  dem  einen  ei  in  Comaleih  35  ai 
gegenüber. 

Die  Schreibung  des  alten  o  ist  regelmäfsig  o,  daneben  kommen 
vor  oo,  6,  u,  uo;  neben  13  odal-  zeigt  sich  einmal  Udalhart  29,23 
im  Verzeichnis  der  lebenden  bischöfe;  neben  28  hrod-,  10  rod- 
und  2  -rod  (Suaprod  43,  1.  iCerrod  82,  26)  erscheinen  Hruod- 
suind  94,  34.  Rruodßdt  94»  35  und  Ruodhart  11,37.  —  zu  den 
erstem  fällen  gehören  auch  die  zusätze  Hrodker  26,  282  und 
Hrodkart  58,  39.  für  die  formen  To.  to  10,  31.  Tooto  26,  38. 
Toto  77,  2.  Toto  80,  4.  Tota  94,  9.  97,  2.  Totti  95,  6  ist  sicher 
ö  anzusetzen,  vgl.  die  belege  bei  Förstemann  i  339,  bei  Piper1 
s.  518  Tuata,  Tuato,  Tuota,  Tuoto  (dazu  s.  517  Tota  und  Toto); 
daneben  hat  das  verbrüderungsbuch  von  der  band  des  ersten 
Schreibers  Tutilo  73,  2  und  Tutlaih  75,  7,  beide  namen  gehören 
sicher  zum  stamme  tot-,  vgl.  bei  Piper  Tuotilo  ii  50,  33  als  name 
eines  SGaller  mönches,  s.  517  Totila,  und  für  Tutlaih,  dessen 
erste  silbe  lang  sein  muss,  den  namen  eines  Weifsenburger 
mönches  Totleib  i  211,  6.  zur  erklärung  des  Stammes  s.  Brückner 
Sprache  der  Langob.  s.  94,  der  tuot-  zu  ahd.  tuom  stellt  und 
anderseits  Wrede  Ostgoten  s.  120.  —  langes  o  ligt  vor  ferner  in 
Oto  27,  3.  78,  18.  Öta  96,  17.  Ötilo  78,  19.  Özilo  75,  32. 
Otilo  62,27  und  73,39;  ao  dieser  stelle  hat  es  der  Schreiber 
für  Aozalo  eingesetzt  ('corr.  ex  Aozalo'  merkt  die  ausgäbe  an), 
woraus  zu  ersehen  ist,  dass  mit  o  ein  andrer  laut  bezeichnet 
werden  sollte  als  mit  ao,    denn   sonst  wäre  ao   gewis   stehn  ge- 

1  Libri  confraternitalum  ...  ed.  PPiper  1884  (Mon.  Germ.). 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCII   5 

blieben;    belege    für    den    stamm    finden    sich    bei    Förstemann 
i  1209f,  bei  Piper  s.  519  Uata,  Uato,  s.  521  Uota,  Uoto  in  reicher 
anzahl,    es  ist  also  sicher  altes  ö  vorhanden,     die  in    den  Frei- 
singer Urkunden  vorkommenden  namen  mit  oat  haben  nicht  aus- 
sondern  od-   als   grundform,    sie   sind   von  Wagner  Namen   der 
Freisinger  Urkunden   s.  57  f  verzeichnet  und  danach  als  Schrei- 
bungen oa  für  ao  beurteilt,   s.  Wüllner  Hraban.  glossar  s.  83  und 
und  Braune  Ahd.  gr.2  §  45,  2.    es  sind  folgende  :  Oatiloni  2  mal 
v.  j.  747,    in  derselben    Urkunde  Hroadolti,   Hrodeo,    Goalfridi; 
Cozrati.    758  Oato  und  Poatilinpah ,  in  diesen  fällen  ist  oa  un- 
zweifelhaft Vertreter    des  alten  ö;    769  Oatachar   neben  Bauzano 
(Bozen);    770  Oatlant   neben    Oadalhart,  Odalperhti   und  Cozzo ; 
794  Oathareshusir  neben  Toato  und  Cozmar;  804  Oatperht  neben 
Otperhto,  Otlant,  Totinhusir,  Tuti,  Hrodmunt,  Hroadperht]   dazu 
seien  erwähnt  791  Oazo  3  mal   und   809  Oato.     vergleicht  man 
diese  neben  einander  stehenden  Schreibungen,  so  lässt  sich  daraus 
nur  schliefsen,  dass  den  oaf-formen  altes  o  zukommt,    unmöglich 
ist   es  nicht,    dass  Oatachar,    Oatlant,    Oathares-,    Oatperht  ver- 
schreibungen    für  ao  sind,   wie   Braune   es   auffasst.     zweifelhaft 
bleiben    Utto   30,  22.  73,  37.  78,  30.  79,  18.  20;    Uto  76,  19. 
die  Schreibung  mit  u  ist  zu  häufig,   als  dass  man  ohne  weiteres 
annehmen    könnte,    es  vertrete  hier   altes  ö;    Piper   hat  s.  521  I 
101    Uto  (Üto,   Vto),   und   12   Vtto  (Utto)  gegen  61    Uato,    Uoto 
s.  519.  521.    wenn  es  nicht  ein  verbreiteter  schreibgebrauch  ist, 
dass  hier  für  ö  einfach  u  geschrieben  wurde,   so  lässt  sich  nur 
ein  stamm  ut-  aufstellen,  da  ut   (im  ablaut  zu  öt-  aus  aud-)   zu 
ot-  hätte   werden   müssen,     neben  Puoso  73,9.  74,  2m   kommt 
Posso  76,  3  vor,  zur  lautform  des  nameus  vgl.  Henning  Ruoen- 
denkmäler  s.  82.    nur  uo  zeigt  der  stamm  guot  in  CuololfTi.  '■ 
Cuotfrid   58,5;    nur   o   haben    die    namen  Popo  82, 
76,  21.    Bouo  82,  13.   Alchmod  77,  11.    Climot  95,  7. 
58,  31.    Keparoh  82,  7.    Ogo  36,  2  (vgl.  bei  Piper  Oago 
Uago  s.  518.    Uogo  s.  521,    im    Salzb.    verbrüderungsbucl 
einem  spätem  Schreiber  Uogo  49,  93.  18,  21,    weitere 
Förstemann  i  751).    Pöto   79,  19    {Puato,  Puoto    I 
Uuicpot  11,2    (Wicpuot  Piper  n  103,  11,    üame  i 
aicber  mönches,    Hadubuot   bei  Kossinna    8. 
(Zuazo  Piper  s.  537),  vgl.  Wrede  OstgoteD  -  135. 
wage  ich  nicht  zu  beurteilen. 


6  SCHATZ 

Im  zweiten  gliede  tritt  nur  o  auf :  -rod,  -mod,  -mot,  -roh,  -pot 
im  ganzen  7 mal;  im  ersten  zeigt  sich  62 mal  o  geschrieben, 
8 mal  6,  9 mal  m,  wenn  utto,  uto  mitgezählt  wird,  7 mal  uo  und 
2  mal  oo  (to  .  to,  tooto). 

Vocalismus  der  nebentonigen  silben. 

i  und  j  der  ableitung  sind  erhalten,  vgl.  im  ersten  glied: 
Sigifrid  77,  1.  Suniperht  43,  28.  Munigis  74,28.  Mimistain 
81,  16.  Pilidruth  62,  232.  Aediram  11,11.  Hugilaih  75,  3.  Chuni- 
hard  31,  1.  Hartman  26,  9.  Uuarimunt  44, 16.  Gauuiperht  27,  12. 
üauuirih  74,25.  ifo'/mr/  44,3.  Agirih  11,40.  Hiltimunt  11,21. 
Aligund  96,  35.  Uuillirat  81,  7.  Frauigis  78,  25.  Jüfartoft  76,  13. 
Altigund  97,  12.  %*0Z/  83,  18;  aber  JfrftoZ/  44,  26.  Mfo//" 
58,  6.  Haliduni  76,  6.  Raginpald  82,  18.  Maginraat  80,27. 
Uuinidhari  11,5.    Agishari  82,9.     mit  langer  Stammsilbe  Aigü 

10,  7.  Angilfrid  75,  15.  Uuantilperht  42,  24.  Irmingaer  11,  37.  — 
im  auslaut  des  zweiten  gliedes  ist  i  in  jo-stämmen  erhalten,  zb. 
Kisalhari  79,  34.  Hrehtuuili  11,  1.  Lantuuari  81,  31,  sonst  aber 
fehlt  es  zb.  Suanahilt  62,  l2.    Cotadiu  35,  2.    Akiuuiz  71,  1. 

Nebentoniges  m  ist  geblieben  zb.  Fridugoz  58,  37.  Hadu- 
perht  82,  30.  Patufrid  11,  25.  Uuisnrih  63,  14,  sü/i-  zeigt  also, 
dass  es  schon  früh  zur  belasse  übergetreten  ist.  unter  allen 
Salzburger  namen  mit  sigi-  ist  nur  Siguuualh  2,  23  (am  ende 
des  9  jhs.  eingetragen)  mit  u  vorhanden,  das  hier  durch  das 
folgende  mm  entstanden  ist.  vgl.  auch  Pipers  index  s.  507,  dazu 
Wrede  Ostgoten  s.  85.     a  der  nebensilben  tritt  auf  in  Comaleih 

11,  13.  Suanahilt  62,  l2.  Tagaperht  73,  31.  Aarahad  68,  1. 
Alarih  81,  33.  Peraharl  75,  37.  Keparoh  82,  7  (Peradeo  81,  22. 
Kepahart  82,  15.  83,  12.  Kepadrud  96,  39).  uach  langer  Stamm- 
silbe und  im  auslaut  des  zweiten  gliedes  ist  a  wie  u  und  stamm- 
haftes i  verloren;  für  inlaut.  nebentoniges  a  bieten  folg.  stamme 
belege  :  Uuolchanhart  30,  28.  Erchanperht  9,  25.  Isanperht  26,  6. 
Uuldarhilt  96,  34.  Aostarperht  10,  13.  Sundargaer  79,  10.  Madal- 
gaoz  42,  29.  Mahalcaoz  80,  11.  Rapanolf  79,  23.  Kaganhart 
79,  32.  Camalperht  81,  12.  Amalgaer  14,  1.  iwiaZ  83,  18.  OcZaZ- 
#aer  9,  12;  neben  regelmäßigem  arfaZ-  kommt  vor  Adolo  74,  16. 
76,  25.  Adolunc  80,  33.  Adolgaoz  11,  35.  ir/oZum'  58,  40  (Ada- 
luni  58,  352).  Podal  78,  24  neben  Podulunc  73,38.  76,24. 
neben  Epar-  Epor  81,  4.  £poro  82,  17.  Gundulmar  43,  3.  CWi- 
dMZ^erZrt  80,  17.  81,  1.  82,39.  83,  16,  aber  Gnndalperht  73,  18. 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH       7 

Gundalmar  58,  13.  neben  Kisalhart  79,  4.  -hari  79,  34.  -frid 
75,9.  14.  -drud  97,3  steht  Kislolf  10,8.74,2.79,15  (Kyslarios 
42,1),  verschrieben  ist  Kislahart  82,  37;  neben  ios/ar-  Aostrolf 
73,  40;  zu  Lopolf  58,  20  vgl.  man  bair.  Lopadeo  bei  Forstemann 
i  879.  Cotaperht  73,3.  -örtid  95,10.  Cotoperht  78,31.  -ttuar 
94,32.  95, 18  {Cotuuar  94,7  ist,  wenn  es  langes  ö  hat,  regelrecht), 
dazu  Cotoni  78, 18. 19  männlich,  Cot ani  96, 172  weiblich.  Aloholj 
79,  232  gegen  Alchmod  77,  11,  Uualahin  71,4.  96,26;  sicher 
zu  trennen  ist  davon   Uualahari  42,  17.21.  82,28  (uuala-). 

In  der  Schreibung  des  vocalismus  stellen  sich  die 
spätem  eintragungen  folgendermafsen  dar  :  von  den  im 
8  jh.  (nach  angäbe  des  herausgebers)  eingetragenen  namen  zeigen 
die  vom  Schreiber  der  reihe  12,  7  verzeichneten  3  mal  den  um- 
laut  :  Engilperht,  Fendio,  Pernheri,  nie  a;  dann  o  für  au  in  Adal- 
hoh,  Chunihoh;  für  ö  Hroddrud,  Oto;  1  mal  Hailrat.  sp.  14  stehn 
die  namen  der  mönche  von  SAmand;  es  findet  sich  kein  fall  des 
umlautes  gegen  8  a;  2  hart-,  6  -hari;  nur  ae  :  Harigaer,  Friskaer, 
Kaerperht;  nur  ao  :  Kaoz,  Helmgaoz.  46,  9P  finden  sich  4  a: 
Kqrhari,  Uuolfhari,  Rumhari,  Frauuilo,  4  e:  Chüniheri,  Engil- 
pald,  Regingaoz,  Alpheri  und  1  ei  in  Eigino;  2  ae,  1  e,  1  e;  A  ao: 
Aotperht,  Alhcaoz,  Adalhaoh,  Regingaoz  gegen  3  o  :  Morolf, 
Chunihoh,  Kepahoh;  für  o  3  o  und  7  d;  2  aiiLaipuni,  Kailo, 
3  ei  :  Heilrat,  Peinunk,  Eigilperht l. 

Von  namenlisten,  die  Herzberg  datiert,  seien  aus  den  mit 
8/9  bezeichneten  folgende  erwähnt  :  34,  25  =  70,  25  enthält  eine 
reihe  weiblicher  namen  mit  recht  altertümlichem  lautstand;  8  a: 
Uuantilpurc,  Franchin,  Raginhilt,  Hahlpurc,  Maginpirc,  Haliduuar, 
Sacgila,  Acgiuuiz  und  2  e  :  Ellianpurc,  Kasellia;  für  das  neue  ö 
finden  sich  5  ao  im  stamme  aot-;  für  alles  ö  9  o;  kein  ei  gegen 
3  oi  in  laidrat,  Aothaid,  Madalhaid;  nur  1  mal  belegt  ist  i 
Gaemi.  die  beiden  umlaute  stehn  70,25;  nach  Karajan  boII 
34,  25f  nach  840  eingetragen  sein,  dagegen  70,  25  f  um  780, 
beide  von  verschiedenen  Schreibern  natürlich,  die  unmftglichkeil 
dieses  ansatzes  erhellt  auch  aus  sprachlichen  gründen,   und  biei 

1  unter  den  namen  dieser  eintragung  findet  sich  4(1,  33  loh 
m.    man  hat  ansprechend  vermutet,  dass  hier  der  name 

des  Verbrüderungsbuches  vorliege,    weil  sp.  46   bald   nach 
grundstockes  entstand  und  unter  allen  namen  keiner  den  beisaU  scrib 
weist  (Herzberg  N.  arch.  12,  75). 


8  SCHATZ 

wie  oft,  wo  Herzberg  in  der  zeitlichen  festsetzung  der  ein- 
tragungen  von  Karajan  abweicht,  zeigt  sich  die  verlässlichkeit  der 
neuen  ausgäbe  auch  von  sprachlicher  seite.  in  bischof  Arnos 
zeit,  vgl.  N.  archiv  12,  91  f  zu  73,16,  setzt  Herzberg  die  grofse 
eintraguog  66,  16  =  67,  1  =  68,  8.  sie  zeigt  4  a  :  Hariolf, 
Chunihari,  Raginheri,  Kauuiperht  (Arpeo)  gegen  13  e;  für  e  uur 
e  4 mal;  3  ao  :  Aotpald,  Adalgaoz,  Caozheri  gegen  1  o  in  Ascoz; 
für  altes  o  nur  o  9 mal;  für  ai  2  ei:  Hiltistein,  Heimperth. 
85,  34  f  zeigt  3  e  gegen  5  a  :  Reginhelm,  Irminheri,  Meginhari, 
Erchanhari,  Hariprant,  Uuolfhari,  Alyan;  dann  Haimperht,  Hilti- 
kiaer.  bei  den  15  namen  43,  40  f  stehn  2  e  :  Elingo,  Engüpald 
gegen  4  a  :  Raginpald,  Casticho,  Uuillihari,  Maginperht;  1  ao  in 
Eparhaoh;  1  Ö  in  Hrodhart.  84,  382  kommen  vor  Cundhari, 
Raginolt,  Agilfrit,  Isanger,  Keparoh.  81,  43  Aengilgaer,  Kaemuant, 
Kozbald,  Odalpald.  12,  25  f  fylanuuolf ,  Ellanperht,  Reginhelm,, 
Sconheri;  für  He;  für  altes  au  1  o;  für  ö  2  o  (Poso);  dann 
Ödalgher,  Hartnud  (vgl.  Kernod  66,  16.  68, 12),  Zeizrih.  103, 1 
Erphari  (Erph-hari),  Raginbertus,  Frauuilo  gegen  13  heri  und 
Reginolf;  für  e  nur  e;  2  ao  :  Caozpald,  Kaozpald,  3  o;  für  ö  9  o 
und  4  oo  :  Oodalheri,  Tooto,  Toozo,  Poopi;  nur  noch  ei.  103,  40 
kennt  aufser  Arpeo,  Ampriho,  Hamminc  nur  e,  39 mal,  darunter 
2 mal  Teuit,  das  auch  34,38  und  40,9  in  dieser  form  auftritt, 
während  der  älteste  teil  nur  Dauid  10,6  kennt,  für  neues  e 
wird  ausschliefslich  e  verwendet,  ebenso  in  Üuelant,  für  neues  5 
nur  o,  für  altes  ö  9  o,  1  oo,  5  wo,  5  om  (Owfo,  oudal-),  1  <Wa/-, 
m  in  Hrudhelm  vielleicht  auch  in  Rupo  s.  Forstemann  i  1062. 
1064;  nur  ei. 

Man  sieht,  wie  sich  in  der  Schreibung  des  vocalismus  die 
neuerungen  durchringen;  die  fälle  mit  nicht  umgelautetem  a 
werden  seltener,  anstatt  ae  wird  für  e  e  gesetzt,  ai  verschwindet 
und  nur  o  für  ö  bleibt  herschend.  wo  sich  also  in  namenver- 
zeichnissen,  für  welche  die  ausgäbe  keine  Zeitbestimmung  ent- 
hält, a,  ai,  ae  und  ao  zeigen  (dieses  hält  sich  am  längsten),  kann 
die  eintragung  nur  in  die  zeit  bis  800  verlegt  werden.  35,  6  f 
findet  sich  Agilpurc.  Angilperht.  Aginolf.  Raginni,  kein  e;  Hilti- 
gaoz.  Caozperht,  kein  o;  Ilismot;  35,73f  Allansuid.  Raginsuid. 
Angilman.  Aella;  Haohni.  Mahalcoz;  Ulo;  Raitun,  Kaila;  —  4b,Qf 
Danchilo.  Ragenpald;  Aeuo.  Hartkaer  gegen  3  ker,  beleg  für  neues 
ö  fehlt;    Hrodker.  Roso;   Ainhart;    83,35  Raginperht;   Haohuni; 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH      9 

Uualthaid;  84,3*  Harimöt.  Kqruuantil,  Ali..,  Angilpald,  Kysal- 
hari;  2  ker,  1  ker;  2  höh;  1  hrod  (Aio);  84,  33  Rihari.  Rodunc. 
Comalaih  (für  die  Verwendbarkeit  so  kleiner  eintragungen  vgl.  die 
in  der  ausgäbe  ins  8  jh.  gestellte  eintragung  der  drei  nameD 
Mimistain,  üuillihari,  Zuzo  44,  39 — 41).  89,  12  kennt  den  um- 
laut,  1  ao  und  1  o,  für  altes  ö  2  oa,  Oatilo,  Röacheri  und  3  u, 
2  Tutti,  Tuto;  Haimo.  87,  32  Uuinidhaeri.  Haerimunt.  Zaeizheri; 
Kaozhilt.  Aotuni;  Trogo.  Rodmar. 

Eine  reihe  kleinerer  namenverzeicbnisse,  die  in  der  ausgäbe 
mit  8/9  bezeichnet  sind,  also  aus  paläographischen  gründen  nicht 
viel  über  800  hinaus  versetzt  werden  können,  zeigen,  wo  über- 
haupt belege  vorhanden  sind,  in  den  umlautsfällen  e,  für  neues 
e  e,  für  ai  ei,  für  altes  o  herscht  o  vor,  daneben  manchmal  wo, 
vereinzelt  ist  oa;  36,  19  (8/9)  stehn  nebeneinander  Zuozo.  Mo- 
tilo.  Oadalger.  Oadalhilt.  Tuata;  Engil.  Arpio;  Aota.  beim  Schreiber 
von  8 ,  10  f,  dessen  tätigkeit  sich  nach  Herzbergs  bestimmung 
N.  arch.  12,  85  über  ein  Jahrzehnt  bis  830  verfolgen  lässt,  findet 
sich  der  umlaut,  e  für  e,  2  ao  neben  6  o,  für  altes  ff  4  o,  8  wo, 
2  ao,  Aodil,  Aodalgoz. —  48,  19 f  (anfang  des  9  jhs.)  findet  sich 
umlauts-e  und  3  mal  ei'.  Eillanperht.  Eillanhilt.  Eillanmuot  72,  372-4; 
5  ao  gegen  3  o;  2  o  und  5  uo;  1  ai  (Mimistain)  gegen  4  ei.  — 
ao  für  neues  ff  kommen,  teils  ausschliefslich,  teils  neben  o  vor 
bei  den  Schreibern  von  79,  62.  86,  252.  59,23.  16,7.  34,  324. 
36,14.  70,13.  36,37.  33,4.  bei  diesen  eintragungen  mit  ao 
zeigen  16,  7  und  36,  37  für  neues  e  die  Schreibung  ae,  86,  25" 
2 mal  e,  die  übrigen  nichts,  was  auf  die  Verhältnisse  des  8  jhs. 
zurückweist.  —  20,  1  (noch  unter  Arno  eingetragen)  hat  Odalgaer 
neben  Kerhart  als  einzige  altertümlichkeit,  sonst  je  zwei  o.  — 
34,  37  f  (9)  Kaerhoh  neben  Nidcer,  Adaiger  2,  sonst  nur  o  und 
ei.  —  37,  2*f  (8/9)  hat  für  den  umlaut  2  ae,  2  a,  de,  für  e  2  e, 
für  neues  ö  o,  für  altes  o  4  o,  1  Uoto.  —  50,13  (8.9)  weist  den 
umlaut  auf,  für  e,  o  nur  e,  o  für  altes  ö,  3  ff,  1  uoto.  —  für  altes 
ff  zeigt  69,9  (9)  Ogo  neben  Ruodpreht;  61,  l2  (9)  Nuoto  g 
9  o;  72,42  (9)  1  uo,  l  6,  2  o;  49,  31  f  (2  haltte  des  9  jhs.) 
I  o,  1  uo,  1  u;  41,  232  (nach  850)  5  uo  gegen  3  o; 
(ende  des  9  jhs.)  1  o,  1  uo,  1  u.  späte  eintragungen  (9/ 
schreiben  altes  ff  mit  o  52,  213,  o,  3  u  84,1,  out,  out  ." 
o  86,  153,  3  m  87,  l2.  neues  e  und  ff  sind  durchwegs  mil 
bezeichnet. 


10  SCHATZ 

So  ergibt  sich,  dass  in  diesen  aufzeichnungen  im  vocalismus 
zuerst  a  dem  umlauts-e  weicht,  mindestens  gleichzeitig  damit  ai 
dem  ei  (bei  einigen  Schreibern  kommen  gar  keine  namen  mit 
diesem  diphthong  vor);  dann  folgt  e,  für  das  ae,  q  im  an- 
fange des  9  jhs.  nur  mehr  selten  ist  und  bald  aufser  gebrauch 
kommt;  etwas  länger  erscheint  ao,  bald  allein,  bald  neben  o,  und 
am  längsten  hält  sich  o  für  altes  o  :  erst  in  der  2  hälfte  des 
9  jhs.  überwiegt  die  bezeichnung  uo,  früh  schon  sieht  man  6, 
also  ein  unterscheidendes  zeichen  über  o  verwendet,  vereinzelt 
ist  o  in  früherer  zeit,  oa  finde  ich  6 mal  im  ganzen  :  36,  19 
Oadalger,  22  Oadalhilt,  38,  1  Oadilolf,  Oadaluuih,  89, 19  Röacheri, 
20  Oatilo,  je  2  bei  einem  Schreiber,  sämtlich  um  etwa  800  ein- 
getragen, oo  für  neues  ö  hat  der  Schreiber  von  17,  3  (8/9 — 9) 
in  Coozperht,  Noothart  17,7.9,  für  altes  ö  103,1  in  Oodalheri 
103,10  Tooto,  Toozo,  Poopi  106,3.  II3.  18  (gegen  8  o). 

Mit  ausnähme  des  Zeichens  e,  das  ich  als  doppelschreibung, 
nachtragung  des  a  zum  e  (ae),  beurteilen  zu  können  glaube, 
finden  sich  alle  vocalzeichen  der  ersten  hand  in  späteren  ein- 
tragungen  wider,  alle  die  merkmale,  an  denen  wir  die  ältesten 
ahd.  texte  zu  erkennen  gewohnt  sind,  treffen  wir  beim  ersten 
schreiber  als  regel;  die  soeben  dargelegte  Weiterbildung  der 
vocalzeichen  bei  den  spätem  namenlisten  lässt,  wenn  man  sich 
allgemein  ausdrücken  darf,  die  Schreibung  der  vocale  wie  ein 
grundriss  erkennen,  es  ist  Salzburger  Orthographie,  dass  diese 
bezeichnung  berechtigt  ist,  ergibt  sich  aus  der  vergleichung  der 
namen  der  bairischen  klöster  Monsee,  Chiemsee,  Mattsee,  Metten, 
(Nieder-)Altaich,  die  in  das  Reichenauer  verbrüderungsbuch  auf- 
nähme gefunden  haben  (Piper  s.  184  f.  n  98  f).  diese  eintragungen 
dürfen  zur  ermittluug  der  Schreibweise  in  den  bairischen  klöslern 
verwertet  werden,  sie  sind  von  den  Schreibern  a  und  ß  ver- 
zeichnet, die  nach  Pipers  vorrede  s.  148  im  zweiten  und  dritten 
Jahrzehnt  des  9  jhs.  (a)  und  um  830  (ß)  schrieben,  die  getreue 
widergabe  der  bairischen  namen  erkennt  man  sofort,  wenn  man 
die  eintragungen  der  SGaller  und  Reichenauer  namen  zum  ver- 
gleiche heranzieht,  in  dem  Verzeichnis  der  lebenden  SGaller 
mönche  s.  148  f.  n  43 — 46,  das  von  a  herrührt  (vgl.  s.  168  unten 
gegen  s.  148),  sind  folgende  vocalschreibungen  zu  beobachten: 
der  umlaut  ist  mit  ausnähme  von  Maginhoh  43,25  und  Wtnidharius 
46,  30  (Lallinc  45,  16?)   vollständig  durchgedrungen  und  durch 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     11 

e  bezeichnet;  für  neues  e  stehn  10  e  gegen  5  ae  (nur  -gaer  als 
zweites  glied);    für  neues  ö  kommt  nur  o  vor;   für  altes  ö  wird 

14  mal  ua  verwendet,  3  mal  o  :  Hrodolf,  Theotoroh,  Ralpot  43,  8. 

II.  16;  ein  beleg  für  ei  fehlt,  bezüglich  der  b-,  jp-schreibung 
sei  erwähnt,  dass  anlautend  1  B  gegen  7  P  steht,  inlautend  18  b 
gegen  12  p  (1  -pot,  4  -pold,  7  -pret).  a  trug  auch  die  namen 
der  SGaller  verstorbenen  ein,  n  52 — 53:  derumlaut  ist  herschend; 
e  erscheint  3  mal  in  -gaer;  für  ö  sind  die  altertümlichen  namens- 
formen Autegarius  53,  13  und  Audomar  52,  1  (abt  720—59)  vor- 
handen, sonst  nur  o;  altes  ö  tritt  4  mal  als  ua  auf,  2  mal  als  «, 
Gutfrido  52,  18.  Zuzo  53,  18  und  als  o  in  Bosilinus  53,  33; 
1  mal  ej  in  Zeizmuat  52,25.  p  zeigt  sich  nur  anlautend,  4  mal 
gegen  1   b,  inlautend  ist  nur  b  geschrieben,  10  mal. 

a  hat  ferner  die  namen  der  toten  Reichenauer  n  24 — 28 
eingeschrieben  :  für  den  umlaut  e,  für  e  e,  für  neues  ü  o,  für 
altes  o  6  ua,  5  o,  2  u.  im  anlaut  4  p,  5  b,  inlautend  1  p,  14  b. 
die  namen  der  lebenden  Reichenauer  stammen  von  ß  :  e  be- 
zeichnet den  umlaut  und  e,  o  neues  ö,  für  altes  ö  9  ua,  1  u; 
5  mal  ei.  21  b  gegen  3  -j?o/rf.  diese  lautverhältnisse  weichen 
von  den  bekannten  hochalemannischen  dieser  zeit  nicht  ab.  da- 
gegen halte  man  nun  der  reihe  nach  die  bairischen  namen: 

1)  Monsee,  Piper  s.  187  von  «.  Raginpert  107,  12.  Ragin- 
heim  107,  22.  Machlari  108,  15.  Agino  108,  2.  Willihaere  107,  9. 
Heripert  107,  5.  Meginheri  107,  20;  also  4  a,  3  e,  1  ae.  Ärt?ro/(, 
Keruni  (so  les  ich  für  ÄTerum  107,  38)  gegen  Hrodhgaer  107,  13. 
Waldgaer  107,  36.  für  neues  ö  1  mal  Perfcoz  107,  35.  altes  ö 
5  mal  als  o,  2  mal  (Ruad-)  ua,  1  mal  «.  3  ei  und  1  aei  (Zaeizzo). 
13  i>,  4  &,    Wolfbert   107,  16.    108,  8.  Gundberl,  Albgis   108,  1.  5. 

2)  Chiemsee,    Piper  s.  191   von  «.    Orlhari   124,   4.    Hrodhari 

124,  9.  Fftm/ipa^  124,  16.  Haribert  124,  18.  Haripert  124,  31. 
Angilrat   124,  34.    Reginhari   124,  21.    Reginberht   124,  5.    HVm'/o 

125,  14.  Reginhelm  125,33;  also  7  o,  4  e.  Pertgaer  124,  19. 
keruni  125,  9.  Gerbald  124,  38.  Helmgaoz  124,  25;  für  altes  ö 
ua  lmal  (ßuad.),  o  8mal;  Orllaip  124,  20.  125,  3.  Laipioart 
124,  24.    (^'o   124,  32.    Mainperl  124,  37).    Mimistein   12 1 

15  p  und   8   &. 

3)  Mallsee,    Piper  s.  188    von   ß.    7  e    und    3  o,    MzrinperAi 

III,  11.  Liuthari  111,  25.    Angilscalc   1 11,  28;  für  g   1  <\    ^a&7o 

111,  26.  Aolbert  111,  34.  .4dafcos  112.  7.  ÄodpaW  112,  14.   Ootto 

112,  20.  Coatfrid   112,  3.   Ruadbold  111,  30.  /uro  111,  15. 
/Wd   111,3.    tfa/do//-   111,37.    Welanti   111,9.    fFWanl   111. 
8  p  darunter  Eparolt,   Alpoll,  7  b. 


12  SCHATZ 

4)  Metten,  Piper  s.  189  n  115—118  von  ß  119  von  «.  für 
den  umlaut  stellt  e  und  6  mal  (ß)  ae;  für  e  6  e  gegen  5  ~gaer\ 
neues  ö  ist  nur  durch  ao  vertreten  8  mal;  altes  ö  durch  15  o,   3  ua, 

1  u  (Ruadgaoz  116,  20  -pulo  110,  23  -bert  116,  31.  Tulo  115,  19). 
Haipo  117,  1  gegen  4  ei;  a  liat  nur  p.  ß  40  p  und  8  &  (6  -oert 
gegen  16  -bert).  Kebahart  117,  15  aber  Rapanolf,  Liupilo  117,  21. 
25.  llbunc   116,  13  ß,  aber  //punc   119,  16  a. 

5)  Kiederaltaich,  Piper  s.  184  f,  sp.  98 — 104  von  a.  der 
umlaut  ist  durch  e  bezeichnet,  cc  steht  in  Pulharius  98,  8.  Angel- 
berlus  101,  24.  ^o/no  98,  28  (gegen  Egino  100,  18.  32).  Wini- 
harius  101,  28.  Awigaoz  101,  33;  2  mal  ae  in  Aengilmot  99,  22. 
Wallhaeri  102,  38;  für  e  10«  und  4  ae  (2  -oaer  und  Aerih  101,  1. 
Kcerharl  99,  7);   für  neues  ö  14  ao,  1  oo,  5  o;  für  altes  o  14  o,  2  «, 

2  uo,   1  ua;  nur  ei;  p  •  b  =  2  :  1. 

Die  bairischen  namen  zeigen  also  im  vergleich  mit  den 
alem.,  wie  sie  a  und  ß  eingetragen  haben,  die  besonderen  kenn- 
zeichen  ihrer  heimat;  die  beiden  Schreiber  schonten  die  spräche 
der  ihnen  vorliegenden  namen.  um  einen  kennzeichnenden  über- 
blick zu  gewinnen,  halte  man  die  lautverhältnisse  alle  zusammen ; 
beim  umlaut  verhält  sich  e :  a  wie  2:1;  e:  ae  wie  4:1;  ei :  ai 
wie  2:1  (im  ganzen  2  aei,  ei:  aei  =11:2);  für  e  verhält  sich 
ae :  e  wie  3:4;  ao  :  o  =  3  :  1 ;  für  altes  o  sind  44  o,  4  u  (Tuto, 
Uto,  Znzo,  Usso),  2  uo,  1  oa,  1  oo  belegt;  die  7  ua  fallen  den 
alem.  Schreibern  zur  last,  das  Verhältnis  von  p :  b  ist  nahezu  wie 
3:1,  in  den  angeführten  namen  aus  SGallen  und  Reichenau  aber 
gerade  umgekehrt,  so  spricht  alles  dafür,  dass  in  diesen  aus 
Baiern  stammenden  namen  die  heimatliche  Schreibung  zum  Vor- 
schein kommt;  sie  bieten,  schematisch  genommen,  genau  dieselbe 
entwicklung  wie  die  eintragungen  im  Salzhurger  vb.,  dessen 
grundstock  zeitlich  wie  in  der  Schreibweise  an  der  spitze  dieser 
namen  steht,  zu  einer  schärferen  Scheidung  dieser  bairischen 
klöster  bezüglich  ihrer  Schreibweise  gelangt  man  aber  nicht. 

Der  vocalismus  der  Freisinger  Urkunden,  die  Wagner 
1876  behandelt  hat,  weicht  von  dem  des  grundstockes  im  Salz- 
burger vb.  sowie  von  der  allmählichen  entwicklung,  die  sich  nach 
den  vorgeführten  erscheinungen  beobachten  lässt,  recht  erheblich 
ab.  747—757  stehn  neben  16  bezw.  12  a  bereits  14  e,  758—772 
neben  23  a  schon  54  e;  773—804  32  a  und  225  e  und  zwar 
in  den  14  Urkunden,  welche  a  enthalten,  32  a  gegen  82  e.  für 
neues  e  kommt  nur  2  mal  ae  vor,  759  Haero,  770  Odalgaer,  sonst 
nur  e,    für   neues    ö   verzeichnet  Wagner  s.  57  f  5  altertümliche 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH  13 

au,  in  einer  Urkunde  von  793  6  ao  (gegen  1  o),  811  2  ao,  1  o. 
die  formen  mit  oat-  sind  oben  s.5  besprochen  worden,  altes  ö  zeigt 
sich  bis  760  9  mal  als  o,  8  mal  als  oa,  bis  780  ist  das  Verhältnis 
48  o  :  43  oa,  bis  814  kommen  78  o,  68  oa  vor;  für  ua  ver- 
zeichnet Wagner  s.  55  f  Huasuni  (=  Oasuni  derselben  Urkunde), 
Suamperht,  Chuanrat,  Huasmot,  für  uo  Hruodprant,  Tuolpah. 
Puoh.  von  825 — 848  stehn  37  oa,  5  uo  und  2  ua  gegen  26  o 
Wagner  s.  56.  für  altes  ai  stehn  bis  763  5  ai  gegen  5  ei  (752 
2  ai,  1  ei,  763  1  a?\  1  ei),  bis  790  5  ai  gegen  27  ei  (nie  neben- 
einander), von  da  an  herscht  ei. 

Die  durchführung  der  Umlautsbezeichnung  steht  zu  den  er- 
scheinungen  der  behandelten  namen  im  gegensatz;  diese  haben, 
wenigstens  in  der  altern  zeit,  eine  gewisse  Vorliebe  für  a;  ganz 
dasselbe  zeigt  sich  bei  ai :  hier  festhalten  an  ai,  in  den  Freisinger 
namen  vordringen  des  ei,  das  bereits  zu  einer  zeit  herschend  ist, 
in  der  in  den  früher  behandelten  namen  ai  noch  häufiger  ist  als  ei. 
mehr  als  die  regelmäfsige  Schreibung  e  für  neues  e  fällt  auf,  dass  ao 
so  ganz  aufserhalb  des  schreibgebrauchs  der  Freisinger  Urkunden 
steht,  eine  bezeichnung,  die  in  den  Salzburger  namen  noch  im  anfange 
des  9  jhs.  nicht  selten  ist  und  in  früherer  zeit  herschend,  wie  noch  in 
den  namen  der  behandelten  bairischen  klöster.  altes  ö  wird  in  diesen 
namen  durchaus  festgehalten,  die  vereinzelten  diphthongierungen 
zeigen  uo  und  nur  7  oa;  in  den  Freisinger  namen  ist  o  nur  schwach 
im  Übergewicht  gegen  oa  (bis  814  135  o  und  119  oa). 

Ein  mittel  zur  genaueren  kenntnis  der  Freisinger  Schreibung  bieten 
auch  die  namen  aus  Kempten,  Augsburg,  Ellwangen,  Feuchtwangen ; 
sie  umgeben  und  isolieren   Freising,     im  SGaller  vb.  stehn  Kemptener 
namen  bei  Piper  i  83  f  =  202—203.     für  altes  5  ist  nur  ein  beleg 
vorhanden:  Oadalfrid  203,  13,  aber  Uadalfrid  geschrieben    84,  18; 
die  204  f  später  eingetragenen  namen  zeigen  Roadwig,  Ruodger,  Rodoll, 
Adalnot,   Ralpot  3,  Ruodpret,   Truako.     die  übrigen  vocalzeichen  sind 
regelmäfsig    umlauts-e,    e,    ei,    o.     beachtenswert   ist,    dass   in    der 
frühesten  eintragung  83  f  =  202  f  nur  3  b,  Erlabold,  Gerbold,  Suabolt 
gegen   17  p  vorkommen,    vgl.    Liupman,    Alpker ,    lladaprehl.     eine 
zweite  namenreihe  steht  im  Reichenauer  vb.,  Piper  u  1581 
815—820  geschrieben,  vgl.  Pipers  anm.  s.  206.     es  ßndi 
mäfsig  umlauts-e,  e,  ei,  o;    für  altes  ö  1  ua,   1  uao,  3  uo.  2  o,   1 
(30  p  :   8  b).     das   dritte  Verzeichnis  stammt  von  ß,    Pipern  1«J 
4  o,  1  uo,  1  ua  (20  p  :  8  &).— namen  aus  Augsburg  bei  Piper 
von  a  :  3  o,   1  uoa,   1  uo,  1  ua;  e,  o  für  neues  t 
aus  Ellwangen,  Piper  i  111  T  vgl.  i  256 f  :  für  a 
man,  Adalnoal,  Ebarnoat,   4  o,    Unroh,   Odalger,   H<m>"'  ÜUo-  l 


14  SCHATZ 

Einmuat,  Ruadmar  i  256  f,  2  oa,  Oadalman,  Einmoat,  5  o,  2  ua. 
Piper  ii  443  f,  3  uo,  Adalmuol,  Huodilman,  Unruoh,  2  o,  Ebarnot, 
Keroh,  2  ua,  Ruadmar,  Ruadheri,  1  OMo.  —  aus  Feuchtvvangen,  Piper  u 
128  f  von  a  :  1  Aerhart  gegen  8  e,  Aolhart,  Aotmar,  Aolhram,  Ötolf, 
Gerhoh,   Goozberlus,   Goozolf,   Ootwin  für  altes  ö  2  o,  3  oo,  2  «o, 

1  wo;  nur  ei  (3  p:  19  6).  —  in  den  namen  aus  Ottobeuren,  Piper  ii 
418  f  finden  sich  3  Oadal- ,  2  Uto ,  3  Ruad-;  zu  beachten  ist  die 
Schreibung  ea  in  der  eintragung  419,  8 — 40,  Leahlolt,  Thealmar, 
-pret  2,  -hart,  -olf,  daneben  kommt  kein  eo  vor,  die  liste  ist  leider 
nicht  zeitlich  bestimmt  (vgl.  419,  12  Wialanl),  ich  möchte  sie  nicht 
vor  850  setzen.  —  von  den  Freisinger  namen,  Piper  ii  545 f,  ist  ein 
teil  noch  von  a  eingeschrieben;  für  altes  ö  bietet  dieser  älteste  teil 
keinen  beleg,  die  spätem  eintrage  haben  wol  o,  uo,  ua  aber  nur  1  oa, 
Roadger  547,  40,  daneben  von  der  hand  des  gleichen  Schreibers 
Swidhmuot.  das,  worauf  es  ankommt,  findet  sich  nicht,  nämlich  über- 
wiegendes oa;  die  EUwanger  namen  mit  oa  sind  eine  eigentümliche 
erscheinung,  Kauffmann  Gesch.  d.  Schwab,  mda.  s.  99  belegt  für  das 
9  jh.  als  gewöhnliche  form  ua,  das  im  8  jh.  schon  überwiegt,  oa 
kommt  zwischen  763 — 838  vor;  auch  in  Weifsenburger  namen  findet 
sich  oa,  Piper  i  210  f  Oadalgis ,  -heri,  -rih  3,  Hillimoal,  13  ua, 
3  uo  (Ruadmuat  und  Ruodmuot  218,  1  und  27),  3  o,  sie  sind  nach 
Piper  s.  71  vor  840  geschrieben,  aber  die  gleichen  namen  sind  im 
Reichenauer  vb.,  Piper  ii  252  f,  ohne  jedes  oa. 

Freising  steht  also  mit  o,  oa  ziemlich  allein,  es  lässt  sich 
mit  der  Schreibung  der  Ottobeurer  namen  kaum  eine  Verbindung 
herstellen,  ebenso  sind  die  belege  aus  Ellwangen  für  ein  engeres 
Verhältnis  nicht  beweisend,  die  Kemptener  namen  stehu  den 
Freisinger  nameu  ferner,  näher  aber  den  namen  aus  den  bai- 
rischen  klöstern,  besonders  auch  in  den  p-,  6-schreibuugen,  was 
um  so  mehr  auffällt,  da  Kempten  heule  auf  schwäbischem  ge- 
biete ligt.  auch  ein  teil  der  Ottobeurer  namen,  nämlich  die  ein- 
tragung ii  419,  8—40,  kennt  im  anlaut  nur  p,  28  mal,  im  inlaut 

2  mal  o  :  in  Ebarhart,  Tabo. 

Nach  den  vorgeführten  Schreibungen  könnte  man  mit  recht 
daran  zweifeln,  dass  in  den  Freisinger  Urkunden  der  ursprüng- 
liche schreibgebrauch  in  Cozrohs  abschriften  übergegangen  sei, 
vielmehr  glauben,  dass  die  schreibgewohnheit  dieses  mannes  die 
ältere  bezeichnung  verdrängt  habe  und  diese  Urkunden  nur  für 
die  kenntnis  der  schrift  und  spräche  im  9  jh.  von  wert  seien; 
s.  Henning  DLZ.  1888,  sp.  15,  Kögel  Lbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil. 
1887,  sp.  108.  aber  gerade  beim  alten  ö,  das  gegenüber  den 
Salzburger  namen  und  denen  der  bair.  klöster  in  den  Freisinger 


DAS  ÄLTESTE  SALZBÜRGER  VERBRÜDERUINGSBUCH     15 

Urkunden  seine  eigene  bezeichnung  oa  fast  so  oft  wie  o  aulweist, 
haben  diese  eine  starke  stütze  an  dem  ältesten  bairischen  glossen- 
denkmal  Pa.  hier  verhält  sich  o  :  oa  wie  184  :  95,  Kögel  Keron. 
glossar  s.  10.  in  den  übrigen  bair.  denkmälern  fehlt  oa,  vgl. 
Wüllner  Hraban.  glossar  s.  9  (1  froa  gegen  113  ©),  s.  84  f, 
Weinhold  Bair.  gramm.  §  96,  Braune  Ahd.  gramm.2  §  39  b. 
daraus  erhellt  erstens ,  dass  die  Schreibung  oa  der  Freisinger 
namen  als  ursprünglich  und  regelrecht  zu  gelten  hat,  das  heifst, 
dass  man  in  Freising  gewohnt  war  neben  o  oa  zu  schreiben, 
zweitens,  dass  Pa  und  die  Freisinger  Urkunden  in  dieser 
hinsieht  verwant  sind  im  gegensatz  zu  allen  andern  bair.  Sprach- 
denkmälern der  altern  zeit,  in  allen  andern  fällen  der  vocal- 
schreibung  stellt  sich  Pa  zu  den  ältesten  bair.  namen  und  ins- 
besondere zum  grundstock  des  Salzburger  vbs.  das  zeichen  ao 
für  späteres  o  ist  für  alle  bair.  deukmäler  kennzeichnend,  s.  o. 
über  die  namen,  Wüllner  s.  83  über  die  glossen  und  alten  denk- 
mäler;  die  Hraban.  glossen,  die  Casseler  haben  ao,  im  ganzen 
stellen  sie  sich  in  die  gleiche  reihe  wie  die  behandelten  namen, 
Pa  hat  (die  angaben  immer  nach  Kögel)  2  oo,  4  o  und  84  ao, 
in  den  Freisinger  namen  aber  sind  nur  793  und  811  unvermittelt 
ao  vorhanden,  bereits  in  frühester  zeit  herscht  o.  da  kann  wol 
kein  zweifei  obwalten,  dass  die  o  vom  abschreiber  Cozroh  für 
die  ao  eingesetzt  wurden  :  zu  seiner  zeit  war  o  allein  berechtigt, 
dagegen  war  für  altes  o  noch  oa  stark  im  gebrauche,  sodass  er 
diese  bezeichnung  nicht  zu  ändern  brauchte,  nur  so  erklärt  sich 
der  gegensatz,  in  dem  die  Freisinger  Urkunden  zu  allen  andern 
denkmälern  stehn;  sie  weisen  eine  Schreibung  auf  für  die 
2  hälfte  des  8  jhs.,  welche  die  andern  bair.  deukmäler  im  anfange 
des  9  jhs.  haben  und  unterscheiden  sich  von  dem  sprachlichen 
Charakter,  den  diese  im  8  jh.  tragen,  sehr  scharf,  dass  diese 
Umsetzung  in  die  Schreibweise  des  9  jhs.  eine  gleichmafsii 
kann  man  nicht  erwarten,  mit  den  Salzburger  namen  und  den 
ältesten  denkmälern  hat  Pa  die  Schreibung  ae  neben  seltenerem 
e  für  monophthongiertes  ai  gemeinsam  (78  ae,  10  e),  ae  ist 
den  Casseler  glossen  in  der  überzahl,  im  Hraban.  glos 
den  Monseer  bruchstücken  übervvigt  e,  Wüllner  s.  82,  Ben 
s.  102,  im  9  jh.  verliert  es  sich;  in  der  Schreibung  ai 
steht  der  grundstock  des  verbrüderungsbuches  an  der  s 
bair.  deukmäler,  nur  1   ei  ist  hier  sicher;  Pa  bat   105  ai, 


16  SCHATZ 

aber  schon  das  hraban.  glossar  nur  4  ai  gegen  100  ei.  hinsicht- 
lich des  umlauts  endlich  zeigen  die  denkmäler  denselben  zustand, 
der  für  die  namen  der  Verbrüderungslisten  oben  dargelegt  ist. 
Pa  hat  215  a,  40  e,  die  ältesten  Salzburger  namen  stehn  auch 
Pa  gegenüber  voran. 

Pa  wird  von  Kugel,  zuletzt  Litteraturgesch.  i  2,  428  um  740 
angesetzt  und  ich  glaube,  dass  auch  ohne  die  Freisinger  Ur- 
kunden diese  bestimmung  gemacht  werden  kann,  der  grundstock 
des  Salzburger  vbs.,  nach  welchem  man  Pa  später  setzen  könnte, 
ist  nach  einem  orthographischen  Systeme  gearbeitet,  das  oben 
hinreichend  klar  gelegt  ist;  der  Schreiber  kannte  den  umlaut, 
vermied  es  aber,  ihn  zu  bezeichnen,  ei  ist  ihm  nur  einmal 
hineingeraten,  aber  in  den  später  zugesetzten  Zeizo  durchwegs, 
beachtet  man  diese  puncte,  so  erscheint  der  lautstand  des  grund- 
stockes  dem  von  Pa  bedeutend  näher  gerückt,  in  der  bezeich- 
nung  des  germ.  ö  zeigt  der  gruodstock  bereits  das  starre  fest- 
halten am  o,  das  sich  weit  ins  9  jh.  hineinzieht,  der  unter- 
schied von  Pa  hierin  kann  nur  örtlich  bedingt  sein,  es  ist  sicher 
nicht  da  entstanden,  wo  die  Salzburger  Orthographie  gehandhabt 
wurde;  wer  als  entstehungsort  vo  n  Pa  Freisi  ng  annimmt, 
hat  alle  beweise,  welche  die  spräche  für  die  heimat  dieses  denk- 
mals  zu  bieten  vermag,  für  seine  behauptuug  als  stütze. 

In  der  beurteilung  der  sprachlichen  grundlagen,  welche  von 
der  Schreibweise  des  vocalismus  überdeckt  werden ,  kann  als 
sicher  folgendes  gelten  :  a  war  zur  zeit  der  entstehung  von  Pa 
bereits  dem  umlaut  erlegen,  ai  war  zu  e  geworden,  au  vor  den- 
talen bereits  angegriffen  und  784  zu  ö  geworden,  in  nebentonigen 
silben  früher  als  in  haupttonigen,  wie  die  Salzburger  namen 
zeigen,  ai  vielleicht  zu  ei  gewandelt,  5  diphthongiert,  anders  in 
Freising  als  in  Salzburg  und  den  übrigen  orten,  die  denkmäler 
bieten,  wäre  die  diphthongierung  nicht  vorhanden  gewesen,  so 
liefse  sich  die  Schreibung  oa  in  Pa  (und  den  Freisinger  Urkun- 
den) nicht  erklären ;  die  Verschiedenheit  der  diphthongierung  er- 
weist die  streng  befolgte  Schreibweise. 

In  den  vocalen  der  nebensilben  hat  der  erste  Schreiber  die 
ursprünglichen  Verhältnisse  ziemlich  rein  bewahrt,  u  und  i  sind 
fest,  nur  a  ist  einige  male  als  o,  u  belegt;  in  den  Zusätzen  des 
Salzburger  vb.  sind  i,  u,  a  in  der  mehrzahl  der  fälle  regelrecht 
vertreten,    doch  tritt  a  besonders  für  u  häufiger  ein  :  Hadapurh 


DAS  ÄLTESTE  SALZBÜRGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     17 

29,  14.  Hadamuot  54,  26.  Hadapurc  101,  12.  103,  583.  Hadamar 
51,  42.  Fridapurc  19,  12.  32,  2.  37,  125.  Fridagoz  neben  Ha- 
duger  45,  30.  31  ua.  man  vgl.  Sigarod  36,  36.  Sumnihilt  35,27. 
Engalfrit  62,  10.  Fridouualh  54,  24.  Uuasogrim  72,  381  Mfa- 
purc  85,  49.  Isinpirin  93,  28.  Erminger  88,  27.  Erchinger 
34,  42.  52.  Ellinrat  62,  222  ua.  im  allgemeinen  erhält  man  den 
eindruck,  dass  der  ursprüngliche  bestand  von  i,  a,  u  in  neben- 
silben  um  900  zerrüttet  ist  und  im  gründe  ein  einheitlicher 
laut  dafür  eingetreten  ist,  der  wol  nicht  überall  derselbe  war 
und  sich  den  vocalen  der  benachbarten  starktonigen  silben  an- 
schmiegen konnte. 

Consonantism  us. 
Germ,  d  und  ß.  die  regelmäßige  Vertretung  des  germ.  d 
ist  t.  wortglieder,  deren  hd.  t  nur  durch  t  bezeichnet  wird,  sind 
in  folgenden  namen  enthalten  :  Uuatil  9,31.  Cotaesscalc  10,9. 
Tooto  26,#38.  Pöto  79,  19.  Uuicpot  11,2.  Hiltimunt  11,  21. 
Suanahilt  62,  l2.  Lantperht  11,  22.  Ratperht  11,  36.  Laidrat  31,  2. 
Uuüliport  26,  14.  'Oto  21,  3.    Cuotolf  27,  7.  Tassilo  30,  1.  Fater 

30,  31.  Pato  36,  2.  Uuantilperht  42,  24.  Truhthari  42,  31. 
£/M#ofc  58,  1.  4tfA  58, 14.  Tepizo  58,37.  Hrodkart  58,  39.  Jaofo 
64,25.  Hraitun  70,  10.  T/sa  71,8.  Tagaperht  73,31.  Patufrid 
77,25.  Sunthari  77,  33.  Uuanito  79,  3.  flantoft  79, 14.  infrft 
82,2.  Pefar  80,  9.  Man?  80,  18.  Sigiflat  94 ,  H*.  Ctindfriit 
94,  24.  2Wa  96,  13.  germ.  />  ist  durch  </  in  folgenden  stammen 
ausnahmslos  vertreten  :  Pa/cfo  9,5.  Sindo  9,  10.  Odalgaer  9,  12. 
Hrodperht  9,26.  Ir/Wd  9,  27.  Fridugoz  58 ,  37 .  Gundulperht 
10,  10.  Adalperht  10,  26.  Hadupurc  71,  9.  Aarahad  68,1.  C/ut'ntd- 
Äan  11,5.  Aediram  11,11.  Nandilo  74,22.  Adalnand  11,15. 
Pfrdfor  11,34.  lanfra*  31,2.  Madalgaoz  42,29.  Sawrfraf  66,7. 
Uuaclind  71,  2.  Norduni  73,  32.  Podulunc  73,  38.  Haliduni  76,  6. 
Uuolfdragil  78,28.  Sundargaer  79,  10.  Uuerdmunt  79,21.  Pero- 
rfeo  81,  22.  AWfiart  83,  7.  Uuolfdanc  83,  20.  Hraginsnind  94,  ."». 
/n#M<nd  96,  2.  Cholduuaih  9ü,  16.   Uuldarhilt  96,  34. 

Dazu  folgende  bemerkungen  :  Reginfrid  75,15  ist  weiblich; 
auf  -/Wtf  lautet  hier   sonst  kein  frauenname  aus,    dagegen    sind 
sp.  94—96    neun  weibliche  namen  auf  -/Wf    (/W<7,  /WO    b< 
zur  abstammung  von  /nf  s.  Kögel  Litteraturgescb.  i  2,214. 
stamm  ahd.  /rlf  kommt  als   2  glied   der  namen  wol   ausschliefs- 
Z.  F.  D.  Ä.  XLIII.     N.  F.  XXXI. 


18  SCHATZ 

lieh  den  weiblichen  zu.  man  vgl.  aus  späterer  zeit  im  ver- 
brüderuügsbuche  die  sicher  weiblichen  namen  :  Engilfrit,  Sigifrit 
34,36.  Alafrit  34,8.  253.  70,31.  Unaltfrit  38, 22.  Deotfriit 
70,  13.  Aostarfrü  89,  122.  Erchanfrü  89,  13  und  bei  Piper  die 
ebenfalls  weiblichen  :  Engilfrit  i  109,8.  173, 18.  liutfrit  i  114,19. 
24.  Thiotfrit  i  125,  52.  Thietfrit  i  145,  10.  Theotfrit  146,  23. 
Cundfrit  156,20.  Peratfrit  179,20.  Engelvrit  179,27.  männ- 
liche namen  auf  frit  sind  mir  aus  jeuer  frühen  zeit,  in  der  noch 
auslautende  -d  nicht  als  t  geschrieben  wurden,  keine  vorgekommen, 
das  oben  genannte  Reginfrid  wird  wol  ein  schreibversehen  sein, 
da  ich  unter  den  weiblichen  namen  kein  glaubwürdiges  -frid 
gefunden  habe.  Sunthari  77,  33  hat  sicher  nt,  weil  dieser 
Schreiber  nie  nd  für  das  zahlreich  vorkommende  nt  hat  (Sunt- 
hari  Mon.  boica  xxvm  2  s.  28,  vor  800).  Uuaclind  71,2.  Hrodlind 
94,  2.  28.  95,  8.  /rm/mrf  94,  29.  Xfrffnd  70,  2.  Odallind  71,7. 
Cundlind  94,20  zeigen  die  hd.  allein  vorkommende  form  lind 
Grimm  Gramm,  n  505 ;  lint  vermag  ich  nicht  nachzuweisen. 
Podulunc  73,  38.  76,  24.  Podal  78,  24  haben  echtes  d,  s.  die  aus- 
führuugen  Müllenhoffs  in  Haupts  Zs.  10,  162,  Podalunc  758,  Po- 
dolunc  111  in  den  Freisinger  urkk.,  die  Wüllner  aao.  s.  99  falsch 
als  identisch  mit  Polo  beurteilt,  ebenso  wie  Henning  SGallische 
sprachdenkm.  s.  125,  2  der  form  Podal  echtes  d  abspricht;  das 
o  ist  kurz,  s.  MülleuhofT  aao.  und  die  formen  Podal,  Podalolt, 
Podalunc,  Bodal,  Bodalung  bei  Piper  s.  419  und  491.  Sundar(gaer) 
79,  10  vergleicht  sich  seiner  bildung  nach  der  form  Aostar  {-Mit 
97,14  ua.).  s.  Süthar-  bei  Heyne  Altndd.  eigenn.  s.  25  und  die  form 
Westar-  bei  Förstemaun  i  1278;  Kögel  t).  d.  keron.  gl.  s.  116. 
Die  regelmäfsigkeit  in  der  bezeichnung  dieser  beiden  laute 
erscheint  in  folgenden  fällen  durchbrochen  :  Perhtold  77,  39  da- 
gegen Perhtolt  11,10.58,3.77,19  und  in  andern  namen  nur 
-oft  (18  mal);  Kunialdus  42,2  ist  der  name  des  genossen  des  h. 
Rupert  und  reicht  also  um  fast  200  jähre  vor  die  entstehung  des 
verbrüderungsbuches  zurück  (Herzberg  IV.  archiv  12,63),  auch 
Aldolfus  42,  6  stammt  aus  weit  früherer  zeit.  —  die  namen  der 
unter  bischof  Virgil  (745 — 84)  verstorbenen  münclie  beginnen 
erst  42,19.  Aldfrid  11,3.  79,15.  80,32  steht  Altum  66,10, 
Altigund  97,  12  gegenüber;  da  das  ahd.  in  diesem  stamme 
grammatischen  Wechsel  zeigt,  Braune  Ahd.  gramm.2  §  163,  6, 
könnte  man   das  angeführte  vorkommen  von  ald   und   alt   darauf 


DAS  ÄLTESTE  SALZBÜRGER  VERBRÜDERUNGSBUCII     19 

zurückzuführen.  Aldolf  bei  Piper  11  442,  22  und  665,  16  sprechen 
bestimmt  dafür,  aus  den  SGaller  Urkunden  bringt  Henning  s.  1251 
bei  Äldoino,  Aldemanni,  Aldingas  und  Altolffi,  Alterati,  Alta,  Altini. 

Sicher  zwei  stamme,  walt-  und  wald-,  glaub  ich  mit  VVüllner 
Hrab.  glossar  s.  109 f  annehmen  zu  müssen  :  Uualto  9,22.  58,7. 
82,  38.  Uualtni  94,  9.  10.  95,  21.  97,  7.  Uualtolf  58, 17.  Uualtrat 
62,  24.  70,  3.  Uualtila  94,  4.  Uualtpurc  95,  25.  Uualthaid  97,  1. 
dagegen  :  Uualdker  9,  9.  42,  25.  76,  40.  75,  19  (ker,  ker).  Uualdrih 
29,24.  Uualdfrid  58,  6.  75,  20.  Uualdolf  78,  3 4.  Uualdkis 
76,  32  (Inguald  79,  192.  Uualdrud  94,  17.  Uualtrud  96,  29).  ein 
schwanken  der  Schreibung  zwischen  Id  und  It  im  allgemeinen 
kann  nicht  vorliegen,  sonst  müste  doch  das  häufig  gebrauchte 
hilti-  -hilt  einmal  mit  Id  erscheinen;  wol  aber  ist  ein  solches 
schwanken  möglich  und  leicht  erklärlich,  wenn  uuald  neben  uualt 
sprachlich  berechtigt  ist.  für  Uuald  spricht  entschieden  der  name 
Uualdker;  hier  und  in  den  Freisinger  Urkunden  weist  er  nur  d 
auf,  bei  Piper  im  index  finden  sich  39  Uualdker,  55  Uualdger 
und  nur  5  Uualtker  (eher),  2  Uualtger  (s.  522 — 24);  ich  habe 
nicht  alle  belege  nachgeprüft,  aber  ein  solches  Verhältnis,  94  uuald- 
gegen  7  uualt-,  wäre  nicht  möglich,  wenn  It  allein  berechtigt 
wäre,  auch  für  andre  namen  bieten  die  listen  bei  Piper  lehr- 
reiche belege  :  61  Uualdram  gegen  5  Uualtram  und  4  Uualthram, 
107  Uualdpreht  (-pert  uä.),  18  Uualdbert  (-bret  uä.)  gegen  17 
Uualtpret  (uä.),  3  Uualtbret  (berth,  bertus).  dagegen  sind  Uuullo 
Ualtrat  sehr  in  der  überzahl  gegenüber  Uualdo  Utialdrat,  Uual- 
tila 7 mal  hat  kein  Id  neben  sich,  dagegen  ist  bei  Piper  nur 
Uualdpurg  (uä.)  belegt,  Uualtni  und  Uualthaid  fehlen;  umgekehrl 
finden  sich  nur  belege  für  Uualtfrid  (30),  kein  Id;  zu  7  Uual- 
dolf kommen  15  Uualtolf.  SGaller  namen  mit  Wald-  in  ziem- 
licher anzahl  bei  Henning  s.  127,  freilich  sind  die  namen  mit 
Walt-  nicht  besonders  aufgezählt,  in  den  ostfräuk.  Urkunden  er- 
scheint nach  Kossinnas  Verzeichnissen  die  form  Uuald-  in  der 
zeit  von  795 — 813,  sonst  Dicht.' 

Liudfrid  27,  1  steht  vereinzelt  gegen  Liutfrid  44,  23.  58,  0. 
Liutpirga  30,1.    Liutkaer  27,9.  83,24.  78,4.  Liutperht  78,  12. 
neben  Alchmod  77,  11    (männl.)   steht   Clismot  95,  72  (weil 
das  erste   steht   wol   falsch   für  möt ,    scheint  jedoch  öfters 
zukommen.     Audo  42,  28  ist  eine  altertümliche  form, 
mar   bei   Piper   h  52,  1,    abt    von   SGalleu    720  —  759.     Odrih 


20  SCHATZ 

77,  18  ist  zu  vereinzelt;  möglicherweise  hat  Brückner  recht, 
wenn  er,  Sprache  d.  Langob.  s.  288,  zu  odal  eine  form  od  auf- 
stellt, neben  einander  begegnen  namen  mit  -hart  und  -hard: 
Ainhart  10,  19.  79,  27.  Buodharl  11,  37.  Udalhart  29,  23.  Uuol- 
chanhart  30,  28.  Isanharl  36,  1.  74,  39.  Chundhart  43,  4.  Akihart 
44,  3.  Sigiharl  58,  32.  77,  5.  17.  78,  15.  Brodhart  73,  13.  Rih- 
hart  74,  32.  81,  35.  83,  19.  Cundhart  74,  37.  79,  18.  Perahart 
75,  37.  Odalhart  75,  41.  Kisalharl  79,  4.  Eislaharl  82,  37.  #a- 
ganhart  79,  32.  Aerhart  80,  22.  Uuolfhart  80,  29.  Eparhart  81,  24. 
Jrminhart  81,  30.  Raginhart  81,  34.  39.  Snelhart  82,  8.  Eepahart 
82,  15.  83,  12.  Nidhart  83,  7.  Hartperhl  80,  39.  Chunihard  31,  1. 
Eparhard  58,  25.  73,  7.  74,  18.  Sigihard  74,  31.  76,  41.  tfard- 
#er/a  79,  20,  also  35  *  gegen  7  d.  es  ist  sicher  nur  ein  nach- 
würken  der  altern  Schreibung  Aard,  wie  sie  in  lateinischer  form 
und  vor  dem  festwerden  des  hd.  sich  zeigt,  für  hart  als  erstes 
glied  vgl.  man  Piper  index  s.  454,  hard-  verschwindet  gegen  hart. 
keiner  rechtfertigung  bedürfen  die  d  in  Theodolt  62,  24.  Theod- 
perht  82,10.  24.  Theodfrit  94,27  gegen  26  t. 

Für  germ.^  steht  anlautend  aufser  in  den  angeführten  namen 
th  in  Theothelm  42,36.  Theolo  62,21.  Theotilo  77,34.  Theot- 
perht  62,22.  82,25.  Theotuni  74,6.  Theotpald  83,17.  Theotrih 
83,22.  Theotfrit  94,33.  Theotrdt  96,33,  dagegen  *  in  Teotmar 
9,38.  74,5.35.  7eo/Äad  10,33.  reoiteÄ  26,31.  Teotolf  58,41. 
7eotfa«>  71,13.  Teotrat  70,11.  7eo;/Wd  75,8.  76,7.  78,40. 
Teothelm  11,  27.  78,  14.  81,  38.  Teothari  83,  8.  d  nur  in  Deofo 
30,2.  —  Thurinc  75,30. 

Trudhari  44,  13.  Tnidt  94,  19.  Trudni  94,  23.  Drwd- 
p?rc  95,31.  14+  1  th,  18  t,  2  rf. 

Pilidruth  62,  23.  Arindrud  62,  26.  Regindrud  70,  4.  ^e/m- 
tfrwd  71,  6.  94,  38.  Amdrud  71,  10.  Pilidrud  94,  1.  Ftm^- 
tfrwd  94,  39.  Cotadrud  95,  10.  Kaüdrud  95,  23.  96,  27.  #rm- 
drad  95,  30.  Angildrud  96,  6.  Kepadrud  96,  39.  Kisaldrud 
97,  3.  Erchandrud  97,  8.  Irmindrud  97,  11.  Uatfrwd  62,  26. 
Hroddrud  94,6.  Hrodrud  29,8.  30,4.  üorfntd  70,8.  ^7/rwd 
70,  6.  Uualdrud  94, 17.  Uualtrud  96,  29.  aus  diesen  belegen 
lässt  sich  nur  eine  ahd.  form  drwd  abnehmen,  das  einmalige  -th 
gehört  einem  namen  aus  früher  zeit  an,  Pilidruth  starb  724 
(Rarajan  einl.  s.  xl).  im  freien  anlaut  stehn  3  trud  neben  1 
dmd,  im  inlautenden  anlaut  steht  nach  stimmhaften  lauten  nur 
d,    nach  d  und  t  zeigt  sich   ein  ineinandergehn   der   beiden  zu- 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRCDERÜNGSBUCH  21 

sammenstofsendeD  dentale,  für  das  vergleichsweise  aus  Pipers  in- 
dex genannt  sei  :  25  Ruadrud  neben  36  Ruaddrud,  7  Hü 
24  Hiltrud  (und  4  Hiltruth)  neben  nur  2  Hilttrud,  2  l'ualdrwl 
und  4  Uualtrud,  3  Ctmdrud,  4  Bliddrud  und  2  Blidrud,  \~> 
Pliddrud,  10  Plidrud  (4  Plidlhrud,  1  Plidlrud);  schwerlich  steckt 
in  einem  dieser  namen  -Ärörf.  auch  außerhalb  des  Verbrüderung- 
buches,  das  auch  in  seinen  spätem  teilen  nur  eine  form  drüd 
bietet  —  Truta  23,  124.  57,  142  mag  zu  tritt  gehören  —  zeigt  Bich 
nur  drüd  :  die  von  Wagner  gesammelten  namen  haben  nur  drud, 
s.  Wüllner  s.  99;  was  Henning  SGallische  sprachdeukm.  s.  1371 
anführt,  lässt  nur  auf  drud  schliefsen  (3  Thr,  3  Tr,  2  Dr  und 
4  dr,  auslautend  11  d,  1  t);  aus  Pipers  index  hab  ich  an  460 
namen  mit  -drud  gegen  etwa  30  mit  auslautendem  t  gefunden; 
s.  Wilkens  Z.  hochalem.  consonant.  s.  32;  im  ostfränk.  zähl  icli 
bei  Kossinna  s.  37  f.  40  f  30  fälle  mit  d  als  zweitem  dental, 
8  inlaut.  und  22  auslaut.  und  nur  4  mit  auslautendem  /;  fürs 
elsäss.  vgl.  Socin  s.  244f.  264,  3.  270a,  unter  den  zahlreichen 
namen  mit  der  bildung  drud  ist  nur  ein  einziger  Trutman  (wol 
zu  trüt  zu  stellen,  das  sich  nur  vereinzelt  und  verhältnismäßig 
spät  in  namen  zu  finden  scheint),  zur  erklärung  des  Stammes, 
germ.  prüpiz  'kraft',  s.  Henning  Runen  s.  116  f. 

Im  inlaut.  anlaut  zeigt  verschiedene  Schreibweise  abd.  dl«  in 
Cotadiu  35,  2.  Cotestiu  34,  3.  70,  7.    Cotesthiu  95,  33  (vgl.  P, 
81,  22),  im  auslaut  Luduih  29,  6.  Luthperht  74,21;  im  vb.  kommen 
von  spätem  Schreibern  noch  6  Ludperht  vor   und    niemand  wird 
einspräche  erheben,  wenn  darnach  lad-  als  regelmäfsige  abd.  tonn 
wenigstens  in  Luthperht  betrachtet  wird.    Luduih  ist  Ludwig  der 
Fromme,    auch  hierfür  lässt  sich  nur  abd.  lud-  ansetzen,    länge 
des  vocals  wegen  des  mangels  vocalischen  auslaut s,  vgl.  Hhiduig 
7  mal  im  Ludwigsliede;    in   den  Strafsburger   eiden  Ludher 
manisch),  Ludheren  (deutsch),  Lodhuuicus  5mal,  Lodhuuuicus  lmal 
(lateinisch),  Lodhuuigs,  Lodhuuuig  (rom.),  Ludhuuuige,  Ludhv 
(deutsch),     dass    der   dental    germ.  ]>    ist,    darf   nicht    bei« 
werden,    man   vergleiche   aus    Werden    im    12   jh.    Lull 
Heinzel  Geschichte  der  nfränk.  geschäftssprache  -.  105, 
Ludewich  1293.   Ludweich  1311.  Ludweik  1329    und 
menta  boica  vn  148f  ua.)  :  hieraus  sehen  wir  auch, 
form  ludo-  kurz  war    und  hludu  voraussetzt,     der  stamm 
zahlreichsten  in  westfränk.  namen  vertreten,  im  bd. 


22  SCHATZ 

weiter  verbreitet.  Luduih  wird  auf  rechnung  des  bairischen 
Schreibers  zu  stellen  sein,  dem  lad  als  erstes  namensglied  be- 
kannt war.  wie  die  spätere  zeit  beweist,  ist  im  bair.  die  echte 
form  Hluduwig  eingebürgert  worden,  für  lud  spricht  auch  Lud- 
burc  und  Ludhere  bei  Piper  n  509,  4  und  66,  29;  vielleicht  darf 
für  hlad  der  umstand  geltend  gemacht  werden,  dass  sich  bei  der 
Zusammensetzung  mit  -hari  nie  ein  auslautender  vocal  zeigt,  s. 
Förstemann  i  603  und  zb.  Ludher  (rom.),  Ludheren  (deutsch)  der 
Strafsburger  eide;  wo  t  erscheint,  ist  Hluth-hari  zu  trennen; 
über  o  in  Hlodhari  für  u  wird  wol  erst  eine  behandlung  der 
westfränk.  namen  auskunft  geben  können. 

Die  namen  mit  haid  :  Haidkaer  82,  23.  Sigihaid  34,  2. 
Folchaid  62,  21.  Madalhaid  71,5.  Perhthaid  96,  18.  Uualthaid 
97, 1  (dagegen  Anstahait  95,  28  mit  t,  woher  soll  das  auslaut.  a 
sein?),  bei  Förstemann  i  581  sind  an  80  frauennamen  mit  -haid 
aufgeführt,  darunter  nur  5  mit  -t.  schon  JGrimm  Gramm,  n  498 
anm.  1  hat  auf  die  Schreibung  mit  d  hingewiesen;  sie  zeigt  sich 
in  frauennamen  als  allein  herschend.  bei  Henning  s.  117  findet 
sich  Wallhaid,  Lantheida,  Rekinhaid,  Heidcauge  (Heidcauwe),  Eei- 
dinc  also  nur  d,  bei  Kossinna  s.  38  f  die  ostfränk.  uamen  Otheida, 
Uualthaid,  Liutheid,  Gundheid,  Berahtheid,  Uuolfheid,  Adalheid, 
Ratheid,  Alpheid,  Gotaheid,  Adalheid,  niemals  aber  -heü;  man  vgl.  bei 
Heyne  Andd.  eigennameu  Gerheth, Helheric.  es  bedarf  keiner  weiteren 
belege  um  zu  zeigen,  dass  ahd.  haid  germ.  haip-  verlangt  und  nicht 
mit  ahd.  heü   identisch   ist.     [vgl.  -hcep   der  ags.  namen.     E.  S.] 

In  den  Zusätzen  ist  die  bezeichnung  des  dem  germ.  d  ent- 
sprechenden lautes  durch  t  fast  ausnahmslos  durchgeführt. 

Verstöfse  dagegen  sind  :  Hralold  84,  4  (von  der  gleichen  hand 
Hratolt  84,  8).  Suuapold  100,  19.  Uualdold  103,  53  aber  derselbe 
sclireiber  103, 4 Off  Meizolt  3 mal,  Cundoll  3,  Rihholt  2,  Riholl,  Herioll, 
Drudoll,  Ermanolt,  Adaloll,  Hrodolt.  ahd.  deol-  erscheint  mit  inlauten- 
dem d  in  Theodolt  18,  52.  36,  10.  87,  42.  Teodolt  28,  2.  Teod- 
suind  34,  13.  Deodrat  88,  29  :  jeder  beleg  von  einem  andern  sclireiber 
geschrieben.  Teodolt  28,  8  scheint  noch  ins  8  jh.  zu  gehören  vgl. 
Gaozhari  von  derselben  hand.  85,  34  ff  steht  Asbrand,  Dagaperht, 
aber  auch  Righuni,  Birhtilo  gegen  HiUiporl,  Cundpato ,  Deolharm, 
Deolrih,  Haimperht  ua.  so  dass  man  annehmen  muss,  -brand  und 
daga-  stellen  eine  bedeutend  ältere  Schreibung  dar  und  sind  einer  vor- 
läge entnommen,  fälle  wie  die  eintragung  68,  43  (8/9)  AgilberhL 
Liudulf,  Hardrad,  (Engilo,  Engilperht,  Isanheri)  sind  gewis  auch 
auf  eine  vorläge  zurückzuführen;  ganz  scheidet  sich  aus  70,  17  Liaf- 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     23 

hure,  Thiadgund,  Aua,  Ricifus,  Liudgard,  Sigifrid  (weiblich,  hd. 
-frU)  {Gerulf,  Reginsuuind,  der  gleiche  Schreiber  trug  ein  12,  IS 
Theodricus,  Kysalharius,  45.  33  Hrodperht,  Purihc  hat  also  offenbar 
drei  gruppen  von  namen  einzuschreiben  gehabt,  die  letzteren  gehören 
zu  den  verstorbenen  mönchen,  die  andern  zwei  zu  den  lebenden,  die 
weiblichen  namen  stehn  unter  den  verstorbenen  nonnen.  eine  mischung 
scheint  auch  vorzuliegen  52,  lf;  hier  findet  sich  neben  Kerhardus, 
Hardini  auch  Kerhart,  Hartbaldus ,  Herimunt,  Hucbert  (Odricus, 
Odich  haben  vielleicht  echtes  d  aus  gerni.  p).  latinisierte  formen  wie 
Romuoldus,  Liulmundus  zählen  nicht. 

Auch  die  bairischen  namen  im  Reichenauer  verbrüderungs- 
buche  zeigen  ausschliesslich  t. 

Die  Freisinger  Urkunden  haben  nach  Wüllner  s.  98  f  Thede- 
ricus,  Deodalt,  Audulfo  2  mal.  Podalunc  hat  echtes  d  =  germ.  p 
vgl.  s.  18.  az  Reodir  784.  az  Reode  807.  Erphunesreod  808 
haben  ebenfalls  echtes  d  und  stehn  im  ablaut  und  grammatischen 
Wechsel  zu  Riutte  778  (germ.  reupa-  n.  und  reudjö-  f.).  die  heu- 
tigen Ortsnamen  'Ried'  und  'Reut'  '-reuth'  uä.  entsprechen  genau 
diesen  frühen  belegen  *.  auch  für  Kernod(i),  Ellannod  nehm  ich 
echtes  d  an;  im  Salzburger  Verbrüderungsbuche  fordern  die  Schrei- 
bungen Kernod  66,  16.  68,12.  103,  423  (8/9)  unbedingt  ahd.  d; 
des  weitern  kommt  vor  Kernod  71,  5.  75,  44,  bei  Piper  i  339,  17. 
Hartnod  2,  365,  18;  sie  können,  wenn  mau  die  dazugehörigen 
namen  vergleicht,  bezüglich  der  echtheit  des  d  nicht  angezweifelt 
werden,  in  den  Freisinger  namen  ist  bei  Wagner  belegt:  Ellannod 
6  mal,  Ellannodi  4  mal,  Ellannodo  2  mal  (s.  auch  Wüllner  s.  99), 
nie  aber  Ellannot.  vgl.  bei  Piper  Folhenod  n  169,  142.  Alanod 
ii  219,34.  Ebernod  n  250, 202.  Gemoth  n  427,9.  Adelnodu,1M,rS 
(vom  gleichen  Schreiber  Sifred  3,  Aeäelwald,  Folcbold,  Osbald, 
Eadulf,  Erodulf).  Ratnod,  Willnod  n  225,4,  bei  Heyne  Aliud, 
eigennamen  s.  21  f  Radnoth,  Ostnod.  Kögel  hat  schon,  Litteratur- 
geschichte  i  2,317,  darauf  hingewiesen,  dass  hier  germ.  /  vor- 
liege, aber  ich  glaube,  nicht  naup  sondern  nöp  ist  anzusetzen; 
Hartnud  Salzburger  vb.  13,  4  (8  jh.)  zeigt  doch  wohl  dasselbe  glied 
-nod.  als  erstes  glied  iu  namen  ist  nöd-  sicher  in  Nodimar  ebenda 
31,  132  (vereinzelt),  in  den  namen  aus  Cbiemseebei  Pipern  127,  32 
Nodgart.  36  Nuodine,  das  d  ist  hier  sicher;  aus  Mattsee  Noduuih 
ii  114,  15.    Nodkart  ii  112,  18,  ferner  Nodolf  n  420".    Nodi 

1  ESchröder  wendet  ein  :  'aber  az  Reode  bedeutet  'ad  carectmn',  i\ 
in  feuchter  niederung  liegenden  ried-orie  sind  keine  rodi; 


24  SCHATZ 

Nodolt  ii  229,  9;  vielleicht  gehört  Nuotha  in  25,  5  hierher.  (Clisnod 
Salzb.  vb.  69,  40  [Karajan  76,  43  Elisnod]  ist  ein  weiblicher  uame.) 

Das  ahd.  kannte  aber  in  namen  auch  eine  form  not  mit 
altem  ö,  also  gänzlich  verschieden  von  not  mit  neuem  ö,  das  als 
naot-  in  namen  vorkommt,  vgl.  bei  Piper  n  36,  10 K2  Nuata, 
Nuota  (und  index  s.  482).  Salzburger  vb.  Nuoto  61,  105.  Noata 
Weinhold  Bair.  gramm.  s.  97;  dass  dieser  stamm  auch  als  zweites 
glied  verwendet  werden  konnte,  geht  mit  Sicherheit  aus  den  Ell- 
wanger  namen  Adalnoat,  Ebarnoat  hervor,  Piper  i  112,  16.  22. 
wegen  des  oa  vgl.  oben  s.  13,  das  t  ist  ebenfalls  völlig  gesichert, 
von  den  drei  stammen,  die  sich  so  fürs  ad.  ergeben,  ahd.  not, 
nuot,  nuod,  wird  auch  der  erste  als  zweites  namenglied  vorge- 
kommen sein  in  namen  wie  Kernot,  Ercannot,  Adalnot,  Folchenot, 
Frechenot,  Fridanot,  Hiltinot.  sicher  altes  ö  haben  Glisnot  34,  282 
und  Nota  70,  362,  weibliche  namen,  die  von  derselben  hand  im 
Salzburger  verbrüderungsbuche  eingetragen  wurden;  da  neues  ö 
ausschliefslich  als  ao  erscheint,  altes  als  o  erhalten  ist,  müssen 
diese  zwei  namen  mit  altem  o  angesetzt  werden;  Clisnot  51,  462. 
von  der  hand  des  ersten  Schreibers  rührt  Cliisnöt  95, 32  (weibl.)  her. 

Zu  Odrih  11,  18  des  grundslocks  halte  man  Odolt  61,  54. 
Odrat  103,  46,  vielleicht  Odricus,  Odich  52,  1.  7.  Vodo  bei  Dronke 
797,  ferner  vgl.  man  die  bemerkungen  Socins  Strafsb.  Stud.  i  228 
und  Brückners  Sprache  der  Langobarden  s.  95  anm.  8  und  s.  288; 
beide  sehn  sich  veranlasst,  ein  zu  ödal  gehörendes  öd  zur  klar- 
stellung  der  namen  zu  fordern,  als  ausnahmen  gelten  bei  Wüllner 
s.  99  ferner  die  namen  auf  -heid  und  die  mit  drud,  die  immer  d 
statt  des  zu  erwartenden  t  zeigten;  ihr  d  ist  jedoch  regelrecht 
ahd.,  s.  oben  s.  21  f.  so  zeigen  also  auch  die  Freisinger  namen, 
vereinzelte  fälle  wie  die  von  Wüllner  genannten  Leidraad,  Modri- 
kingas,  779  Chadold,  804  Drudold  ausgenommen,  die  strenge  durch- 
führung  des  ahd.  t.  der  Wechsel  zwischen  hard,  hart  Wüllner 
s.  99  f  ist  wol  nur  durch  latinisierung  hervorgerufen ,  bez.  be- 
wahrt, vgl.  oben  s.  20.  dass  die  mit  -lind  gebildeten  (weiblichen) 
namen  nur  ahd.  d  und  nicht  t  enthalten,  liefs  sich  bereits  aus 
den  namen  des  grundstockes  im  Salzburger  verbrüderungsbuche 
erschliefsen;  auch  die  Freisinger  namen  haben  nur  -lind,  ad  Lintun 
802  ist  ein  Ortsname;  aus  Pipers  index  habe  ich  345  namen  mit 
-lind  gesammelt,  dagegen  im  ganzen  17  mit  -lint,  von  denen  mir 
zwei  Kotelint  i  316,  15.  Richlint  i  342,  18  in  der  Schreibung  des 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     25 

nt  nicht  angefochten  werden  können  (es  kommen  aber  33  Cote- 
Cotalind  u.  s.w.,  27  Rieh- Rihlind  vor),  die  345  mit  -lind  habe 
ich  freilich  daraufhin  nicht  geprüft,  ob  nicht  etwa  lind  für  lint 
regelrechte  Schreibung  sei,  aber  das  vorkommen  von  lint  in  ahd. 
Personennamen  bliebe  noch  zu  erweisen. 

Für  germ.  p  erscheint  im  Salzburger  Verbrüderungsbuche  bei 
den  spätem  eintragungen  einigemale  t  statt  des  gewöhnlichen  d. 
frühe  belege  dafür  sind  Uuinitharius  beim  schreiber  der  spalte  14, 
daneben  Uuinidkys  (3  Jh.),  sonst  ist  t  und  d  hier  regelmäfsig; 
bei  den  namen  aus  Mosburg  103,  1  f  (8/9  jh.)  findet  sich  Plitheri 
104,  16.  Cuntheri  106,  7,  auch  hier  sind  t,  d  in  den  zahlreichen 
belegen  sonst  regelrecht  vertreten,  aus  den  Mettener  namen  im 
Reichenauer  verbrüderungsbuche,  Piper  n  119,  33,  ist  Guntheri 
zu  nennen,  sonst  ist  die  Schreibung  d,  t  genau  durchgeführt,  man 
wird  nicht  irren,  wenn  man  sich  in  diesen  frühen  namen  die 
Schreibung  t  für  d  dadurch  erklärt,  dass  das  folgende  h  dem 
schreiber  veranlassung  gab,  statt  des  d  ein  t(h)  zu  schreiben; 
denn  nur  vor  h  zeigt  sich  so  früh  d  als  t  häufiger,  unter  allen 
namen  des  Salzburger  vbs.,  die  der  zeit  vor  850  zugewiesen  werden 
müssen ,  erscheinen  aufser  den  genannten  mit  t-h  nur  Liutpolt 
27,13  (nach  der  ausgäbe  8/9  jh.)  und  vielleicht  Raginpalt  97,17 
mit  t  für  d,  letzterer  fällt  wegen  des  a  früh;  nirgends  ist  auch 
nur  ein  schwacher  anhaltspunct  dafür,  dass  auslauteudes  d  aufser 
vor  h  als  t  geschrieben  worden  wäre.  Hrodlint  34,  32  (8,9  jh.) 
mag  ein  fehler  der  neuen  ausgäbe  sein,  da  Karajan  40,40  das 
sprachlich  allein  berechtigte  Hrodlind,  also  d,  hat.  in  der  zweiten 
hälfle  des  9  jhs.  jedoch  kommt  es  häufiger  vor,  dass  auslautendes  d 
als  t  geschrieben  erscheint,  vgl.  49,  31  f  (2  hälfle  des  9  jhs.),  wo  t 
regelrecht  vertreten  ist,  ebenso  d  im  an-  und  inlaut;  im  auslaut 
zeigt  sich  neben  Deotlind,  Rodheri,  3  mal  -frid  auch  Cuntlint, 
Cuntfrid,  Cuntheri,  Lehsuint,  5  mal  -polt,  2,231'  Otnant,  Cuntrat, 
Cuntahit,  Paltrih  neben  3  -frid,  -rod,  Ruodpirin.  hingegen  findet 
sich  bei  41,  232  (geschrieben  nach  850)  regelrecht  d  in  -frid, 
Nordhad,  Cundolf,  Livpsuind,  Hartpald,  Hruodpreht,  Drudheri. 
nur  Uuolftregil  zeigt  t  für  d,  vgl.  Uuolfdragil  des  ersten  Schreibers 
78,28.  alle  namengruppen,  welche  vom  hrsg.  mit  9/10,  10  be- 
zeichnet sind,  haben  t  für  auslautendes  d  häufiger,  wenn  auch 
nicht  regelmäfsig.  vgl.  84,  1  f  üuintheri,  Rudpolt,  Adalheit.  Suuit- 
hart;   56,19  Ercansint,  Perhsuint,  Persunt,  liiehsuint ,  Rihgunt, 


26  SCHATZ 

Himildrut,  Liutfrit  ptr  (also  ein  männlicher  name)  neben  Liut- 
frid  pbr,  3  Reginfrid,  87,  l2  Volchsuuint,  Suuithart,  Rüdpolt  (und 
Rüdpreht).  da  sich  vor  850  keine  Schreibung  t  für  auslautendes  d 
nachweisen  lässt,  aus  der  geschlossen  werden  könnte,  dass  irgendwo 
diese  eigentümlichkeit  häufiger  gewesen  sei,  muss  sie  der  2  hälfte 
des  9  jhs.  zugewiesen  werden;  demnach  fallen  auch  jene  namen 
im  Salzburger  vb. ,  die  vereinzelt  stehend  auslautendes  d  als  t 
geschrieben  zeigen,  in  diese  spätere  zeit.  Hiltisuint  5,  20.  Cunther 
5,  22.  Deotsuint  4,  22.  Adalsuint  82,  29.  Cunthri  36,  434.  Cunt- 
pirc  65,  17.  Guntlant  16,  6.  (Gunthart  37,  9  neben  Lehsuint, 
Rihpold.)  Gunthalm  63,  32.  Rütker  36,  3.  Rutpolt,  Adalheit 
54,  22.  Liutheit  57,  3.  Hiltigunt  75,  27  (9  jh.).  Perhtgunt  97,  38 
(neben  Folhlind).  vgl.  noch  17,  17  f  Frouuipolt,  Lantsuuint  (Cun- 
tileo)  neben  Heripald,  Sindmiar.  Deotlint  93, 14.  Chunigunt  98, 3 12. 
Adalsuint  55,  1  neben  Otpald.  Irminlint  41,19.  Nordhat  51,32; 
dagegen  sonst  nur  -had:  Nordhad  47 ,  92.  Liphad  45,  42.  Deothad 
45,25.  Cnndhad  59,19.  Rodhad  33,9.  Liuthad  36,  404;  61,15. 
Im  inlaut  kommt  nur  d  vor.  im  wortanlaute  zeigt  sich  d,  th,  t 
wie  beim  ersten  Schreiber,  die  belege  für  anlautendes  t  fallen 
alle  sehr  früh,  es  sind  Teodolt  28,8.  Teodsuind  34,13.  Teotlind 
34,15.  Teotni  §1,  36.  Teotrih  37,1.  Teotfrit  84,  402.  TeoJ/Wd 
79,  122.  Teotpert  b2,2\.  Truduni  3 1,  10.  Trw/o/f  52,  184.  (viel- 
leicht 7Wtf*7a  98,39,  vgl.  Durdpertus  Piper  n  317,  202.)  weit 
zahlreicher  und  noch  im  9  jh.  vorkommend  ist  Theot-  und  etwa 
doppelt  so  häufig  und  mit  der  zeit  immer  mehr  überhand  nehmend 
Deot.  zu  Trud-  halte  man  Drudolt  103,  40.  Drudmun  84,  31. 
Drudperth  67,  18.  Drudheri  49,  9\  —  Trut  103,  536.  2Y«/a  23,  12*. 
57,  14.  Trutin  108,  122  gehören  wol  zu  ahd.  Trüt,  das  jetzt  neu 
in  die  namenbildung  einzutreten  scheint,  wie  selten  sind  die 
TrüMormen  in  Pipers  index  s.  517  f.  Thenchila  (neben  Thruhtlind 
89,  30)  ist  aufser  den  genannten  der  einzige  beleg  für  th-  (vgl. 
Danchari  14,  9.  Dancuuar  99,  15.  Danchilo  45,  222.  Danchof 
85,  93.  ganz  vereinzelt  ist  Dhruduni  4,  28.  drud  hat  im  auslaut 
dt  in  Uuolchandrudt  34,  333  (t  in  Himildrut  56,  23),  th  in  Liutruth 
98,  83  neben  altertümlichen  namensformen  (8/9  jh.);  sein  anlau- 
tendes dental  wird  d  geschrieben,  wenn  stimmhafte  laute  voraus- 
gehn:  Gotadrud  49,  162.  Kotadrud  56,  14.  Cotadrud  34,5.  Ifym- 
rfrwd  63 ,  30.  Kisaldrud  87 ,  483.  Engildrud  92 ,  5.  Himildrud 
97,31.    Hrindrud  97,33.    Regindrud  98,37.    Geauidrud  98,  32. 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     27 

Irmindrud  98,  13.  Ehadrud  98,  17.  Zemidrud  101,  13.  Arndrud 
38,  1.  Ragindrud  38,  2.  Uuinidrud  34,  18  (vgl.  Uuinihilt  49,  31); 
nach  stimmlosen  kommt  t  und  d  vor  Hroddrad  15,  13.  Rattrud 
34,  172.  Libdrud  75,1  (vereinzelt).  Pertdrud  91,30  und  PW/ri«! 
50,20.  .RdtfmUl,39.  #a«n«/  28,  1 82.  Deottrud  87 ,  472 ;  flaf- 
frwf  17,  42  mag  vielleicht  beide  Schreibungen,  die  in  Rattrud  und 
Himildrud  vorliegen,  vereinigen,  das  ineinandergehu  der  beiden 
dentale  zeigen  Uualtrud  52,  172.  34,  14.  Plidnid  89,  133.  Per- 
trud  98,  264.  Hrodrud  62,  42.  Zan/rud  70,  333.  Altrud  101, 165. 
Liutruth  98,  S3.  ganz  die  gleichen  Verhältnisse  findet  man  beim 
ersten  Schreiber,  t  und  rf  wechselt  in  -diu:  Cotestiu  98,  l3  gegen 
Cotesdiu  34,  14.  49,  27\  Uuolftregü  42,  18  gegen  Uaolfdraegi 
12,  1.  vgl.  Uuolfdeo  54,  20  und  Peradeo,  Sigideo,  Herideo,  Co- 
tadiu  ua. 

Für  die  kenntnis  der  ausspräche  des  d  im  altbair.  lässt  sich 
nach  diesen  Schreibungen  wol  nur  eines  geltend  machen,  dass  d 
stimmlose  lenis  war,  die  nach  stimmlosen  lauten  fortisartig  wurde. 

Germ.  k.  im  anlaut  erscheint  2 mal  k  :  Kamfio  10,  38,  der 
letzte  name  der  spalte,  und  Kunialdus  42,  2,  der  name  des  ge- 
nossen des  b.  Ruppert  (um  600).  ch  tritt  auf  iu  Chunihard  36,  1. 
Chuniperht  77,  6.  Charlus  29,  1.  4.  62,  1.  Charhnannus  62,  3. 
germ.  sk  wird  nur  sc  geschrieben  :  Cotaesscalc  10,9.  Odalscalch 
44,  22.  Sconhari  26,  2.  Scafluni  64,  24.  Horsco  26,  34.  oach  /• 
wird  ch  verwendet,  Erchan  kommt  14 mal  vor,  Starcholf  80,  20; 
Uuerchari  75,  27  ist  wol  dazu  zu  rechnen,  nach  /  Uuolchanhart 
30,  28,  wol  sicher  für  geminata;  -scalc  und  -scalch,  Folhmar 
82,34.  Folcholt  S3,  15.  Fokhaid  62,21.  nach  n  Franchin  94,  40 
und  Uuolfdanc  83,  20.  zwischenvocal.  geminata  in  Aotachar  36,  1. 
Cundachar  77,7,  vielleicht  in  Racholf  75,11.  vgl.  bei  Piper 
Raccholf  ii  150, 13,  dazu  Reccheri  n  149,  4  vom  gleichen  schreiben 
im  auslaut  15  -rih  und  1  -rieh  in  Hunrich  30,  21,  toi'A  (leih)  1  mal, 
Mauruch  76,17  und  ilfiÄ  58,14,  also  20  -A,  2  -cÄ.  im  iolaul 
Imicho  11,24.  Maoricho  5C,  17.  imtefto  77,  8.  79,26.  imWcfto 
77,20.  %«cäo  77,31.  Pa/wcfio  80,38.  83,11.  5o/«cÄo  ^3,11' 
(nd.  iko  -uko);  Hricho  58,19  hat  vielleicht  uichl  reibelaut  wie 
die  angegebenen,  sondern  geminata.    im  auslaut  des  liedea 

ffriA- 


28  SCHATZ 

81,  2.  dazu  Rtchoz  78, 17  (geschrieben  wie  Alchoz  26, 19.  Alchaoz 
79,  11).  auch  hier  ist  -h  herschend,  -ch  wird  häufiger,  wenn  das 
zweite  glied  mit  h-  anlautet;  es  ist  eine  graphische  Verbindung 
zweier  buchstaben,  der  sicher  auch  in  der  ausspräche  ein  einheit- 
licher laut,  ein  reibelaut,  entsprochen  hat. 

In  der  Schreibung  der  entsprechuugen  für  germ.  k  zeigen 
sich  in  den  Zusätzen  irn  ganzen  die  Verhältnisse  des  grundstockes. 
im  anlaut  ist  ch  regel;  nur  2 mal  zeigt  sich  k:  Kuno  18, 17.  Kuniperhl 
91,  31  (9  jh.),  germ.  sk  erscheint  anlautend  als  sk  in  Skilputic  61,4 
(9  Jh.).  als  sc  in  Scaflrih  17,  5.  36,  33.  61,  16.  Scaftuni  79,  82. 
Sconheri  13,3.  Sconpirc  100,11.  Scafuuat  88,31.  Scalo  31,5. 
85,  14  (vgl.  Skarenza  41,38),  sc  ist  regelmäfsig  in  scalh  -scalh, 
2  mal  seh  in  Engilschalh  42,  163.  193  nach  850  von  einer  hand  ein- 
getragen. —  inlautend  steht  sk  in  Horskio  83,  272  also  wider  vor  i, 
sc  in  Horsco  25,  3.  34,  40.  66,  22.  Horscman  103,  414;  seh  in 
Horscholf  106,9  (S/9  Jh.),  Äschrih  73,19"  (9  Jh.),  dagegen  6 mal 
Ascrih.  —  im  auslaut  steht  nach  vocalen  im  ersten  gliede  h,  ch,  hh, 
letzteres  nur,  wenn  das  zweite  glied  vocalisch  beginnt  (zh.  Rahhant  39,2. 
Rahholf  103,  52l.  Raholf  36,21.  Racholf  75,  11.  Richolf  36,  35. 
37,  2.  RichhelmS,  18,  Richelm  46, 18.  81,2.  Richül  70,  36.  90,28). 
im  auslaut  des  zweiten  gliedes  sieht  nur  einmal  ch  in  Odalrich  91,  41 
(10  jh.),  -rih  ist  sonst  häufig,  geminala  enthalten  Hrocholf  68,  10. 
Roccolf  41,  18.  Recho  37 ,  45.  Reccho  87,48.  Reckeo  18,21. 
Rekkeo  100,  134.  Fricco  85,  42.  Friccho  11,  7.  20,  1.  Fricho 
18,  64.  66,  62.  80,  l2.  ich  muss  mich  begnügen  die  belege  anzu- 
führen, eine  Scheidung  nach  dem  gebrauche  der  zeichen  will  hier 
ebensowenig  gelingen  wie  bei  hh,  ch,  h.  —  jedesfalls  geminata  ligt  vor 
in  -achar,  vgl.  Paldachar  7,8.  62,  202.  Cundachar  7,11.  12,4. 
66,  43.  Chundachar  47,  21.  Aotachar  83,  30.  42.  Olachar  21,  252. 
49,4.  51,38.  55,6.  57,6.  61,13.  Otacchar  105,10.  Aotakchar 
36,  92.  Autähar  8,  17.  Cundakar  63,  31.  die  Schreibung  Aötdhar 
berechtigt  wol  nicht  zu  schliefsen,  dass  hier  reibelaut  vorliege  und 
nicht  geminata;  bei  Piper  finden  "sich  im  index  s.  427  14  Cundachar 
s.  484  21  Olachar,  6  Otacher,  2  Otakker.  2  Olakar,  1  Otacchar 
kein  beleg  für  ahar.  germ.  nk  ist  belegt  in  Franchin  34,  27  (8/9  jh.) 
Frenchin  93,  7  (9  jh.).  Frenkin  49,  46  vereinzelt,  Thenchila  89,  39 
Danchilo  45,  222.  Dancuuar  99,  15  (9  Jh.).  Danchof  85,  93.  Dan 
chari  14,  6.  nach  r  ist  in  Erchan  ch  die  gebräuchliche  Schreibung; 
c  zeigt  sich  Ercanpurc  20,  39.  93,  19.  Ercanpald  52,  37.  Ercansint 
(10  jh.)  56,20.  Ercanrod  62,5  (8/9  jh.).  Ercanhilt  83,  223,  k  in 
Erkanpald  68,  43  (8/9  jh.).  Erkanrat  49,  305,  k  und  c  beim  gleichen 
Schreiber  nebeneinander  in  Ercanpurc ,  Erkanuualh  49,  382.  453, 
cch  in  Ercchana  53,  24;  dem  gegenüber  haben  die  zusälze  im  Sahb. 
vb.  etwa  80  namen  mit  Erchan-.  Slarhmot  72,  23  (8/9  jh.).  73,  234. 
Starholf   15,  25.     Slarholt    52,  36.     Starchmot   46,  11    (8/9  jh.). 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCII     29 

Starcholf  50,  21.  92,10.  103,  4616.  497.  104,26.29.  105,19. 
Starchilt  74,  303.  nach  l  ist  c,  ch,  h  belegt  :  Cotesscalh  16,  21. 
Cotescalch  72,  3.  Engilscalh  47,  27.  Adalscalc  67,  41,  alle  8/9  jh. 
Engilscalh  12,  36.  54,8.  17,  10.  Engilschalh  42,  163.  193  (nach 
850).  Kotesscalh  47,  29.  103,  593.  Odalscalh  8,  152.  Cotescalch 
36,  ll3.  Eingüscalch  36,  272.  Engilscalchus  37,  28.  scaM  48,37. 
Folchuni  61,  162.  Uolchral  70,  3 52.  Folchun  103,  2.  Folcholt  103,6. 
FoZc/tsuum«  87,  43.  Ruodfok  72,  432.  Folcheri  16,  9.  Jof/ieW 
72,  172  (?).  Folhlind  97,39.  Hrodfolc  61,  ll5.  Heidfolc  36,  39s. 
Fulcrih    14,    16.     Uuolchanheid    99,   33.     Uuolchandrudt   34,  333. 

es  fragt  sich,  ob  diesen  Schreibungen  verschluss-  oder  reibe- 
laut  zu  gründe  ligt,  des  weitern,  ob  der  verschlusslaut  rein,  oder 
ob  er  aspiriert  beziehungsweise  affriciert  war.  wo  Ih,  rh  erscheint, 
scalh,  folh,  starh,  kann  man  den  reibelaut  ansetzen,  er  könnte 
aber  auch  durch  Ich,  rch  bezeichnet  worden  sein,  vgl.  Marcheo 
103, 42.  Marcholt  61, 134.  Marchuni  28,  2.  Marchuuart  90,  242.  252, 
daneben  kein  marh;  mit  Wahrscheinlichkeit  lässt  sich  ermitteln, 
dass  den  Schreibungen  dieser  namen  eine  laulverschiebungsstufe 
zu  gründe  ligt,  nach  der  Ik,  rk  nicht  zum  reibelaut  wurden, 
die  formen  mit  Ih,  rh  also  auf  Iah,  roh  zurückgehn.  was  aber  den 
Schreibungen  folch,  folc,  starch,  march,  erchan,  uuolchan,  danch, 
danc  die  lautliche  grundlage  gibt,  lässt  sich  vorläufig  nicht  Bicher 
erkennen,  vgl.  Kögel  s.  78,  Wüllner  s.  97,  Braune  Ahd.  gramm.' 
§  144,  Hench  Monseer  bruchstücke  s.  117f,  Wilmanns  gramm.  r 
§  49,  Behaghel  Grundriss2  §  128,  Imster  mda.  s.  99  f. 

Germ.  g.    im  anlaut  wird  Ä",  c,  g  geschrieben:   k  vor  i  im 
stamme  Kisal-  {Kisl-,  Kisla-)  10 mal;  vor  e  im  stamme  Kepar  1  mal 
dann    in   Kaer  (Ker,  Ker,  Ker)    16  mal,    vor  a   in  Kaila  95,  12. 
Kaildrud  95,  23.  96,  27,   in  Kaganhart  79,  32;   c  oder  g  kommt 
in  diesen  im  anlaute  des  namens  nie  vor.    nur  c  wird  verwendet 
in  Caoz-  ISmal,  Cauzo  1  mal,  in  den  mit  Cola-  gebildeten  Damen 
18  mal   wenn    Cotuuar  94,7  dazu   gerechint   wird,    Cogo 
Cuotfrid  58,  5.  Cuololf  27, 7.  Comaleih  11,13.  ( amalpei ht  81, 12. 
Carohari  75,  6.    Craman  S2,  29.    Clismoc  95,  7.    c  und  g  a 
einander  zeigen  sich  in  den  stammen  Cund  (Cundul-, 
Gundul-)  36  c  und  8  g,  in  Crim-,  CWmofc2mal,  Grit*? 
Cauui-  2  c  und  3  g.    im   inlautenden   anlaut   kommen   ror:   kis 
4  mal  und  gis  4  mal  und  zwar  k  nach  /,  </,  p,  aber  o  nach  i,  /.  1 
fraer  (fr?r  usw.)  21  mal  nach  p,  f,  t,  d,  h  und  1  mal  nach  w. 
kaer  26,18,  dagegen  ^aer  (ger .  .)   1 1  mal  nach  i,  /.  i 


30  SCHATZ 

c  und  g  wechseln  in  caoz;  es  steht  c  6 mal  nach  t,  f  (dazu  Alchoz, 
Richaoz,  Richoz),  dann  in  Hugicaoz  75,  17.  Mahalcaoz  SO,  11. 
Haricaoz  80,  13,  dagegen  gaoz  (goz)  6  mal  nur  nach  den  stimm- 
haften lauten,  i,  u,  l,  r,  n;  einmal  kommt  Rodkaoz  vor  (75,  42  der 
letzte  name  der  spalte),  daran  reihen  sich  Äligund  96,  35.  Alti- 
gund  97, 12.  Perhtkart  96,  28.  Hrodkart  58,  392.  Hrincrim  30, 25, 
letzteres  wegen  Hrindrud  95,  30.  vgl.  namen  wie  Rinbald,  Rinbot, 
Ringrim,  Rinolf,  Rinolt,  Rinsuind  bei  Piper  501  (s.  Brückner 
Sprache  der  Langob.  s.  298  und  Förstemann  i  1057). 

Im  inlaute  ist  germ.  g  durchweg  durch  g  vertreten;  Uuicco 
44,  11  und  Sicco  77,  302  zeigen  geminata  wie  Liutto  83,  23.  Posso 
76,  3.  Äzzi  75,  13.  Nitto  43,  33.  Immo  83,  1.  Imma  70,  5.  Totti 
95,  62  uam.  nur  Akihart  44,  3.  Akiuuiz  71,  1.  Akihari  73,  5. 
Akiperht  79,  8  weisen  die  Schreibung  k  auf  und  zwar  k  für  g, 
wenn  man  Agirih  77,40.  Agihilt  97,7.  ^'o//-  83,  182  dagegen 
hält,  da  k  sich  nur  in  diesem  worte  inlautend  findet,  in  zahl- 
reichen fällen  mit  zwischenvocal.  g  vor  i  nur  g  geschrieben  ist, 
muss  man  k  wol  als  zeichen  für  gedehntes  g  auffassen,  agi  wäre 
dann  die  ungedehnte  nebenform  zu  aki  ==  aggi.  dass  doppel- 
formen in  namen,  die  mit  germ.  agja-  gebildet  sind,  vorkommen, 
beweist  eben  der  Schreiber  des  vbs.  durch  die  namen  mit  agi-, 
wenn  man  namen  wie  die  später  eingetragenen  Ekkihart  36, 43. 
41,28.  Ekkila  38,2  ua.  oder  die  Egke-,  Egge-,  Eggi-  in  Pipers  index 
s.  434  vergleicht,  im  silben-  und  wortauslaut  steht  abgesehen 
von  Ringolf  42,  32,  wo  g  zur  zweiten  silbe  gehört,  nur  c  für  g, 
zb.  Hucperht  62,26.  Uuicpot  11,2.  Machelm  10,28.  Uuaclind 
71,2.  Hrodunc  80,  34.  Hamminc  82,4.  Cauuipirc  97,6.  Hadu- 
purc  71,  9. 

Cholduuaih  96,16  zeigt  ch  für  g  im  anlaute;  wahrscheinlich 
der  gleiche  fall  ist  es,  wenn  ch  in  Chunda  96,  7.  Chundhart  43,  4 
geschrieben  ist.  Luduih  hat  h  statt  c  imauslaut;  hier  ligt  jeden- 
falls ein  einsetzen  von  uih  für  uuig  durch  den  Schreiber  vor. 
die  Schreibung  des  germ.  g  ist  bei  den  frühen  eintragungen  im  Salz- 
burger verbrüderungsbuche  völlig  dieselbe,  welche  beim  erslen  Schreiber 
gefunden  wird,  im  wortanlaute  bleibt  g  selten  —  34,  25  f  kommen 
neben  5  c,  2  fc  im  anlaut  vor  Glisnot,  Gaerni,  Grimhilt  (8/9  jh.) 
69,  9  f,  Gundhart,  Grimhart,  Gotapert,  Gisalhart;  Crimperht  — , 
aufser  diesen  eintragungen  steht  g  im  wortanlaut  nur  vereinzelt;  vor 
i,  e  ist  k  regel,  vor  u,  o  meist  c;  vor  a  ist  k  häufiger  als  c;  zu- 
sehends nimmt  die  fe-schreibung  zu  in  Kaoz-,  Koz-  für  Caoz-,  Coz-, 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     31 

frühe  belege  für  die  Setzung  des  k  vor  u  Kundrat  50,  192.  Kundhari 
85,  103.  Kundlind  103,  5211  (8/9  jh.)  von  drei  verschiedenen  Schrei- 
bern, in  einlragungen  des  9  jhs.  finden  sich  folgende  belege  für 
Kund-,  jeder  von  einem  andern  schreiber  :  Kundheri  36,  38.  56,  4. 
Kundolf  23,  42.  41,  432.  Kunduuar  34,  363.  36,  282.  Kundhari 
52,46.  Kundhilt  62,  17.  Kundhoh  61,  32.  Kundpald  60,26.  Kunl- 
lant  27,  25.  diesen  14  fallen  stehn  mehr  als  70  Cund-  (cunl-) 
gegenüber,  vor  ö  begegnen  ebenfalls  scbon  beim  schreiber  von  103,401" 
(S/9  jh.)  2  k  in  Koloni,  Kolmunt;  neben  44  Cot-  zähle  ich  10  Kot. 
vor  a  überwigt  k.  vor  consonanten  ist  nur  ein  beleg  für  k  vor- 
handen :  Krimpald  61,3,  derselbe  schreiber  hat  Cundpald,  Kundhoh, 
Komerih,  Kozheri,  Kozfrid,  Kisalhrod  (Ekkihart  2,  Hekilant  und 
Skilpunc).  die  bairischen  namen  bei  Piper  stimmen  ganz  zum  ältesten 
teile  des  Salzburger  verbrudmingsbucb.es,  sie  haben  k  nur  vor  i,  e, 
a,  c  nur  vor  a,  o,  u;  jedoch  ist  hier  g  etwas  öfter  gebraucht,  in 
den  Freisinger  Urkunden  ist  nach  Wüllner  s.  104  c  vor  u,  o  gebraucht 
(2  caoz-,  2  kaoz-),  vor  a  steht  c  und  k,  vor  e,  i,  y  kommt  nur  k, 
nie  c  vor.  Kaganhart  776  ist  der  erste  beleg  für  k  vor  a,  dagegen 
Cauuipald  755.  Carthari  757.  Cauuo  758.  759.  760.  vor  u  be- 
gegnen 2  k  :  Kundperht  802.  Kundheri  804;  ungefähr  zu  gleicher 
zeit  erscheinen  im  Salzburger  vb.  die  ersten  Kund-. 

Die  denkmäler  haben  nach  Wüllner  s.  105  f  k  um  so  häufiger, 
je  später  sie  anzusetzen  sind,  k  vor  o,  u  und  vor  consonanten. 
Pa  hat  wie  die  ältesten  namen  vor  u,  o  (aufser  kikoz)  und  con- 
sonanten nur  c,  vor  a  ist  k  seltener  als  c  (Kögel  s.  108).  ganz 
vereinzelt  begegnen  in  den  Salzburger  namen  Ceerpurhuc  71,  23 
(vom  gleichen  schreiber  8/9  Alplind,  Gisalni)  und  Cerpald  ^7,  29 
(der  gleiche  schreiber  hat  87,  31  Keruni  geschrieben,  aber  sonsl 
begegnen  bei  ihm  altertümlichkeiten  Liutruth,  Leuto,  Autouuar, 
Causit). 

Im  inlautenden  anlaute,  also  im  anlaut  des  zweiten  gliedes, 
zeigt  der  grundstock  der  Salzburger  namen  jene  Verhältnisse,  welche 
Wüllner  als  regel  in  den  bair.  deukmäleru  beobachtet  hat  (s.  loh, 
k,  c  erscheinen  dort,  wo  stimmlose  lauie  vorausgehu,  y  aber  nach 
stimmhaften.     A"  und  c  verteilen  sich  wider  so,    dass  c  W>r  u,  u 
seine  Stellung  hat,  k  vor  e,  i,   vor  a  beide   vorkommen. 
stimmlosen   lauten    steht   in  den  spätem   eintragungen  g   in   /  " 
Deotgis  25,  1.  37,  7.   Uualdger  65,  1 1.    üualtger  84, 
Uuihgart  98,  122.  192  (10  jh.);    nach  stimmhaften  steht 
mikis,  Mahalcoz  36,7.    Pemker  36,18.    AdaOter,  7«J»A- 
103,  40f.     Uuisucart  35,  3.    Alticund  3,  232;    vor./ 
Rihkund    29,  19.    Ruodkund    33,  14'  (ü  Jh.).     34.  31 
einzige   mal   inlautend    c  vor  e   in    NMcer    vor,    tob 


32  SCHATZ 

Kaerhoh  34,  43.  83,  292  steht  Sundarcaer  (8/9).  in  der  cintragung 
aus  dem  10  jh.  87,  l2  findet  sich  Hillikart  wie  Richkart  2,  aber 
Irmengart.  man  erkennt  leicht,  dass  in  der  namensclireibung  der 
spatern  zeit  die  gleichen  Verhältnisse  wie  im  grundstocke  zu  finden 
sind;  hier  kommt  nach  stimmlosen  kein  g  vor,  nach  stimmhaften  k,  c 
in  Haimkaer,  Hugi-,  Hari-,  Mahalcaoz,  Hrincrim. 

Gerade  aus  diesem  überschuss  der  k-y  c-schreibungen  muss 
man  schliefsen,  dass  nach  stimmlosen  mit  k,  c  ein  andrer  laut 
bezeichnet  werden  sollte. 

Wäre  zb.  g  in  Helmgaoz  derselbe  laut  gewesen,  wie  c  in 
Perhlcaoz  oder  k  in  Liutkaer,  so  könnte  man  doch  nicht  erwarten, 
dass  die  Scheidung  so  scharf  durchgeführt  ist,  so  dass  zb.  der  erste 
Schreiber  der  Salzburger  nameu  g  nur  nach  stimmhaften,  nie  nach 
stimmlosen  (p,  t,  d,  f,  h)  gebraucht;  wenn  nun  uach  stimmhaften 
einigemale  k,  c  gebraucht  wird,  so  erklärt  sich  das  leicht,  weil  in 
der  Stellung  als  erstes  glied  k,  c  regel  war.  in  der  spätem  zeit 
sind  die  nur  nach  stimmhaften  lauten  berechtigten  schreibuugen 
-9er>  _<7?s>  -gart  auch  nach  stimmlosen  gesetzt  worden. 

Kauffmann  hat  iu  seinem  aufsatze  über  ahd.  Orthographie 
Germania  37,  243  f  überzeugend  dargelegt,  dass  die  Verteilung  der 
k-  und  c-schreibung  rein  orthographischer  natur  ist  und  nicht  aus 
den  deutschen  lautverhältnissen  erklärt  werden  kann  und  darf, 
die  Verwendung  von  k,  c  gegenüber  g  im  anlaut  des  zweiten  gliedes 
muss  auf  lautlichen  Verhältnissen  beruhen,  denn  es  wäre  undenk- 
bar, dass  sich  eine  rein  orthographische  regel  gebildet  hätte,  nach 
der  in  der  Stellung  nach  p,  t,  d,  f,  s,  h  nur  k,  c  hätte  verwendet 
werden  dürfen,  während  nach  vocalen,  liquiden  und  nasalen  nur  g 
am  platze  gewesen  wäre,  im  freien  anlaute  der  namen  könnte 
das  seltene  auftreten  von  g  für  regelmäfsiges  k,  c  immerhin  da- 
durch befriedigend  erklärt  werden,  dass  ein  schreibgebrauch  das 
zeicheu  g  hier  nicht  zuliefs. 

Nach  Wüllner  s.  101  haben  die  Freisinger  namen  ebenso  wie 
die  Salzburger  im  wortaulaul  g  selten ;  im  anlaut  des  zweiten  gliedes 
ist  nur  1  mal  nach  stimmlosen  lauten  g  vorhanden,  763  Rotahgauue, 
dagegen  steht  hier  k,  c  13  mal  nach  i,  u,  n,  m,  l  (nach  p,  t,  d,  f, 
s,  h  26 mal);  wenn  aus  der  zuletztgenannten  erscheinung  geschlossen 
werden  könnte,  dass  es  überhaupt  gebräuchlich  war  k,  c  statt  g  zu 
setzen,  so  weist  die  beobachlung,  dass  g  mit  einer  ausnähme  nur  nach 
stimmhaften,  nicht  nach  stimmlosen  lauten  steht,  wider  daraufhin,  dass 
vorausgehude  stimmlose  laute  auf  g  so  ändernd  einwürkten,  das;  die 
schreiher   mit  Sicherheit    die  setzung   des  g  vermieden;    wie  bei  d  ist 


DAS  ÄLTESTE  SALZBUKGER  VERBRÜDERUNGSHUCH     33 

auch  bei  g  mit  Sicherheit  stimmlose  lenis  anzusetzen,  die  mich  stimm- 
losen lauten  forlisartig  wurde. 

Die  liairischen  namen  des  Reichenauer  verbrüderungsbuches  stimmen 
in  dieser  hinsieht  nicht  zu  denen  aus  Salzburg  und  Freisinn  aus 
Metten  stammen  Mahlgis,  Alhgis ,  Hrod-,  Ruad-,  Rihgaoz ,  Aolger, 
Wolfgrim,  Alp-,  Rihgus  (-giis?),  jedoch  im  wortanlaul  nehen  Gunt- 
heri,  Gamalberl,  Ger  wie  :  6  Cund-,  Crimolf,  k'eruni,  Kebaharl;  aus 
iMonsee  Waldgaer,  Hrodhgaer,  Albgis  nehen  Perlcoz  (Kerolt,  herum), 
aus  Chiemsee  Perlgaer,  aus  .Mattsee  nur  Adalgoz,  Pernger  [Kisalharl, 
-frid,  Coalfrid);  nur  Allaich  hat  nehen  Albgaerus,  Blidgerus,  Reid- 
gaer,  Liupgis  -auch  Rod-,  Alb-,  Plid-,  Aol-,  Svidker  und  nach  i,  a, 
l,  r,  m,  n  12  mal  g,  man  könnte  also  nur  die  Allaicher  namen  zu 
den  Salzhurger  und  Freisinger  namen  stellen,  die  übrigen  weisen 
SGaller  und  Reichenauer  Schreibweise  auf. 

In  Pa  kommt  im  inlautenden  anlaut  nach  stimmhaften  lauten  k, 
c  und  g  vor  (Kögel  s.  10S),  nach  stimmlosen  find  ich  nur  c,  \g].abcrunti 
Ahd.  gll.  i  50,  36.  crislcrimmot  150,  17.25.  erislcrimmod  188,  11. 
naheapura  156,  4.  ufeanc  194,  13.  die  von  Wüllüer  behandelten 
hairischen  denkmaler  zeigen  nach  dessen  ausfiihrungen  s.  102  f  im  in- 
lautenden anlaul  k,  c  nach  stimmlosen  lauten  (ausnahmen  Exhorlalio 
hs.  B  uuidargol  Ihesgajheizes,  A  uuidar  gaoles  caheizes,  Emmeramer 
gebet  hs.  B  mih  gahallan,  A  mih  cahaltan,  Freisinger  glossen,  Ahd.  gll. 
ii  346,  5  hanlga  scrip) ,  nach  stimmhaften  steht  fast  in  allen  aeben 
g  auch  k,   c;   ilie  Übereinstimmung  mit  den  namen  ist  klar  erkennbar. 

Im  auslaul    ist    die  regelmäfsige  Schreibung  c;    k   erscheint    ver- 
einzelt   schon    um    800.      vgl.    103,  40  f   Prunink    neben    Hamminc, 
Irinc,  Adalunc,   Herilunc,   Olunc,  Ilpunc.      89,  91    Aduluiik   2  mA. 
103,1   Adalunk  neben  Suuidunc,  Irinc.     50,7   Peinunk  neben  Hor- 
nunc  46,  40    (vom  gleichen  Schreiber),      etwas  später   fällt  Tarnink 
92,  24.      derselbe    Schreiber   hat  einmal    im  silbenauslaut  k  in    i'uik- 
frid;    trink  28,  143.    Prunink  92,30   und   17,11.      auch    hier  ist  c 
regelmäfsige  Vertretung  dieses  lautes,  k  haben  noch  UuikperlU  36.  29". 
Makhelm   15,  29.     nach  r  sieht  k  in  Ruodpirk  60.  30  (dieselbe  band 
Reginpurc  60,  33).   Ellanpurk  89,  304  (S/9).   Liulpurk  86, 23*.   Cund- 
pirk    58,  462.     g  erscheint  in  Adalung   beim  schreiber  von   7  1.  19", 
dessen  namenformen  immerhin    auffallend    sind,    vgl.   Adalmot,    Odal- 
suind,  Odalmar;  Gerbirc  2  mal,  Eccipurc,  Ralpurc,  Hucsuind,  I 
Uuilligis  3  mal,  Sigibald.   84,  264  Maghelm,      für    die  schreibu 
treten  die  ersten  belege  im  anfange  des  9  jhs.  auf.     Hrdtpurch 
Hrodpurch  90,  23,    etwas    später   üuanpurch  62,   L9*.    /-'• 
61,  20\   Richpurch   56,  6.   Hrodpurch  90,  23.  Deotpurrh 
Alpurch  48,  21.     vereinzelt  steht  Luallunvh  35,  28.   üuall\ 
von  einer  band  sind   Allpurhc   Liulpirhc  61.27. 
Uuilipirhc   34,21;     vgl.    von    einem    schreiber  Amatunhc    Ltutmunhi 
37,  32-3  oder  Rikharl  36,  194,   das  sicher  für  Rihkari 
Akiahrt  85,  ll2  als  verschreibungen.     103.  401 
Z.  F.  D.  A.  XLIII.      N.  F.  XXXI. 


34  SCHATZ 

und  Oudalpirc  4516;  dieses  h  ist  der  früheste  ganz  vereinzelt  stehnde 
beleg  für  eine  später  häufiger  werdende  Schreibung.     56,  19  f  (9/10  jh.) 

finden  sich  Outpurh,  Oulpurh,  Onpurh,  Irnpurh,  Ellinpurh,  Meripurh 
vom  gleichen  Schreiber,  daneben  kein  c  oder  ch,  k,  g  im  auslaut.  Hada- 
purh  29,  14  mag  in  die  spätere  zeit  des  9  jhs.  fallen;  vgl.  das  ver- 
einzelte Deolprih  30,  15  (zur  Schreibung  erinnert  man  sich  an  Ceer- 
purhuc  71,  23).  die  Verwendung  von  h,  ch  im  auslaute  für  alles  g 
weist  auf  eine  spätere  periode  der  bairischen  mundart;  ohne  eine  ab- 
schliefsende  darlegung  über  die  bairischen  auslautenden  ch  der  spätem 
zeit  kann  eine  erklärung  der  h,  ch  in  den  namen  nicht  gegeben 
werden. 

Im  inlaute  kennt  die  Schreibung  der  Salzburger  namen  für  ein- 
faches g  nur  g,  aufser  in  Sikipirh  103,  4915  und  in  Uuirdika  35,  102; 
neben  dem  erstem  namen  stehn  eine  reihe  von  solchen  mit  inlauten- 
dem g,  zb.  Sigideo,  Siguni,  Sigimar,  zu  letzterem  vgl.  man  Uuirdigo 
89,  182;  es  herschl  also  vollkommene  Übereinstimmung  mit  der  Schreib- 
weise des  ersten  Schreibers,  der  nie  k  oder  c  im  inlaute  verwendet, 
so  wird  man  kein  bedenken  haben,  k  in  Akiahrt  85,  ll2.  Ekihoh 
89,  204  als  zeichen  der  geminata  zu  betrachten  wie  im  grundslocke; 
mau  vgl.  beim  Schreiber  von  61,  l2  Hekilant  neben  Ekkihart  2  mal 
und  Hacco  (auch  Kundhart  s.o.);  Ekerich  34,  ll4.  Ekkerich  34,  1  24. 
Ekkileih  31,25.  Ekkila  87,47  (wie  Pekkihill  4h2).  Ekkila  38,  23. 
Ekkihart  31,20.  36,  433.  41,28.  Ekkolf  108,34.  Eccho  103,45. 
Hucco  103,  33  neben  Tukko  106,  92.  Hukko  46,  512.  Takko  72,  37. 
Pucco  51,5.  Uuicco  58,44.  Sicca  77,  422.  103,  548  (Clisekka 
101,  l4  und  Frisikka  89,  293).  es  zeigt  sich  gleichmäfsigkeit  in  der 
bezeichnung  der  geminata,  entweder  kk  oder  cc,  beides  schon  früh. 
Eccho  beim  schreiber  von  103, 40f  zeigt  eine  alleinstebnde  bezeich- 
nung der  geminata  gg  durch  cch,  die  sich  auch  in  den  Monseer  bruch- 
stücken  findet,  s.  Hench  s.  119.  Sacgüa,  Acgiuuiz  70,  37  (nach 
Herzberg  N.  arch.  12,  92  a.  1  der  gleiche  name  wie  Akiuuiz  71,1 
des  grundstockes)  haben  cg,  s.  über  dieses  zeichen  Braune  Ahd.  gramm.2 
§  149  a.  7. 

Es  muss  immerhin  auffallen,  dass  diese  Salzburger  namen  für 
inlautendes  einfaches  g  die  Schreibung  k,  c  völlig  vermeiden;  denn 
die  Freisinger  namen  kennen  k,  c  für  zwischenvocalisches  g  ebenso 
wie  die  glossare  Pa  und  R,  s.  Wüllner  s.  106,  Kögel  s.  109. 
wenn  auch  die  belege  aus  den  Freisinger  Urkunden  seilen  sind, 
so  haben  die  beiden  glossare  immer  eine  stütze  an  ihnen  zum  be- 
weise, dass  diese  Schreibung  auch  auf  bairiscbem  boden  verwendet 
wurde.  die  bairischen  namen  des  Reichenauer  vhs.  kennen  keine 
k,  c  für  g  zwischen  vocalen,  wol  aber  finden  sich  k  für  g  in 
dieser  Stellung  in  Passauer  Urkunden:  Monum.  boica  xxvm  2  s.  6 
(um  775)  Ekinolf,  Mekilo  vgl.  s.  15  Magilo  (754),  Mekinhelm, 
Rekinolf  (auch  s.  18),  s.  8  (788)  Cakanhart,  s.  22  (um  800)  Taka- 
perht  neben  Engilharl,  Reginhart,  s.  20  Sikimar,  Kakanhart  (788), 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     35 

weitere  belege  aus  Passau  hat  Weinhold  Bair.  gramm.  §  4  Anküperht, 
Ankilhaoh,  Ankinaha,  Lankincawi ;  Takaharlinka ,  Uuikinka,  Hei- 
minka -es  -um  6  mal,  Heimincum  (und  Tuzlingas,  Aeringa,  Tulingun) 
s.  54,  Enküperht  s.  50,  Takaperht  s.52.  55.  da  nach  Wüllner  von  den 
bairischen  denkmälern  nur  das  Freisinger  pater  noster  und  das 
Emmeramer  gebet  A  (dessen  heimat  Kögel  Litteraturgeschichle  i  2,  556f 
in  Freising  sucht)  zwischenvocalische  k  aufweisen,  so  ist  man  zum 
Schlüsse  vollauf  berechtigt,  dass  die  Schreibung  k,  c  Tür  zwischen- 
vocalisches  einfaches  g  auf  hairischem  boden  örtlich  beschrankt  war 
und  dass  nur  zwei  orte,  Freisiog  und  Passau,  hierfür  sicher  angeführt 
werden  können,  Salzburg  und  Monsee  aher,  und  mit  ihnen  wol  andre 
bairische  klöster,  sicher  sich  jenen  beiden  gegenüberstellen  (llench 
Monseer  bruchslücke  s.  119)  *. 

So  hat  sich  ein  zweites  sicheres  beweismittel  für  die  Sonder- 
stellung Freisings  ergeben;  das  vorkommen  von  oa  neben  o  und 
inlautendem  k  neben  g  ist  für  die  Freisiuger  namen  bezeichnend, 
mag  sich  auch  Cozrohs  Schreibweise  zur  Schreibung  der  von  ihm 
abgeschriebenen  Urkunden  des  8  jh.  in  einer  weise  verhalten,  die 
man  jetzt  noch  ohne  genaue  kenntnis  der  spräche  in  den  von 
Cozroh  verfassten  Urkunden  nicht  zu  beurteilen  vermag,  das  ist 
gewis,  dass  die  genannten  beiden  eigentümlichkeiten  bereits  den 
frühen  Freisinger  Urkunden  angehörten,  aber  dafür,  dass  die  alten 
bair.  litteraturdenkmäler  bestimmten  örtlichkeiten  zugewiesen  wer- 
den könnten,  reichen  die  sprachlichen  keunzeichen  nicht  aus. 
beim  ersten  Schreiber  des  Salzburger  verbrüderungsbuches  lässt  sich 
deutlich  ein  absichtliches  durchführen  einer  bestimmten  Schreib- 
weise in  der  behandlung  des  umlautes  erkennen,  ebenso  kann  man 
sich  mit  dem  fast  völligen  maugel  von  ae  und  ao  in  den  Frei- 
singer Urkunden  nicht  anders  abfinden,  als  dass  Cozroh  sie  absicht- 
lich vermied,    die  sog.  Hrabanischen  glossen  haben  altes  5  so  gut 

1  die  hier  zum  vergleich  herangezogenen  Urkunden   aus  Passau  stehn 
in  den  Monumenta  boica  xxvui  2  s.  1  f  abgedruckt;  es  sind  keine  originale, 
vgl.  s.  23   'Hie  finis   manus  antiquissimi  et  quaternionis  pro  pago  Rotagao*, 
können  aber  mit  recht  für  die  bestimmung  der  gegend,  in  der  inlautend  k 
gesetzt  wurde,   verwendet  werden,  da   eine  spätere  band   bei  der  abschr 
sicher  keine  k  eingesetzt  hätte,  wenn  sie  nicht  dem  original  eigen  - 
wären,      man  muss  beachten,    dass  die  namen   dieser  genannten  sammln 
für  altes  ü  regelmäßig  o,  selten  oo,  uo  haben,  für  neues  5  mehrfach 
Adalhaoh  s.  7.    Craos  9.  Aodolt  12.  15.   Raota,  Taozi,  Aotker,  Adalhat 
Kerhaoh  16.   Raota  17.  Haohunsteti,  Aotker  19.  Aoiinga»  23 
fällen  a  für  umlauts-e,  und  dass  sie  auch  in  der  Setzung  des  k  im  an-  u 
auslaut  zu  den  oben  genannten  bairischen  Sprachdenkmälern  stimmen. 

3* 


36  SCHATZ 

wie  gar  nicht  angetastet,  solche  erscheinungen  drängen  die  er- 
wägung  auf,  dass  in  der  frühen  zeit  die  spräche  eines  original- 
denkmals  ebenso  wie  vom  sich  bildenden  beziehungsweise  über- 
lieferten örtlichen  Sprachgebrauch  auch  im  besondern  von  der 
individuellen  Schreibweise  und  der  Überlegung  des  schreibenden 
beeinflusst  erscheint,  und  so  wird  man  sich  hüten,  aus  einer 
sprachlichen  besonderheit  auf  den  entstehungsort  zu  schliefsen, 
wenn  keine  andern  Zeugnisse  eine  solche  Vermutung  wahrschein- 
lich machen. 

Germ,  h,  im  wortanlaut  vor  vocalen  ist  es  regelmäfsig  als  h 
bezeichnet,  im  silbenanlaut  fehlt  es  nur  einmal  Aonilt  34,1,  im 
auslaut  nach  vocalen  einmal  ch  in  Hrodhooch  11,  28  gegen  Rodhöh 
1b,  40  und  4 mal  -höh;  nach  l  steht  ch  in  Alchmod  77,11  (vgl. 
Alchoz  26,  19.  Alchaoz  79,  11.  Machelm  10,  28.  82,  35.  Uuichart 
77,12.  Uuichelm  78,3),  dagegen  Aloholf  79,  23.  Adaluualch  80,5 
gegen  Uualahin  11,4.  95,  6.  96,  26.  Uualahari  42,  17.  21.  82,  28 
wag  ich  nicht  mit  Förstemann  zu  Uualah  zu  stellen;  vgl.  den 
14,  19  noch  im  8  jh.  eingetragenen  namen  Uualaperht,  dessen 
lautliche  gestalt  nicht  anfechtbar  ist. 

Er  erscheint  30  mal  in  Hrod-,  dagegen  11  mal  Hod-,  2  mal 
-rod.  ürincrim  30,  25.  Hrindrud  95,  30.  vgl.  Rapanolf  79,  23. 
Hramperht  81,  37.  falsch  angesetzt  ist  h  in  Hrehtuuili  11,  1. 
Hratperht  43,  20.  Hrathari  44,  21.  Hratan  94, 18.  Hratpirc  95,24. 
Hricho  58,  19.  Hrihfrit  96,  5.  24.  vgl.  Caozhrih  30,  29,  wo  hrih 
aus  hart  corrigiert  ist,  indem  blofs  das  a  mit  dem  tilgungszeichen 
versehn  wurde;  Hraginperht  44,  1.  Hraginhelm  74,  38.  Hragin- 
suind  94,  5.  Hreginni  95,  3.  Huuisni  95,  35.  perht  ist  regel- 
mäfsig, nur  einmal  kommt  die  form  Mailpreth  43,  37  vor.  Hari- 
holt  79,  29.  Uuolfholt  44,  5.  Ahiholt  76,  23  können  im  hinblick 
auf  die  nicht  zu  bezweifelnden  Uuolfholt  bei  Piper  n  161,  2.  467,  21 
Uuolfhold  465,  17  sowie  auf  die  mit  Hald-  Halt-  beginnenden 
(ebenda  index  453)  als  -holt  gefasst  werden,  dazu  vgl.  man  bei 
Kossinna   Uuolfholti,  Golholti  s.  58b. 

In  den  Zusätzen  begegnet  einigemale  h  vor  vocalen  :  Herchan- 
perht  3,  9.  Hellanpurch,  Herchanfrid  15,  21.  23.  Honhart  12,  21. 
Heperharl  36,  43.  Haoslarpald  36,12.  Hosterpert  58,  423.  Haas- 
mol 49,  17.  Hasperht  105,  26.  Haspald  59,  5.  Hirminperhl  31,  6. 
Hirminharl  51,21.  Hengilram  65,1.  Hengilperht  76,44.  Hisker 
30,  16.  Hekilant  61,  11.  Hecchacosa  98,  73,  die  lalle  sind  zu  ver- 
einzelt, um   zur  frage  nach    der  and.  bair.  prolhese    des  h  aufklarend 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERüNGSRUCU     37 

beizulragen  (Garke  Prothese  und  aphairese  des  h  im  alid.  s.  34  f). 
vor  r  schwindet  das  lautlich  berechligte  h  immer  mehr,  je  jünger 
die  Überlieferung  ist,  doch  begegnen  auch  spät  noch  Hrod-,  Hruod- 
wie  Hrat-,  Hrih-,  im  auslaut  zeigt  sich  früh  schon  ch  in  Cotauuich, 
Deolnuich  (wie  Hrichpirc)  34,  298.  323,  Hroduuich  50,  82  neben 
Paldrih  (8/9  jh.),  Kerualch  18,  55,  ganz  vereinzelt  steht  Adaluihc 
99,   3. 

Für  germ.  p  sind  beim  ersten  Schreiber  die  namen  Erpolf 
73,  35  und  Erfo  76,  22  heranzuziehen;  ersteres  kann  nicht  wol 
als  Erp-olf  —  Arbi-olf  gefasst  werden,  weil  der  umlaut  nicht  zu 
erwarten  wäre,  p  und  f  sind  hier  hezeichnungen  der  affricata  pf, 
vgl.  Erpholt  773.  Erpho  776.  Erphuni  80S  in  den  Freisiuger  Ur- 
kunden. 

Germ,  b  ist  im  an-,  in-  und  auslaut  durch  p  vertreten,  vgl. 
Popili  76,  21.  Suap  58,  3.  nur  Albuinus  30,  23.  Ambricho  77,  20. 
Bouo  82, 13  machen  eine  ausnähme;  der  erste  ist  latinisiert  (Karajan 
Einleitung  s.  xxxii,  Herzberg  N.  Archiv  12,  107),  im  zweiten  ist  b 
zwischen  m  und  r  nicht  ursprünglich,  s.  Kögel  Litteraturgesch. 
i  2,  214,  vgl.  in  frühen  Zusätzen  Ampricho  S6,  32.  Ampriho  103, 533, 
der  dritte  ist  niederdeutsch,  vgl.  Bovo,  Boving  bei  Heyne  Allodd. 
eigennamen. 

Germ.  /  erscheint  im  grundstock  stets  als  f. 

Anlautendes  w  wird  mit  uu  bezeichnet,  durchweg  im  anlaul 
des  namens;  inlautend  kommen  uu  vor  in  Gauui  5  mal  (vgl. 
Geuuidrud  98,  32),  in  Eauuirih  74,  25.  Auuo  lü,  12;  dagegen  u 
in  Aeuo  9,  15.  Auo  10,  23.  Frauigis  78,  25.  im  anlaut  des  zweiten 
gliedes  steht  uu  in  Hrehtuuili  11,  1.  Ainuuolf  66,  13  (sonst  nur 
-olf).  Akiuuizl\,l.   Lantuuari  80,36.  81,31.    Cotouuar  94,  32. 

95,  18    (Cotuuar  94,  7).    Cunduuar  95,  12.  40.  96,  1.    Cholduuaih 

96,  16  {Hroduui  96,  20  nd.J.  s.  Piper  i  319—326),  u  in  Luduih 
29,  6  {Albuinus  30,  23.  Iduinus  42,  4).    Gunduin  79,  13.   lnguald 
79,  19.  Inguaid  96,  2  (vielleicht  gehört  Aloih  79,  17,  in  dem  mau 
o  für  m  vermuten  konnte,  zu  Alohih  82,  13  und  hat  ausfall  eines  A, 
wenn    das    letztere  richtig  in  Aloh-ih   zerlegt  wird),     in  d< 
hindung    mit   einem    vorausgehnütn    consouanlen   wird   In 
angewendet  in  Huuisni  95,  35,  sonst  jedoch  nur  u  und  zwar 
suind  12  mal.    {UuldarhÜt  96,34   kann  für  die  bezeichne 
anlautenden  w  durch  u  nicht   geltend  gemacht  we 

Germ,   b   ist  wie  im  grundstock,  so  auch  in  den  Zusätzen 
mäfsig  durch  p  bezeichnet,     b  kommt  nur  vereinzelt  vi 


38  SCHATZ 

41,9.  87,25.  Albuinus  14,20.  64,27.  Albuuinus  24,  82.  Albuin 
63,  18.  Pabo  89,  332;  früher  eingetragen  sind  Bilimool  70,  14  und 
Buohhila  98,18  von  einer  hand,  die  kein  p  schreibt;  Albrat  87,  35, 
Blidkaoz  neben  Hülipald  15,  1,  Asbrand  85,  36  und  Birhlüo  86,7, 
Ebersuindus  47,  32  neben  Eparhart  (und  Liulmundus) ,  Eberhart 
59,  122  neben  Selpker;  Sigibot  37,  l8,  Libdrud  75,  1  uea.  der 
grofsen  anzahl  der  p-schreibung  gegenüber  sind  diese  b  ohne  bedenken. 
Für  germ.  f  zeigen  die  zusätze  früh  schon  u.  Uuluihho  104,  23. 
Uuluicho  103,  4016.  Uuoluo  67,  26  (8/9  Jh.).  Zuuiual  109,  5. 
Zuiual  47,41.  Engiluorhl  34,  376.  Eingiluorht  90,  l4  vgl.  £n#«7- 
/bWU  84,39.   Uaslrat  91,38.    Volchsuuinl  87,  43  (10  jli.).   Uolch  .  .  t 

100,  176  (ende  des  9  jhs.);  inlautend  findet  sich  germ.  /"  in  den 
namen  zwischen  stimmhaften  lauten  recht  selten,  frid,  frjt  ist  immer 
mit   f  geschrieben,     Sigifrid,    Odalfrid,    Erchanfrit    (nur    Engilurit 

101,  124). 

Germ,  p  kommt  in  folgenden  namen  der  zusätze  vor  :  Helfrih 
23,8.  Helfoll  108,37.  Helphrih  39,3.  Dorpfuni  45,10.  Erphari 
105,  1  ;  man  vgl.  im  grundslocke  Kamfio   10,  38,  Erfo,  Erpolf. 

Die  bairische  mundari  der  abd.  zeit  kennt  den  ausfall  eines  n 
in  haupttoniger  silbe  nicht;  wo  also  formen  auftauchen,  welche 
scheinbar  n-schwund  zeigen,  ist  entweder  an  entlehnung  aus  dem 
norden  zu  denken  oder  eine  von  jeher  n-lose  form  anzunehmen, 
unter  den  Zusätzen  im  Salzhurger  vh.  finden  sich  namen,  deren 
erstes  glied  Suuid-  ist;  im  zweiten  kommt  nur  -suind  vor.  Suid- 
mot  103,  4416.  Suuidker  35,  21.  Suuidunc  68,  13.  106,  4  (8/9  Jh.). 
Suidkaer  36,  40  (dieselbe  hand  Hratheri  44).  Suidpurc  84,  312. 
Suidker  83, 182.  92,12.  Suidger  58,  422.  Suuühart  77,  372.  90, 153. 
102,1;  diese  drei  belege  aus  später  zeit,  unter  allen  namen 
kommt  keiner  mit  Suind  im  ersten  gliede  vor.  das  muss  auffallen, 
wenu  in  Suid  eine  entlehnte  form  vorliegen  soll;  dazu  aber  Suid 
für  nd.  zu  halten  fehlt  es  an  beweisen  und  so  wird  man  den 
zweifeln  Förstemanns  i  1 135  f ,  ob  alle  Suid  zu  Suind  gehören,  ihr 
recht  geben  und  ahd.  suid,  germ.  *swip-  in  den  namen  suchen, 
die  namen  Suindpret  bei  Piper  n  103,  62.  302,  7.  316,  202.  523,  36. 
i  336,  9  stammen  alle  aus  später  zeit;  der  index  verzeichnet  s.  511 
an  80  namen  mit  Suid,  Suuid  an  erster  stelle.  Kossinna  führt 
s.  59  zwei  namen  mit  Suid-  an ,  aber  keinen  mit  Suind.  aus 
Förstemanns  namen  ist  nur  Suindger  (a.  805)  und  Suindheri  aus 
Meichelbeck  nr  606  (9  jb.)  zum  vergleich  heranzuziehen;  dazu  der 
elsäss.  ortsname  Suinderadouilla  (Schwindratzheim)  Tradd.  Wiz. 
nrr  35.  162  (a.  737).     es  kann  keinem  zweifei  uuterliegen,   dass 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     39 

ahd.  Suid  als  erstes  glied  in  namen  vorligt;  Sui?id  erscheint  da- 
neben seltener  l. 

Zweimal  kommt  unter  den  Salzburger  namen  die  form  ans- 
vor:  Ansa  29,15  beim  ersten  Schreiber,  Anseri  61,  7 '  im  9  ib., 
sonst  nie;  dagegen  zeigen  sich  mehrere  namen  mit  as  als  erstem 
teile,  beim  ersten  Schreiber  kso  43,  30.  Aaso  44,  18.  Asilo  26,15. 

Asi 27,  5.    Aasmar  43,  34.  Aasfrid  79,  16.  Aasperht  78,  9. 

79,  5.  81,8.  Äsperht  79,  22.  Aashilt  94,  8.  Aasni  97, 10;  die  be- 
zeichnung  der  länge  durch  doppelschreibung  des  a  ist  hier  beliebt, 
in  spätem  Zusätzen  Aso  15, 11.  77,  42.  Asila  98,  4l2.  Asrih  16,  25. 
Asmunt  47,  142.  Asprant  41,32.  Asbrand  85,36.  Aspert  69,28. 
Asperth  68,  34.  Asperht  36,  62.  73,1.  Asfrid  72,30.  Aaspert  37,  48. 
Asuni  12,10.  Äsuni  46,  47.  Asni  98,  23.  Aeshilt  91,  26.  Haspald 
59,  5.  Hasperht  105,  26.  es  ist  kennzeichnend,  dass  die  form  a»s- 
so  gut  wie  ganz  fehlt,  dass  jene  Zusammensetzung,  in  der  ans- 
im  hochdeutschen  am  häufigsten  erscheint,  Anshelm  (vgl.  Pipers 
indes  s.  412,  Förstemann  i  108),  nie  als  Ashelm  sich  zeigt,  auch 
bei  Piper  und  Förslemann  nicht,  es  unterligt  gar  keinem  bedenken, 
wenn  äs-  als  selbständiger  germ.  namenstamm  angesetzt  wird. 
Kluge  stellt  ihn  Grundriss2  §  6  zu  keltischem  esu-  in  Esunertus. 
(s.  auch  Brückner  Sprache  der  Langobarden  s.  224.) 

Anders   steht   es    um  Ospirin  34,  255.  314,    von    einer   band 
(8/9  jh.)  eingetragen;    auch  hier  ligt  es  nahe,   an  ans  und  seine 
anglofriesische  gestalt  ös  zu  denken;  es  läge  also  ein  entlehnter 
stamm  vor.   unter  den  spätem  namen  des  Salzburger  verbrüderun^s- 
buches   finden  sich  jedoch  folgende:    Uöspirc  32,  7.    Osa  101,  2. 
Huosa  98,  242.    Osso  2,  242.    Uaoseolt  18,  63.    Uuospirin  101,  3'. 
zur   Schreibung    der   beiden    letzten    vgl.  man  die  nicht   seltenen 
Uuodal-  Vuodal-  uä.  bei  Piper  index  s.  533;  aus  diesen  namenformen 
kann  nur  eine  ahd.  form  uos,  früher  ös  gewonnen  werden,  unter  den 
Freisinger  namen  kommen  vor  782  Huasuni,  Oasuni  (und  Oadalrih) 
773.    Osinwanc  =  Oasinwanc  der  Überschrift  ca.  770  (ur  42).  777 
Ospurga  (814  Huasmot),  Weinhold  verzeichnet  Bair.  gramm. 
aus  Meichelbeck  Oaspald,  Oaspirin,  Oasker,  Oaspurc,  Oasriri' 
Piper  Uospret  i  165,  10.   Yaspreht  n  3,  36.   Yosbret  n  51 
Uasker  n  15,  29.    Vasger  ii  574,  18.    Ospirin  i   1  10.  10.   1 

1  ESchröder  bemerkt,  dass  es  auch  namen  mit  dei  ■ 
gibt,  und  verweist  für  das  paar  swip  -  srcinp  auf  mhd. 
sinde,  sit  {sid)  neben  sint. 


40  SCHATZ 

325,  4.  5.  358,  3.  Vosprin  n  3,  11.  312, 12.  Vosbirin  n  220,  20. 
Uosleib  ii  504,  142.  Osleip  ii  169,  36.  aus  Altaich  Oso  n  99,  36, 
(Huoseker  n  353,  102.  Hosiger  n  329,  36.  Hospirint  ii  207,  183. 
Hosber  ii  629,  2  von  derselben  hand  Asmot,  Asa,  haben  jedesfalls 
prothetiscbes  h;  ob  Huso  ii  482,  7.  401,  18.  467,  12.  Husigrimus 
i  200,  23.  Husigolt  u  110, 10  (aus  Monsee).  Husi  ii  214, 22.  215,39 
zu  trennen  sind?),  aus  Fuldaer  Urkunden  Vosburg  822.  Voswih  801 
angeführt  von  Förstemann  i  1337.  alle  diese  belege  stützen  den 
ansatz  ös-,  ahd.  uos-  und  sprechen  gegen  die  erklärung  des  ös, 
die  es  als  nd.  auffasst  und  aus  ans  entstanden  sein  lässt  —  der 
name  müste  denn  als  ös  zu  jener  zeit  ins  hd.  übernommen  worden 
sein,  in  welcher  germ.  ö  hier  noch  unberührt  war,  und  mit  diesem 
zusammengefallen  sein,  eine  unhaltbare  Vermutung.  —  wenn  man 
namen  nebeneinander  findet  wie  Paatto  und  Pöto  (Salzburg  20, 17. 
79, 192).  Taato  64,  25.  Tooto  26,  38.  Aato  52,  45  und  'oio  78, 18. 
As-  und  Os-,  möchte  man  an  einen  Zusammenhang  denken. 

Einstämmige,  mit  suffix  gebildete  namen  und  kurznamen 
haben  der  mebrzahl  nach  den  nominativ  der  «-stamme,  die  männ- 
lichen auf  -o,  die  weiblichen  auf  -a.  Baimo  9,  2.  Paldo  9,  5. 
Sindo  9,  10.  Aeuo  9,  15.  Uualto  9,  22.  Popo  9,  23.  Cogo  9,  35. 
To.  lo  10,  31.  Arno  26,  35.  Ölo  27,  3.  Horsco  26,  34.  Ogo  36,  22. 
Palo  36,  2\  Manno  42,  5.  Aso  43,  30.  Zeizo  43,  302.  Agino  44,  172. 
Hricho  58,  19.  Theolo  62,  21.  Puoso  7  3,  9.  Adolo  74,  16.  Raato 
75,  26.  Alo  76,  3.  Ulo  76,  19.  Erfo  76,  22.  Cauzo  76,  29.  Talo 
78,  13.  Pd«o  79,  192.  {Lupo  80,  6?)  t/ua#o  80,  14.  Snello  81,  15. 
Eporo  82,  17  (=  fipftoro  42,  22).  lulo  82,  23.  Perhlo  83,  10.  27so 
78,  4.  Sigo  83,  122  vielleicht  eine  ursprüngliche  bildung  zum  u-slamm 
sigu-.  Kamfio  10,38.  Hrodio  77,36.  f/ua«o  9,20.  Hülo  9,  24.  tfoHo 
9,34.  Appol\,\9.  Petto  26,  12.  f/«o30,22.  ^«o29,25.  Anno  30,  32. 
M«o  43,33.  Hemmo  73, 15.  ^zzo  74,  17.  Pazzo  75,34.  Sicco  77,  302. 
Penno  78,  29.  ^o  80,  62.  Memmo  82,40.  /mwo  83, 1.  Allo  83,  19. 
Zw«o  83,  23.  Otüo  7  8,  192.  Tutilo  7  3,  2.  Pe«i/o  58,  72.  Amilo 
44, 17.  Theotilo  77,34.  iW«mi7o  7  6,36.  f/m'^7o  7  7,4.  Nandilo  74,22. 
Kaerilo  11,20.  Ca<m7o  77,13.  #um7o  77,  38.  Joü7o  83,  72. 
Tassilo  62,  25.  Pap^7o  42,  20.  Ozilo  7  5,  32.  Zozzolo  58,  82.  £nzofo 
58,  342.  Uuanilo  36,  25.  ^si7o  26,  15.  Immino  75,  5.  Cunzo  42,  15. 
Tapizo  76,  38  {Tepizo  58,  37).  i/apüo  81,  6.  Elizo  43,  39.  Unanito 
79,3.   t/saJo  79,  35.    Maoricho  58,  172.    Ambricho  77,  20.    Sipicho 

77,  31.  Amicho   79,  26.  —   auf  -i  enden  Uo<#  78,  5.    Ta^' 66,  9. 
Gw«2i   10,  29.  Popili  76,  21,   hierher  zu  ziehen  ist  auch  Pagiri 

78,  27.  41,  falls  agi  für  aü  steht  und  also  Paiir-1  zu  lesen  ist1. 

1  Weinhold  stellt  in   der  Bair.  gramm.  s.  1  anm.  2   alte  belege  dieses 
volksnamens  zusammen,   Pegiri,  bei  Wagner  813   aus  Fieising  deckt  sich 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     41 

Weibliche  namen.  Epa  94,  42.  Tala  94,  362.  Tola  94,  92. 
Pulda  95,  11.  ifai/a  95,  12.  PeMa  95,  172.  ^«a  95,  37.  ^a<a  71,2 
Chunda  96,7  (C/t?).  £Ti7(f7a  96,9.  Cozrn  97,41.  89,32.  Mala 
96,  13.  vgl.  Maio  10,  14.  '0«a  96,  18.  Papa  96,  21.  K*a  71,  8. 
Imma  70,5.  Aegina  96,12.  Cundüa  94,3.  Uualtila  94,4.  PaJ- 
di7a  95,  26.  —  Hilli  94,  122.  ZVudi  94,  19.  Totti  95,  62  sind  als 
deminutivbildungen    gleichwie    die   männlichen  Rodi,   Tati   aufzufassen. 

Eine  eigene  gruppe  bilden  die  männlichen  namen  auf  -uni. 
der  erste  schreiberkennt  Laipiini  11,  29.  Sinduni  26,  37.  Perhtuni 
27,  8.  Gunduni  43,  14.  Adaluni  58,  35'2.  Adoluni  58,40.  Scaftuni 
64,  24.  Norduni  73,  32.  Theotuni  74,  6.  Haliduni  76,  6.  Helmuni 
81,  28.  Cotoni  78,  18.  19.  die  zusätze  haben  die  namen  Ringuni 
72,  354.  ^dafuni  41,  36.  66,  44.  84,  153.  Scaftuni  79,  82.  Folchuni 
61,  162.  Truhluni  61,8.  Perhtuni  59,6.  61,  143.  J//wm  46,30. 
52,9.  ;%uni  49,  7K4.  71,  32.  89,  363.  103,  514.  Laipuni  46,49. 
Lepuni  103,48.  Asuni  12,10.  'Asuni  46,47.  Mahlluni  46,  32. 
Mahluni  48,27.  Dorpfuni  45,10.  Helmuni  15,20.  37,  152.  TYu- 
duni  31,  10.  Hanluni  29,  5.  32,  21.  84,  212.  Rifuni  27,  21.  73,  182. 
Teoruni  28,  12.  Marchuni  28,  2.  Dhruduni  4,  29.  0<swm  6,  1  (?). 
Liupuni  62,20.  Haohuni  84,  223.  J4o<wm'  87,37.  i?a(unt  73,  193. 
Keruni  87,31.  Righuni  86,4.  Zeizuni  106,  2 13.  in  den  Freisinger 
Urkunden  bei  Wagner  Rihhuni  755.  Helzuni  7  72.  h'epuni  777. 
0(u?u  782.  Liuluni  790.  Alpuni,  Helmuni  791.  Crimuni  792. 
Erura  804.  Hantuni,  Cozzuni  807 .  Marchuni,  Erphuni  808.  Pazzuni 
809.  Huasuni  (=  Oasuni)  782.  Weinhold  führt  Bair.  gramm.  s.  214 
an  Palduni,  Dinguni,  Aruni,  Heimuni,  Hringuni  uaa.  unter  den 
bairischen  namen  bei  Pipern  kommen  vor  ^erum  125,9.  Aegiluni 
116,1.  Hanluni  124,35.  iferwm  117,11.  Zeüw/u  99,24.  Mada- 
Juwi  119,23.  Folchuni  101,10.  .4/tum  119,4.  Kemptener  namen 
sind  Rehiuni,  Hütuni,  Hluduni,  Danchuni,  aus  Feuchtwangen  Ooda- 
luni,  Hruoduni;  aus  Passau  stammt  Selpuni  788  (Mon.  boica  xxvm  2 
s.  13)  aus  Pfäffers  Siguni  Piper  n  52,  32,  ferner  Erluni  n  316,26; 
es  werden  sich  noch  andre  stamme  mit  der  bildung  auf  -um  linden. 
vereinzelt  sind  Richoni  Salzburg  36,  252.    Rodoni  53,21. 

mit  Pagiri  wie  Heimo  mit  Haimo;  aus  den  Casseler  glossen,  Ahd.gll.  m  13,  5 

ist  der  nom.  plur.  Peigira  bekannt,  wol  sicher  die  form  der  o-stämme,  nicht 

der  /o-stämme,  die  in  der  altera  zeit  regelmäßig  im  nom.  plnr.  -e  li 

Braune  Ahd.  gramm.2  §  198,  4.     die  formen  Pagiri,  Pegiri,  Peigiri  ( 

bei  Meichelbeck  814,  s.  Weinhold)    können  aber  nicht  sing,  zum  plu 

gira  sein,  wenn  diese  form  der  o-declination  angehört;   der  - 

klärt    sich    nur    als    erweiterte    form;     wie    zu    Popilo    (Bubi!»    bei    Piper 

II  415,  332)  Popili  als  deminutivform  (Braune  Ahd.  gramm.s  § 

inanns  Deutsche  gramm.  u  §  243)  gebildet  wurde,  so  zu   Tato  ein   Tati,  si 

*Paiii'  ein  Paiiri  (Pagiri). 


42  SCHATZ 

Im  alem.  stehn  diesen  bildungen  mit  -uni  zahlreiche  namen 
mit  -ini  gegenüber,  das  in  der  spätem  zeit  als  -ine  erscheint: 
Albini  Piper  index  s.  408.  Altini  409.  Kerini  422.  Cundini  428. 
Deotitii  430.  514.  Otini  485  ua.  Pipers  Puatoni  n  474,  23  legt 
die  annähme  nahe,  dass  -oni  in  Cotoni,  Richoni,  Rodoni  des  Salz- 
burger Verbrüderungsbuches  durch  einen  auslautenden  vocal  ver- 
ursacht worden  ist  (Cota-uni,  Richo-uni,  Rod(i)o-uni  wie  Puato-uni). 
Müllenhoff  setzt  Denkm.3  n  155  -ini,  -uni  gleich  -uuin  (ebenso 
Henning  s.  109,  Behaghel  Grundriss2  §  88),  er  erkannte  schon, 
dass  -uni  die  bairische,  -ini  die  alemannische  form  sei  (vereinzelt 
kommt  alem.  uni  und  noch  seltener  bair.  ini  vor,  im  elsäss. 
scheinen  beide  formen  vorhanden  zu  sein),  aber  seine  annähme, 
dass  uni  aus  wini  entstanden  sei,  wird  durch  die  auslautgesetze  * 
widerlegt:  i  müste  geschwunden  sein,  vgl.  Friduwin,  Liobwin  Kluge 
Grundriss2  §  152  und  Kossinna  s.  28  f,  Förslemann  i  1315  f.  als 
ein  ursprünglich  selbständiges  wort  lässt  sich  -uni  nicht  auffassen, 
sondern  nur  als  suffixbildung,  s.  Fürstemaun  i  944  f ,  Weinhold 
Bair.  gramm.  §  213.  das  auslautende  i  erklärt  sich  nur  entweder 
als  deminutivsuffix  wie  in  Rodi,  Tali,  oder  alsnom.  eines/ö-stammes, 
Gunduni  =  Gundhari ;  wenn  i  hier  lang  wäre,  bliebe  es  als  i  er- 
halten, YVilmanns  Gramm,  ii  §  243,  3,  1,  aber  im  alemannischen 
tritt  in  den  namen  mit  -ini  später  e  ein,  bei  Piper  n  266  Albine, 
Coldine  wie  Othere,  Reginhere,  Ruodhere,  Cundhere,  n  176,  4  unten 
Altine  wie  Engilhere.  demnach  ist  die  urform  dieser  bildungs- 
silbe  -unjaz  aus  -nfos  nach  consouanten,  beziehungsweise  -enjaz, 
so  dass  in  -ini  vollstufe  des  suffixvocales,  in  -uni  Schwundstufe 
vorligt.  (aus  dem  altndd.  verzeichnet  Heyne  Bernani,  Marcuni, 
Moduni,  Oduni,  Osuni,  Sithuni,  Thiadoni,  Modani). 

Nun  begegnen  aber  im  Salzb.  vb.  beim  Schreiber  der  namen 
des  bair.  klosters  Moosburg  103,  lf  (8/9  jh.)  Folchun,  Eparun, 
Liupotun,  Pazzun,  mit  dem  beisatz  pur  m.  diac,  also  sicher 
mäuneruamen,  neben  Eparuni,  Zeizcuni,  Deotuni.  Alois  Walde 
macht  mich  darauf  aufmerksam,  dass  in  ihnen  der  urgerm.  nom. 
-iz  der  jo- stamme  zu  sehen  ist,  so  dass  -un  und  -uni  auf 
dieselbe  bildung  zurückgehn ,  s.  Streitberg  Urgerm.gr.  §  146  a. 
vielleicht  lassen  sich  fränk.  namen  auf  -in  —  Kossinna  s.  29  er- 
wähnt,  dass  765 — 841   15  fälle,  vorkommen  —  in  der  gleichen 

1  der  auffassung  Kluges  widerstreiten  nach  ESchröders  hinweis  freilich 
formen  wie  Gevuuini,  Jltuuini,  Oluuini  (Hersfeld  a.  835). 


DAS  ÄLTESTE  SALZBURGER  VERBRÜDDRUNGSBUCH     43 

weise  erklären,  dass  sie  den  ursprünglichen  notn.  -eniz  -iniz  dar- 
stellen; wenn  -in  wie  Kossinna  annimmt  auf  -win  mit  schwund 
des  10  wie  in  Otachar  =  -wachar  zurückgienge,  konnten  nicht  so 
viele  helege  mit  win  als  zweitem  gliede,  also  mit  erhaltung  des  w 
vorliegen  und  die  annähme,  welche  man  allenfalls  dafür  machen 
könnte,  dass  Fruoluuin,  Eruoduuin  Dronke  771.  772  und  ähn- 
liche ihr  uu  nach  art  von  Friduwin,  Sigiwin  wider  eingesetzt 
hätten,  liefse  sich  schwer  erweisen,  unter  den  Salzburger  namen 
finde  ich  noch  auf  -un  Alpun  92,  6.  Theotun  33,  1,  der  zweite  ist 
sicher  männlich,  der  erste  kann  auch  weiblich  sein;  die  Kemptener 
Teothun,  Deothun  Piper  i  84,  2  sind  mit  -hun  zusammengesetzt. 

Franchin  94,  40   ist   eine  weibliche   bildung   wie  kuningin, 
ebenso  auch   Uualahin  95,  G  und  Arin  96,  3  vom  stamme  är. 

Wie   bei    den    männlichen    namen    begegnen    auch    bei    den 
weiblichen   ein   reihe   namen   mit   suffixalem  n  auf  i  auslautend. 
Uualtni  94,  9.  10.  95,  21.  97,  7.    Adaini  94,  11.   95,  8.  32. 
Cundni  94,  12.  97,  5.  35,  1.    Mahalni  94,  13.    Caozni  94,  15. 
95,  19.    Trudni  94,  23.   Hrodni  95, 1.  9.   Hreginni  95,  3.  Odalni 
95,16.   Huuisni  95,35.   Kaemi  96,  14.    Cotani  95,  ll2.  96,  172. 
30,  3.  70,  12.  Aasni  97,  10.    schon  diese  belege  von  der  hand  des 
ersten  Schreibers  reichen  hin,  um  -ni  als  suffixalen  teil  abzutrennen. 
Jacob  Grimm   hat  in  Kuhns  zs.  1,  431  f  diese  bildungen  in   der 
weise  erklärt,  dass  ni  aus  niu  hervorgegangen  sei.    diese  annähme 
verbietet  schon  die  form  Adalniu  94,  21,  welche  zeigt,  dass  niu  als 
zweites  glied  ganz  so  entwickelt  ist  wie  -diu.    weitere  beleg»-  für 
diese  bildung  sind  aus  den  Salzburger  namen  Rihni  35, 11.  100,  5. 
101,2.  Somni  34,  254.  Sundarni  35, 182.  100,2.  EiUini  100,12*. 
Theotni  72,  38.  98,  36.   Haohni  98,  2.   Hraginni  97,  34.    Raginni 
97,25.  Itiny  34, 28.  Kisalni  91,23.  Gisalni  71,24.  Kysalny  19,  lo. 
Mahalni  34,  313.  70,  32.  85,  94.    Cunni  34,  281.    Uualni  Tu.  :,7 
(vgl.  CfaWta  94, 26).  Uuerdni  71, 222.  Kerni  59,26.  Alpni  35, 
Adaini  34,31.  Hrodni  34, 285.  Aotni  34,33.  70,25.  CWa/n  15,12*. 
24,3.   Uualtni  6,6.  Goznil,  4;   aus  Pipers  namen  habe  ich  ver- 
zeichnet idofoi   n  37,  172.    Adaini  ii  497,  5*.    4mi  ii  26  1 
Jhuufoi  ii  37,  IS2.  500,  312.    Cozni  i  163,  S.    n  LI,  17.  21. 
ii  425,  252.  Gemi  u  425,  36.  Keerni  n  425,  30*.   Rihni  n  355,  1  1 : 
es  werden  sich  noch  mehr  stamme  mit  der  bildung    auf  -n 
winnen  lassen,   vgl.  Farani,  Golni,  Sigini,  Tagani  bei  Grimm  a 
flerani,  Eburni,  Frowini,  Gebini,  Hadani,  Liutni,  Randni  '< 


44  SCHATZ 

manu  i  959 f.  man  erkennt  leicht,  dass  kein  nomen  diesem  -ni 
zu  gründe  liegen  kann,  sondern  dass  es  wie  -uni,  -ini  nur  als 
suffixbildung  erklärt  werden  kann,  da  kein  vocal  vor  dem  n  sich 
zeigt,  muss  die  grundform  nach  dem  n  einen  vocal  gehabt  haben, 
-ni  ist  ursprünglich,  der  gleichsetzuug  dieses  feminina  bildenden 
suffixes  mit  dem  idg.  nom.  -ni  widerstehn  die  lautgesetze,  da 
das  i  des  nom.  dieser  bildungen  im  auslaute  geschwunden  ist; 
aber  trotzdem  muss  zu  diesem  suffixe  bei  der  erklärung  gegriffen 
werden,  denn  die  weiblichen  uamen  Hratan  Salzburg  94,18. 
Hraüun  70,  10,  dann  von  späterer  band  Perhtun  27,  232.  Raitun 
98,  1.  Hreitun97,  43.  Eginun9$,Q\  Früun  98,  43.  Trusun  37, lf 
lassen  suffixales  an,  un  erkennen,  das  aus  silbischem  n  nach  con- 
sonauten  entwickelt  sein  könnte  •;  sie  weisen  also  auf  eine  urgerm. 
femininbildung,  die  nur  -ni  gewesen  sein  kann  und  haben  die 
lautgesetztlich  entwickelte  form  mit  Schwund  des  i,  Braune  Ahd. 
gramm.2  §  209,  2.  §  210,  5.  AWalde  erklärt  das  erhaltene  i  in 
der  weise,  dass  der  urgerm.  nom.  zb.  *Hrdpiii  wegen  seines  acc. 
*Hröpnjön  westgerm.  zu  *Hröpnjö  nach  analogie  von  ö-stämmen 
(gebdn  acc,  gebü  nom.)  umgebildet  wurde  und  dass  diese  secundär- 
form  regelrecht  zu  *Hröpni  führen  muste2.  hiermit  ist  zweifellos 
die  richtige  erklärung  gegeben;  das  alter  dieser  bildung  (Wil- 
manus  gramm.  n  §  240)  wird  durch  die  form  Cunni  Salzburg 
34,28*  (8/9  jh.)  bestätigt:  Cunni  ist  aus  Gunpni  entstanden  und 
p  ist  geschwunden  wie  in  sinnan  aus  sinpnan  und  ähnlichen, 
vgl.  Streitberg  Urgerm.  gramm.  §  129,  6b.  der  Zusammenhang 
dieser  bildungen  mit  den  männlichen  namen  auf  -uni  ist  unver- 
kennbar,   vgl.  Theotuni — Theotni,  Adaluni —  Adaini,  Truduni  — 

1  ESchröder  bemerkt  dazu  :  'dass  die  frauennamen  auf  -un  (in  den 
Fuldaer  Urkunden  wenigstens)  morphologisch  zu  beurteilen  sind  wie  die  mo- 
vierten  feminina  auf  in  {Frenchin,  kuningin),  geht  daraus  hervor,  dass  die 
(latinisierten)  flexionsformen  stets  nn  haben,  also  :  nom.  Hruadun,  abl.  dal. 
Hruadunne  Dronke  nr  100;  gen.  Hruadunne  nr  241 ;  n.  pl.  duae  Ruadunnae 
nr388;  vgl.  auch  ebda  den  frauennamen  Uuirlun'. 

2  'diese  neubildung  war  um  so  näher  liegend,  als  durch  einen  solchen 
nom.  Sgl.  fem.  auf  -njö  eine  deutlichere  femininform  gegenüber  den  ent- 
sprechenden männlichen  eigennamen  mit  dem  nom.  Sgl.  auf  -jaz  gewonnen 
wurde,  während  die  daneben  weiterbestehenden  nom.  Sgl.  fem.  -ni  (wie  die 
oben  angeführten  wie  Hratan,  Hraüun  usw.)  im  Sprachgefühl  jedesfalls  als 
zu  den  nom.  sg.  masc.  auf  -iz  {Fulchun,  Eparun  usw.)  in  näherer  be- 
ziehung  stehend  empfunden  wurden'.     AWalde. 


DAS  ÄLTESTE  SALZBÜRGER  VERBRÜDERUNGSBUCH     45 

Trudni,  Ealiduni — Helidni ,  Cundtini —  Cundni,  Hiltuni  (vgl. 
Hiltolf)  —  Hiltini,  Haohuni  —  Haohni,  Kenini  —  Kernt,  Alpuni 
—  Alpni,  Hroduni  —  Hrodni,  Liupuni  —  Liupni,  Asuni —  Aasni, 
Aotuni —  Aotni,  Odaluni —  Odabii;  jeder  versuch,  uni,  ini  etwa 
als  nomen  zu  erklären  ist  ausgeschlossen,  seit  dem  11  jh.  sind 
diese  weihlichen  namen  wie  weggeblasen,  sagt  JGrimm,  und  ebenso 
verschwinden  auch  die  männlichen  dieser  art.  sie  zeigen  den  rest 
einer  urgermanischen  namenbildung,  die  wenigstens  bei  den  femi- 
nina  in  die  idg.  zeit  zurückreicht  und  wol  schon  seit  jeher  als 
ableitung  zu  einfachen  namen  verwendet  war. 

Sicher  zusammen  gehören  die  weiblichen  Salzburger  namen 
Aruna  90,  32.  94,  36.  Siguna  27,  24.  Liutuna  100,4,  wol  alle 
noch  aus  dem  8jh.;  -una  ist  die  erweiterte  nominativform,  die 
in  den  oben  genannten  weiblichen  namen  auf  -un  einfach  vorligt. 
falls  für  Hratan  94,  18  Hratun  die  grammalisch  richtige  form  ist, 
lassen  sich  alle  diese  namen  wie  ahd.  wirtun,  wirtin,  auf  ur- 
sprüngliches -?mi  zurückfuhren,  s.  darüber  Wilmanns  gramm.  u 
§  240,  1. 

Innsbruck.  JOSEPH  SCHATZ. 

ZU  HROTSVITS  THEOPHILUS  v.  17. 

Theophilus  wird  einem  bischof  zur  erziehung  übergeben, 
damit  dieser  ihn  'aus  dem  bronnen  siebenfacher  Weisheit  tränke 
dh.  ihn  in  den  sieben  schuhvissenschaften  des  triviums  und 
quadruviums  unterweise  *. 

Cumque  pio  satis  exhausti  puero  foret  2  ipsi, 
15  Digno  confestim  provectus  hotiore  gradatim 
Perveniebat  ad  officium  sibimet  satis  aptum, 
Quod  lingua  vulgi  scimus  vicedomno  vocitari. 
so  gibt  Baracks  ausgäbe  v.  17,  und  so  glaubte  wol  schon  Celles 
die  züge  der  Münchener  hs.  deulen    zu  müssen,    wenn    er    dem 

1  die  richtige  erklärung  des  bildes  gab  WMeyer  Sitzungsber.  d.  Münch. 
akad.,  philos.-philol.  und  hist.  cl.  1873  s.  58. 

2  Barack   bei    seiner   absonderlichen    Vermutung  forent 

weder  der   parallele  in   den  Gesta  Oddonis  erinnert,  v.  1S1    (=  v.  10$ 
Pertz)  ast  ubi  collecti  visum  fuerat  salin  ipsi,  noch 
bildes  beider  stellen,  des  Boethius  in  der  Gonsolatio  Philosophiae  iv  c.  1.  1 
atque  ubi  iam  exhausti  f'uerit  satis. 


46     v.  WINTERFELD  ZU  HROTSVITS  THEOPHILÜS  v.  17 

versbau  durch  die  waghalsige  änderung  scimus  dictum  vicedomni 
zu  hilfe  kam.  freilich,  wenn  richtig  wäre,  was  Köpke  l  angibt, 
dass  vocitari  von  der  band  des  alten  correctors  zugesetzt  sei,  so 
wäre  die  änderung  nicht  allzuverwegen;  denn  um  die  glaub- 
würdigkeit  des  correctors  (oder  richtiger  der  correctoren)  ist  es 
nicht  zum  besten  bestellt2,  aber  vocitari  ist  unzweifelhaft3  von 
derselben  band  wie  die  ganze  Umgebung  und  nur  darum  dunkler 
geraten,  weil  die  feder  frisch  eingetaucht  war.  Wilhelm  Meyer4 
vermutete  vocari;  indes  eine  Verkürzung  der  schlusssilbe  in  vice- 
domno  wäre  bei  Hrotsvit  unerhört,  und  auch  die  construction 
hätte  ihr  bedenkliches,  da  die  analogie  des  dativs  in  der  Verbin- 
dung mihi  nomen  est  Gaio  nicht  passen  will  :  und  so  allein  könnte 
man  doch  den  ausdruck  rechtfertigen. 

Auszugehn  ist  von  lingua  vulgi.  das  kann  nur  die  spräche 
des  Volkes,  das  deutsche  sein,  im  gegensatze  zum  lateiu  der  ge- 
lehrten nonne.  und  dazu  passt  trefflich  die  wahre  lesart  der 
Münchener  hs.  vicedo  :  natürlich  nicht  vicedeo,  wie  die  Pommers- 
felder  abschrift  auflöst,  sondern  vicedom.  Theophilus  steigt  in 
der  kirchlichen  laufbahn  von  amt  zu  amt,  bis  zum  vitztum,  dem 
Stellvertreter  des  bischofs.  mit  diesem  titel  hat  die  dichterin  ihn 
im  verlaufe  der  legende  zu  nennen;  und  während  sie  später 
immer5  vicedomnus  sagt,  braucht  sie  hier  zur  einführung  die 
volksmäfsige  form. 
Berlin.  PAUL  v.  WINTERFELD. 

1  Hrotsvit  von  Gandersheim  (=  Ottonische  Studien  h,  Berlin  1S69) 
s.  240. 

2  die  begründung  dieser  behauptung  kann  ich  erst  in  der  für  die  Mon. 
Germ.  hist.  vorbereiteten  ausgäbe  bieten,  da  die  kritische  Sachlage  ziemlich 
verwickelt  ist  und  hier  ja  auch  gar  keine  correclur  vorligt. 

3  die  wertvolle  Münchener  hs.  lat.  14485  hab  ich  im  mai  1898  in 
München  verglichen,  wo  ich  mich  der  liebenswürdigen  gastfreundschaft 
Traubes  erfreuen  durfte;  die  Pommersfelder  abschrift  (n.  2883)  wurde  mir 
zu  längerer  benützung  hierher  an  die  königl.  bibliothek  gesant. 

4  aao.  s.  57  anm.  4. 

5  v.  34.  59.  281.  424;  durchweg  als  versschluss.  in  der  Überschrift 
heifst  er  vicedominus. 


DIE  QUELLE 
DER  ORIGO  GENTIS  LANGOBARDORUM. 

Der  versuch ,  als  quelle  wenigstens  des  ersten  teiles  der 
Origo  gentis  Langobardorum  ein  deutsches  allitterierendes  lied 
nachzuweisen  *,  hat  von  verschiedenen  seiten  anfechtung  erfahren. 
Much  freilich  (GGA.  1896  s.  892)  hat  sich  die  Widerlegung  sehr 
leicht  gemacht,  und  auch  Kraus  (Zs.  f.  öst.  Gymn.  47  s.  314)  hat 
keine  gewichtigen  sachlichen  gründe,  die  gegen  jene  annähme 
sprechen  könnten,  beigebracht,  ich  halte  aber  die  frage,  ob  aus 
der  lateinischen  und  prosaischen  Origo  die  existenz  eines  deutscheu 
liedes  zu  erschliefsen  sei,  auch  principiell  für  so  wichtig,  dass  es 
sich  wol  der  mühe  lohnt,  etwas  ausführlicher  darauf  zurückzu- 
kommen, nun  ist  allerdings  von  vornherein  zuzugeben,  dass  sich 
eine  solche  annähme,  da  die  reconstruction  des  ursprünglichen 
niemals  völlig  gelingen  kann,  auch  nicht  mit  völlig  zwingenden 
gründen  dartun  lassen  wird,  dass  man  sich  vielmehr  mit  mehr 
oder  weniger  sicheren  Wahrscheinlichkeitsbeweisen  begnügen  muss. 
gerade  bei  der  Origo  g.  L.  treffen  nun  aber  so  viele  charak- 
teristische und  ins  gewicht  fallende  erscheinungen  zusammen,  dass, 
wie  ich  meine,  die  zweifei  auf  ein  sehr  geringes  mafs  zusammen- 
schwinden müssen. 

Wenn    ich    im    folgenden   versuche,    ein   lied   als  quelle  der 
Origo  zu  erweisen,  setz  ich  dabei  voraus,  dass  das  werkchen  uns 
im  wesentlichen  in  ursprünglicher  gestalt  erhalten  ist.    Mommsen 
(N.  arch.  d.  ges.  f.  alt.  dlsche  geschkde.  5,  5711)  hat    bekanntlich 
darzutun  versucht,  dass  die  Origo    ursprünglich   in  viel  umfang- 
reicherer gestalt  vorhanden   gewesen  sein  müsse,   dass  dies.'  ur- 
origo  die  gemeinsame  quelle  für  die  uns  erhaltene,  einfach  daraus 
excerpierte    Origo,    für   das   sog.   Chronicon   Gothanum    und    für 
Paulus  gewesen  sei,  und  dass  diese  urorigo  höchst  wahrscheinlich 
in  dem  von  Paulus  in  29,  r  40  citierten,  aber  verlorenen  wer 
des  Secundus  von  Trient  De  gestis  Langobardorum  erkannt  h 
müsse,     diesen  ausführungen  Mommsens   gegenüber  scbliefs 
mich  rückhaltlos  den  skeptischen  bemerkungen  von  Wailz 
arch.  5,  421).    insbesondere  der  berichl  des  Paulus  über  d 
Wanderung  des  Volkes  und  die  veranlassung  dazu  weichl  von  d 

«  Spr.  d.  Langobarden  (QF.  75)  s.  I9ff.    Koegel  Gesch.  d.d.lhXi  I 


48  BRÜCKNER 

erzählung  der  OgL.  so  sehr  ab,  dass  von  einer  gemeinsamen 
quelle  nicht  die  rede  sein  kann. 

Um  sicherer  zu  gehn,  behandle  ich  die  Origo  im  folgenden 
nicht  als  ganzes,  sondern  betrachte  die  einzelnen  teile  derselben 
für  sich  gesondert. 

Das  1  capitel  erzählt  die  bekannte  geschichte,  wie  Wanda- 
len und  Winniler  zum  kämpfe  bereit  zusammenstofsen,  wie  Frea 
in  listiger  weise  zu  gunsteu  der  Winniler  eingreift,  und  wie 
Wodan  dann  den  letzteren  zugleich  den  namen  'Langobarden' 
und  den  sieg  über  ihre  feinde  verleiht,  das  erste,  was  es  hier 
zu  überlegen  gilt,  ist  die  frage,  ob  man  überhaupt  als  wahr- 
scheinlich annehmen  dürfe,  dass  dieser  Stoff  in  einem  lgbd.  liede 
behandelt  gewesen  sei,  und  erst  hernach  haben  wir  eventuell  zu 
prüfen,  ob  der  uns  vorliegende  bericht  auf  dieses  lied  zurück- 
geführt werden  könne,  die  antwort  auf  die  erste  frage  kann 
wol  nur  bejahend  ausfallen,  ich  wüste  kaum,  wie  diese  sage 
von  der  ältesten  geschichte  *  des  Volkes,  in  der  mythus  und  ge- 
schichte auf  das  engste  verknüpft  erscheinen ,  den  späteren  ge- 
schlechtern  anders  hätte  überliefert  werden  sollen,  als  in  einem 
epischen  liede.  aus  der  ganzen  anmutigen  und  einfachen  er- 
zählung spricht  ursprüngliche  Volkstümlichkeit;  gelehrte  beigaben, 
die  etwa  aus  einer  andern  quelle  übernommen  sein  könnten, 
fehlen  völlig  :  wir  haben  in  diesem  1  capitel  eine  alte  volkssage 
in  unverfälschter  gestalt  erhalten,  demgemäfs  ist  auch  der  ge- 
danke,  dass  dieser  bericht  auf  einer  epischen  grundlage  beruhen 
müsse,  bereits  mehrfach  ausgesprochen  worden 2. 

Auch  die  darstellung  der  Origo   in  der  form,    wie   sie   uns 

1  für  unsre  Untersuchung  kann  es  dabei  vollständig  gleichgiltig  sein, 
ob  diese  sage  noch  der  lgbd.  urzeit  angehört,  oder  ob  sie,  wie  Koegel  i  109 
annimmt,  erst  auf  der  Wanderung  an  der  Donau  entstanden  ist.  für  letztere 
annähme  seh  ich  aber  keine  zwingenden  beweise,  wo  und  wann  die  Lango- 
barden Wodansdiener  geworden  sind,  können  wir  doch  nicht  mehr  be- 
stimmen, auch  das  naiv  erzählte  vorgehn  der  Frea  gegenüber  Wodan 
scheint  mir  kein  genügender  grund,  die  entstehung  der  sage  verhältnismäfsig 
spät  in  eine  zeit  des  sinkenden  beidentums  hinabzurücken;  die  Handlungs- 
weise der  Frea  erinnert  lebhaft  an  diejenige  der  Hera  gegenüber  Zeus  (II. 
xiv  153 ff);  auch  in  einzelnen  Eddaliedern  finden  sich  ähnliche  naive  züge 
von  den  göttern  erzählt,  in  jedem  fall  aber  ist  die  sage  bereits  in  fertiger 
gestalt  mit  nach  Italien  gebracht  worden. 

2  so  von  Waitz  aao.  s.  422;  Müllenhoff  ßeowulf  s.  101;  Schmidt  Alteste 
gesch.  d.  Langobarden  s.  16;   Simrock  Mylhol.6  s.  365. 


DIE  QUELLE  DER  ORIGO  GENTIS  LANGOBARDORUM     49 

jetzt  vorligt,  zeigt  noch  wesentliche  merkmale  des  liedes.  in 
knapper,  aber  kräftiger  weise  schreitet  die  handlang  zumeist  in 
rede  und  gegenrede  vorwärts;  dabei  fehlen  aber,  trotzdem  das 
stück  docb  verhältnismäfsig  kurz  ist,  die  charakteristischen  epischen 
widerholungen  keineswegs:  so  moverunt  se  ergo  duces  Wanda- 
lorum, id  est  Ambri  et  Assi  und  bald  nachher  Tunc  Ambri  et 
Assi,  hoc  est  duces  Wandalorum  .  .;  ferner  rogauerunt  Fream, 
uxorem  Godan  .  .  und  wenige  Zeilen  später  giravit  Frea,  uxor 
Godan,  lectum  .  .  .'  dem  epischen  Stil  entspricht  es  ferner,  wenn 
der  ral,  den  Frea  den  Wiunilern  gibt,  und  seine  folgen  fast  wört- 
lich mit  denselben  ausdrücken  erzählt  werden  :  Tunc  Frea  dedit 
consilium,  ut  sol  surgente  venirent  Winniles  et  midieres  eorum 
crines  solutae  circa  faciem  (circa  facies  suas  2)  .  .  .  und  dann 
Et  ille  (seil.  Godan)  aspiciens  vidit  Winniles  et  mulieres  eorum 
crinibus  solutis  circa  facies  suas  (2).  für  die  beurteilt! ng  des 
stils  ist  übrigens  diese  stelle  auch  noch  in  anderer  hinsieht 
wichtig,  gemäfs  der  epischen  gewohnheit,  nur  die  hauptmo- 
mente  der  handlung  herauszugreifen,  wird  nämlich  hier  die  aus- 
führung  dieses  rates  von  seilen  der  Win  niler  selbst  gar  nicht 
eigens  erzählt,  sondern  vielmehr,  nachdem  ihnen  der  rat  erteil! 
worden  ist,  sogleich  geschildert,  wie  Wodan  sie  samt  ihren 
weibern  beim  erwachen  erblickt. 

Epische  Variationen  lassen  sich  bei  der  außerordentlichen 
Schlichtheit  der  darstellung  wenige  auffinden,  vielleicht  sind  als 
solche  aufzufassen  :  aut  praeparate  vos  ad  pugnam  et  pugnate 
nobiscum  und  später  tunc  hiciscente  (caelo  add.  2)  sol  dum  Bür- 
geret, viele  stileigeottlmlichkeUen  musten  zudem  natürlicher- 
weise bei  der  Übersetzung  verloren  gehn,  so  besondere  die 
charakteristische  antieipation  des  noch  nicht  genannten  subjeets 
durch  ein  pronomen ;    doch    geht   man  wol  nicht  fehl  in  Sätzen, 

1  es  verdient  hervorgehoben   zu  werden,    dass   in   der   von  Waitz    zu 
gründe  gelegten  Madrider  hs.  (la)  der  Schreiber  den  zusatz  uxorem  < 
das  erste  mal  als  überflüssig  empfunden  und  darum  weggelassen  ha 
rend  umgekehrt  in  der  von  Bethmann  und  auch  von  Schmidt  a  i 
gezogenen  hs.  von  Modena  (2)  an  der  stelle,  da  Ambri  und  Assi  zum 
male  als  duces  Wandalorum  genannt  werden,  hoc  est  durchaus  rieh 
geblieben   ist.     auch  an  manchen  andern   stellen  macht   die  hs.  2 
druck   gröfserer  ursprünglichkeit  gegenüber  la.    ich  werde  darum, 
der   unterschied   der  verschiedenen   laa.   einiyermafsen    von    b< 
scheint,  die  laa.  der  hs.  2  mit  anführen. 
Z.  F.  D.  A.  XL1II.     N.  F.  XXXI. 


50  BRÜCKNER 

wie  moverunt  se  eryo  duces  Wandalorum,  id  est  Ambri  et  Assi 
.  .,  noch  eine  spur  dieses  gebraucbes  zu  sehen. 

Nachdem  der  epische,  liedmäfsige  Charakter  der  erzäh- 
luog  im  allgemeiueu  festgestellt  ist,  kommt  es  auf  den  versuch 
an,  ob  sich  würklich  die  latein.  prosa  ohue  gewaltsamkeit  in 
deutsche  verse  umsetzen  lässt.  es  darf  dabei  wol  darauf  auf- 
merksam gemacht  werden,  dass  die  aussieht  auf  gelingen  um  so 
gröfser  erscheint,  je  weniger  gewant  die  lateiu.  widergabe  ist.  ich 
habe  darauf  bereits  bei  besprechung  der  von  Paulus  erzählten 
langobard.  sagen  hingewiesen  (Spr.  d.Lgbd.s.  19),  und  aus  dieser 
einfachen  erwäguug  erklärt  es  sich  auch,  dass  Grimm  (Lat.  ged. 
d.  ma.s  s.  99)  nur  so  spärliche  spuren  des  Stabreims  im  Waltharius 
hat  erkennen  können,  bei  der  Origo  hoff  ich,  dank  der  über- 
aus schlichten  darstellung,  gegen  Kraus  zeigen  zu  können ,  dass 
hier  die  allitterierenden  spuren  so  deutlich  und  ausgedehnt  sind, 
dass  zufall  ausgeschlossen  ist.  dazu  kommt  nun  noch  eine  eigen- 
tümlichkeit,  die  sich  nur  unter  der  Voraussetzung  einer  ursprüng- 
lichen lässung  in  verse n  erklärt  :  die  darstellung  bewegt  sich 
uämlich  in  auffallend  kurzen  Sätzen  oder  doch  scharf  markierten 
Satzgliedern,  die  ungefähr  der  länge  eines  halbverses  entsprechen, 
diesem  umstand  kommt  um  so  mehr  gewicht  zu,  wenn  mau  deu 
völlig  verschiedenen  charakter  des  latein.  satzbaues  berücksichtigt, 
neben  der  alliteration  ergibt  sich  so  ungezwungen  auch  die  vers- 
einteilung. 

Im  folgenden  versuch  ich  nuu,  iu  ähnlicher  weise,  wie  ich 
es  schon  Spr.  d.  Lgbd.  s.  19 ff  getan  habe,  die  recoustruetiou. 
dabei  bemüh  ich  mich  natürlich  nicht,  die  mutmafslichen  lgbd. 
flexionsformen  herzustellen,  und  setze  substantiva  uud  verba  in 
der  regel  im  uominativ  •  und  infinitiv,  oft  in  ahd.,  gelegentlich 
auch  in  ags.  oder  as.  form  an.  bei  widerholter  genauerer  prü- 
fung  ist  es  möglich,  den  grösten  teil  des  1  capitels  metrisch 
wider  herzustellen;  ich  setze  darum  diejenigeu  partien,  die  ich 
schon  früher  ausgehoben  habe,  hier  im  zusammenhange  noch 
einmal  her.  dass  freilich  einzelne  stellen,  so  lange  mau  jegliche 
änderung  zu  meiden  sucht,  nicht  durch  allitteriereude  Wendungen 
widergegeben  werden  können,  darf  nicht  verwundern,  auch 
gegen  einzelne  Übersetzungsvorschläge  mögen  bedenken  geltend 
gemacht  werden;  doch  hoff  ich,  dass  auch  dann  uoch  des  sichern 
Keuug  übrig  bleibt. 


DIE  QUELLE  I>ER  ORIGO  GENTIS   LANGOBARDORUM     51 

Est  insula  qm  dicitur  Scadanan,  quod  inlerpretalur  excidia, 
in  partibus  aquilonts,  ubi  multae  gentes  habitant; 

Tferod 
inter  quos  erat  gens  parva,  quae   Winnili  vocabalur  '. 
El  trat  cum  eis  midier  nomine  Gambara,  habebatque  duos  filios: 

(2)         (li 
5  nomen  uni  Hör  et  notnen  alteri  A.gio-. 
ijjsi  cum  matre  sua  nomine  Gambara 

givrald3  aiw>-- 

principatum  tenebant  super   Winniles.     Moverunt  se  ergo 

erl  (oder  adaliiiü) 

duces   Wandalorwn,  [id  est]  A:mbri  et  A.ssi-\ 

we (2)  (l) 

cum   exercitu  suo  et  dicebant  ad   Winniles: 
gamban  geldanü  garuaiao' 

10  'Aut  sohlte  nobis  tributa  aut  praeparate  von 

ffi:  witi  ii  an 

ad  pugnam  et  pugnate  nobiscum'. 

anduaordian  B 
Tunc  responderunt  Ibor  et  jigio 
cum  matre  sua  Gambara  (nomine  übergeschr.  2)9: 

bazzira  badu 

'Melius  est  nobis  pugnam  praeparare 

1  erat  gens  parva  quae  Winnili  vocabalur  könnte  der  anfang  des 
liedes  gewesen  sein;  die  stelle  erinnert  an  den  eingang  andrer  lieder, 
die  freilich  erst  aus  späterer  zeit  stammen,  so  des  Ludwitj^liedes  Einen 
kuning  weiz  ih,  heizsit  her  Hludwig ,  der  alt.  Judith  Ein  kunine  hiz 
Holo/'erni   uaa.  2    vgl.    ags.  Wendungen  wie   ine   ww.s  Dt-or   norna 

Sängers  trost  37,   him  wces  JEscferh  nama  Byrhtn.  267. 

3  vgl.  ags.  geweald  ägan.  habban,  as.  giuuald  vgan,  hebbian   > 
auch  mit  obar  Sievers  Hei.  s.  423.  415.    das  tenebant  des  te.xtts  ist  wol  in 
den  vorhergebnderj   vers   zu  stellen.  -i.  mlid.  rieh  orwegen  Mhd. 

wb.  m  633a;    statt   an   arwegan  lässt   sich    auch   an    das  einfache  verbum 
(vgl.  ags.  wegan  Grein  iv  655  f)  oder  an  ein  davon  abgeleitetes  -wv 
(vgl.  ahd.  eruuegela  sili  diu  erda  Grall  i  659). 

5  die  beiden  halbverse  sind  vielleicht  umzustellen. 

6  vgl.  ags.  gomban  gyldan    und    die  entspr.  äs.   und   altn.  losdrücke, 
Sievers  Hei.  s.  454.  ~  vgl.  ags.  gegyrwan  16  gtiie  Beow. 
gegearewod  lo  campe  lud.  199.  8  die  beiden  halbvere  ■■■   um- 
zustellen; statt  anduuordian  kann  auch  at.->.  andsvarian  Ol 

gesetzter  ausdruck  wie  as.  anduurdi ,    andtnor  getan,    die    >ich    an 
ags.  finden,  vermutet  werden;  s.  Sievers  II 
3  dieselbe  Verbindung  wie  oben   \. 

»* 


52  BRÜCKNER 

(Jairewandilum  '  gamban  geldan 

15  quam   Wandalis  tributa  persolvere''. 

eil  (ode?'  adaling) 

Tunc  Ambri  et  Assi,  [hoc  est  fehlt  2]  duces  Wandalorum, 

Wodan2 
rogauerunt  Godan,  ut  [daret]  eis  super   Winniles 

sigu  saljan3 

victoriam  (daret). 

wordun  sprak4 

Respondit    TVodan  et  dixit  (dicens  1): 

sunna  up(sügan)5    air       sehan 

20  'Quos  sol  surgente  antea  videro 
saljan     sigu6 
ipsis  dabo  victoriam'. 
Eo  tempore  Gambara  cum  duobus  füiis  suis 

adaling  oder  erl 
[id  est  fehlt  2]  Ibor  et  Agio,  qui  erant  principes  super  Winniles 

as.  f ri 7 
rogauerunt  JFrearn,  uxorem   Wodan, 

1  die  Stellung  ist  zu  ändern  in  quam  tributa  persolvere  IV.  Much 
nimmt  besonders  an  der  vorgeschlagenen  bezeichnung  *Gairewandilos  an- 
stofs.  es  ist  freilich  nicht  zu  leugnen,  dass  für  einen  solchen  Vorschlag 
keine  bestimmten  beweise  zu  erbringen  sind,  und  dass  im  hinblick  auf  die 
zahlreichen,  zum  zwecke  der  auszeichnung  componierten  ags.  volksnamen 
auch  irgend  eine  andre  Zusammensetzung  denkbar  wäre,  da  es  aber  kaum 
zufall  sein  kann,  dass  gerade  ahd.  Kerwantil  und  Gerwentila  fem.  nach 
Forst,  i  1254  die  einzigen  mit  dem  namen  der  Wandalen  an  zweiter  stelle 
zusammengesetzten  namen  sind,  ist  der  obige  Vorschlag  weniger  bedenklich. 

2  ich  setze  im  folgenden    die  form  mit  w   ohne  weiteres  in  den  text. 

3  vgl.  ags.  sige  syllan  Wald,  ii  25  und  sigor  seilen  Gen.  2808;  ähn- 
lich sige,  sigor  forgifan  El.  144,  Jud.  89. 

4  Wendungen  wie  uuordon  sprecan,  inid  uuordon  seggian  sind  im 
as.,  wie  im  ags.  häufig;  vgl.  Sievers  Hei.  s.  442.  zu  der  Verbindung  respon- 
dit et  dixit  sind  stellen  zu  vergleichen  wie  Beow.  340  f. 

5  das  relat.  quos  ist  wol  in  den  zweiten  halbvers  zu  nehmen;  zur 
Übersetzung  des  lat.  surgere  vgl.  ags.  hi  (sunne)  ofer  moncyn  stiko  d 
upweardes  Metr.  13,  61  oder  mhd.  er  (der  tac)  sligetüf  Wolfr. ;  ähnl.  siftdan 
up  cumei  ceüele  sunne  Ps.  103,  21. 

6  es  ist  bemerkenswert,  dass  ipsis  dabo  victoriam  hier  wie  oben  8 
(ut)  victoriam  daret  als  rest  eines  verses  übrig  bleibt,  vielleicht  ist  an 
beiden  stellen  dasselbe  zu  ergänzen. 

7  uxor  Wodan  als  epitheton  der  Frea  findet  sich  wider  v.  31;  wir 
werden  ohne  zweifei  den  ausdruck  beiclemale  in  derselben  weise  übersetzen 
müssen,    es  ist  wol  anzunehmen,  dass  Frea  im  1  halbvers  träger  des  stab- 


DIE  QUELLE  DER  ORIGO  GENTIS  LANGOBARDORUM 

25  ut  ad  Winniles  esset  propitia  l. 

räd2  (2)     (1)  urrisan,  ags.  ärisan 

Tunc  Frea  dedit  consilium,  ut  sol  surgente 

wib3 
venirent  (fehlt  2)    Winniles  et  mulieres  eorum 

här  hlcor 

crines  solutae  circa  faciem  (facies  suas  2) 

as.  an  gilicnissie  liudwerosV  ' 

in  similitudinem  barbae  et  cum  viris  suis  venirent. 
30  Tunc  luciscente »  (caelo  add.  2),  dum  sol  surgeret, 
as.  fri6 
giravit  Frea,  uxor  Wodan, 

lectum,  ubi  recumbebat  vir  eins, 

ags.  andwlita  austar7 

et  fecit  faciem  eius  contra  orientem 

reims  gewesen  sei,  dass  also  uxor  mit  Frea  allitteriert  habe;  zur  Über- 
setzung bietet  sich  aber  dann  wol  kaum  etwas  passenderes  als  as.  fri. 
doch  ist  es  auch  möglich,  dass  uxor  ein  andres  wort  widergibt,  dann 
muss,  wie  ein  paarmal  im  Beowulf,  im  1  halbverse  das  verbum  allitteriert 
haben  (vgl.  Sievers  Metr.  §  24,  3);  man  könnte  dann  für  rogare  an  ags. 
wilnian  (:  Wodan)  oder  an  blddian  (:  brüd  'uxor')  denken,  im  folgenden 
v.  32  ist  in  diesem  falle  giravit  durch  wandjan  (:  Wodan)  zu  übersetzen. 
1  zur  Übersetzung  des  lat.  propitium  esse  würde  sich  ahd.  wegön 
(:  Winnili)  trefflich  eignen,  da  aber  das  wort  nur  ahd.  vorhanden  gewesen 
zu  sein  scheint,  ist  es  nicht  sicher,  ob  wir  es  für  das  lgbd.  voraussetzen 
dürfen.  2  vgl.  as.  rdd  getan    und  die  entsprechenden  ags.  und  ahn. 

Wendungen,  Sievers  Hei.  s.  440.  3  vgl.  ags.  weras  .  .  and  heora  wif 

somed  Gen.  1358  u.  2418;  ähnl.  Adam  .  .  .  and  his  wif  somed  Gen.  456. 

4  da  in  hs.  2  cum  viros  suos  über  der  zeile  nachgetragen  ist  und  ve- 
nirent nur  einmal  steht,  ist  vielleicht  diese  widerholung  et  cum  viris  suis 
venirent  nicht  ursprünglich,  man  konnte  darum  versucht  sein  in  similitu- 
dinem barbae  nach  mafsgabe  von  Hei.  987  zu  einem  vollständigen  vers< 
zu  ergänzen    :   an  gilic/dssie  langes  bardes. 

5  luciscente    (caelo  2),    wofür   das   folgende   dum    sol    mrgarat   .in. 
Variation    ist,    ist  kaum    genau   zu  übersetzen,      man  möchte   an  ein. 
zahlreichen  mit  suigli  gebildeten   ausdrücke  denken,     der  Stabreim  sunna  : 
suigli   [Höht  etc.)   findet   sich    häufig;    zb.  tlüu  sunna  uuarth 

ni  mahta  suigli  Höht  sconi  giscinan  Hei.  5025;  suigli  tunnun   \ 
ags.  sippan  morgenleoht  .  .  .  sunne  sweglwered  süpan  tcfnelt  B 

c  vgl.  oben  zu  v.  24. 

7  dem  verse  würde  eine  wendung  genügen  wie  ahd.  sa  östarßulöu, 
as.  te  ostarhaluon.  statt  andwlita  könnte  auch  eine  dem  abd.  anthiU* 
entsprechende  form  vermutet  werden. 


54  BRÜCKNER 

Wakjan  ags.  wlitan  l 

et  excitavit  eum.    Et  ille  nspiciens 
wib 
35  vidit   Winniles  et  mulier  es  eorum 

här  Weor 

crinibus  solutis  (habentes  crines  solutas  1  a)  circa  facies  suas  (2), 
et  ait  :  'Qui  sunt  isti  Longibarbae? ' 

(2)  (1)         wordun  sprak2 

Et  (fehlt  2)  [dixit]  Frea  ad   Wodan  (dixit): 
Sicut    (postquam   domine   add.  2)  dedisti  nomen,    da    Ulis   et 
40  victoriam.    Et  dedit  eis  victoriam  {Et  —  vict.  fehlt  2),  ut  ubi 
visum  esset  vindicarent  se  et  victoriam  haberent  (Ubi  illorum 
est  vindicare  et  victoriam  habere  2).    Ab  illo  tempore  Winnilis 
Langobardi  vocati  sunt  (facti  sunt  Lang.  2)3. 
Etwas  anders  liegen  nun  die  Verhältnisse  bei  den  folgenden 
capp.  der  Origo.     auch  diese,  die  von  der  Wanderung  des  volkes 
erzählen,    enthalten    ohne    zweifei    echt   volkstümliche   tradition. 
dass   es  lieder   darüber   gegeben   hat,   ist   an  sich  höchst  wahr- 
scheinlich,   da  wir  ja  bei  Paulus  mehrfach   historische  lieder  bei 
den  Langobarden   bezeugt  finden,     die   in  einzelnen  teilen  etwas 
trockene,  katalogartige  darstellung  kann  nicht  als  grund  geltend 
gemacht  werden  gegen  die  annähme,  dass  sich  in  der  Or.  noch 
reste  dieser  lgbd.  poesie  erhalten  haben  können,  denn  ähnliches 

1  im  unterschied  von  wlitan  '  aspicere'  ist  dann  das  folgende  vidit 
mit  gasah  zu  übersetzen;  vgl.  Beow.  1591  f: 

Sona  ßwt  gesdwon  snottre  ceorlas, 
pd  (5e  rnid  Hröbgäre  on  holm  wliton. 
zum  folgenden  vgl.  27  f. 

2  vgl.  oben  v.  19. 

3  vermutlich  ist  auch  hier  die  lesart  von  2  vorzuziehen  :  Et  dedit  eis 
victoriam  in  1  kann  aus  leicht  erklärlichen  gründen  zugesetzt  worden  sein, 
wogegen  der  ausfall  weniger  begreiflich  wäre,  wie  oben  das  auftreten  der 
Winniler  mit  ihren  weibern  zum  kämpfe  nicht  eigens  erzählt  wird,  so  kann 
auch  hier  die  bemerkung  et  dedit  eis  victoriam  gefehlt  haben;  der  ausgang 
wurde  aus  dem  folgenden  ubi  illorum  est  vindicare  .  .  doch  völlig  klar, 
leider  scheint  aber  der  schluss  überhaupt  nicht  in  der  ursprünglichen 
form  erhalten  zu  sein;  wenigstens  kommt  der  versuch,  auch  in  diesen 
Schlusszeilen  den  allitterierenden  spuren  nachzugehn,  nicht  über  unsichre 
Vermutungen  hinaus,  einzelnes  ist  freilich  noch  zu  erkennen,  so  das  schon 
erwähnte  sigu  saljan  für  victoriam  dare,  wozu  sigidrohtin  für  domine  als 
Stabreim  zu  vermuten  ist.  auch  die  coordinierten,  gleichbedeutenden  verba 
vindicare   et  victoriam  habere  sind   für  den   epischen  stil  charakteristisch. 


DIE  QUELLE  DER  OftlGÜ  GEMIS  LANGOIUKDOKL.M 

ist  aus  dem  ags.  zur  genüge  bekannt,  einen  bestimmten  anhalts- 
punct  nun  für  diese  ansieht  glaub  ieb  in  dem  schon  Spr.  d. 
Lgbd.  18t*  herausgehobenen  salze  des  Paulus  i  20  gefunden  zu 
haben  :  Tato  vero  Rodulfi  vexillum,  quod  bandum  appellant,  eius- 
que  galeam,  quam  in  bello  gestare  consueverat,  abstulit.  den  höchst 
überflüssigen  zusatz  quam  in  bello  gestare  consueverat  vermag  ich 
mir  nicht  anders  zu  erklären,  denn  als  Übersetzung  eines  deutschen 
compositums,  wie  ags.  guühelm,  heaftohelm.  bei  dieser  auffassung 
ist  der  eigentümliche  ausdruck  sofort  verständlich,  nun  ist  es 
aber  doch  wol  kein  zuläll,  dass  gerade  an  dieser  stelle  bei  Paulus, 
wie  in  der  Orig. ,  die  eben  hier  fast  völlig  mit  der  im  übrigen 
viel  ausführlicheren  darstellung  des  Paulus  übereinstimmt,  auch 
das  lgbd.  wort  bandum  'vexillum,  arma'  erhalten  ist,  wozu  sich 
dann  ohne  weiteres  für  galeam,  quam  .  .  consueverat  als  Stabreim 
baduhelm  ergibt1,  wenn  wir  nun  daraus,  wie  ich  glaube,  mit 
ziemlicher  Sicherheit  schliefsen  dürfen,  dass  ein  deutsches  lied 
die  kämpfe  der  Laugobarden  mit  den  Herulern  besungen  bat,  so 
sind  wir  wol  berechtigt,  auch  in  den  vorangehuden  und  folgen- 
den partieu  der  Origo  den  spuren  desselben  uachzugehn,  um 
so  mehr,  da  ja,  wie  ich  gezeigt  zu  haben  hoffe,  auch  das  1  cap. 
auf  poetischer  grundlage  beruht  und  der  stil  der  ganzen  dar- 
stellung im  wesentlichen  derselbe  bleibt. 

Ich  hoffe  nun,  trotz  manchen  Schwierigkeiten  im  einzelnen, auch 
für  längere  partien  aus  den  capp.  2 — 4  den  nachweis  erbringen 
zu  können,  dass  sie  auf  ein  alliterierendes  lied  zurückgeht),  mit 
ausnähme  des  zweiten  teiles  von  cap.  4 ,  für  den  wir  wol  mit 
recht  eine  andre  quelle  annehmen  dürfen  (s.  u.),  widerstreben 
im  Verhältnis  zu  den  umfangreichen  stücken,  die  sich  metrisch 
übersetzen  lassen,  nur  kurze  abschnitte  einer  rückübersetzung, 
sodass  sie,  wie  ich  glaube,  nicht  als  beweis  gegen  die  obige 
annähme  geltend  gemacht  werden  dürfen. 
cap. 2.  Et  moverunt  se  exhinde  Langobardi  et  (bis  hierhin  fehlt  2) 

gangan  cuman?2 

venerunt  in   Golaida 

et  postea  [possederunt]  alduites  Anthaib  [possederunt) 

et  Bainaib  (possederunt)  seu  et  Burgundaib. 
1  vgl.  die  vielen  ags.  composita  mit  beadu  wie  beadogrtn 
Grein  in  100.  -  vgl.  as.  gangan  cuman,  ags. 

Hei.  s.  429;   zb.  antthat  tkar  weros  östan,  suttto  glauua  gtmon 
qudmun  Hei.  542. 


56  BRÜCKNER 

keosan  kuning1 

5  Qui  ibi  fecerunt  sibi  regem  (hs.  2)  [et  dicitur,  quia  f.  s.  r.   1  a] 

(2)         (l) 
nomine  (fehlt  2)  Agilmund,  filium  Agioni  [ex  genere  Gugingus] 2. 

(2)  (t) 

Et  post  ipsum  regnavit  Lamicho,  deinde  regnavit  Leth  (hs.  2) ; 
unde  dicitur,    quia  regnavit   plus  minus  annis  quadraginta.     Et 
post  ipsum  regnavit  Lelhun  .  .  .  . 3  (hs.  2) 
üz  (faran)4 
10  cap.  3.    lllo  tempore  exivit  rex  Audoachari 
de  Ravenna  cum  exercitu  Alanorum5, 

(2)  (1) 

et  venu  in  Hugilanda  et  pugnavit  cum  Muges  (2), 

Peodan 
et  occidit  Theuuane6,  regem  Rugorum, 

1  vgl.  kioxan  te  cuninge  Hei. 62. 2884,  ags.  cyning  geceösan  Beow.1851. 

2  der  zusatz  ex  genere  Gug.  ist  in  2  erst  am  rande  nachgetragen; 
er  scheint  aus  dem  Prol.  Edicti  zu  stammen,  hs.  la  setzt  ihn  auch  nach 
Lamicho,  wo  er  offenkundig  interpolation  ist,  vgl.  Mommsen  NA.  5,  68. 
wenn  man  den  zusatz  an  erster  stelle  behalten  will,  so  ist  er  wol  mit  dem 
vorhergehnden  verse  zu  verbinden  {curun,  cuning  :  eunni). 

3  der  schluss  des  capitels  in  hs.  2  ist  zum  grösten  teil  unleserlich; 
es  scheint  aber,  dass  diese  hs.  auch  hier  den  vorzüglicheren  text  geboten 
hat,  da  sie  offenbar  einen  deutlichen  unterschied  zwischen  Leth,  dem  vater, 
und  Lethun(g),  dem  söhne,  gemacht  hat;  in  den  andern  hss.,  auch  bei 
Paulus,  gehn  dagegen  die  formen  Leth  und  Lethunc,  Lethuc  uaa.  bedeu- 
tungslos durcheinander.  Lethun(g)  war  an  unsrer  stelle  wol  als  beiname 
des  sohnes  gefasst;  Waitz  in  s.  ausgäbe  hat  die  bedeutung  dieser  lesart  offen- 
bar misverstanden. 

4  vgl.  ags.  hie  (die  Juden)  of  Egyptum  üt  dföron  Dan.  6  uaa. 

5  dass  Odoaker  könig  der  Alanen  ist  (in  hs.  2  nur  norum  lesbar), 
scheint  ein  zug  der  lgbd.  sage  zu  sein.  Paulus  nennt  an  ihrer  stelle  die  bei 
Jordanes  Get.  c.  46  erwähnten  völkerstämme;  vgl.  Mommsen  NA.  5,  70. 
auch  v.  11  wäre  im  zusammenhange  mit  10  durch  eine  unbedeutende  än- 
derung  leicht  in  Ordnung  zu  bringen: 

Üz 

lllo  tempore  exivit  Audoachari  cum  A-lanorum  exercitu 

rihhi  (cuning)         Ravennaburg 

rex  de  Ravenna. 

für  die  Übersetzung  von  rex  verweis  ich  auf  die  in  allen  germ.  idiomen  viel- 
gebrauchten Verbindungen,  wie  ther  kuning  richo,  riki  thiodan,  the  rikeo 
drohtin  uaa.  Sievers  Hei.  s.  401. 417;  vgl.  bes.  fon  Rümuburg  riki  thiodan  63. 

6  die  Uurzform  Theuua  zum  vollnamen  Feletheus  (Paul,  i  19)  hätte 
Mommsen  aao.  s.  70  anm.  1   nicht  nach  Eugippius,   Paul,  und  Ghron.  Goth. 


DIE  QUELLE  DER  ORIGO  GENTIS  LANGOBARDORUM     57 

filu  (3)        (2)         förian  (1) 

secumque  multos  captivos  duxit  in  Italiam. 

land 
15  Tunc  exierunt  Langobardi  de  suis  regionibus 

Wonöti  wintar1 

et  habitaverunt  in  Rugilanda  annos  aliquantos. 

(2)  (l) 

cap.  4.    Post  eum  regnavit  Glaffo'1,  filius  Godehoc. 
Et  post  ipsum  regnavit  Tato, 

sunu  säzun 

filius  Godehoc.     Sederunt  Langobardi 
20  in  campis  Feld 

wintar  winnan 

annos  tres.     Pugnavit  Tato 

Hrödulf     (2)  (1) 

cum  Rodolfo,  rege  Herulorum, 

et  occidit  eum, 

baduhelm3 
(et  atid.  2)  tulit  bando  ipsius  et  capsidem. 

a.i.  hei  dorn  (oder  heridöm)4 
25  Post  eum  Seruli    regnum  non  habuerunt. 

(2)  (1) 

Occidit  Wacho,  filius  Winichis 5, 
Tatonem  regem,  barbanem  suum,  cum  Zuchilone. 
in  dem  folgenden  stück  werden  die  spuren  der  allitterierendeo 
grundlage  weniger  deutlich  :  Et  pugnavit  Wacho  et  pugnavit  Ildichis 
(Wacho  cum  lld.2),  filius  Tatoni,  et  fugit  Ildichis  ad  Gippidos,  ubi 
mortuus  est.  Iniuria  vindicanda  (et  mortuus  est  ibi  in  injuria  vindi- 
canda.     Et  2)  Gippidi  scandalum  commiserunt  cum  Langobardis 

in  Fewa  zu  ändern  brauchen,  obwol  letztere  form  der  gebräuchliche 
beiname  des  Feielheus  war.  der  reim  verlangt  hier  die  form  Thewa.  zu 
regem  Rugorum   vgl.  ags.  Peöden  Scyldinga,  Heaüobeardna  (Jrcin  iv  586. 

1  vgl.  ags.   and  wintra   r'im  wunian  seoüüan   Christi  höllenfahrt  55, 
and  wintra  feola  wunian  mdtUm  ibid.   120. 

2  die  hss.  der  Origo  lesen  alle  Claf(f)o;  allein  im  Prol.  Bd.   OD 
i  20  bieten  mehrere  der  besten  hss.  die  ältere  form  :  Glaffo  *=agi    •. 

3  vgl.  oben  s.  55.  4  vgl.  hebbian  fsnigan  In'rdöm   Bei. 

5  Winichis  ist  zu  lesen  nach  den  beslen  hss.  dea  Edicls;  in  I 
der  name  unleserlich;  la  bietet  Lnichis,  lb  irrtümlich  Uibmchit. 

6  einiges   lässt  sich    noch  vermuten  :   regem   ist  vielleicht  dur. 
brego  (:  barbariem),  das  zweimalige  pugnavit  gewis  durch  winn 
widerzugeben,      für   fugit  möchte   man    an  ags.  biigan  denken  im  reim 


58     DIE  QUELLE  DER  ORIGO  GENTIS  LANGOBARDORUM 

Die  fortsetzung  des  capitels  4  weist  keine  erkenbaren 
spuren  eines  allitterierenden  liedes  auf;  offenbar  beruhen  die  an- 
gaben über  die  drei  frauen  des  Waclio  und  seine  verschiedeneu 
kinder  auf  einer  andern  quelle,  nur  gegen  ende  des  capitels  finden 
sich  einige  sätze,  die  sich  metrisch  übertragen  lassen,  und  die  ihres 
inhalls  und  auch  ihres  Stiles  wegen,  wol  direct  an  die  vorangehnde 
erzählung  von  Wachos    sieg  über  Ildichis  anzuschliefsen  sind: 

2  1 

Mortuus  est  JVacho,  et  regnavit  [filius  ipsius]  Walthari 

sunu  2        1  sibun 

(filius  ipsius)  annos  Septem.. 

galihho?2 
(farigaidus  fehlt  2)  :  Isti  omnes  Lethinges  fuerunt. 

In  den  schlusscapiteln  (5  ff)  endlich  sind  gar  keine  spuren 
einer  poetischen  quelle  zu  entdecken,  mehr  als  die  ersten  capitel, 
die  vielfach  sagenhafte  züge  überliefern,  enthält  dieser  teil  der  Origo 
würkliche  geschichte.  es  zeigen  sich  bemerkenswerte  stilunter- 
schiede :  während  am  anfang  die  erzählung  meist  in  kurzen,  einfachen 
Sätzen  vorwärts  geht,  begegnen  wir  hier  vielfach  längern  con- 
structionen;  und  während  im  1  cap.  die  redenden  personeu  direct 
eingeführt  werden,  finden  wir  in  der  ziemlich  ausführlichen  er- 
zählung von  Rosemuude  und  Hilmichis  nirgends  directe  reden, 
als  beispiel  stell  ich  einige  sätze  aus  dem  schluss  des  5  capitels 
hierher  :  Tunc  ortare  coepit  Longinus  praefectus  Rosemunda,  ut 
occideret  Hilmichis  et  esset  uxor  Longini.  Audito  consilium  ipsius, 
temper  avit  venenum  et  post  balneum  dedit  ei  in  caldo  bibere.  Cum- 
que  bibisset  Hilmichis,  intellexit,  quod  malignum  bibisset;  praecepit, 
ut  ipsa  Rosemunda  biberet  invita;  et  mortui  sunt  ambo.  dazu 
kommt  vor  allem  der  umstand,  dass  sich,  von  vereinzelten  namen- 
paaren wie  Albsuinda  filia  Albuin  regis  abgesehen,  hier  keine 
spur  von  Stabreim  findet,  um  so  weniger  wird  man  es  für  zufall 
halten  dürfen,  dass  sich  die  aufangspartien  der  Origo  grofsenteils 
mühelos  in  allitterierende  verse  umsetzen  lassen. 

Basel,  31  december  1897.  WILHELM  BRÜCKNER. 

harn  {filius  Tatonis).      für  mortuus  est  bieten  sich  Wendungen  wie  as.    li 
forliosan  oder  ägeban,  womit  leid  'iniuria'  allitterieren  möchte. 
1  vgl.  mhd.  al  geliche. 


DER  DIALOG 
DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES. 

Ich  gebe  zunächst  einen  neuen  textversuch  und  bezeichne 
in  fufsnoten,  was  er  an  eigenen  besserungen  enthält;  von  andern 
aber  nur  solche,  die  nicht  allgemein  anerkannt  sind,  im  n  teil 
folgt  ein  eingehnder  commentar,  auf  dessen  grundlage  ich  im 
in  teil  eine  künstlerische  gesamtcharakteristik  des  wichtigen  denk- 
mals  unternehme. 

i 
7  Hiltibrant  gimahalta,       her  uuas  heröro  man, 
ferahes  frötoro:       her  fragen  gistuont 
föhem  uuortum       hvver  sin  fater  wäri 
10  fireo  in  folche:        'eddo  sage  zi  furist  dinan   namun, 
so  chundu  ik  dir  in  wäri,       hwelihhes  cnuosles  du  sis. 
ibu  du  mi  6uan  sagßs,       ik  mi  dö  ödre  uuet, 
chind,  in  chunincriche:       chüd  ist  mir  al  irmindeot.' 
14  Hadubrant  gimahalta,       Hillibrantes  sunu: 
17  'ih  heittu  Hadubraut:       Hiltibrant  min  fater. 
forn  her  östar  giweit       (flöh  her  Otachres  nid) 
hiua  miti  Theotiihhe       enti  sinero  degano  filu. 

20  her  furla3t  in  lante       luttila  sitten 

21  prüt  in  büre,        harn  unwabsan. 

28  chüd  was  her  6r       chönu£m  mannum: 

doh  lango  nü  Mut  ni  cham,       m  wäoiu  ili  iü  lil>  habbe'. 
30  'wettu  irmingot      obana  ab  hevane, 

8  wegen  der  lücke ,  die  vielleicht  nach  diesem  vert  an»tuet%en  ist, 
vgl.  später  s.  63.  10.  11  s;iure  —  wäri,  fehlt  in  der  Ju.  IT  in 

der  lis.  beginnt  die  rede  Hadubrands  :  [15]  dal  Bagetan  mi  aaere  liuti 
[16]  alte  anti  frote  dea  erhina  warun  [17]  dat  Hiltibrant  hsetti  min  fater  ili 
heittu  Hadubrant.  21.  2S   zwischen  diesen  beiden  versen  steht  in  der 

hs.  arbeo  laosa  hera&  ostar  hina  d&  sid  detrihhe  darba  gistuonlam  i.i 
mines.     dat  uuas  so  friuntlaos  man  her  was  otacbre  ummet  tirri 
chisto  unti  deotrichhe  darba  gistontun  her  was  eo  folcbea  ;it  eot< 
eo  feh&a  ti  leop;  nach  Braunes  lesebueh*  :  [22]  arbeo 
hina.  [23]  sid  Detrihhe  darba  ^istuontan    [24]   faterea   mtnea.     dal  - 
friuntlaos  man  :  [25]  her  w;i>  Otacbre  ummet  tirri, 
Deotrichhe.  [27]  her  w;i>  eo  folches  al  ente  :  imo  was  e< 

28  er  fehlt  hs.  29  die  erste  halbseile  fehlt  hs. 


60  JOSEPH 

dat  du  neo  dana  halt       —  ih  bin  Hiltibrant,  din  fater!  — 

mit  sus  sippan  man       sulili  dinc  ni  gileitös! 

want  her  dö  ar  arme       wunlane  bougä, 

cheisuringn  gitän,       so  imo  se  der  chuning  gap, 
35  Hüneo  truhlfn :       'dat  ih  dir  it  nü  hi  huldi  °ibu!' 

Hadubrant  gimahalta,       Hiliibrantes  sunu: 

'mit  geru  scal  man       geba  man  infähao, 

ort  widar  orte:       after  ekköno  spile. 

du  bist  dir,  altör  Hün,       ummet  spähör, 
40  spenis  mih  dinßm  wortun,       wili  mih  dinu  speru  werpan. 

pist  also  gialtet  man,       so  du  6win  inwit  fuortös. 

dat  sagßtun  ml       seolldante 

westar  ubar  wentilseo,       dat  inan  wie  furnam: 

tot  ist  Hiltibrant,       Heribrantes  suno'. 

45  Hiltibrant  gimahalta,       Heribrantes  suno: 
49  'welaga  nü,  waltant  got,       weHvurt  skihit! 

ih  wallöta  sumaro       enti  wintro  sehstic, 
dar  man  mih  eo  scerita       seeotantero  in  lolc, 
so  man  mir  at  burc  önigeru      banun  ni  gifasta: 
nü  scal  mih  suäsat  chind       suertu  hauwan, 

54  bretöo  mih  sfnu  billiu,       eddo  ih  imo  ti  hanin  werdan. 

46  wela,  helid,  gisihu  ih       in  din6m  hrustim, 
dat  du  habes  hörne       herron  göten, 

48  dat  du  noh  bi  desemo  riebe       reccheo  ni  wurti. 

55  doli  mäht  du  nü  aodlihho,       ibu  dir  diu  eilen  taoe, 
in  sus  heremo  man       hrusti  giwinnan, 

rauba  birahanen,       ibu  du  dar  enic  reht  habe's, 
der  si  doh  nü  argöslo       öslarliuto, 
der  dir  nü  wiges  warne,       nü  dih  es  so  wel  lustit, 
60  güdea  gimeinüu:       got  6no  dat  wßl 

31  die  zweite   halbzeile  fehlt  hs.  32  sulih   fehlt  hs. 

37  das   zweite   man    fehlt  hs.  38    die   zweite   halbzeile  fehlt 

hs.  40  mih]  mih  mit  hs. ,   vgl.  Kauffmann  Philolog.  stud.  f.  Sievers 

s.  133.  45   in   der   hs.  folgt  diesem   vers   die  von   mir  zwischen 

54  und   55  gestellte  parlie   46  —  48.  49   sollte   nach   skihit  nicht 

mi   ausgefallen  sein?  50    ur   lante    der    hs.    nach    sehstic    mit 

Miillenhoff  gestrichen.  51  in  folc  seeotantero  hs. ,  vgl.  Kauffmann 

s.  151.  54  mih]  mit  hs.,  vgl.  Katiffmann  s.  133.  46  helid   diese 

ergänzung   nahm   bereits  Miillenhoff  in  erwägung.  60    die   zweite 

halbzeile  fehlt  hs. 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES       61 

(niuse  (16  mölti,       ibu  Iter  nerie  sin  libl), 
hwer  dar  sih  hiutu        dero  hregilo  hruomen  imialti, 
erdo  desero  brunnöno       bödero  uualtan!' 
61   die  zweite  kalbzeile  fehlt  in  der  hs.  62  werdar  hs.     Iirumen 

hs.,  vgl.  Martin  Ans.  xxn  282.    Kraus  Zs.  f.  öst.  gyrn.  47,  327. 

II 

7 — 13.  Erfüllt  von  gedanken  an  den  söhn,  den  er  als  barn 
unwahsan  zurückgelassen,  beiritt  Hildebrand,  ein  krieger  des  feind- 
lichen Hunnenheers,  nach  dreißigjähriger  abvvesenheit  den  hei- 
mischen boden.  nun  stellt  sich  ihm  als  erster  ein  Jüngling  ent- 
gegen :  stolz,  stattlich,  kampfesfreudig  :  wie  den  söhn  sich  ein 
alter  held  nur  wünschen  mag.  aus  gestalt,  bewegungen,  be- 
nehmen des  jungen  mannes  spricht  ihn  etwas  an,  was  an  sein 
eigen  blut  erinnert,  trügt  ihn  die  ahnung,  die  sich  seiner  be- 
mächtigt? er  bricht  gerade  mit  der  frage  hervor  :  hwer  sin 
fater  wdri. 

Aber  besser  hätte  es  der  heldensitte  angestanden,  dass  Ililde- 
brand  seinen  gegner  vorerst  nach  der  eigenen  person  gefragt 
hätte  statt  so  kurzweg  (föhe'm  uuortum)  nach  der  des  vaters.  das 
wort  braucht  ihm  nur  zu  entfahren,  so  wird  er  seines  verstofses 
inne  :  mit  den  worten  eddo  sage  zi  furist  dinan  nctmun  'oder 
sage  vielmehr  zuvörderst  deinen  namen'  redressiert  er  sofort 
den  faux  pas.  mit  den  weiteren  worten  so  chundu  ik  dir  in  wdri 
hwelihhes  cmiosles  du  sis  kommt  er  dann  in  beabsichtigter  weise 
auf  die  frage  zurück,  mit  der  er  vorher  unwillkürlich  verraten 
hatte,  wes  sein  herz  voll  ist. 

Denn  freilich  ligt  ihm  daran,  gleich  mit  seinem  ersten  aul- 
treten zu  documentieren,  dass  er  nicht  ein  beliebiger  Bunnen- 
krieger  sei,  wofür  man  ihn  seiner  kleidung  oder  raslang  nach 
halten  könnte,  sondern  dass  es  mit  ihm  seine  besondre  bewantnis 
habe,  aber  er  hütet  sich  wol,  auf  seine  genealogische  Kenntnis, 
mit  der  er  des  gegners  aufmerksamkeit  zu  erregen  sucht,  in  der 
art  hinzuweisen,  dass  gleich  seine  besondern  beziehungen  zum 
laude  durchblicken,  blol's  erst  als  einen  ävdoa  noXvxqo  tov  führt 
er  sich  ein,  der  so  weit  in  der  weit  herumgekommen,  d;i>s  ibm  alle 
heldengeschlechter,  so  auch  die  dieses  landes,  bekannl  seien,  er 
kennt  den  stand  der  dinge  im  lande,  die  gesinnung  sei 
zu  wenig,  um  zu  wissen,  ob  er  mehr  verraten  dürfe,  ei 
sich    also  zunächst   als  einen    sehr  vorsichtigen  mann    und 


62  JOSEPH 

ohne  grund  denn  rühmt  der  dichter  eingangs  seine  lebensweisheit, 
ihn  ferahes  frötöro  heifsend.  man  sieht  nun  von  neuem,  wie 
recht  Braune  hatte,  die  interpunction  nach  in  kunincriche  zu 
fordern  (Beitr.  21,  1  ff;  vgl.  auch  Kauffmann  Philolog.  stud.  s.  159): 
diese  worte  zur  zweiten  halbzeile  gezogen  ergäben  eine  deutlichkeit, 
die  ganz  den  Intentionen  der  dichtung  widerspräche. 

Bedarf  meine  ergänzuog  10 f  dem  sinne  nach  noch  längerer 
Verteidigung?  dass  Hildebrand  seinen  gegner  nach  dem  namen 
gefragt  haben  muss,  wird  niemand  leugnen,  der  die  folgeworte 
ih  heittu  Hadubrant  anerkennt  und  der  der  meinung  ist,  dass 
man  aus  dem,  was  beantwortet  wird,  einen  rückscbluss  auf  das 
machen  darf,  was  gefragt  ist.  gleichwol  lässt  von  allen,  die  sich 
um  die  vorliegende  stelle  bemüht  haben,  nur  Rüdiger  die  frage 
nach  dem  namen  stellen,  im  übrigen  steckt  er  freilich  durchaus 
im  bann  seiner  Vorgänger,    er  schreibt  (Zs.  33,  412): 

her  fragen  gistuont 
fohem  uuortum,  huer  sin  fater   wäri 

10  fireo  in  folche:        'mi  is  des  firiuuit  mikil. 

chüdi  mi  dinan   namun'        eddo  hwelihhes  cnuosles  du  sis. 

er  setzt  also  die  lücke,  wie  allgemeiu  üblich,  vor  eddo  statt  nach 
eddo  an.  die  folge  ist,  dass  auch  er  für  102  nichts  als  die  ver- 
legenheitsphrasen  eines  versfüllsels  findet  und  auch  bei  ihm  die 
worte  nach  eddo  eine  unerträgliche  widerholung  der  schon  in  92 
vorweggenommenen  frage  bilden. 

Erkennen  wir  denn  diese  beiden  puncte  an  :  1)  dass  nach 
dem  namen  gefragt  sein  muss,  2)  dass  die  lücke  erst  nach  eddo 
angesetzt  werden  darf,  so  erscheint  die  ergänzung  fast  bis  auf 
den  Wortlaut  gesichert,  denn  vergeblich  wird  man  nunmehr  für 
v.  10  nach  einem  sinngemäfsern  stabwort  suchen  als  furist1;  und 

1  gerade  dass  dieses  wort  den  rangbegriff  ausdrückt,  macht  es  für  den 
hier  geforderten  Zusammenhang  so  geeignet  :  denn  Hildebrand  will  nicht 
sagen  'nenne  mir  zuerst  deinen  namen  und  dann  den  des  vaters',  sondern 
seine  meinung  ist  vielmehr  die  :  du  brauchst  mir  den  namen  deines  vaters 
gar  nicht  mehr  zu  sagen,  wenn  du  mir  deinen  sagst,  ihm  ist  der  name  des 
sohnes  wichtiger,  weil  er  aus  diesem  auf  den  des  vaters  zu  schliefsen  ver- 
mag, aber  nicht  umgekehrt  aus  dem  namen  des  vaters  auf  den  des  sohnes. 
zur  eriäuterung  von  zi  furist  diene  die  folgende  parallele  :  in  Tatian  38,  7 
wird  Matth.  6,  33  'quaerite  autem  primum'  usw.  so  widergegeben  :  suohhet 
zi  heristen  gotes  rihlii  inti  sin  reht,  inti  allu  thisu  uuerdent  tu;  in 
den  Xanten,  gloss.  aber  gilt  zi  furist  für  das  'primum'  dieser  stelle. 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES   63 

dass  v.  11  mit  einem  nachsatz  zu  beginnen  bat,  oder  dass  we- 
nigstens hier  ein  satz  beginnen  muss,  der  das  regierende  verb 
zu  dem  folgenden  fragesalz  enthält,  darüber  kann  gewis  kein 
zweifei  bestehn.  die  worte  in  wdri  endlich,  die  hier  nicht  in  der 
beliebten  weise  Otfrids  blofs  das  versschema  erfüllen,  beschliefsen 
die  lücke  inhaltlich  ebenso  passend,  wie  sie  dieselbe  zugleich 
äufserlich  erklären  :  wdri  v.  9  und  wdri  v.  11  vermengten  sich  dem 
schreiberauge. 

Zum  schluss  noch  einige  worte  über  die  verse,  die  die  rede 
Hildebrands  einleiten.  Moller  (Zur  ahd.  allitterationspoesie,  s.  81. 
88  f)  setzt  nach  v.  8  eine  lücke  an,  weil  er  das  objectsnomen  zu 
frdgen  gistuont  vermisst  und  an  der  aufeinanderfolge  dreier  gleicli- 
stabiger  verse  anstofs  nimmt,  diese  gründe  sind  sicherlich  be- 
achtenswert, doch  Möllers  gedanke,  üeotgomo  bettisto,  began  iun- 
giran  einzuschieben,  scheint  mir  nicht  im  sinn  des  gedichts  zu 
liegen,  wer  meine  eben  gegebenen  darlegungen  billigt,  wird  statt 
üeotgomo  bettisto  lieber  ein  den  söhn  charakterisierendes  wort  er- 
warten oder  eine  bemerkung,  in  der  sich  der  eindruck  malt,  den 
Hildebrand  unter  der  erscheiuung  Hadubrands  erfährt :  kurz  irgend 
etwas,  was  geeignet  wäre,  die  unwillkürlichkeit  seiner  frage 
psychologisch  zu  verdeutlichen. 

17.  Hat  denn  noch  niemand  au  dem  sinn  der  überlieferten 
verse  15 — 17  anstofs  genommen?  welcher  mensch  —  wenn  es  Bicb 
nicht  gerade  um  ein  fiudelkind  handelt  —  wird  für  seine  kennt- 
nis  des  väterlichen  namens  das  Zeugnis  andrer  leute  anrufen  1 
und  Hadubrand  sollte  dies  tun,  der  gleich  darauf  erzählt,  wie  er 
im  hause  der  mutter  aufgewachsen  sei?  mit  der  beseitigung 
15.  16  gestaltet  sich  17  —  ein  vers,  den  Sievera  Altgerm.  metr. 
§  125  für  prosa  erklärt,  —  sofort  »leichsain  von  selber  zu  metrischer 
reinheil,  wie  denn  auch  erst  dadurch,  dass  ih  heittu  Hadubtxmt 
in  die  erste  halbzeile  rückt,  die  verse  181  einen  glatten  anschluBS 
gewinnen,  die  ausgeschiedeneu  verse  15.  IG  aber  erweisen  Bicb 
als  alberne  nachbildung  vol  42.  43.  ja  sie  werden  erst  eigentlich 
durch  diese  verständlich. 

Man    bemüht  sich  aus    den   wollen    den  erlnna   tnirun    v.  16 
herauszulesen   oder  herauszuvermuten    'dir  früher  starben 
'die  früher  lebten',     aber   eben    die  verse  42  f   können    uns    be- 
lehren, dass  hina  an   unsrer  stelle    ganz  und  gar    oichts  andres 
heifst  als  gleich  nachher  zweimal  hintereinander  (v.  19.  - 


64  JOSEPH 

lieh  :  'von  diesem  lande  hinweg',  die  aber  früher  hinweg  waren, 
dh.  aufser  landes  gieugen,  sind  natürlich  eben  die  Seefahrer,  von 
denen  42  ff  die  rede  ist.  unser  geistreicher  nachbesserer,  den  ich 
mir  übrigens  nicht  als  mann  der  feder,  sondern  als  vortragenden 
sänger  denke,  hat  also  die  Vorstellung,  dass  diese  männer  bei 
ihrer  rückkehr  nicht  nur  die  künde  vom  tode  Hildebrands  bringen, 
sondern  dass  Hadubrand  von  ihnen  zugleich  erst  erfährt,  dass 
jener  hehl  sein  vater  ist.  vielleicht  brachten  ihn  auf  solchen  ge- 
danken  die  worte,  denen  er  am  ende  der  rede  (v.  23)  begegnete: 
chud  was  her  er  chönnem  mannum. 

Für  die  bedeutung  hina  wesan  =  'auswärts  sein'  darf  man 
sich  auf  Otfr.  i  21,3  berufen  thdr  Iöseph  uuas  in  lernte  hina  in 
elilenti.  dieser  stelle  erinnerte  sich  bereits  Lachmann  hier  (Kl. 
sehr.  1,  423),  aber  er  glaubte  sie  zur  erkläruug  nicht  heranziehen 
zu  dürfen,  weil  der  Zusammenhang  dawider  sei. 

Dass  der  genannte  sänger  in  der  verslechnik  nicht  mehr  auf 
der  höhe  stand,  verrät  die  üble  Umgestaltung,  die  er  mit  v.  17 
vornahm,  wir  werden  uns  daher  auch  nicht  bemühen,  dem  vers  15, 
den  Sievers  ebenfalls  als  prosa  ansieht,  durch  änderung  den  Stab 
zu  gewinnen,  sondern  constatieren  in  diesem  allitterationsloseu 
reimvers  ein  speeimen  der  kunst,  die  diesem  mann  eigentlich 
angestanden  haben  mag. 

18 — 28.  Sein  talent  begegnet  uns  sofort  wider,  nur  finden 
wir  das  rätsei,  das  er  diesmal  aufgibt,  noch  durch  eine  laune 
der  Überlieferung  compliciert.  dazu  hat  eine  falsche  Interpretation, 
die  sich  in  der  letzten  zeit  eingebürgert  hat,  das  Sachverhältnis 
vollends  verduukelt. 

Man  hält  es  nämlich  nach  den  darlegungen  von  Heinzel 
(Ostgot.  heldens.  s.  43)  und  Kögel  (Litteraturgesch.  i  i,  217)  für 
ausgemacht,  dass  Detrihhe  darbd  gistuontun  fateres  mines  hier 
nichts  andres  heifsen  könne  als  'Dietrich  hatte  meinen  vater 
nötig,  er  gebrauchte  seine  dienste'.  aber  mir  erscheint  der  be- 
weis keineswegs  erbracht,  dass  darbd  hier  nicht  auch  heifsen 
könne  'entbehrungen',  23.  24  also  entsprechend  Lachmann  zu 
übersetzen  sei  'später  hatte  Dietrich  meinen  vater  zu  entbehren, 
traf  ihn  sein  Verlust',  die  deutung  Heinzeis  und  Kögels  ist  dem 
ganzen  Zusammenhang  nach  ausgeschlossen,  ob  man  nun  mit 
Heinzel  sid  durch  komma  oder  mit  Steinmeyer  durch  punet  vom 
vorhergehnden   trennt  :   'er    begab   sich    ostwärts,    weil   Dietrich 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  IIILDEBRANDSL1EDES       65 

meinen  vater  nötig  hatte',  ist  deswegen  nicht  anganglich ,  da  es 
vorher  hiefs  :  er  begab  sich  ostwärts,  weil  er  vor  Ötachres  nid 
fliehen  muste.  und  ebensowenig  vereint  sich  mit  dem  vorher- 
gehnden  :  'er  begab  sich  ostwärts,  später  hatte  Dietrich  meinen 
vater  nötig',  denn  eine  solche  ausdrucksweise  würde  voraus- 
setzen, dass  er  vorher  noch  nicht  im  gefolge  Dietrichs  war,  was 
dem  vers  19  widerspräche,  nun  freilich  bemerkt  Heinzel  ganz 
recht,  dass  die  sage  davon  nichts  wisse,  dass  Hildelnand  später 
von  Dietrich  getrennt  worden  sei.  aber  gleichwol  wird  sich  uns 
bald  erklären,  wie  diese  Vorstellung  hier  entstand. 

Unter  den  zahlreichen  versuchen,  den  abschnitt  18 — 27  ins 
reine  zu  bringen,  bietet  allein  derjenige  einen  richtigen  ausatz, 
der  die  geringste  beachtung  gefunden  zu  haben  scheint. 

Müllenhoff  mit  seinem  scharfen  sinn  für  Unebenheiten  der 
darstellung  erkannte,  dass  durch  die  verse  23.  24  die  Ordnung 
der  gedanken  gestört  werde,  er  construierte  in  den  anmerkuniien 
(Denkm.3  n  13f)  folgenden  text  für  22—27: 

22  arbeo  laosa:        er  ret  ostar  hina. 

25  er  was  Olachre       umraett  irri, 

26  degano  dechisto       demo  Deotmäres  sune. 

23  sid   Üetrihhe        darba  gistuontun 

24  fateres  mines:        dat  uuas  so  friuntlaos  man. 

26  eo  folches  at  ente:       imo  uuas  eo  fehla  ti  leop: 

Wo  Müllenhoff  hier  abseits  gerät,    das    ist    die  zweite  halb- 
zeile  des  verses  26,  für  die  in  der  hs.  steht  unti  Deutrichhe  darba 
gistontun.    er  erkannte  wol,  dass  darba  gistontun  als  widerholung 
von  232  aufzufassen  sei.    aber  in  der  theorie  befangen,  dass  dei 
Schreiber  aus   dem  gedächtnis   geschrieben  habe,    erblickte  er  in 
dieser  widerholung  ein  abirren  des  gedächtnisses  statt  ein  abirren 
des  auges    und  verzichtete  daher  darauf,    für  unti   die  selbstver- 
ständliche  conjectur  Wackernagels,   oämlich    mtfi,   anzunehmen, 
fühlte   sich   statt  dessen   zu  völlig    freier  Umgestaltung   des  balb- 
verses  befugt,     aber  er  hätte  gerade  mit  hilfe  von  Wackei 
mili    die   richtigkeit    seiner   neuorduung    erhärten   können,    wie 
anderseits    die  neuorduung  wider   die  richtigkeit  von  intfi  aufsei 
zweifei  setzt,     denn  das  einzige,    was   sich    gegen  Wackern 
Präposition  sagen  liefs,  das  war  die  ungewöhnliche  redeweis 
sie  ergab  :  her  was  ....  degano  decJüsto  mili  Deutlich 
....  der  liebste  der  degeu  bei  Dietrich',    dass   dieses   bedenken 
Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  XX XI. 


66  JOSEPH 

durch    die   neuordnung  wegfällt,  das  zeigt  sich,    sobald  wir   nur 
richtig  interpungieren: 

22  arbeo  laoso:        her  raet  ostar  hina 

25  (her  was  Otachre       ummet  tirri), 

26  tlegano  dechisto,       miti  Deotrichhe: 

23  sid  Delrihhe       darbä  gistuontun 

24  fateres  mines.        dat  uuas  so  friuntlaos  man. 

27  her  was  eo  folches  at  ente,       inio  was  eo  fehta  ti  leop: 
also  :  "er  ritt  ostwärts  hinweg,  der  liebste  der  degen,  mit  Dietrich'. 

Nun  tritt  sofort  unverkennbar  das  interpolationswerk  zu  tage, 
die  verse  222.  25.  26  sind  nichts  als  eine  wenig  variierende  wider- 
holung  von  18  f1.  warum  aber  unser  mann  auf  die  schon  anfangs 
berichtete  tatsache  zurückgriff ,  das  sagen  die  verse  23  f.  er 
fragte  sich  :  wenn  Hildebrand  als  gefolgsmann  Dietrichs  auszog, 
wie  kommt  es,  dass  er  hier  ohne  ihn  und  in  anderm  dienst  er- 
scheint? weil  Dietrich  ihn  später  verlor,  antwortete  er  findig  — 
aber  leider  möglichst  gegen  den  sinn  der  dichtungl  denn  diese 
muss  es  gerade  vermeiden,  Hadubrand  mit  irgend  einer  kenntnis 
auszustatten,  die  ihm  begreiflich  machte,  dass  sein  vater  in 
den  dienst  des  Hunnenkönigs  getreten  sei.  Hadubrand  muss 
sich  vielmehr  völlig  in  der  Vorstellung  befangen  zeigen,  dass, 
wenn  sein  vater  erschiene,  er  es  nur  im  gefolge  oder  als  mann 
Dietrichs  könnte. 

Mit  den  Worten  dat  vuas  so  friuntlaos  man  nimmt  der  hin- 
zudichtende sänger  dann  deutlich  den  gedanken  20 — 221  wider  auf, 
bei  dem  er  abgebrochen  hatte,  und  ebenso  deutlich  entleiht  er  die 

1  aus  diesem  Verhältnis  ergibt  sich  nun  auch  mit  Sicherheit,  dass  in 
tirri  eine  Verderbnis  steckt,  denn  v.  25  entspricht  der  halbzeile  182,  und  in 
dieser  ist  nicht  von  Hildebrands  Feindseligkeit  gegen  Odoaker  die  rede,  son- 
dern umgekehrt  von  Odoakew  gegen  Hildebrand,  ich  erlaube  mir  die  Ver- 
mutung, dass  firri  zu  schreiben  sei  und  der  bearbeiter  also  sagen  wollte  : 
während  Hildebrand  dem  Dietrich  in  die  fremde  folgte,  entfernte  er  sich  un- 
geheuer weit  von  Odoaker.  er  gibt  also  den  begriff  floh  wider  mit  was 
ummet  firri.  über  die  offenbar  dem  ummet  spdher  v.  39  ungeschickt  nach- 
gebildete ausdrucksweise  darf  man  sich  bei  diesem  mann  nicht  wundern, 
die  ansetzung  eines  adjectivischen  ja -Stamms  firri  scheint  unbedenklich, 
wenn  er  auch  nicht  direct  bezeugt  ist  :  überliefert  ist  ahd.  und  as.  nur  ein 
adj.  fer{r),  wozu  ags.  feor(r)  stimmt;  das  von  Graffin  656 f  angesetzte  adj. 
ferri  ist  weder  lautgesetzlich  noch  wird  es  von  den  angefühlten  beispielen 
gefordert,  übrigens  will  ich  den  doppelten  einwand  ESchröders,  dass  die 
belege  fürs  adjectiv  sämtlich  attributive  Stellung  aufweisen  und  es  im  ahd. 
normal  ferro  uuesan  (so  zb.  Tat.  97,  4.  236,  7)  heifst,    nicht  verschweigen. 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES       67 

worte  her  was  eo  folches  at  ente,  imo  was  eo  fehta  ti  leop,  mil 
denen  er  die  Überleitung  zur  folge  findet,  dem  vcis  ;,i  au-  der 
spätem  rede  Hildebrands. 

Dass  wir  bei  diesem  einschiebungswerk  würklicb  dm  bieder- 
mann  der  verse  15 — 17  vor  uns  baben,  drangt  sieb  ganz  unver- 
kennbar auf.  wider  dieses  erklärenwollen,  wo  Dichte  zu  erklären 
ist,  und  wider  diese  beneidenswerte  genügsamkeit  der  einfalt,  die 
aufgäbe  zu  lösen,  auch  der  alte  Stilheld  bewährt  sieb  :  (\,\>  ifd 
Detrihhe  unmittelbar  auf  miti  Deotrichhe,  das  her  was  und  imo 
icas  inmitten  von  dat  uuas  und  was  her.  und  endlich  seine  \.i>- 
kuust!  in  v.  28  begegnen  wir  einem  erzeugnis,  das  keinem  me- 
trischen system  freude  ist.  und  wie  es  mit  dem  reimschatz 
unsers  autors  steht,  beweist  die  talsache,  dass  von  seinen  sechs 
versen  je  zwei  immer  dieselben  släbe  führen  :  die  beiden  ersten 
vocalischen,  die  beiden  mittleren  d-,  die  beiden  letzten  /'-Stab. 
alle  solcbe  schönen  dinge,  für  die  mau  teilweise  schon  seinen 
emendationsgeist  anstrengen  zu  müssen  gemeint  bat,  wird  man 
nun  gern  als  das  unantastbare  reebt  dieses  mannes  bewahren. 

Übrigens  erklärt  sich,  was  ich  vorher  laune  der  Überlieferung 
nannte,  jetzt  vielleicht  als  bewuste  änderung.  ein  copist  ordnete 
die  verspaare  23.  24  und  25.  26  um,  weil  er  sieb  an  der  auf- 
einanderfolge miti  Deotrichhe.   sid  Detrihhe  stiefs. 

Man  wird  bemerkt  haben,  dass  ich  in  vers  22  (vgl.  s.  66)  den 
te\[  der  interpolation  änderte,  indem  ich  laoso  für  das  überlieferte 
laosa  schrieb,    für  dieses  verfahren  schulde  ich  noeb  rechensebaft 

arbeo  laosa  als   schwache   form    und   zugleich   prädicatn  zu 
erklären,  wird  nach  Gerings  erörterung  (Zs.  f.  d.  pbil.   2 
niemandem    mehr    einfallen,     demnach    kommen    überhaupt    nur 
noch  zwei  deutungeu  des  luosa  ernstlich  in  belracht.    erstei 
von  Gering  neubegründete  Müilenhoffs,  bei  der  laofa  al>  schwächet 
neutraler  singular  gilt.    Gering  übersetzt  :  'er  lieft  im  lande  elend 
zurück  die  frau  im  hause,    das  kind  unerwachsen,    das  erl 
oder  die  Kögels  (Littgesch.  s.  216),    der  arbeo  laosa   als  starken 
neutraleu  plural  nimmt    und  ebenso  luttila,    was   schon  ror  ihm 
Pütz  tat  (Die  Überreste  deutscher  dicblung  aus  der  teil  vor 
führung  des  Christentums,  Coblenzer  progr.  —  uicbl  Kolner,  wie 
Braune  Abd.  leseb.«  s.  172  citierl   —    1851,   s.  19).     K 
setzt  :  'er  liefs  im  lande  trauernd  zurück  seine  junge  frau   io 
mache  und  ein  unerwachsenes  kind,  des  besilzes  beraubt. 


68  JOSEPH 

Ich  will  von  der  künstlichen,  verschränkten  ausdrucksweise 
absehen,  die  sich  bei  der  letztern  erkläruug  ergibt,  aber  was 
gegen  sie  wie  gegen  die  erstere  gleich  entschieden  spricht,  ist 
dies  :  es  handelt  sich  hier  doch  gerade  darum,  dass  Hildebrands 
familie  im  haus  zurückbleibt,  mit  arbeo  laosa  aber  wäre  das 
gegenteil  ausgedrückt,  nämlich,  dass  die  zurückgelassenen  haus 
und  hof  räumen  musten.  dass  im  köpfe  des  ursprünglichen  dichters 
ein  so  crasses  widersprechen  zweier  aufeinanderfolgenden  begriffe 
ausgeschlossen  ist,  braucht  nicht  erst  gesagt  zu  werden;  aber  es 
ist  auch  kaum  denkbar,  dass  ein  späterer  dergleichen  verschuldet 
halle,  freilich  weifs  Rauffmann  dem  Widerspruch  zu  entgehn,  in- 
dem er  neuerdings  (Philol.  stud.  für  Sievers  s.  139)  die  deutung 
Kögels  mit  dem  unterschied  acceptiert,  dass  er  in  lante  'irgendwo 
im  reiche'  übersetzt,  er  lässt  also  den  Hadubrand  mit  andern 
Worten  sagen,  dass  der  vater  die  seinigen  in  irgend  einem  ge- 
mache des  reichs  zurückliefs. 

Würklich  konnte  sich  die  Verlegenheit  unsrer  interpreten, 
arbeo  laosa  in  den  Zusammenhang  zu  bringen,  nicht  augenschein- 
licher malen  als  durch  dieses  auskunftsmittel  Kauffmanns.  arbeo 
laosa  ist  eben  in  gar  keinen  Zusammenhang  zu  bringen  :  durch 
meine  kleine  änderung  aber  erhalten  die  worte  ihre  einzig  richtige 
uud  mögliche  beziehung,  nämlich  auf  Hildebrand  selber  : 'er  liefs 
im  land  trauernd  zurück  das  weib  im  gemache,  den  unerwacbsenen 
söhn,  der  geächtete'. 

Jetzt  sieht  man,  dass  unser  sänger  mit  dem  arbeo  laoso 
den  vorhergehnden  subjectsbegriff  wider  aufnahm ,  um  so  eine 
bequeme  anknüpfung  für  sein  werk  zu  gewinnen,  es  scheint, 
als  besitze  er  ein  faible  für  diese  epische  stilform,  denn  gleich 
in  seinem  nächsten  salze,  wissen  wir,  pflegt  er  ihrer  wider  :  her 
rcet  östar  hina  .  .  .  .,   degano  dechisto1. 

1  man  hat  auf  grund  von  lesefehlern  und  anderen  mechanischen  ver- 
sehen der  Überlieferung  auf  zwei  schriftliche  Stadien  unsers  denkmals  ge- 
schlossen, ist  meine  obige  erörterung  der  partie  18—28  richtig,  so  wird 
diese  hypothese  durch  innere  momente  bestätigt,  denn  die  angenommenen 
Verhältnisse  erklären  sich  nur,  wenn  eine  Urschrift  existierte,  die  direct  nach 
dem  Vortrag  unsers  sängers  angefertigt  ward,  und  diese  dann  eine  copie 
erfuhr,  dass  die  Urschrift  nach  dem  gedächtnis  geschrieben  war,  halt  auch 
ich  in  anbetracht  des  lückenhaften  zustands  der  Überlieferung  für  das  wahr- 
scheinlichste, ob  aber  mit  dieser  ansetzung  zweier  schriftlicher  Stadien  sich  alle 
fragen  der  Überlieferung  lösen  lassen,  das  entscheiden  zu  wollen,  ligt  mir  fern. 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES 

28.  29.  Auch  die  ergänzungsversuche,  die  man  diesen  versen 
gewidmet  hat,  kommen  über  versfiillsel  nicht  hinaus,  aber  es  ist 
doch  ganz  klar,  dass  zwischen  den  Sätzen  der  Überlieferung  ehüd 
was  her  chönnem  mannum  und  ni  wdniu  ih  iü  üb  halbe  das  ge- 
dankliche Zwischenglied  fehlt,  warum  vermutet  Hadubrand  den 
tod  seines  vaters?  vers  28  führt  logischer  weise  auf  den  grund: 
weil  er  jetzt  nicht  mehr  chitd  ist  chönnem  mannum,  dh.  lange 
niemand  gekommen   war,  der  von  ihm  wusle. 

Habe  ich  aber  in  29l  den  richtigen  gedauken  getroffen  —  Hin- 
auf diesen,  nicht  auf  den  Wortlaut  kommt  es  mir  an  —  so  ergibt 
sich  für  28  die  notwendigkeit  des  zeitlichen  gegensatzes  von  selber, 
diesen  durch  das  wortchen  er  auszudrücken  empfiehlt  sich,  weil 
sich  der  ausfall  von  er  nach  her  so  überaus  leicht  erklärt. 

Seit  Müllenhoff  wird  vielfach  angenommen,  dass  sich  Hadu- 
brands  äufserung  ni  wdniu  ih  iü  Üb  habbe  als  unechten  zusatz 
erweise,  weil  sie  im  Widerspruch  mit  seiner  spätem  stehe  :  dat 
sagetun  mi  seolidante  .  .  dat  inan  wie  furnam  :  tot  ist  Ililtibrant, 
Heribrantes  suno.  indessen  nachdem  jene  erste  äufserung  in 
richtiger  gedanklicher  folge  steht,  sehen  wir  wol,  wie  sich  beide 
vereinigen,  aus  chüd  was  her  er  chönnem  mannum  lässl  sieb  ent- 
nehmen, dass  früher  öfter  nachriebteu  von  Hildebrand  ins  land 
gelangten,  dann  aber  brachten  die  Seefahrer  die  nachricht,  dass 
er  im  kämpf  gefallen  sei.  die  sohnesliebe  will  an  das  furchtbare 
nicht  glauben,  als  aber  in  der  folge  tatsächlich  jede  weitere 
künde  vom  vater  verstummt,  da  schwindet  die  anfangs  gehegte 
hoffnung,  die  mitteilung  der  Seefahrer  konnte  auf  irrtum  be- 
ruhen. Hadubrand  beginnt  würklich  an  den  tod  des  vaters  EU 
glauben,  diese  Stimmung  erhält  hier  zum  scbluss  seiner  ersten 
rede  ausdruck.  dass  sich  dann  für  ihn  am  schluss  der  zweiten 
rede  die  aussage  der  seefahrer  zu  völliger  gewisheil  steigert,  be- 
ruht auf  psychologischen  gründen,  die  wir  bald  kennen  lernen 
werden. 

30 — 32.    Wir   erinnern  uns,    wie  Hildebrand    es  ?ou  w 
herein  auf  seine  erkennung  anlegte,   wie   er   aber   zunicbsl  mit 
gröster  vorsiebt  und  Zurückhaltung  verfuhr,  weil  er  nicbl  w 
konnte,  wem  er  gegenüberstand,    nun  siefal  er,  dass  seine  Bhuung 
ihn  nicht  geteuscht  hat,  dass  in  »lern  jungen  beiden  da  würklii 
sein  eigner  söhn  vor   ihm  steht,    dass    Bein  andenken    in  ti 
liebevoller  pietät  bei  ihm  lebt,    wie  könnte  sein 


70  JOSEPH 

länger  zügel  anlegen!  hier  oder  nirgends  ist  der  platz  für  die 
er  Öffnung,  schon  Müllenhoff  setzte  sie  in  die  zweite  rede  Hilde- 
hrauds  und  Edzardi ,  der  sich  ihm  hierin  anschloss,  bemerkte 
ganz  richtig  (Beitr.  8,  489),  dass  auch  inan  v.  43  darauf  deute, 
dass  sich  Hildebrand  vorher  genannt  habe. 

Wenn  sich  trotzdem  die  neuere  kritik  wider  in  andrer  rich- 
tung  bewegt,  so  mag  das  an  den  mangeln  des  positiven  Versuchs 
liegen,  den  Müllenhoff  vornahm,     denn  er  bot  diesen  Vorschlag: 

31   dal  du  neo  dana  halt       dinc  ni  gileitos 
mit  sus  sippan  man       so  ih  dir  selbo   bim: 
ih  bin  Hiltibrant,       Heribrantes  suno. 

er  bedarf  also  nicht  blofs  der  ergänzung  von  l1/?  langzeilen. 
sondern  muss  dazu  noch  in  einer  Umstellung  auskunft  suchen, 
und  was  ist  das  ergebnis?  eine  unmögliche  allitteration  in  v.  31 
(vgl.  Rödiger  Zs.  35,  176).  Edzardi  ersetzte  Müllenhoffs  so  ich 
dir  selbo  bim  durch  die  halhzeile  gisihistu  nü  fater  din,  was  ge- 
wis  in  keinem  sinn  als  besseruug  gelten  kann. 

Was  meine  ergänzung  betrifft,  so  hat  sie,  abgesehen  von  ihrer 
correctheit,  das  für  sich,  dass  sie  die  forderungeu  der  Situation 
mit  überraschender  einfachheit  erfüllt,  aber  über  diese  Situation 
gilt  es  noch  klarheit  zu  gewinnen,  denn  es  herscht  unter  den 
interpreten  eine  ziemliche  Unsicherheit  darüber,  welchen  ton  man 
in  den  worten  Hildebrands  zu  erkennen  hat.  vor  allem  weifs 
man  sich  nicht  recht  mit  dem  ausdruck  dinc  abzufinden. 

Mit  der  rede  und  gegenrede  Hildebrands  und  Hadubrauds 
hat  eines  jener  redeturuiere  oder  rededuelle  begonnen,  wie  sie 
dem  eiuzelkampf  zweier  beiden  oder  auch  dem  kämpf  ihrer  beere 
gern  vorausgehn.  diese  dialoge  nehmen  gewöhnlich  sehr  bald 
eine  recht  bittre  und  sarkastische  wendung,  weil  keiner  der  helden 
etwa  bezweckt,  das  gemüt  des  audern  zu  beschwichtigen,  sondern 
jeder  im  gegenteil,  den  gegner  zum  kämpf  aufzureizen. 

Hätte  also  den  nekrolog,  den  Hadubrand  seinem  vater 
widmete,  ein  wirklicher  gegner  zu  hören  bekommen,  so  hätte 
sich  das  rededuell  etwa  in  der  art  fortspinnen  können,  dass 
dieser  gegner  erwiderte  :  'wol  steht  es  einem  heldensohn  an, 
sich  um  das  leben  des  vaters  zu  besorgen,  doch  willst  du  dich 
hier  als  heldensohn  beweisen,  so  denke  jetzt  deines  eigenen 
lebens!'  indem  aber  Hildebraud  nun  in  dem  gegner  seinen  söhn 
erkennt,  löst  sich  der  ernst  plötzlich  in  Heiterkeit  auf  und  natur- 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES       7  1 

gemäfs  wandelt  sich  der  bittre  humor,    den  wir  an    dieser  stelle 
sonst  zu  erwarten  hätten,  zu  einem  freundlichen  um. 

Von  hier  aus  tritt  nun  der  begriff  dinc  in  sein  rechtes  licht. 
dinc  ist  ein  juristischer  ausdruck,  mit  dem  eine  gerichtsverhand- 
lung  bezeichnet  wird,  auch  in  einer  gerichtsverhandlung  fiodel 
ein  rededuell  der  streitenden  parteien  statt,  aber  der  zweck  der 
gerichtsverhandlung  ist,  den  streit  auf  unblutige  weise  zum  aus- 
trag zu  bringen,  zu  'schlichten',  wie  das  technische  wort  lautet. 
zu  einem  rededuell  mit  unblutigem  ausgang  malt  sich  dem  freudig 
überraschten  vater  nun  auch  der  kampfesdialog,  in  dem  er  und 
sein  söhn  eben  begriffen  sind,  mit  dem  wort  dinc  gibt  er  daher 
einen  diese  plötzliche  wendung  des  Streites  scherzhaft  bezeichnen- 
den ausdruck,  und  in  dem  würtchen  sulih,  das  ich  des  Stabes 
wegen  zu  dinc  ergänzte,  scheint  mir  die  aufsergewöhnliche,  die 
scherzhafte  anwendung  dieses  begriffes  glücklich  angedeutet. 

Aus  dem  scherzhaften  sinn  von  dinc  folgt  aber  natürlich, 
dass  man  auch  die  feierlichkeit,  mit  der  der  alte  seine  rede  an- 
hebt —  dieses  pathetische  herbeicitieren  Gottes  aus  himmlischer 
höhe,  dass  er  Zeugnis  in  diesem  dinc  ablege  •  —  für  austluss 
seines  humors  nehmen  muss. 

Zu  diesem  feierlichen  anhub  der  rede  steht  ihr  übriger  teil 
in  würksamst  lebendigem  contrast.  fast  naturalistisch  mutet  es 
uns  an,  wie  der  alte  sich  überhastend,  sich  gleichsam  selbst  in 
die  rede  fallend,  parenthetisch  mit  seiner  entdeckung  hervorbricht, 
und  wie  die  überfülle  des  gefühls  sich  in  diesen  gehäuften,  an- 
deutenden, hinweisenden  Worten  :  neo  dana  halt,  stis,  sulih  bahn 
macht. 

35.  ldat  ih  dir  it  nii  bi  huldi  gibuV  auch  mit  bi  huldi  ver- 
bindet man  eine  recht  schwanke  Vorstellung,  man  Übersetzt  'mit 
huld'  (Lachmann  ua.),  'sine  dolo'  (Kögel  Litteraturgesch.  i  1,  221), 
'um  gnade  willen'  (Luft  Die  entwicklung  des  dialogs  im  alt. 
Hildebrandsl.  s.  19.  24),  'aus  liebe'  oder  'um  liebe  willen'  (Martin 
Anz.  xxu  2S1).  aber  was  ist  mit  allen  diesen  bedeuluogeo  für 
den  Zusammenhang  anzufangen?  Kauffmann  schliffst  ans  bi  huldi, 
dass  Hildehraud  die  ringe  'als  ausweis  seiner  persoo  und  als 
treuezeichen'  überreicht  habe  (Piniol,  stud.  für  Sievera  -.117 
aber  derselbe  Kauffmann  erkennt  sehr  treffend  ans  der  bezeich- 
nung  cheisuringu  gitdn,  dass  die  armspaogen,  die  Hildebrand 

1  wefftn   der    bedeulung-   von  wt-liu   vgl.  Siebs  Zs.  f.  d.  pbiL 


72  JOSEPH 

abstreift,  eine  goldmüuze  mit  dem  bilduis  des  Hunnenherschers 
trugen,  wir  fragen  :  wie  hätte  Hildebraud  sich  einfallen  lassen 
können,  diesen  schmuck  fremden,  feindlichen  gepräges  darzubieten, 
um  seine  Vaterschaft  und  freundschaft  zu  erweisen?  da  hätte  er 
ja  würklich  annehmen  müssen,  dass  seinem  söhn  sein  hunnisches 
Verhältnis  bekannt  sei ! 

In  dem  altenglischen  heldengedicht  Byrhtnoths  tod  ist  uns 
eine  scene  überliefert,  die  ich  hier  in  der  Übertragung  teu  Brinks 
(Engl,  litteraturgesch.  1,  H8f)  vollständig  hersetze,  weil  sie  uns 
noch  widerholt  beschäftigen  wird : 

Byrhtnolh  [der  heranrückt,  um  das  land  von  den  dänischen  ein- 
dringlingen  zu  befreien,]  brachte  sein  heer  in  Schlachtordnung  und 
herumreitend  ermahnte  und  ermutigte  er  seine  krieger.  dann  stieg  er 
vom  pferd  und  stehle  sich  mitten  unter  seinen  treuen  gefolgsmännern  auf. 

Am  andern  ufer  stand  ein  böte  der  Wikinge,  der  mit  kräftiger 
stimme,  in  drohendem  ton  dem  eorl  das  anliegen  der  Seefahrer  vor- 
trug :  'mich  senden  zu  dir  schnelle  seeleute.  sie  entbieten  dir.  dass 
du  ihnen  schleunig  ringe  sendest,  um  frieden  zu  erlangen,  euch  ist 
es  besser,  tribut  zu  zahlen  als  mit  uns  in  so  hartem  kämpf  zu  streiten, 
wenn  du,  der  du  hier  der  reichste  bist,  deine  leute  lösen  willst,  den 
Seemännern  nach  ihrer  eigenen  Schätzung  geld  geben,  so  wollen  wir 
mit  den  schätzen  uns  einschiffen,  in  see  gehen  und  euch  frieden  halten'. 
Byrhtnoth  hielt  den  schild  fest,  schwang  die  schwanke  esche  und  ant- 
wortete zornig  und  entschlossen  :  'hörst  du,  Seefahrer,  was  dieses  volk 
sagt?  sie  wollen  euch  als  tribut  gere  gehen,  giftige  lanzenspitzen 
und  alte  Schwerter,  watTenschmuck,  der  euch  zum  kämpfe  nicht  taugt, 
böte  der  Seemänner,  sage  deinem  volk,  hier  stehe  ein  rechtschaffener 
eorl  mit  seiner  schaar,  der  diesen  erbsitz,  Aethelreds  volk  und  land 
verteidigen  will,  fallen  sollen  beiden  im  kämpf,  zu  schimpflich  dünkt 
es  mich,  dass  ihr  mit  euern  schätzen  unangefochten  zu  schiffe  gehn 
solltet,  nun  ihr  so  weit  herwärts  in  unser  land  gedrungen  seid,  so 
leichten  kaufs  sollt  ihr  euch  keinen  schätz  erwerben  :  eher  soll  uns 
spitze  und  schneide  geziemen,  grimmes  kampfspiel,  bevor  wir  tribut 
zahlen!' 

Hier  also  werden  von  dem  fremden  krieger  keine  ringe  ge- 
boten, sondern  sie  werden  gefordert  —  gefordert,  auf  dass  man 
sich  den  frieden  damit  erkaufe.  Graff  Ahd.  sprachsch.  iv  915 
belegt  für  huldi  die  bedeutungen  'gratia,  favor,  devotio,  fortuna, 
pax,  tides'  :  es  kann  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  bi  huldi  in 
unserm  lied  heifst  'um  den  frieden  zu  erlangen',  aber  wenn  im 
Byrhtnothlied  die  ringe  gefordert  werden,  so  geschieht  das  in 
höhnendem  Übermut,  und  Hildebrand,  der  ruhmesstolze  held, 
bietet  sie  hier  in  freiwilliger  ergebenheit  dem  jungen  mann?    er 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES   73 

hält  eben  in  der  uns  schon  bekannten  scherzhaften  weise  die 
kampfesidee  fest,  es  ist  die  höhe  seines  humors  :  'da  rufe  ich 
doch  den  grofsen  Gott  vom  himmel  zum  zeugen  herab,  dass  du 
um  nichts  desto  weniger  (dh.  obschon  du  deinen  vater  tot  glaubst) 
uoch  niemals  —  ach  ich  bin  ja  Hildebraud,  dein  vater!  —  mit 
einem  so  blutsverwanten  mann  einen  so  beschaffenen  streit 
führtest!  ei  so  lass  dir  denn  dies  da  geben,  dass  ich  mir  den 
frieden  von  dir  erkaufe!' 

37.  38.  Zunächst  über  die  ergänzung  von  372  ein  wort. 
dass  diese  halbzeile,  auch  rein  inhaltlich  betrachtet,  lücken- 
haft sei,  erkannte  Marlin  Anz.  xxn  282.  er  stellte  geba  grames 
zur  erwägung.  aber  von  den  fällen,  auf  die  er  sich  für  den 
doppelstab  der  zweiten  halbzeile  beruft,  fallen  nach  meiner  krilik 
(s.  63.  65 f)  17.  25  als  unecht  weg,  die  übrigen  würden  sich 
von  demjenigen,  den  sein  text  ergäbe,  dadurch  unterscheiden, 
dass  sie  auch  in  der  ersten  halbzeile  den  doppelstab  aufweisen. 
auch  würde  grames  eine  sinnesnüance  ergeben,  die,  wie  wir  noch 
sehen  werden,  der  dichter  in  dem  ausspruch  nicht  beabsichtigt, 
für  das  von  mir  eingesetzte  man  könnte  man  natürlich  auch 
marines  schreiben  :  ich  meinte  die  unflectierte  form  (vgl.  Braune 
Ahd.  gr.  §239  anm.  1)  wählen  zu  sollen,  weil  damit  der  aus- 
fall  des  wortes   so  sehr  einleuchtet. 

Was  aber  besagt  nun  der  ausspruch  mit  ge'ru  scal  man  geba 
{man)  infdhan,  ort  widar  orte? 

Dreierlei  deutungen  hat  er  hervorgerufen.  Lachmann  (Kl, 
sehr,  i  433),  Müllenhoff  in  den  frühem  auflagen  «Irr  Denkmäler, 
Möller  (Ahd.  alliüerationspoesie  100  f)  nehmen  ihn  im  moralischen 
sinne  :  'nur  im  kämpf  soll  man  [des  gegners]  gäbe  nehmen',  die 
übrigen  erklärer  fassen  die  worte  im  eigentlichen  verstände,  sie 
meinen,  dass  mit  ihnen  auf  eine  alte  sitte  angespiell  werde, 
gaben  'auf  der  Speerspitze  darzureichen  und  von  selten  des  em- 
pfängers  mit  dem  speer  entgegenzunehmen'  (JGrimm  Kl.  sein. 
ii  199).  aus  dieser  letztem  annähme  aber  folgen  dann  Ewei 
entgegengesetzte  beurteilungen  der  stell«-,  je  nachdem  man  die 
frage  beantwortet,  zu  welchem  zweck  Hadubrand  den  alten  brauch 
erwähnt. 

Edzardi  erklärte  im  einklang   mit  ( »Sein. -der    (Bemerl 
z.  Hildebrandsl.  s.  22)  :  Hildebrand  habe,  im  eifer  die  heldensitte 
aufser  acht  lassend,   den  ring  mit  der  band  dargereicht. 


74  JOSEPH 

dem  hinweis  auf  die  heldensitte  weist  Hadubrand  es  ab,  ibn  so 
zu  empfangen,  weil  er  dabei  eine  hinterlist  vermutet'  (Beitr. 
8,  490). 

Müllenhoff  dagegen  gelangte  nacb  erneuter  prüfung  zu  fol- 
gender ausleguog  :  'wahr  ist  es,  der  sitte  entspricht,  dass  man 
gäbe  spitze  gegen  spitze  empfange,  aber  du  bist  dir,  alter  Hun' 
usw.  er  lässt  Hadubrand  also  umgekehrt  gerade  constatieren, 
dass  Hildebrand  der  sitte  gemäfs  handle,  sodass  nach  ihm  der 
sinn  der  worte  wäre  :  'indem  du  mir  mit  dem  speer  deine  gäbe 
überreichst,  folgst  du  zwar  dem  allgemeinen  brauch  :  gleichwol 
mistrau  ich  dir',  diesen  standpunct  Müllenhoffs  teilt  man  wol 
beute  mehr  oder  weniger  allgemein  (vgl.  zb.  Heinzel  WSB.  1 19,  46 1, 
Kögel  Litteraturgesch.  i  1,  213,  Kauffmann  s.  147.  148);  nur  Luft 
(s.  20)  stellt  sich  wider  auf  Seiten  Edzardis. 

Dass  indessen  Hildebrand  seine  gäbe  auf  der  spitze  des  gers 
gereicht  habe,  halt  ich  für  sicher,  nicht  zwar  nehm  ich  die 
verse  37  f  zum  beweis  hierfür,  doch  bekommen  nach  meinen 
beobachtungen  epischen  Stils  die  spätem  worte  Hadubrands  v.  40 
spenis  mih  dinem  wortun,  wili  mih  dinu  speru  werpan  nur  dann 
einen  Untergrund,  wenn  Hildebrand  seine  worte  dat  ih  dir  ü  nü 
bi  huldi  gibu  gesprochen  hatte,  indem  er  gleichzeitig  seine  lanze 
vorstreckte. 

Hiernach  bleibt  von  den  genannten  drei  deutungen  des 
Spruches  überhaupt  nur  noch  die  zuletzt  erwähnte  discutabel. 
nun  aber  muss  gesagt  werden,  dass  diese  mit  einer  der  wesent- 
lichsten eigenheiten  echter  heldeupoesie  unvereinbar  ist.  die 
dichter  der  heldenpoesie  nämlich  denken  und  leben  vollkommen 
in  den  anschauungen  des  milieus,  das  sie  schildern  :  sie  dichten 
daher  ganz  unbewust  aus  diesem  heraus,  wie  möchten  ihre 
beiden  also  darauf  verfallen ,  die  sitten,  die  sie  ausüben,  mit 
glossen  zu  begleiten,  wie  sie  nur  im  sinne  aufserhalb  stehnder 
betrachter  liegen  könnten! 

Aber  nicht  eiumal  die  tatsächliche  Voraussetzung  Müllenhoffs 
und  seiner  genossen  trifft  zu  :  man  darf  dieses  geben  und  nehmen 
auf  der  spitze  der  vvaffe  gar  nicht  als  eine  regelrechte  sitte  an- 
sehen, schon  Möller  zeigte,  dass  man  darunter  einen  ge- 
legentlichen brauch  zu  erkennen  hat,  der  jedesmal  in  der 
Situation  oder  dem  Verhältnis  der  personen  seiue  begründung 
findet.      beachtenswert     in     diesem    sinn    ist    auch     der    nach- 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEUES   75 

weis,  den  Kraus  (Zs.  f.  öst.  gymo.  1S94,  s.  131)  ans  asiatische! 
sitte  bringt. 

Man  muss  mithin  für  uusern  spruch  nach  einem  acluelleD 
grund  suchen,  er  ligt  vor  äugen  :  Hildebrand  hat  zwar  dein 
söhne  die  gäbe  mit  dem  speer  gereicht,  aber  direct  in  die  band. 
des  letzteren  worte  besagen  also  zunächst  soviel :  mit  dem  Speer  will 
ich  die  gäbe  nehmen,  die  mit  dem  speer  mir  gereicht  wird,  nicht 
nehm  ich  sie  mit  der  band  an.  so  ist  es  unter  männern  recht, 
in  dem  ort  widar  orte  drückt  er  dann  noch  einmal  deutlich 
diesen  sinn  aus  :  m  ein  en  speer  will  ich  gegen  deinen  halten! 

Das  mistrauen  Hadubrands  begreift  sich  aber  jetzt. 

Indem  Hildebraud  ihm  die  ringe  in  die  hand  reichen  will. 
bringt  er  sie  dem  äuge  des  sohnes  so  nahe,  dass  dieser  sie 
cheisuringu  gitdn  erkennt,  muste  es  aber  Hadubrand  schon  mil 
Unglauben  erfüllen,  dass  er  in  dem  mann,  der  ihm  als  führer 
des  feindlich  eingedrungenen  Hunnenheers  gegenüberstand,  seinen 
vater  zu  erblicken  hätte,  so  gilt  es  ihm  nach  dieser  neuen  ent- 
deckung  vollends  als  ausgemacht,  dass  er  es  mit  einem  ab- 
gefeimten Schwindler  zu  tun  habe,  der  nur  deswegen  die  lanze 
zur  gäbe  vorstrecke,  um  sie  ihm  meuchlings  in  den  leib  zu 
stofsen. 

Wir  besitzen  in  der  heldenepik  mittelhochdeutscher  zeit  ein. 
erkenuuugsscene,  die  zu  dem  fall  hier  eine  lehrreiche  parallele 
darbietet,  ich  meine  den  Vorgang  in  der  Kudrun,  der  Ilagen 
betrifft,  dieser  ist  im  schiff  des  grafen  von  Garadie  und  seinei 
leute  zur  heimat  gelangt  und  beordert  nun  sogleich  boteo  zu 
seinem  vater  Sigebant: 

141        Der  nü  welle  dienen       an  mir  michel  guot, 

diu  maere,  diu  ich  enbiute,       swer  daz  gerne  tuot, 

der  si  sage1  dem  künege,        dem  gibe  ich  golt  daz  rtche. 

jA  lönet  im  vil  gerne       min  vater  und  min  muoter  rlliche. 

hieran   —   ich  gebe  die  scene  in    der  -eslalt  wider,   die  ich  Im 
die  ursprüngliche  halle2  —  schliefst  sich  unmittelbar  an: 

1  der  si  sage  ist  zu  lesen  für  der  sag  der  lis.;  dSr  diu  ta% 
schon  Ziemann,  Ettmüller  und  Piper,  die  übrigen  herausgeb«  a 
(Bartsch,  Symons)    resp.  saget  (Vollmer,  Martin).    —    dir    fül 
auch  333,  2. 

2  ich  brauche  wol  kaum  zu  bemerken  .    dass    i 
auf  einer  gesamtbetrachtung  des  Hagenlieds  beruht 


76  JOSEPH 

144,  1        Die  bolen  riten  dannen       in  Sigebandes  lant. 

145,  2   (16  sprach  einer  eirunder        'da  hat  uns  her  gesant 

din  sun  der  junge  Hagene.       swer  den  gerne  saehe, 

der   ist  hie  so  nähen,        daz  daz  in  kurzer  zite  wol  geschaehe. 

146  Do  sprach  der  vürste  Sigebanl        'ir  trieget  mich  an  not. 
er  ist  s6  hin  geseheiden,        daz  mir  des  kindes  tot 

dicke  hat  erwecket        mines  herzen   sinne'. 

'oh  irs  niht  geloubet,       so  vräget  iuwer  wip   die  küniginne. 

147  Der  ist  er  also  dicke        gewesen   nähen  bi. 
ob  im  an  siner  brüste       ein  guldin  kriuze  si, 

ob  man  des  an  dem  degene       die  rehten  wärlieit  vinde, 
geruochet  ir  des  beide,        so  mugel  ir  sin   wol  jehen  ze  einem 

148  Uoten  der  vrouwen        dilze  wart  geseit.  [kinde.' 
si  vreute  sich  der  maere,        e  was  ir  ofte  leit. 

si  sprach  'wir  sulen  riten        da  wirz  ze  rehte  ervinden'. 

der  wirl  hiez   (16  satelen        im   und  sinen  besten  ingesinden. 
150,  3        Her  Hagene  was  gestanden        nider  üf  den  sant. 
152,2   'sit  irz,   sprach  zime  der  recke,        'der  nach  uns  hat  gesant, 

und  gehet  ze  einer  muoter       der  edelen   küniginne? 

und  sint  war  diu  maere,     so  bin  ich  vrö  von  allen  minen  sinnen'. 
153  öote  diu  scheene       gezogenlichen  sprach 

'heiz  uns  vor   den  liuten        schaffen  hie  gemach. 

ich  sol  in  wol  erkennen,        ob  im  lue  zimt  diu  kröne'. 

si   ervant  diu   wären  bilde.        do  enphiengen  si  den  jungen  helt 

vil  schone. 
Hier  ist  es  also  der  sohu ,  der  tot  geglaubt  nach  langen 
jahren  der  verschollenheit  mit  feinden  des  landes  in  die  heimat 
zurückkehrt,  wir  sehen,  wie  er  auf  das  mistrauen  seines  vaters 
vorbereitet  ist,  und  es  für  ganz  selbstverständlich  hält,  sich  nach 
entdeckung  seines  namens  durch  ein  untrügliches  zeichen  aus- 
zuweisen, was  aber  gilt  als  ein  solches?  ein  kostbarer  gegen- 
ständ,  den  er  an  seinem  körper  trägt! 

Hiernach  ahnen  wir,  was  Hadubrand  erwartet,  als  Hildebrand 
nach  seiner  überrascheuden  eröffnung  sich  die  ringe  vom  arme 
abstreift,  um  sie  ihm  zu  reichen,  wir  verstehn,  welche  würkung 
es  auf  ihn  ausüben  muss,  als  statt  des  documents,  das  die  hei- 
mischen bezieht) ngen  des  alten  ausweisen  soll,  des  feindes  siegel 
ihm  unter  das  gesicht  rückt1. 

Hüdebrand  hat  also  einen  schweren  fehler  begangen,  er, 
der  zunächst  so  besonnen  die  entdeckung  einleitete,  verliert  hier 
im  entscheidenden    augenblick    unter   der  gewalt   der  plötzlichen 

1  vgl.  über  die  rolle,  die  das  armspangenmotiv  sonst  in  diesem  Sagen- 
kreis spielt,  Jiriezek  Deutsche  heldensagen  i  2S1  f. 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES       77 

erkenntnis  alle  iiberleguug  und  vorsieht,  er  folgt  dem  reinen 
impuls  seines  valerherzens.  was  aber  seinen  fehler  so  verhängnis- 
voll macht,  das  ist  der  boden,  auf  den  er  trifft  :  der  Charakter 
Hadubrands.  dieser  junge  heifssporn  ist  von  so  brennendem  ver- 
langen erfüllt,  seine  kraft  mit  dem  alten  erprobten  haudegen  zu 
messen,  dass  er  schon  rein  deswegen  geneigt  sein  muss,  hinter 
jedem  versuch,  ihn  um  die  ruhmesgelegenheit  zu  bringen,  böseste 
absieht  zu  wittern,  was  könnte  seine  befangenheit  in  der  kampfes- 
idee  besser  bezeichnen  als  der  wandel,  der  sich  in  ihm  in  bezug 
auf  die  nachricht  der  Seefahrer  vollzieht,  wir  wissen,  wie  schwer 
er  sich  einstens  überwand,  an  sie  zu  glauben,  und  noch  kurz 
vorher  vermochte  er  es  nicht  ganz,  jetzt  aber,  wo  ihm  die  aus- 
sage jener  leute  einen  vorwand  zu  dem  ersehnten  kämpf  bietet, 
steigert  sie  sich  in  ihm  sofort  zu  tatsächlicher  gewisheit!  daher 
also  dieser  scheinbare  Widerspruch  zwischen  den  äufserungen 
v.  29  und  v.  42—44. 

Hadubrands  ausspruch,  sahen  wir,  besagt  :  man  soll  eine 
mit  dem  speer  gereichte  gäbe  nicht  in  die  band  empfangen, 
sondern  widerum  mit  dem  speer.  Kauffmann,  der  freilich  die 
worte  Hadubrands  im  geiste  JGrimms  (vgl.  oben  s.  73)  fasst, 
schliefst  aus  ihnen,  dass  Hadubrand  würklich  die  gäbe  angenommen 
habe  x  (Piniol,  stud.  s.  14S).  nach  meinen  voraufgehnden  er- 
örterungen  wird  jeder  empfinden,  wie  wenig  dies  in  den  augen- 
hlick  passte;  auch  scheinen  die  ausdrücke  lirusti  giwinnan,  rauba 
birahanen,    die  Hildebrand  v.  56 f  gebraucht,   zu    widersprechen. 

In  dem  moment,  wo  in  Hadubrand  der  gedanke  aufblitzt, 
der  speer  des  alten  wolle  sich  verstohlen  gegen  ihn  selber  richten, 
wird  er  natürlich  unwillkürlich  einen  schritt  zurückweichen,  um 
zugleich  den  eigenen  speer  zur  abwehr  des  fremden  vorzustrecken. 
hierdurch  gerät  er  denn  in  eine  Stellung  gegen  den  alten,  wie 
sie  würklich  derjenigen  entspricht,  die  zwei  reiter  gern  einnehmen, 
wenn  der  eine  gäbe  geben,  der  andre  empfangen  will,  nun 
merken   wir   wol    den  sinn  des  Spruches,    den   Hadubrand   dem 

1  Kauffmann  kommt  ganz  logischer  w  •  •  i >< •  zu 
auch  ihm  klar  geworden  ist  —  er  hat  hierin  keinen  vo 
armspangen  für  Hadubrand  'authentische  documente  der  bannischen  h< 
Hildebrands'    seien    (s.  147).     wenn    nun  Hildebrand    d 
die  spitze  des  Speeres  hängt,    so  muste  letzterer  Bie  in  de 
pfang  nehmen,  um  das  gepräge  der  goldmi 


78  JOSEPH 

gegner  zuruft  :  er  bedeutet  crassen  höhn!  'nicht  wahr,  speer 
gegen  speer,  wie  wir  hier  stehn,  das  ist  die  art,  gäbe  anzunehmen  ? 
schau  her,  wie  ichs  meine  1'  und  nun  statt  den  speer  zum 
nehmen  geneigt  eine  abwehrende  bewegung,  bei  der  das  geschenk 
zu  boden  fährt,  und  Hadubrand,  statt  die  brüst  dem  heimtückischen 
stofs  zu  bieten,  selber  stofsfertig  dasteht. 

Diese  art,  eine  angeregte  erwartung  durch  die  überraschende 
wendung,  die  man  einem  wort  oder  einem  allgemeinen  satz  gibt, 
zu  teuschen  oder  zu  verhöhnen,  ist  ein  charakteristisches  mittel 
des  alten  heldendialogs.  es  geht  als  litterarisches  erbgut  in  unsre 
spätere  poesie  über  und  zeigt  auch  spuren  in  den  mit  der  alten 
epik  innigst  und  vielfach  verquickten  anfangen  unsrer  lyrik.  ich 
betone  das  hier,  denn  man  scheint  noch  gar  wenig  ahnung  von 
diesem  Verhältnis  zu  haben,  wie  ich  aus  dem  allgemeinen  staunen 
ersehe,  mit  dem  man  es  aufgenommen  hat,  dass  ich  den  Küren- 
berger  in  den  mannesstropheu  seiner  wechselgesänge  phrasen  der 
frauen  persiflieren  lasse. 

Für  unsern  speciellen  fall  aber  möcht  ich  auf  eine  stelle  der 
vorher  mitgeteilten  Byrhtnothscene  hinweisen,  als  Byrhtnoth  von 
den  Dänen  aufgefordert  wird,  tribut  zu  zahlen,  da  antwortet  er 
'ja  wol  gere  wollen  wir  als  tribut  geben'  usw.  dieser  fall  scheint 
insbesondere  dadurch  bemerkenswert,  dass  die  begleitende  ge- 
bärde, die  den  eigentlichen  sinn  der  rede  zu  erkennen  gibt,  hier 
mit  den  eigenen  worten  des  dichters  ausgedrückt  wird  :  'Byrht- 
noth hielt  den  schild  fest,  schwang  die  schwanke  esche  und  ant- 
wortete zornig  und  entschlossen'. 

Die  überraschende  würkuug  wird  auch  wol  erhöht,  indem 
den  doppeldeutigen  worten  plötzlich  ein  unzweideutiges  beigemengt 
wird,  es  schien  mir  daher  angemessen,  die  zweite  halbzeile  von 
v.  38  mit  der  phrase  after  ekköno  spile  auszufüllen  :  'gemäfs  der 
entscheidung  der  Schwerter',  ein  schwertkampf  folgt  ja  auch 
nachher,  wie  üblich,  tatsächlich  dem  gerkampf  und  der  ausdruck 
spil  will  gut  mit  dem  ton  harmonieren,  der  da  aus  den  worten 
Hildebrands  niuse  de  mötti  v.  61  widerklingt,  ich  denke  mir  ge- 
rade mit  diesem  Übergang  Hadubrands  zu  unzweideutiger  spräche 
das  herabschleudern  der  dargebotenen  gäbe  verbunden,  so  nun 
tritt  die  niederschmetternde  Plötzlichkeit  und  wucht  völlig  zu 
tage,  mit  der  Hildebrand  der  illusion  entrüttelt  wird,  in  die  sich 
sein  vaterherz  geträumt  hatte. 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSL1EUES   79 

Zur  weitern  stütze  meiner  ergänzung  aber  darf  ich  mich 
widerum  auf  unser  Byrhtnotblied  berufen,  hier  finden  wir  46  f 
ebenfalls  'schwert'  als  drittes  mit  den  begriffen  'ger'  und  Ganzen- 
spitze'  vereint  :  hi  willab  eow  to  gafole  garas  syllan,  cettryniie 
ord  and  ealde  swurd  (Greiu-Wülcker  i  360)  und  60  f  wird  gar 
der  begriff  'kampfspiel'  selber  ganz  in  dem  sinn  und  Zusammen- 
hang gebraucht,  in  dem  er  jetzt  im  Hildebrandslied  steht  :  us  sceal 
ord  and  ecg  cer  geseman,  grim  guüplega,  cer  we  gofol  syllon! 

spil  =  'certamen'  ist  bei  Graff  vi  329  belegt;  vgl.  ferner 
über  diesen  begriff  in  mhd.  zeit  Martin  Z.  Kudr.  633,  3. 

45 —  59.  Braune  in  seinen  sehr  dankenswerten  lilteratur- 
nachweisen  *  zu  den  einzelnen  versen  des  Hildebrandsliedes  (Alul. 
lesebuch4  s.  171  ff)  verzeichnet  nicht  weniger  als  sechzehn  ver- 
suche, diese  stelle  ins  reine  zu  bringen,  und  berücksichtigt  dabei 
nicht  einmal  jegliche  bemühung.  merkwürdig  ist,  dass  Rödiger 
damit  soviel  beifall  finden  konnte,  dass  er  den  alten  ein  fall  Hof- 
manns wideraufleben  liefs,  die  verse  unter  vater  und  söhn  zu 
verteilen,  diesem  unternehmen  ist  durch  Kauffmann  jetzt  hoffent- 
lich für  immer  sein  ehrliches  begräbnis  gesichert  (Piniol,  slud. 
s.  150  f).  auch  mein  text  trägt  bekannte  mienen.  er  gleicht 
nämlich  in  seiner  äufsern  gestallung  dem  Greins.  mit  diesem 
acceplier  ich  den  Vorschlag  Hofmanns,  46  —  48  nach  f>4  zu 
rücken,  und  fasse  dann  das  ganze  als  eine  einzige  lückenlose 
rede  Hildebrands,  aber  freilich  in  «ler  deutung  der  einzelnen 
momente  wie  des  gröfsern  Zusammenhangs  entfern  ich  muh  ?on 
Grein  so  sehr  wie  von  allen  übrigen  bisherigen  erklärern. 

Die  Schwierigkeiten  des  Verständnisses  liegen  vornehmlich  in 
den  versen  46 — 48  und  55 — 57. 

Betrachten  wir  zunächst  die  letzteren,  seitdem  es  feststeht, 
dass  in  sus  heremo  man  'an  einem  so  alten  mann  wie  ich'  be- 
deutet, erkennt  man  allgemein  —  ich  spreche  natürlich  nur  ran 
denen,  die  die  worte  Hildebrand  zuschreiben,  —  in  55  l  den 
sinn,  den  Martin  Zs.  34,  281  so  widergab  :  'doch  kannst  du  jetzl 
leicht,  wenn  du  stark  genug  dazu  bist,  an  (mir)  einem  so  alten 
manne,  beute  erwerben',  man  meint,  dass  Hildebrand  mil  d 
Worten  auf  seine  altersschwache  hinweise. 

1  von  der  bei  Braune  verzeichneten  litteratnr  hab  ich  I 
bemühung   nicht   erlangt  das  Iglauer  programm 
im  alten  Hildebrandslied  (1896). 


80  JOSEPH 

Aber  wie  wenig  fügt  sich  doch  ein  solcher  zug  zu  seinem 
bild  hehrer  erscheinung,  das  uns  unser  gedieht  in  so  markiger 
Verkörperung  vorführt?  und  Hildebrand  soll  sich  ernstlich  in 
den  äugen  seines  gegners  selbst  herabsetzen,  um  dem  kämpf  mit 
diesem  auszuweichen  ?  wie  vereint  sich  das  mit  dem  germanischeu 
heldenideal,  dessen  vollendeten  typus  doch  eben  dieser  Hildebrand 
darstellt?  und  endlich  :  was  soll  jetzt  nur  die  bemerkung  ibu 
dir  din  eilen  taoe?  in  dem  falle,  dass  Hadubrand  die  stärke  dazu 
besitze,  könne  er  es  mit  einem  so  altersschwachen  mann  wie 
Hildebrand  aufnehmen?  dies  ist  ja  ein  Widerspruch  in  sich  oder 
andernfalls  eine  so  banale  phrase,  wie  wir  sie  dem  erhabenen 
neiden  in  dieser  fürchterlichsten  stunde  seines  Schicksals  nimmer- 
mehr zutrauen  werden  1 

Man  übersieht  immer  das  kleine,  aber  zum  Verständnis  des 
Zusammenhangs  äufserst  wichtige  wörtchen  nü  :  'du  hast  es  jetzt 
leicht,  dir  den  kampfpreis  an  mir  zu  verdienen',  warum  jetzt 
erst?  weil  die  stimme  zum  schweigen  gebracht  ist,  die  sich  so 
lange  gegen  den  kämpf  auflehnte  :  die  stimme  des  blutes.  aodlihho 
ist  auf  das  engste  mit  nü  zu  verbinden  :  nur  insofern  nun  das 
undenkbare  geschehn  ist,  dass  dieses  hindernis  des  blutes  nicht 
mehr  besteht,  hat  es  der  söhn  leicht  trophäen  zu  gewinnen,  die 
gelegenheit,  die  chance,  die  möglichkeit  ist  frei  :  blofs  das  will 
Hildebrand  dem  söhne  sagen,  aber  nicht,  dass  er  es  nun  leicht 
in  bezug  auf  seine  person  habe,  indem  Hildebrand  seinen  söhn 
mit  diesem  in  sus  heremo  man  auf  sich  hinweist,  tritt  er  viel- 
mehr bewust  der  verächtlichen  behandlung,  die  sein  alter  von 
ihm  soeben  erfahren  hat  —  alter  Run  .  .  pist  also  gialtet 
man,  so  du  ewin  inwit  fuortös  — ,  entgegen,  steht  er  im  höchsten 
Vollgefühl  seines  wertes  wie  der  bedeutung  des  momentes.  sieh 
den  alten  mann,  er  ist  in  heldentaten  ergraut  :  wenn  dich  denn 
der  ruhmespreis  so  lockt,  prüfe,  ibu  dir  din  eilen  taocl  sieh 
den  alten  mann,  seine  grauen  haare  fordern  ehrfurcht,  also  auch 
glauben  :  bevor  du  denn  nach  dem  ruhmespreis  so  trachtest, 
prüfe,  ibu  du  dar  enic  reht  habe's! 

Fassen  wir  aber  die  verse  in  dieser  einzig  möglichen  und 
einzig  richtigen  weise,  so  wird  niemand  mehr  daran  denken,  sie 
mit  Müllenhoff  von  58  ff  zu  trennen,  sondern  es  ergibt  sich,  dass 
sie  vielmehr  in  unlöslich  logischer  Verbindung  mit  diesen  stehn. 
denn  in  den  letztern  versen  ist  eben  der  grund  enthalten,  warum 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDES       81 

Hildebrand  dem  vatergefühl  nicht  länger  gehör  geben  darf  :  er 
würde  sich  dem  Vorwurf  schmählichster  feigheit  aussetzen,  wollte 
er  noch  ferner  zögern  den  kämpf  aufzunehmen,  übrigens  darf 
man  diese  verse  58  f  nicht  so  erklären,  wie  es  Lachmann,  meines 
wissens  unwidersprochen,  tut.  Lachmann  bemerkt  (Kl.  sehr, 
i  438)  :  'ich  wäre  der  feigste  der  Ostländer,  wenn  ich  den  kämpf 
nicht  annähme,  sagt  Hildebrand,  indem  er  sich  selbst  zu 
den  Hunnen  rechnet,  deren  könige  er  gedient  hat',  aber 
wie  wird  sich  denn  Hildebrand  selber  zu  den  Hunnen  rechnen 
in  einem  moment,  wo  doch  alles  für  ihn  daran  gelegen  ist,  ge- 
rade diesen  verdacht  von  sich  abzuwälzen  1  vielmehr  ist  zu  über- 
setzen :  'wer  dir  jetzt  noch  länger  den  kämpf  weigerte,  das  müste 
ein  feigling  sein,  wie  man  im  Hunnenvolke  kaum  seinesgleichen 
fände'.  Hildebrand  stellt  sich  mit  diesen  Worten  demnach  gerade 
in  gegensatz  zu  den  Hunnen. 

So  eng  sich  die  verse  55 — 57  mit  58  ff  verbinden,  so  schlecht 
schliefsen  sie  an  49 — 54  an.  nü  53  nimmt  den  zeitlichen  gegen- 
satz vorweg,  und  die  zweite  halbzeile  des  verses  54  stellt  eine 
alternative,  die  in  55 — 57  ganz  fallen  gelassen  ist. 

Dass  dagegen  die  verse  55 — 57  unmittelbar  zu  46 — 48  ge- 
hören, wird  klar  werden,  sobald  wir  nur  46 — 48  richtiger  deu- 
ten, als  es  bisher  geschehen  ist.  diese  verse  begegnen  heute 
einer  zwiefachen  auffassung. 

Kauffmann  meint  (s.  149),  wie  schon  vor  ihm  OSchröder, 
Hildebrand  spreche  hier  von  dem  heimatsglück  des  sohues,  um 
demselben  sein  eigenes  ruheloses  dasein  gegenüberzustellen,  er 
construiert  also  eine  art  rein  rhetorischen  gegensatzes.  dieser 
wäre  nun  schon  an  sich  wenig  stilgemäfs.  hätte  der  dichter  der- 
gleichen aber  würklich  beabsichtigt,  so  hätte  er  sicherlich  nicht 
die  beiden  Sätze  mit  den  wörtchen  wela  und  welaga  eingeleitet, 
ohne  diese  in  correlation  zu  stellen,  etwa  in  dem  sinne  :  'wol 
dir  I*  —  'wehe  mir  1'  wela  steht  aber  syntaktisch  wie  begrifflich 
ganz  anders  als  in  dem  geforderten  sinne,  und  es  ist  mir  daher 
unverständlich,  wie  Kauffmann  trotzdem  behaupten  kann,  die 
worte  wela  und  welaga  stünden  'offenbar'  in  correlation. 

Die  bei  weitem  meisten  anhänger  aber  zählt  die  »weite  deu- 
tung,    die   Müllenhoffs,    der    aus  Hildebrands    Worten    den   sinn 
herauslas  :  ich   sehe   dich    von    deinem    berrn    so   stattlich    aus- 
gerüstet, dass  du  freilich  meine  gäbe  zurückweisen  darfst,  <!,<  du 
Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  XXXI. 


82  JOSEPH 

ihrer  nicht  benötigst,  aber  derselbe  Hildebrand  hält  doch  seinem 
söhn  wenige  verse  später  entgegen,  dass  er  hrusti  giwinnan, 
rauba  birahanen  wolle!  ferner  ist  es  ein  germanischer  anschau- 
ung  völlig  fern  liegender  gedanke,  dass  ein  held  eine  bi  huldi 
dargebotene  gäbe  des  gegners  deswegen  ausschlagen  möchte,  weil 
er  reich  genug  seil 

Die  verse,  um  die  es  sich  handelt,  sind  nur  aus  dem  gröfsern 
Zusammenhang  verständlich. 

Wir  wissen,  dass  der  söhn  des  vaters  gäbe  aus  dem  grund 
zurückweist,  weil  sie  durch  ihr  hunnisches  gepräge  seinen  ver- 
dacht erregt,  die  nachdrücklichkeit,  mit  der  unser  sonst  hinter 
den  redenden  zurücktretende  dichter  bei  der  erwähnung  der 
wuntane  bougd  hinzufügt  cheisuringu  güdn,  so  imo  se  der  chuning 
gap,  Uüneo  truhtin,  leitet  unsre  aufmerksamkeit  gleich  darauf, 
dass  diese  eigenschaft  der  ringe  in  der  folge  bedeutung  gewinnen 
wird,  aber  auch  Hildebrand  kann  es  nicht  verborgen  bleiben, 
dass  der  söhn  durch  den  hunnischen  Charakter  seiner  gäbe  wie 
seiner  erscheinung  zum  feindlichen  verhalten  getrieben  wird, 
denn  die  worte  alter  Hün,  mit  denen  ihn  Hadubrand  anredet, 
sagen  es  ihm  ja  deutlich. 

Demnach  wird  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  was  die  verse 
46  —  48  ausdrücken  wollen  :  'du  trägst  freilich  keine  fremde 
rüstung,  denn  du  hast  zu  hause  deinen  herrn  und  kennst  das 
loos  der  Verbannung  noch  nicht  aus  erfahrung'.  der  unaus- 
gesprochene gedanke  ist  :  'daher  schliefst  du  aus  meiner  rüstung, 
dass  ich  nicht  dein  vater  sei',  damit  erhellt  nun  auch,  in  welcher 
weise  55  ff  an  46  —  48  schliefsen  :  in  dem  doh  ligt  ausgedrückt: 
'aber  trotzdem  ich  dein  vater  bin'. 

Überschauen  wir  nun  die  ganze  rede,  als  Hildebrand  er- 
kennt, dass  er  seinen  söhn  vor  sich  hat,  da  glaubt  er  nur  seinen 
namen  nennen  zu  dürfen,  auf  dass  Hadubrand  sich  ihm  in  die 
geöffneten  vaterarme  stürze,  wie  fern  ihm  der  gedanke  ligt,  er 
könne  auch  nur  auf  das  geringste  mistrauen  stofsen,  das  be- 
kundete sich  sprechend  in  dem  humorvollen  ton,  mit  dem  er  die 
kampfesangelegenheit  behandelt. 

Was  geschieht  aber  nun?  man  vergegenwärtige  es  sich. 
die  gäbe  der  liebe  schnöde  zu  boden  geschleudert,  statt  des 
wortes  vater  das  schmähwort  des  feigen  meuchelmörders.  zum 
kämpfe  drängend  steht  der  söhn  vor  ihm,  während  es  ihm  in  die 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRANDSLIEDKs 

ohren  hallt  'tot  ist  Hildebrand!'  zwei  wege  nur,  die  er  erblickt: 
die  heldenebre  einbüfsen  oder  den  kämpf  aufnehmen  mit  dem 
eignen  blut.  und  in  dieser  läge,  der  er  sich  mit  erstarrender 
Plötzlichkeit  gegenübergestellt  findet,  soll  nun  sein  erstes  sein, 
dass  er  die  schöne  rüstung  des  sohnes  in  betrachtung  nimmt! 
nein,  was  hier  allein  am  platz  scheint,  das  ist  dieser  schmerzens- 
aufschrei  der  Verzweiflung  :  welaga  nu,  tcaltant  got,  wewurt  skihit, 
der  sich  zu  einer  ergreifenden  anklage  der  höhern  macht  ge- 
staltet, indem  Hildebrand  das  geschick  ausmalt,  dem  er  sich  nun 
durch  die  unvorhergesehene,  fürchterliche  vvendung  aufgespart 
sieht,  vom  söhn  niedergestreckt  werden  oder  ihm  der  schlächter 
sein!  vom  söhne!  erst  dieses  wort  entreifst  ihn  seiner  selbst- 
betrachtung  :  er  lenkt  den  blick  auf  diesen  seinen  söhn,  wie 
schön  und  stattlich  er  dasteht!  und  doch  so  unberührt  selbst 
von  diesem  seelenton  des  empfindens,  und  auch  diese  laut  rufende 
tatsache  der  dreifsigjährigen  Verbannung  —  sie  hallt  ungehört 
vorbei! 

Wehmutsvoll  haftet  sein  äuge  an  ihm.  liebevoll  mahnend 
wendet  sein  wort  sich  ihm  zu1,  vergebens!  so  soll  er  denn 
jetzt  seinen  willen  haben,  der  junge  mann,  aber  vielleicht,  wo 
er  nun  ja  sieht,  dass  er  nicht  heimtückisch  feige  dem  kampl 
auszuweichen  gedenkt  —  wenn  er  ihn  noch  einmal  auf  Beine 
ehrwürdige  gestalt  hinweist,  dass  ihm  doch  noch  eine  abnung 
seiner  Verantwortlichkeit  überkomme!  denn  wahrlich,  er,  er 
selber  fühlt  sich  jeder  Verantwortung  frei,  machtvoll  bäumt  sich 
der  stolz  gekränkter  ehre  auf.  der  entschluss  ist  gefassl  :  den 
ausgang  stellt  er  nun  dem  Schicksal  anheim.  ein  grolsartiger  ;il>- 
schluss  des  erhabenen  heldenbildesl 

Aber  ich  habe  hier  den  inhalt  von  versen  vorausgenommen, 
deren  text  ich  noch  zu  rechtfertigen  habe. 

60—64.  Dass  sich  'versuche  der,  dem  es  verliehen  ist,  wer 
sich  heute  der  beute  rühmen  oder  diese  brttnnen  beide  besitzen 
müsse'  nicht  verbinden,    sah   schon  Rieger   ein   (Germ.  9,  311), 

1  Müllenhoffs  helid  habe  ich  v.  46    eingesetzt,   weil   dies, 
zwei  eigenschaften  besitzt,   die  hier  speciell  am  platz  sind   :    I 
der  Jugendlichkeit,  der  in  dem  wort  ligt   und  der  an  Badubran 
Schaft  bezeichnet,  die  der  alte  bei  dieser  r« 
hat,  2)  die  form  der  anrede,  womit  Hildebrands  Verla« 
tung  wirkungsvoll  eingeleitet  wird. 


84  JOSEPH 

und  ich  kann  nicht  mit  Steinmeyer  (Denkm.  n  19 ff)  finden,  dass 
der  sinn  der  üherlieferuog  besserung  erfahre,  indem  man  hwer- 
dar  =  'ob'  nimmt,  da  auch  gleichzeitig  niuse  de  mötti  sich  nicht 
in  die  allitteration  fügt,  so  ist  doch  der  nächstliegende  schluss, 
der  zu  positivem  versuch  herausfordert,  dass  diese  halbzeile  nicht 
zu  güdea  gimeinün  gehöre,  sondern  wie  letztere  selber  zu  halb- 
zeileu,  die  verloren  gegangen  sind. 

Für  die  ergänzte  halbzeile  got  eno  dat  wet  kann  noch  ein- 
mal das  Byrhtnothlied  bürgen,  die  letzten  worte  Byrhtnoths  näm- 
lich vor  der  entscheidung  sind  die  folgenden,  93 — 95: 

nu  eow  is  ^erymed,       z,a3  ricene  to  us, 

Kliman  to  z.ufe:        ;o9  ana  wat, 

hvva  beere  waelstowe       wealdan  mole. 

Auf  grund  dieser  stelle  schreibe  ich  auch  hwer  ddr  statt 
hwerdar,  um  so  mehr  als  der  gedanke  dadurch  erhöhung  erfährt, 
dass  die  räumliche  beziehung  ausgedrückt  wird,  für  v.  61  wird 
demjenigen,  der  die  zahlreichen  stellen  durchmustert,  die  parallelen 
der  Wendung  niuse  de  mötti  bieten,  soviel  sicher  sein  1)  dass 
die  ansetzung  der  parenthese  richtig  ist,  2)  dass  die  zweite  halb- 
zeile einen  abhängigen  satz  mit  ibu  enthielt,  dass  aber  hier 
würklich  ausgedrückt  gewesen  sein  muss,  es  handle  sich  um 
leben  oder  tod  :  das,  mein  ich,  ligt  zu  klar  im  Zusammenhang 
des  ganzen,  als  dass  es  ernstlich  bestritten  werden  könnte,  der 
stab,  der  auf  nerie  fällt,  ist  in  dem  starken  logischen  ton  dieses 
wortes  begründet. 

in 

Es  ist  sehr  beliebt,  von  dramatischer  behandlung  eines  ge- 
dichts  zu  reden,  aber  unser  gedieht,  glaub  ich,  fordert  in  der 
tat  dazu  auf,    es  unter  diesem  gesichtspunet  zu  charakterisieren. 

Speciell  die  spräche  des  dialogs,  wie  wir  sie  jetzt  kennen 
gelernt  haben,  ist  nur  aus  dem  dramatischen  geist  heraus  zu 
verstehn  und  zu  erklären,  die  redenden  sagen  eben  nicht  mehr, 
als  nötig  ist,  damit  sie  sich  untereinander  verständlich  machen, 
wozu  sollte  Hildebrand  erwähnen,  dass  er  dem  söhne  seine  gäbe 
auf  der  spitze  des  gers  bietet  und  in  die  hand  reicht?  das  sieht 
ja  der  söhn,  und  ebenso  sieht  es  Hildebrand,  wenn  Hadubrand 
den  speer  vorstreckt  und  die  dargebotene  gäbe  zu  boden  schleu- 
dert, mit  den  worten  wela  gisihu  ih  usw.  bezeichnet  Hildebrand 
nur  den   äufsern  umstand:    die  Schlussfolgerung  zu  ziehen,    auf 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBHANDSL1EDES 

die  es  ihm  eigentlich  ankommt,  überlässt  er  dem  angeredeten. 
er  fährt  mit  der  adversativpartikel  doh  fort:  aber  der  gedanke, 
um  dessen  gegensatz  es  sich  haudelt,  bleibt  wider  unausgedrückt. 
mag  Hadubrand  ihn  sich  ergänzen  1  so  mannigfaltig  und  schroff 
der  Stimmungswechsel  bei  den  redenden  ist:  kein  directes  wort 
deutet  ihn  an.  ja  wir  eriunern  uns,  wie  diese  äufsere  unver- 
mitteltheit dazu  verführte,  in  den  reden  Hadubrands  einen  Wider- 
spruch zu  erblicken. 

Kurz  alles  was  sich  aus  Situation  und  natürlicher  folge 
ergibt,  was  aus  ton  oder  gebärde  vernehmlich  ist,  bleibt  in 
worten  unausgedrückt.  diese  darstellungsart,  verbunden  mit  dem 
fast  völligen  zurücktreten  des  dichters  hiuter  seinen  persouen, 
lässt  einen  rückschluss  auf  die  Vortragsart  machen:  es  fehlte 
gewis  nicht  an  der  begleitung  einer  ziemlich  lebendigen  mimik  '. 

Betrachten  wir  den  dialog  in  seiner  gliederung.  unter 
den  fünf  reden  bildet  die  mittlere,  die  durch  unterbrechende 
worte  des  dichters  auch  äufserlich  vor  den  übrigen  ausgezeichnet 
ist,  den  höhepunct  der  handlung:  Hildebrand  entdeckt  sich,  die 
beiden  reden  nun,  die  der  mittleren  vorausgehn,  mochte  man 
als  steigende  handlung  bezeichnen:  denn  jede  bedeutet  einen 
markanten  schritt  vorwärts  zur  entdeckung.  durch  die  erste 
wird  Hadubrand  veranlasst,  über  sich  und  seineu  vater  auskunft 
zu  geben:  das  moment  der  ersten  Steigerung,  durch  die  andere 
wird  Hildebraud  veranlasst,  aus  der  bisher  geübten  reserve  beiaus- 
zutreten: das  moment  der  zweiten  Steigerung. 

Die  beiden  reden,  die  der  mittleren  folgen,  charakteru 
sich  als  fallende  haudluug.    mit  der  ersten  sieb!  sich  Hildebrand 
plötzlich    aus    allen    himmeln    gestürzt:    das    momenl    <U->    Um- 
schwungs,    mit  der  zweiten   ist  der  kämpf  für  ihn  beschloß 
sacbe:  die  katastrophe. 

Auch  die  momente   'scenischer  würkung'    (Freylag   Technik 
des  dramas5  s.  100)   ergeben   sich   ungezwungen,     mit  jeder  der 
drei  reden  Hildebrands  ist  eines  verbunden,     das  erregende  mo- 
ment   mit    der    ersten,     dieses    hestelit    in    dein   eindruck, 
Hildebrand  durch  die  erscheinun-  Hadubrands  erführt,  und 
in    der  vermutlich    verlorenen  zeile   (vgl.  8.  62Q    speciell 

1  auch  Kauffmann  (s.  170)  betont  Mir  nachbildm 
dialog  und  die  bedeutsame  rolle,  'welche  in  der  altgermai 
bärde  und  stummes  spiel  haben'. 


86  JOSEPH 

bekommen  haben,  in  die  zweite  fällt  das  tragische  moment: 
auch  auf  dieses  wird  durch  besondere  worte  des  dichters  hinge- 
wiesen, nämlich  durch  die  unterbrechenden,  da  mit  ihnen  der 
verhängnisvolle  umstand  in  der  handlung  Hildebrands  hervor- 
gehoben wird,  mit  der  dritten  endlich  findet  sich  das  moment 
der  letzten  Spannung  vereinigt,  denn  aus  der  selbstbetrachtung 
Hiklebrands  erfährt  Hadubrand  eine  tatsache  —  die  dreifsigjährige 
Verbannung  — ,  die  geeignet  wäre,  ihm  noch  nachträglich  die 
äugen  zu  öffnen. 

Auch  die  innere  Verknüpfung  der  handlung,  ihre  motivie- 
rung,  verträgt  den  dramatischen  mafsstab.  wir  dürfen  sehr  wol  vou 
einer  Schürzung  des  knotens  reden,  was  treibt  den  vater  zum 
kämpf  mit  dem  söhn?  dass  dieser  ihn  in  seiner  ehre  kränkt? 
nein,  vielmehr  erst  die  hinzukommende  erkenntnis,  dass  der 
söhn,  auf  ein  bestimmtes  Zeugnis  gestützt,  ihn  für  tot  hält, 
hiermit  ist  ihm  würklich  jeder  andere  ausweg  abgeschnitten, 
seine  ehre  widerherzustellen,  was  anderseits  macht  Hadubrand 
aller  belehrung  unzugänglich?  nicht  blofs  die  hunnische  erschei- 
nung  des  vatersl  auch  hier  muss  ein  zweiter  umstand  hinzu- 
treten: die  entdeckuug  der  kaisermünze,  womit  Hildebrand  als 
belrüger  entlarvt  scheint,  dass  sein  nachträglicher  ausweis  danu 
keine  würkung  mehr  ausübt,  kann  nicht  wunder  nehmen:  denn 
ein  belrüger  konnte  sich  natürlich  aus  deu  in  Hadubrands  rede 
gegebenen  momenten  die  dreifsigjährige  Verbannung  selbst  zu- 
rechtzimmern. 

Im  höhern  sinne  aber,  wir  sahen  das  schon  gelegentlich, 
fliefst  die  handlung  aus  den  Charakteren,  der  grundzug  im  wesen 
der  beiden  männer  ist  ihre  heldennatur.  diese  natur  kommt  bei 
jedem  in  einer  ihrem  verschiedenen  alter  gemäfsen  weise  zur 
äufseruug.  Hildebrand  dem  greisen  recken  gilt  es,  seine  helden- 
ehre  zu  bewahren.  Hadubrand  dem  jungen,  heldenehre  zu  ge- 
winnen. 

Hildebrand  sieht  alle  bedenken,  die  seinem  ziel  entgegen- 
stehn.  wenn  sein  heldentum  dennoch  schliefslich  den  ausschlag 
gibt,  so  mächtig  sein  vaterherz  widerstrebt,  so  klar  er  die  folgen 
überschaut,  so  fürchterlich  ihn  die  Verantwortung  bedrängt,  so 
spricht  dies  in  gleichem  mafse  für  die  tiefe  wie  für  die  unbeug- 
same strenge  seines  heldeubegriffs.  war  er  im  stände,  diese  auch 
nur  einen  augenblick  zu  verlassen,  so  würde  dem  kämpf  jegliche 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  IHLDEBRANDSLIEDES 

sittliche  grundlage  fehlen,  seine  handlung  würde  uns  nichi 
mehr  durch  ihre  gröfse  rühren,  sondern  durch  ihre  frivolitäi 
abstofsen.  hier  sehen  wir  also  einen  neuen  grund,  warum  sich 
die  schon  früher  kritisierte  beliebte  auffassung  verbietet,  nach  der 
Hildebrand  bemüht  sei,  dem  kämpfe  dadurch  aus  dem  wege  zu 
gehn,   dass  er  sich   seinem  gegner  gegenüber  selber  herabsetze. 

Hadubrand  folgt  im  gegensatz  zum  vater  unbeirrt  dem  blinden 
eifer  seines  jugendlichen  ehrdranges.  aber  eben  nur  diesem. 
auch  hier  widerspräche  das  weitere  motiv,  das  man  ihm  gewöhn- 
lich noch  unterlegt,  habsucht,  der  einheit  der  handlung.  denn 
um  seiner  habsucht  befriedigung  zu  verschaffen,  bedürfte  es  bei 
den  obwaltenden  Verhältnissen    keineswegs  des  kampfes. 

Neben  der  lebendigen  dramatischen  erfassung  des  Stoffes  er- 
kennen wir  noch  eine  zweite  eigenheit,  die  unserm  dichterwerk 
seinen  Charakter  gibt,  es  ist  die  kunst,  die  motive  poetisch  aus- 
zubeuten,    auf  zweierlei  weise  wird  dies  erreicht. 

Erstens  durch  festhalten  desselben  motivs.  ich  denke 
an  die  art,  wie  Hildebrand  in  seiner  scherzrede  das  kampfesmotiv 
aufgreift  und  durchführt,  oder  wie  er  mit  seinem  in  sus  he'remo 
man  das  alter  Hün  und  also  gialtet  man  seines  sohnes  erwidert, 
auch  das  widerklingen  von  Hildebrands  chud  ist  mir  al  irmindeot 
in  Hadubrands  chud  was  her  er  chönnem  mannum  gebort  hierher. 

Befestigt  dieses  mittel  den  geschlossenen  charakter  unsers 
gedichts,  so  vollendet  das  andere  seine  monumentale  prägung. 
es  besteht  in  der  kunst  des  contrastierens.  das  contrastie- 
rende moment  in  den  Charakteren  seiner  beiden  beiden  deutet  dei 
dichter  selber  an,  indem  er  von  Hildebrand  sagt :  her  was  heröro 
man,  ferahes  frötöro. 

Und  auch  die  handlung  führt  der  dichter  unter  dem  gesichts- 
punct  ihres  contrastierenden  ergebnisses  vor,  indem  er  Hildebrand 
die  tiefe  ihrer  tragik  mit  den  Worten  veranschaulichen  lässt  :  ih 
wallöta  sumaro  enti  wintro  sthstic  usw. 

Aber  auch  eine  menge  unausgesprochener  contraste  sind  i 
dem  gedieht  enthalten,  und  wir  empfinden  sie  nicht  w< 
haft.     Hadubrand,    der  eben    das  andenken  d 
vollster  weise   gefeiert  hat,   tut   ihm   gleich  darauf  un? 
die    schmählichste    behandlung   an.     er,    der    alle    die 
heimkehr  des  vaters  geharrt  hatte,  stöfsl   ihn  nun.  Irklich 


88  JOSEPH 

erscheint,  selber  zurück,  die  todeskunde,  an  die  seine  liebe  so 
lange  nicht  zu  glauben  vermochte,  gewinnt  in  dem  moment  für 
ihn  Wahrheit,  wo  sie  gerade  in  der  weise,  die  er  ersehnt  hatte, 
lügen  gestraft  wird,  wie  eindrucksvoll  stellt  sich  dem  über- 
mütigen scherz  des  alten  der  bittere  ernst  des  sohnes  entgegen, 
welches  seelenbild  des  alten  enthüllt  sich  uns  :  das  was  seinen 
höchsten  vaterstolz  ausmacht  —  die  heldenhaftigkeit  des  sohnes  — , 
erwächst  zu  seinem  tiefsten  vaterschmerz! 

Zu  dieser  doppelspiegelung  der  motive  bildet  die  dichoto- 
mische  Ordnung,  die  durch  sämtliche  reden  sichtbarlich  geht,  eine 
stilistische  analogie.  die  beideu  momente,  die  sich  jedesmal  von 
einander  abheben,  sind  in  der  ersten  rede  :  Hildebrands  bitte  um 
auskunft,  die  anpreisung  seiner  eigenen  künde;  in  der  zweiten 
Hadubrands  erteilung  der  auskunft,  seine  anpreisung  von  Hilde- 
brands bekanntheit;  in  der  dritten  Hildebrands  bekenntnis,  seine 
gabenreichung;  in  der  vierten  Hadubrands  erwiderung  auf  das 
bekenntnis,  seine  erwiderung  auf  die  gabenreichung;  in  der  fünften 
Hildebrands  selbstbetrachtung,  seine  anrede  des  sohnes. 

Wir  können  also  in  dem  poetischen  werklein  eine  stil- 
vollendung  constatieren ,  die  bis  in  die  kleinen  details  geht, 
dieser  kunststand  beruht  auf  sehr  bestimmten  Verhältnissen  der 
germanischen  heldenpoesie.  die  germanische  heldenpoesie  ver- 
fügt nämlich  über  ein  verhältnismäfsig  recht  geringes  motiven- 
material.  die  sänger  arbeiten  mit  einem  jedermann  gleich  bereiten 
und  traditionellem  gut.  dies  aber  begünstigt  ebenso  sehr  die 
ausbildung  fester  typischer  formen  wie  anderseits  aus  der  not- 
wendigkeit,  dem  publicum  neues  zu  bieten,  der  trieb  hervorgehn 
muss,  dem  gegebenen  immer  neue  seilen  abzugewinnen,  dh.  die 
dürftigkeit  des  vorhandenen  materials  durch  die  mannigfaltigkeit 
der  anwendung  zu  ersetzen,  daher  wird  ein  bestimmendes  princip 
der  poetischen  kunstentwicklung,  das  sich  über  die  Zeiten  und 
die  gattung  des  alten  heldenepos  hinausverfolgen  lässt :  das  princip 
der  variierung. 

Unser  Hildebrandslied  lieferte  einige  lehrreiche  beispiele  für 
das  gesagte,  wir  erinnern  uns,  wie  der  kampfesdisput  nach 
einem  typischen  Schema  aufgebaut  war,  und  wir  konnten  mit 
fingern  auf  die  puncte  zeigen,  wo  der  dichter  neu  wurde  :  durch 
variierung  des  überkommenen  motivs  der  typischen  form  indivi- 
duelle  färbung  verlieh,     ebenso   liefs  sich    in    der   erkennungs- 


DER  DIALOG  DES  ALTEN  HILDEBRAiNDSLIEDKS        89 

sceue    und   in  der  gerscene   typus    und  Variation   deutlich  uoter- 
scheiden  *. 

Man  sehe  also  keine  sucht  zu  schematisieren  oder  hang  zur 
tüftelei  darin,  wenn  ich  mich  bemühe,  zur  aufklarung  unsrer 
poesie  beizutragen,  indem  ich  diese  beiden  elemente  auseinander- 
lege, ich  erfülle  hiermit  eine  methodische  forderung,  die  darum 
nicht  weniger  gebieterisch  herantritt,  dass  man  sie  bisher  so 
ungenügend  erkannt  hat. 

Strafsburg  i.  E.  EUGEN  JOSEPH. 

AUS  DER  LITTERARISCHEN  TÄTIGKEIT 

EINES   AUGSBURGER  BÜCHSENMEISTERS 

DES  16  JHS. 

Augsburgs  büchsenmeister  sind  ihrer  zeit  weit  und  breit  be- 
rühmt gewesen,  von  ihnen  hergestellte  büchsen  nach  deutschen 
und  fremden  ländern  gegangen,  ein  alter  büchsenmeister  muste 
nun  wegen  der  mannigfachen  kenntnisse,  die  seine  kunst  er- 
forderte, ein  gebildeter  mann  sein,  kein  wunder,  dass  die  litte- 
rarische production  in  ihren  kreisen  eine  ziemlich  ausgedehnte 
gewesen  ist.  am  wertvollsten  sind  meist  die  mitteilungen  über 
technische  einzelheiten  und  persönliche  erfahrungen  aus  ihrem 
berufe,  diese  sind  aber  gewöhnlich  nicht  gedruckt  worden,  son- 
dern wurden  nur  handschriftlich  als  zunftgeheimnisse  hinterlassen, 
zu  der  schaar  der  litterarisch  tätigen  büchsenmeister  gehört  in 
der  zweiten  hälfte  des  16  jhs.  der  Augshurger  Samuel  Zimmer- 
mann sen. ,  der  in  zwei  werken  vertreten  ist.  das  eioe  ist  ein 
rein  artilleristisch- fachmännisches,  das  andre  ein  mehr  cultur- 
historisch  und  sprachlich  interessantes  buch,  während  das  entere 
in  einer  ganzen  reihe  von  ahschriften  auf  uns  gekommen  ist  (>. 

1  das  streben  zu  variieren  und  neu  zu  sein  erfaßt  auch  die  vorl 
den,  deren  production  ebenfalls  durch  den  traditionellen  Charakter  dei 
angeregt  und  begünstigt  wird.    sie  wollen  aber  meistens  nui 
davon,   dass  sie  veränderten   anschauungen  gerecht  zu  werden  snc 
kenntnisse  auskramen    und  überklug  sein,     bald  kommen    noch   die 
der  feder  hinzu,  und  so  entstehn  jene  monströsen  bildungen,   « 
epik  aufweist,    der  mann,  der  sich  das  Hildebrandlied  aosi 
interessante  erscheinung.   denn  er  bietet  einen  sanften  vorgi 
tern  betriebs.     dass   er   seine   bemühung    ausschliefslich    i 
Hadubrands  erstreckt,  ist  bezeichnend  :  in  dies« 
iiche  interesse  des  gedichts. 


90  HÖRN 

Jahns  Geschichte  der  kriegswissenschaften  s.  640)  —  was  für  das 
ansehen  spricht,  in  dem  sein  Verfasser  gestanden  hat  (Jahns  macht 
auch  besonders  auf  die  von  ihm  beschriebene  granatkartätsche  auf- 
merksam), ist  das  letztere  nur  in  zweien  (jetzt  in  Dessau  und 
Gotha)  erhalten,  auf  die  Gothaer  hs.  (herzogl.  bibl.,  chart.  nr  566) 
hat  GFreytag  in  den  Bildern  aus  der  deutschen  Vergangenheit 
(m  s.  75  anm.)  hingewiesen,  Jahns  hat  ihm  aao.  einen  beson- 
dern paragraphen  gewidmet;  beide  erwähnen  ausdrücklich  das 
interessante  onomasticon  am  schluss.  Untersuchungen  über  die 
deutsche  Soldatensprache  [s.  jetzt  mein  buch  (Giefsen  1899)] 
veranlassten  mich,  das  Gothaer  exemplar  mir  hierher  zu  er- 
bitten, mein  wünsch  ward  von  herrn  geh.  hofrat  dr  WPertsch 
mit  der  ihm  eigenen  liebenswürdigkeit  erfüllt,  wofür  ich  auch 
an  dieser  stelle  meinen  dank  aussprechen  möchte,  das  Gothaer 
autograph  ist  so  gut,  dass  eine  hinzuziehung  des  Dessauer  exem- 
plars  unnötig  erschien. 

Zimmermanns  (bei  Jahns  'Zümmermann')  buch  führt  den  lang- 
atmigen titel  :  'Bezaar1,  Wider  Alle  Stich,  Straich  vnd  Schilfs, 
voller  grossen  Geheimnussen ,  Dardurch  ein  Sigreiche  Gegenwöhr 
wider  all  seine  Feind,  vnd  Schlüssel  zu  einem  trefflichen  Schatz 
einem  in  die  hand  hinein  gegeben  wirdt,  genant  Pyromachia  :  Das 
Ist  Fürnemblich  die  Kunst,  wie  man  wider  das  Büchsengeschofs  vnd 
Beiionische  Feuerwerckh,  Auch  andere  Feuer,  so  nit  allein  aufs  der 
Mechanica,  verborgner  griff  Menschlicher  Behendigkeit,  sondern  auch 
übernatürlicher  weifs  ihren  Vrsprung  haben,  Mannlich,  Bitterlich, 
Künstlich  vnd  Sighaft  streiten,  in  vilen  Casibus  vnd  händlen  sich 
sampt  vnd  sonders  praeserviren  vnd  protegiren  soll.  Was  auch 
wider  solche  Tormenta,  Verborgne  Legfeur,  Mordtfeur,  leggeschofs, 
Selbgeschofs,  Brunst /euer,  beede  zu  wasser  vnd  Land  in  Stätten, 
beuestungen,  Veldlegerti,  für  Bemedien  zuegebrauchen  seyen.  Alles 
verrnög  Göttlicher  Schrift  vnd  der  fürgeschribnen  Bechten,  Aufs 
den  Approbierten  Authorn  gezogen,  dem  gemeinen  Nutz  zue  gueten, 
mit  grofser  langwiriger  müeh  vnd  Arbeit,  vnnd  nicht  wenigerem  Vn- 
costen  vnd  gefahrlichkeiten  des  leibs  vnd  lebens  zusamen  bracht,  vnnd 
in  Zehen  Büecher  geschriben  Durch  Samuelem  Zimmermann  den  Eltern, 
Löblicher  freyer  Kunst  liebhabern,  vnd  bestellen  Büchsenmaister  in 

1  aus  dem  persischen  Pddzachr  'gegengift',  was  hier  erwähnt  sei,  weil 
bei  Jahns  s.  643  anm.  die  jüngere  arabisierte  form  Bädzachr  misverständ- 
lich  als  'gift  in  den  wind'  gedeutet  wird. 


EIN  AUGSBURGER  RÜCHSENMEISTER  DES  16  JHS.   91 

Augspurg.  Sampt  einem  dar  zu  gehörigen  Onomastico  etlicher  Namen 
diser  Kunst,  recht  Zierlich  dauon  zuereden.  Syrach  18  :  Fürsihe  Dich 
mit  Artzeney,  ehe  Du  Kranckh  würst  [stimmt  nicht].  Dergleichen 
in  Schriften  nie  gesehen,  noch  vil  weniger  in  Truckh  aufsgegangen. 

Der  titel  kennzeichnet  den  Verfasser  vortrefflich,  er  ist  um- 
ständlich, als  kind  seiner  zeit  höchst  abergläubisch  und  zugleich 
recht  fromm,  die  äufserungen  seines  aberglaubens  sind  aber 
culturgeschichtlich  häufig  sehr  interessant,  seine  breite  hat  etwas 
unbestreitbar  solides,  die  theologischen,  erbaulichen  ausführungen 
sind  dagegen  in  diesem  zusammenhange  meist  langweilig,  ein 
abdruck  des  Bezaars  würde  sich  gewis  nicht  verlohnen,  die 
artilleristischen  mitteilungen  Z.s  bieten  kaum  etwas  wichtiges 
originelles,  was  nicht  schon  anderweitig  zu  finden  wäre,  und  auch 
seine  praktischen  anweisungen  aus  dem  gebiete  des  l'euerlösch- 
wesens  —  ein  capitel,  das  man  sonst  in  einem  büchsenmeister- 
buche  nicht  zu  finden  gewohnt  ist,  —  sind  heute  kaum  interessant 
genug,  um  in  extenso  abgedruckt  zu  werden,  immerhin  ligt  in 
ihnen  ein  ziemlich  früher  versuch  vor,  die  obrigkeitlichen  feuer- 
ordnungen  (für  Augsburg  stammt  die  älteste  veröffentlichte  aus 
d.  j.  1549  l)  durch  ratschlage  für  einzelne  vorkommende  fälle  zu 
ergänzen.  Z.  erklärt  ausdrücklich,  keine  Vorgänger  in  dieser  ma- 
terie  gehabt  zu  haben,  sein  viertes  buch  von  den  ' Brunst J euren, 
wie  in  vilen  Casibus  darivider  zuehandlen  vnd  zustreiten  sey'  sei 
daher  jedesfalls  denen,  die  sich  mit  der  geschichte  und  entwick- 
lung  des  feuerlöschwesens  beschäftigen,  empfohlen,  eine  wunder- 
liche phantasterei  von  Z.  ist  es,  wenn  er  die  ziehtürme  oder 
tollenen  (bei  heiagerungen)  auch  beim  feuerlöschen  verwenden 
will;  eine  rauchkappe  oder  bydropneumatia  (weil  sie  auch  unter 
dem  wasser  gebraucht  werden  könne)  eigner  erfind ung,  die  aus- 
führlich  beschrieben  wird,  zeug«  von  den  bcstrebungen  Z.s,  sein 
thema  zu  fördern. 

Es  bleibt  noch  das  onomasticon,  und  da  dieses  manchen 
beitrag  zum  deutschen  wörterbuche  liefert,  soll  es  hier  niiigei.Mli 
werden.    Z.  ist  nämlich  stets  peinlich  bemüht,  die  richtigen  kunst- 

1  sie  ist  wider  abdruckt  in  der  /.-.  d.  bist  ver.  f.  Schwaben  o. 
Neuburg  1,  361  fT.    OFiedler  Gesch.  der  deutschen  fenerlösch-  und  rettangs- 

anstalten  (Berlin    lsTH)  kennt  s.  13  nur  di toung   vom  j.  1593,    die  nach 

s.  3o0   der   genannten    Zeitschrift  ach  noch   die   von   16S 

gründe  nur  ein   neuer  abdruck  der  ordoung    von    l">4'.i   war. 


92  HÖRN 

ausdrücke  zu  gebrauchen,  da  das  ganze  charakteristisch  für  den 
mann  ist,  ist  es  unverkürzt  widergegeben,  wennschon  einzelne 
artikel  gewis  an  sich  hätten  wegbleiben  können. 

Als  zeit  der  Vollendung  des  buches  ergibt  sich  nach  den 
gelegentlich  erwähnten  daten  etwa  das  jähr  1591.  vgl.  fol.  28: 
'wie  erst  kürtzlich  Anno  1590.  mit  der  Statt  Prefsburg  in  Vngern 
geschehen';  fol.  81b:  'Es  ist  vngefahrlich  vmb  das  Dreyssigst  Jahr, 
Anno  1560.'  etc.;  fol.  89b/90:  'Anno  1584.  ist  ein  Landfahrer 
gehn  A.  kommen  ....  Vber  fünff  Jar  hernach  ist  widerumb  einer 
daselbst  hin  kommen';  fol.  55:  'Auf  ein  Zeit,  das  noch  nit  Vierzig 
Jahr  ist,  hat  sich  in  der  Statt  A.  noch  vilen  bewust,  ein  schimpf- 
licher Casus  zuegetragen ,  dann  nach  dem  die  Rom  :  Kay  :  Mth : 
alda  eingeritten,  vnd  gemainem  gebrauch  nach  freudenschüfs  ge- 
than  wurden,  ist  auf  einer  Bastey  der  Kachelofen  im  Wachstüblein 
dermassen  eingefallen,  das  kein  Kachel  ob  der  andern  gebliben, 
doch  auch  keine  zerbrochen  ist'  im  jähre  1550  ist  kaiser  Karl  v 
zum  letzten  male  in  Augsburg  eingezogen  da  Z.  den  Bezaar  schon 
1589  in  arbeit  gehabt  haben  kann,  wird  er  diesen  einzug  meinen, 
in  einem  eingeklebten  zettel  vom  nov.  1854  hat  major  Pfister 
[d.  ältere]  bereits  auf  diese  daten  aufmerksam  gemacht. 

Onomasticon : 

Das  Ist 
Ein  Erklärung  etlicher  Na- 
men, die  Büchsenmaisterey,  Geschüt- 
zes vnd  Feurwercks  Kunst  betreffend, 
Recht,  Zierlich  vnd  auffs  kürtzest 
darvon  zureden. 
A. 
'Abtragen'  Ist  souil  geredt,  Wann  der  Schütz  die  Büchsen  im  Zihlen 
wider  vom  Backhen  thuet,  nach  dem  er  lofs  geschossen  oder  Ihm 
versagt  bat  *. 
'Abkommen'  heist  vnd  ist  der  leiste  Augenblickh  des  Zihlens,  wann 

einer  lofs  truckht. 
'Absehen'  heist  das  vorder  erhöhet  Knöpfflin,  oder  Das  hinder  durch- 
löchert erhebt  besonder  Börlin  oder  Müelterlin  auf  dem  Rohr  der 
Büchsen  ober  dem  Zündloch  2. 
'Abentheur'  eines  schiessens  ist  das  hauptschiessen,    oder  alle  Ge- 
winneler  im  hauptschiessen. 

1  heute  absetzen.  2  vgl.  jem.  vor  seinem  Absehen  behalten  (Siniplic. 
ed,  Bobertag  n  244,  26);  das  Absehen  errichten  (Jahns  aao.  s.  979  §41) 
und  DWb.  v  1818  s.  v.  Korn  nr  1  c. 


EIN  AUGSBURGER  BÜCHSEINMEISTER  DES  16  JUS. 

'Ains  in  das  Ander  schiessen'  Ist,  so  ein  Schulz  eben  den  puncl 
trifl,  darauf  er  gezihlel  vnd  abkommen  ist.  Also  ist  auch  'Ains 
in  des  Ander  zuheben'  vnd  'Ains  in  das  Ander  zuricbten'  zu- 
uerstehen. 

'Alchimist'  Ist  einer,  der  im  feur  künstlich  arbeiten,  die  Metallen 
mit  sonderm  Vortbeil  schmeltzen,  giessen,  probieren,  liüher  gra- 
dieren, in  andere  Wesen  verendern,  distillieren,  sublimieren,  Prä- 
cipitieren,   Reuerbeneren,  separieren  vnd  Tingieren   kan. 

'Antragen'  Ist,    so  der  Schütz  die  Zihlbüchfs,   ßürfsbücbs  oder  ein 
'  anders  band  Rohr  an  den  Backben  hell  vnd  zihlen  will.    Etlich  aber 
sprechen  'Anschlagen',   Ich  aber  halt  das  erste  für  zierlicher. 

'Ansehen'  ist,  wann  einer  am  Backben  zildet  vnd  lofstruckt,  vnd  den 
Elenbogen,  in  welcher  hand  er  das  Bohr  helt,  an  den  leib  setzt, 
das  er  desto  steter  heben  könde.  Daher  etliche  sonderbare  In- 
strument erfunden  worden,  die  werden  noch  in  geheimb  behalten, 
seind  von  Eysen  Federwerckh  gemacht,  Also,  das  man  sie  vmh 
den  Leib  gürten  kan ,  vnd  gerad  vnder  der  Achsel  ein  starcke 
feder,  die  den  Arm  vber  sich  scheuht,  sich  vmb  <leu  Arm  herumb 
schleust,  vnd  denselben   nicht  leichtlich  sincken  lasst. 

'Anschlag'  ist  der  Orth  oder  theil  des  holtzes,  an  einer  Zihlbüchsen, 
so  den  Backen  berüert. 

'Aufflegen,  mit  der  Büchsen'  ist  vnd  geschieht  gemainclich,  so 
ein  Schütz  ein  lang  schweres  Bohr  (das  er  von  freyer  hand  nicht 
am  Backen  halten  kan)  vornen  auflegt,  oder  auf  Gablen  setzt,  wie 
mit  den  Musketen  gehandelt  wirdt. 

'Auffthuen  ein  Bohr'  Ist,  wann  sich  ain  Bohr  ainer  Büchsen  durch 
zuuil  schiessen  oder  Vberladung  aufflhuel,  das  ist,  so  es  ein  Bifs 
oder  Kluft  gewinnet,  spricht  man  zierlich,  es  hat  sich  das  Rohr 
aufgethan,  vnnd  nicht,  es  ist  zerklobeu. 

'Aufsbrennen,  ain  Büchsen'  Ist,  so  man  sie  nur  mit  halber  la- 
dung  Puluers  oder  den  dritten  theil  ohne  Kugl  vnd  ohne  förscblag 
ladet  vnd  lofs  brent. 

'Aussetzen  mit  einem  Schufs'  Ist  wann  einer  etlich  schufs  bald 
nach  einander  thuet,  vnd  wohl  trift,  darnach  aber  ein  schufs  gar 
fehlet,   oder  sonst  vbel   trift. 

B. 

'Balastarica'  Ist  die  Kunst  mil  den  handbogen  Vnd  Annbroslen 
zueschiessen. 

'Bellonica'  Ist  Kriegs  Kunst,  Von  der  Kriegerischen  Gölün  Bellona 
her  also  genant. 

'Beüedisten'  seind  die  Ansegner,  welche  sondere  Segen'  spi 
gebrauchen,  vnd   daran  glauben  haben. 

'Büchsen  Maister'  Ist  ainer,  der  die  grossen  Stuckhbüchseo  ordent- 
lich vnd  Künstlich  laden,  richten  vnd  regieren  kau. 

'Büchsen  Puluer'  Ist  der  recht  zierlich  Nam,  vnd  nichl  Schiefspuluer. 

1  fol.  82r  'Nothsegen'. 


94  HÖRN 

'BogenschulV  Ist,  so  die  zwey  Absehen  in  dem  Winckel  eines 
gevierten  Rahm,  vnd  nach  dem  Quadranten  auf  45  grad  ge- 
richtet wirdt. 

'Belialia'  seind  Abgöttische  oder  Abergläubische  Mittel,  darein  man 
ein  groTs  Vertrauen   setzt.     Vom  Abgott  Beel  her    also  genant  *. 

'Belialis  ten'  seind  solche  Ahgötlerer  vnd  Abergläubische  Leüth,  die 
solche  Belialia  bey  Ihnen  tragen,  vnd  darein  grofs  Vertrauen  setzen. 

'Brenner'  seind  Vbelthätige  Leüth,  die  fevTr  einlegen,  brand  vnd 
Brunst  fewr  stiften  vnd  anrichten. 

'Brotzer'  Ist  das  Nidervvägelin,  so  man  den  grossen  Sluckhbüchsen 
fürsetzt,  anspant,  vnd  also  daran  oder  darob,  defsgleichen  auch 
die  Böler  vnder  die  Aufzug  oder  vber  land  zeucht. 

C 

'Cammerbüchfs'  Ist  ein  Büchfs,  die  man  binden  hineinladet,  vnd 
weder  Setzkolben  noch  Ladslecken  darzue  bedarff. 

'Claffter'  Ist  ein  Mäfs,   helt  Sechs  Statt  Werckhschuh. 

'Cautel'  Ist  ain  sonderlicher  bandgriff  in  einer  Arbeit. 

'Cataphractif  Das  ist  nicht  allein  ein  gantzer  Kürifs  oder  Blatt- 
harnisch, sondern  ein  Remedium,  dardurch  der  Mensch  vor  allerley 
waffen  vnd  feur  dermafsen  bewahrt  wirdt,  als  ob  alle  sein  leib 
verbanlzert,   oder  inn  ein  Kürifs  eingeschlossen  were. 

'Co hört'  War  bei  den  Alten  Römern  ein  Panier  von  hundert  Mannen. 

'Calcarica'  Die  Kunst  aufs  Steineu   Kalckh  zuebrennen. 

'Carbonarica'  Die  Kunst  aufs  hollz  Kolen  zuebrennen. 

'Characteristiker'  [fol.  81rj.  Sie  gebrauchen  sich  mancherley  vn- 
bekanter  Wörlter,  Buechslaben  vnd  Garacteren,  auf  Jungfrau 
Bergament  oder  dergleichen  Ding  geschriben,  seind  fälschlich  be- 
richt,  vnd  vnderslehen  sich  auch  andere  zuebereden,  das  es  Oc- 
cullische  anriefungen  vnd  namen  Gottes,  vnd  der  Engel  seyen  etc. 

D. 

'Daumtlen'  Ist   18  Zoll,  oder  Anderhalben  Werckschueh. 

'Distantz'  ist  das  Zihl,  da  die  Kugel  antreffen  oder  nider  fallen  soll. 

'Dodrans'  Ain  Mafs,  Nemlich   12  Zoll. 

'Diameter'  ist  die  inwendig  weile,  oder  Mündung  eines  Rohrs. 

•Doppel'   das   Hauptschiefsen. 

E. 

'Extinctiv'  Ist  ein  Remedium  wider  das  feur,  welches  feur  aufs- 
lescht,   tödten  oder  vertilgen  kan. 

'Extinctor'  wirdt  ein  Jeglicher  genent,  der  einem  Brunstfeur  wegen 
Reitung  oder  leschung  zue  lauft,  fürnemlich  einer,  der  zue  solchem 
qualifiziert,   oder  von   der  Oberkeit  darzu  geordnet  ist. 

1  fol.  75 r:  Abergläubische  vnd  Abgöttische  Mittel,  die  Ich  hinfüro 
Belialia  nennen  würde,  die  'Behausten'  brauchen  'Kreüter  oder  Wurtzlen, 
sonderlich  Wegwartt,  Verbena,  S.Johannes  Kraut,  Vogelkraut  zu  Seegen 
vnd  Beschwerungen'  [fol.  84]. 


EIN  AUGSBURGER  BÜCHSENME1STEK  DES   16  JUS.      95 

'Exostrahat'  Ein  Ziechthurn  mit  einer  ßruckli  in  der  mitten,  dienet 

zum  Slurm. 
'Execranten'  Verfluchte  Leiith,   die  etwa  bey  den  Alten  in  Vnsterb- 

licheni  leib  gewandelt  haben. 

F. 

'Feurwerckher'  Ist  ein  Künstler,  Oder  Meister  des  Feurwerckhs, 
vnd  soll  kein  Feurmacher,  Feurwerffer,  oder  Feurwerckhsmaister 
genannt  werden. 

'Feurgeben'  Ist,  so  man  das  Zündpuluer  auf  den  eingeraumbten 
Zündtlöchern  der  Büchsen,  Bolern  vnd  allen  Fenrwerckhen,  mit 
dem  glüeenden  Züudstrickh  oder  Zündschwamm  anzündet,  soll 
aber  nit  angezündt,   sondern   Feur  geben  heissen. 

'Feurspiefs'  Deren  mögen  zweyerley,  als  an  kurtzen  vnd  langen 
Stangen  gemacht  werden,  Vornen  an  statt  des  Eysens,  mit  scharpfT 
gespitzten  Eysen  gäblen,  darhinder  mit  einem  Eysen  gehänfs,  Vn- 
gefahrlich  eines  Werckschuchs  lang. 

'Feurschauffel'  Ist  ein  gesackete  Schauffei,  gleich  einer  Multer  oder 
ablängen  Schüssel,  von  Eisenlräten  vmb  ein  Eisen  Raiff  herumb 
gegältert,  hinden  mit  einem  geheiifs  oder  Vier  schinen  au  einem 
stil,   Vier  oder  fünff  Werekschuecb  lang  gemacht. 

'Feur  Korb'  wirdt  von  starcken  Eisen  Träten  vber  einen  weiten 
Eysenen  Baiff  gegältert,  also,  das  man  Brand,  glüeend  Kolen,  oder 
glüeud  Eysen  darinnen  tragen   kan. 

'Feurgabel'  Ist  nicht,  wie  sonst  ein  Gabel  von  zweyen  oder  dreyen 
spitzen  schlecht  neben  einandern,  sondern  einem  Geifsfufs  gleich- 
förmig, von  dreyen  scharpffen  schneidenden  dreyeckheten  spitzen 
an  eim  starcken  geheiifs,  Von  dem  besten  Stahel  au  ein  stibl, 
fünfl'  oder  Sechs  gemainer   Werckschuch  lang  gemacht. 

'Feurleüt  oder  Feurler'  Kriegsleüt,    die  mit  ernstlichen  tödlichen 
Fevvrwerckhen  armiert,    vnd  wie  sie  solchen  Feurgeben,   irnd   die 
gebrauclien  sollen,   Von  den  Biichsenmaistern   vnd  Feurwen 
vnderwiesen  werden. 

'Falarica'   Ain  sonderlich  grofs  Instrument,   darmit  man   sehr 
Pfeil,   den  Knöbelspiessen  gleichförmig,   weit  in  die  ferne  sei 
vnd  Kräftiglich  hinaufs  schnellen  kan,  wie  es  danu  die  Allen  Römer 
gebraucht  haben. 

'Fulgorica'  Üie  Kunst  Vermainle  oder  erdichte  feur  rad  liechter 
ziiemachen,  die  nit  aigentlich  feur  odei  liechter  seind,  doch  bey 
linsterer  Nacht  scheinen,   glantzen   vnd   leuchten. 

'Fusoria'   Ist  die  Kunst  Riichsen   vnnd   Kloggen   zuegiessen. 

•Feurkugelsackh'  Ist  nit  ein  solcher  Sackh,  darein  man  Peurk 
behielt,    sondern  ein  Zwilchsackh  Von  Vier  gleichen   theilei 
aufstheilung    des    Circkels,    als   zu    einem    Baal    gleichförmig 
schnitten  vnd  zuesamen  genehet,  sodann   solche]   S 
eingefiilt,  sich  einer  runden   Kugel   \>   . 

'Figulina'   Ist  die    llaflner  Kunst. 


96  HÖRN 

'Flegelschwer  tl'  Ist  ein  sondere  Mordtwöhr  von  Verborgner  zwi- 

facher  Klingen  lenge. 
•Für  seh  lag'  das  heist  ein  Fürschlag,   so  ein  Schütz  oder  Büchsen- 

maister  Hevv,  Gemüefs,  Lumpen,  oder  dergleichen  [nimmt],  was 

man  dann  für  vnd  zwischen  die  Kugel  vnd  Puluer  in  die  Büchsen 

oder  Böler  ladet,   vnd  darmit  das  Puluer  besser  hineinsetzet. 

G. 
'Gefütterte  Kugl'  Ist  ein  Kugel,  die  inwendig  am  Metall  hol,  vber 

holtz,  Slein,  Eysen,  Glafs,  oder  anders  gegossen  worden.    Es  heist 

auch  ein  Jede  Kugl.  die  zuuor  in  leder,  leinwath,  Wullin  Tuech,  oder 

Filtz  gewickelt,  auch  also  geladen  vnd  geschossen  wirdl,  ein  ge- 

füetlerte  Kugl,  möcht  doch  billich  ein  vherfüelterle  oder  vberzogne 

Kugl,  vnd  die  erst  ein  Vnderfüetterte  Kugl  genant  werden. 

H. 
'Handlanger' Ist  eines  Büchsenmaisters  oder  Feurwerckhers  mitgehülff. 
'Hialurgica'  ist  Glafsmacher  Kunst. 
'Hagel'  oder  'Hagelgeschrölt' seind  vil  stuckh  beisamen,  die  aufs  einer 

Büchsen  oder  Böler  an  siatt  einer  Kugel  geschossen  werden  l. 
'Haubtschlag'   Ist  der   lelst  vnd  gröst  schlag  oder  schufs  in  einer 

Feur  Kugel  oder  anderm  Feurwerckh,  darmit  das  Feurwerckh  sein 

endschaft  nimbt. 

I. 
'Jacobs  Stab'    Ist   nil   auch  ein  ßilgrams  stab,    wie  ellich  mainen, 

sondern  ein  Viereckheter  Stab  mit  vil  Zifferzahl  vnd  puneten  be- 

zaichnet,  dienet  in  der  Geometria  zu  vil  vnd  mancherley  absehungen 

vnd  Abmessungen. 
'Igels Chiefs en'  ist  so  man  Eysentrümmer,  Nägel,  Pfeileysen,  Dolchen, 

oder  Papyrclingen,    vnd  was  dergleichen  ist,    aufs  einer  Büchsen 

oder  Böler  scheust, 
'llech'    ist   ein    Aslrum    einer    vherhimlischen    oder    vbernatürlichen 

Conjunction,  des  Obern  Firmamentischen  Geslirns  mit  den  vndern 

Irrdischen  Dingen, 
'lncens orica'  ist  die  Kunst  durch  frembde  hitz,  als  durch  die  Sonnen 

Feurspiegel,   Christallen  anzuezünden. 
'In  cendiaria'  ist  ein    böse   sträffliche  Kunst,  Verborgen  Feur  ein- 

zuelegen,  zuetragen  vnnd  anzünden. 

K. 
'Krautt'  Ist  nach  der  Schulzen  Sprüchworlt  Büchsenpuluer. 
'Kreydenschufs'  darmit  man  ein  ander  etwas  zuuerstehen  gibt. 
'Krayfsfeur'    sind    mordtliche  Brunst  Feur,    darmit   man    die   feind 

als  mit  einem  Krayfs  gerings  vmbgiht. 
'Köcher'   Ist  ein  gefäl's  zue  den  Pfeylen  oder  Ladungen,    da  in  eim 

Papyren  Börlin  Puluer  vnd  Kugel  bey  einander  ist. 

1  in  seinem  'Dialogus'  hat  Zimmermann  eine  originelle  granatkar- 
tätsche 'ein  Hagelgeschret,  das  sich  über  etlich  hundert  Schritt  vom  Stuck 
auftut'  mitgeteilt  (s.  Jahns  s,  641  ff). 


EIN  AUGSBURGER  BÜCHSENMEISTER  DES  16  JUS.      97 

L. 

'Lofs  schiessen'  ist  recht  vnd  zierlich  geredt,  vnnd  soll  nit  sagen 

'Abschiessen',     es    wurde    dann    das    Rohr    in    der    mitte    ab  vnd 

entzwey  geschossen. 
'Latericia'    ist   die    Kunst   aufs  Erden   gebachen  stein,    Ziegel   vnc' 

Blatten  zuebrennen. 
'Ligniparca'  ist  die  Kunst,   Ofen  vnd  Feurstälten  zuemachen,  dar- 

durch  man  vil  holtz  vnd  Kohl  ersparen  kan. 
4Leer'    ist    ein    Ring    oder   durchlöchert    Eysen  Instrument,    dardurch 

mau  Kuglen  abrichtet,  vnd  Just  Rund  machet,  ellich  aber  nennens 

ein  Durchlauf!'. 
'Lacma'  ist  ein  Saltz  Wasser  oder  Saltzbrunnen. 

M. 

'Maledisten'  seind,  die  mit  beschwerungen,  Verfluchungen  vnd  Ver- 
bannungen Vmbgehen. 

'Mechanica'  Alle  Künstliche  handwerckhs  vbungen. 

'Mechanopeo  tica'  (!)  ist  Wasser  Kunst,  aller  künstlicher  Wasser- 
werckh,  Alfs  Luftbrunnen ,  Spritzen,  Wasserhebungen,  durch 
Pompen,  Veütiel,   Druckhvverckh  vnd  Blafsbelg  zuemachen. 

'Meysenschwantz'  ist  ein  Büchsenmaisterisch  Instrument,  ein  stuckh 
des  Aufslad  Zeugs,  den  man  an  den  Setzkolben  schrauft,  darmit 
die  Schützen  vnd  Büchsenmaister  das  geladen  Puluer  in  den 
Büchsen  erledigen,  vnd  wider  heraufser  bringen. 

'Marciarborbulos'  seind  der  Alten  Geschütz  gewesen,  vnd  deren 
Fünfferley,  als  Feurdihales,  zu  Teutsch  Schufslantzen,  Scorpiones, 
zu  Teutsch  ein  Hand  Armbrost,  Balistae,  Handbogen,  Schlaudern 
oder  Schlingen ,  darmit  man  Stein  vnd  Kuglen  geworden  hat, 
Valcosarba  genant. 

■Malleolj  vnd  Falarica'  seind  die  grossen  geschofs  gewesen,  darmit 
man  sehr  grosse  Feurpfeil  vnd  andere  Pfeil  geschossen.  Diese 
Instrument  seind  durch  werben  vnd  Federwerckh  angezogen  oder 
gespannen   worden. 

'Munds tu ckh  eines  grossen  Stuckhs  Büchsen'  Ist  ein  hiillzenpr 
Zapfl',  so  mann  Vornen  für  steckt.  Man  macht  aber  auch  Eysene 
beschlossene  Mundstuckh,  mit  eingreiffendem  oder  ein  fallendem 
Federwerckh,   die  sich  satt  eiuschliessen. 

'Mordthier'  ist  ein  sehr  grosser  Böler. 

'Mittelfinden  auf  grossen  Stuckh  Büchsen'    Ist  d<-r  obere!   W 
Punct,   Vornen  vnd  binden  auf  dem  Rohr. 

'Musculus'  ward  bey  den  Alten  ein  Instrument,  ein  gri 

oder  Wend  Zeug  [genannt],    dannit    man    ein    baufs  ttider  Wien 
oder   Maur  durchgrabeu   künden. 

H. 

'Naphlan'    ist   ein  Weichflüssig    Becfa    oder  Hartz.    Wird!  in 
potamia  gefunden,   briunt  wie  Baumöl. 
Z.  F.  D.  A.  XL1II.     N.  F.  XXXI. 


98  HÖRN 

'Niter'  Ist,  wann  sich  der  Vrin  samlet,  vnd  in  ein  ander  Saltz  sich 
Praepariert,  das  man  auch  Salnitter  nennet. 

P. 

'Puluersackh'  Darhey  soll  kain  Ledersackh,  darinnen  man  Puluer 
tregl  oder  behelt,  sondern  die  hinderste  Mündung  vnd  enge  eines 
Bölers,  oder  einer  Steinbüchsen,  Verstanden  [werden],  die  ge- 
mainclich  mit  dem  Puluer  bifs  ohne  den  Fürschlag,  vol  einge- 
laden wirdt. 

'Puluer'  Darbey  wirdt  Büchsenpuluer  verstanden. 

'Pyromachus  oder  Pyromachist'  ist  ein  Streiter  wider  das  Feur, 
vnnd  wider  alle  Fewrwerckh. 

'Pyrophorus'  ist  nicht  allein  ein  Kriegsmann,  der  mit  Feurwerckhen 
bewaffnet,  vnd  wie  er  solchen  Feur  geben,  vnd  wider  seine  feind 
gebrauchen  soll,  Von  Feurwerckhern  Vnderwisen  wirdt,  sondern 
auch  als  ein  Ritter  oder  streitbarer  Held ,  der  kein  Feur  oder 
Feurwerckh,  wie  schröcklich  es  ist,  fleucht  oder  förchlet,  vnd 
solchem  auch  ein  Widerstand  thuen  kan. 

'Pessulant'  Also  mag  wol  ein  Jeder  gefangner,  oder  eingeschlofsner 
Mensch  genaüt  werden,  weil  er  vor  seinen  feinden  sicher  ist  vnd 
wie  man  sagt,  kein  Rofs  vher  ihn  lauffen  kan.  Wirdt  aber  hie 
fürnemlich  einer  vermaint,  der  ein  Chabalistisch  oder  Magisch 
Remedium  bey  ihm  trägt,  oder  Aberglauben  hat,  das  ihn  niemand, 
als  ein  Soluant  verwunden  oder  verletzen  kan. 

'Prop'  ist  ein  hültzener  Fürschlag  inn  eim  Röler. 

'Patron'  ist  hie  ein  Papyrene  Rollen  von  Patronpapyr  oder  gepaptem 
Cartenmacher  Papyr,  darein  die  Ladung  Puluers  eingemacht,  hinden 
vnd  Vornen  mit  bödemlen  verleimbt  vnd  beschlossen  wirdt,  die 
nur  inn  die  kleinen  Stuckhbüchsen ,  so  nicht  vber  ein  pfund 
Eysen  schiessen,  gemacht  werden. 

'Plastica'  ist  die  Kunst  aufs  Erden  Bilder  zueformieren ,  vnd  im 
feur  hart  zubrinnen. 

'Pyromanlica'  Die  Kunst,  dardurch  sich  die  Astra  des  feurs  er- 
zaigen  also,  das  daraufs  weifs  vnd  war  zuesagen. 

'Pyrotechnia'  Ist  die  Kunst  der  feurarbeit  oder  Feurwerckhen, 
vnnd  fürnemlich  ain  Kunst,  aufs  welcher  viel  andere  Künsten, 
die  mit  feur  oder  iifi  feur  vollbracht  werden,  ihren  Vrsprung  haben. 

'Panificia'  Die  Beckhen  Kunst. 

'Panicaliae'  (!)  damit  die  Menschen  schnell  vnd  sehr  erschreckt  werden. 

'Propugnatif  ist  ein  Gegenwöhr,  ein  Gegenstreit  oder  Versatzung, 
Manliche  bewahrung,  beschirmung  vnd  beschützung. 

'Protectif  Ist  auch  ein  Manliche  beschirmung,  beschützung,  Ver- 
satzung, Verhüettung,  Verdeckhung,  oder  Verhaltung,  vor  den 
feinden,  vor  waffen,  vnd  allen  Kriegs  Instrumenten. 

B. 

'Ragget'  hat  sein  Namen  vom  wortt  Paget,  das  ist  ein  Verscblofsner 
Sendbrief,  darinnen  vil  andere  Briefe,  gelt  oder  anders  eingepact 


EIN  AUGSBURGER  BÜCHSEINMEISTER  DES  16  JUS. 

ist.    Was  sich  aber  eim  Rohr  oder  Rollen  vergleicht,  da  wird  für 

das  P.  das  R.  gesetzt,  vnd  lieist  fürnemlich  das  ein  Raggel,    als 

ein   Papyrens  Rörlin    mit   Puluer   oder  solchem  dergleichen  Zeug 

eingefüllet. 
'Rennkugel'  ist  ein  zue  kleine  Kugel,  die  leichtlich  vnd  vngelrungeu 

durchs  Rohr  hinab  bifs  auff  das  geladen  Puluer  feilt. 
•Ritterschufs'  ist  ein  Schufs,   darmit  ein  Schütz  aufser  der  Aben- 

theuer  [s.  oben]  etwas,  aber  darinnen   nichts  gewinnet. 
'Raumnadel'    Ist  ein  Eysener  oder  Messinger  Griffel,    oder  gerader 

Trath,  darmit  ein  Schütz  oder  Rüchsenmaister  das  Zündptiluer  den 

Zündlöchern  der  Büchsen  einräumet. 

S. 

'Schützen'  seind  nicht  allein  die  gemainen  Handbüchsen  Schützen, 
sonder  ein  Jeglicher,  der  auch  aufs  grossen  Stucken  scheust,  vnd 
nicht  Büchsenmaister,  oder  der  Kunst  erfahren  ist,  wirdt  noch 
ein  Schütz  genaüt. 

'Schu  fs  brent'  Ist  so  ein  Zihlschütz  zue  mittelst  auf  ein  rifs  ge- 
troffen, vnd   gleichsam  den  Rifs  abgeschossen  hat. 

'Säten  Kugl'  ist  ein  zue  grofse  Kugel,  welch  satt  gelrungen,  vnd 
mit  gewallt  in  das  Rohr  der  Büchsen  hinein  gesetzt  muefs  werden. 

'Schlag'  Der  Nam  hat  zweyerley  Verstand,  erstlich,  so  in  ein  Feuer- 
werckh  scbüls  gemacht  seind,  die  werden  Schlag  vnd  nicht  schüfs 
genent.  Zum  andern  werden  Eysene  Rörlin  Von  starckem  Sturtz- 
blech,  etliche  mit  glatten  bödemlen,  andere  aber  mit  gespitzten 
bodemlen,  vnd  darneben  mit  Zündtlöchern  gemacht,  mit  Kraut  vnd 
Loth,  das  ist:  mit  puluer  vnd  einer  Kugel  oder  Schrott  geladen, 
vnd  in  die  Feur  Kuglen  eingeschlagen.  Dise  neül  mau 
Schlag,  werden  auch  in  die  Sturm  Kuglen,  Sturm  Kräntz  vnd 
Sturm  Kolben   gerichtet. 

'Setz  Kolb'  Ist  ein  hültzene  Stangen,  daran  vornen  ein  Kolb,  einem 
Vogelboltz  gleichförmig,  darmit  ein  Schütz  oder  Büchsenmaister 
das  Puluer,  Fürschlag  vnnd  Kugel  nider  vnd  auf  ein  ander  setzt 

'Setzen'  Ist  souil  geredt,  als  satt  obligen,  vber  einander  einstossen, 
getrungen  einladen,  oder  eintrocknen,  Alfs  so  man  sagt ;  Der  Schiiti 
oder  Büchsenmaister  setzt  das  Puluer,  den  Fürschlag  oder  die  I 
Rem  der  Feurwerckher  setzet  den  Zeug  in  die  Raggeten,   vnnd  soll 
nil  sprechen,  er  stosset  ein,  stampft  ein,  truckhet  ein.  oder  ladet  ein. 

'Salinaria'  Saltzsieder  Kunst. 

'Soluant  oder  Soluanist'  mag  ein  Jeder  genenl  werden,  der  einem 
gefangnen  oder  Verschlofsnen  aufshilfl  oder  aufschleust,  wii  I 
fürnemlich  einer,  der  einem  andern  Menschen  sein  haut  o 
mit  waffen  alle  Zauberey  vnd  Wundsegen  aufflhuen  md  den 
Verwunden  kan. 

'Syderist'  Ist  einer,  welcher  der  Astronomischen  Kuna 
nach  himlischem  lauff  der  sondern  Constellationen,  vnd  II 
lieh  Influentzen,  arbeitet,  ein  Ding  macht   vnd  bereit 


100  HÖRN 

'Spiegel  in  einem  Böler'  Ist  ein  Rund  abgetrehete  Scheiben,  gleich- 
förmig einer  flachen  schüfsei  gemacht. 

'S  chrauffnadel'  ist  ein  Büchsenmaislerisch  Stählin  Instrument  einem 
langen  dinnen  pfriemen  gleichförmig,  zu  vnderst  am  Spitz  als  ein 
Nepper  mit  einem  zwifachen  Vmbgang  aufsgezogen. 

'Streugeschofs'   Hagelgeschrölt. 

'Streichender  Schuf s'  ist  einer,  daruon  die  Kugel  nicht  in  die 
höhe,  sondern  gleich  auff  der  Erden  hinstreicht,  vnd  in  ihrer  er- 
streckhung  vil  Sprung  thuet. 

'Sturm  Widder'  Sonst  Aries  genant,  seind  bey  den  Allen  mancher- 
ley  gewesen.  Etliche  haben  starcke  Bäum,  Vornen  mit  Eysen, 
spitzig  beschuchet,  vnd  seind  mit  solchem  Acht,  Zehen  oder  Zwelft 
starcker  Männer  an  ein  Maur  oder  Eysene  Thür,  oder  an  eine 
Porten  geloffen,  vnnd  dieselbig  mit  eingestossen.  Etliche  seind 
noch  grösser,  vnd  mit  Rossen  oder  Ochsen  angeführt,  vnd  starcke 
Mauren  mit  nider  gestossen  worden,  wie  im  Josepho  lib.  3  cap.  15 
zuelesen. 

'Schneller'  seind  Zugeber  Knecht  oder  gehülffen  der  ßüchsenmaistern, 
deren  man  etwa  Zween  oder  Drey  zu  einem  grossen  Stuckh  büchsen 
verordnet,  zueruckhen  vnd  hin  vnd  wider  zutreiben. 

T. 

'Tollena'  ward  bey  den  Alten  Kriegsleüten  ein  Instrument  von  Holtz- 
werckh  [genannt],  mit  einem  Vmbgehenden  gründel  vnd  vber- 
zwerch  auffgeleglen  Schnöllbaum,  mit  eim  angehenckten  Korb, 
darmit  man  an  einem  Sturm  Kriegsleüth  auf  die  Mauren  werffen 
köndt. 

'Turris  Ambulatoria'  Ain  Ziechthurn,  darmit  man  ein  Maur  oder 
Statt  vberhöhen,  hinzue  führen  vnd  vbersich  auftreiben  kondt. 

'Tribulus'  Von  den  Allen  Römern  erfunden,  ward  von  Vier  hültzen 
Pfälen  gespitzt  vnd  in  ein  ander  salt  beschlofsen,  vnd  wie  es 
gesatzt  wurd,  stund  es  auf  dreyen  spitzen,  vnd  der  Viertle  vber 
sich  in  die  höhe.  Es  werden  aber  jetziger  Zeit  solche  Eysene 
kleine  Tribulj  gemacht,  daran  man  sich  etwa  lämig  tritt,  derhalben 
von  etlichen  Lämeisen  oder  Fufseisen  genant. 

'Tauffen'  Ist,  so  man  die  Feurwerckh,  Feurkuglen  oder  anders  nach 
dem  sie  allerdings  aufgemacht,  zu  letst  verbichet,  das  ist,  in 
Schiffbech  gedauht  oder  geschwembt  werden,  also,  das  man  daran 
kein  andere  arbeit,  dann  allein  das  Bech  sihet. 

V. 

'Verfallen'  Ist,  wann  ein  Schütz  in  lofstrucken  mit  der  Büchsen 
Vnder  sich  sincket. 

'Versagt'  Ist,  so  einem  das  eingeraumbt  Zündpuluer  auf  dem  Zünd- 
loch Vergeblich  hingebrunnen,  also,  das  es  das  ander  Puluer  in 
der  Büchsen,   oder  den   Zeug  im  Feurwerckh  nit  anzündt. 

'Vindictor'  Ist  ein  Ritterlicher  Mannlicher  streitbarer  Kriegsmann, 
der  sich   von  gemeines  nutzes  wegen,  land  vnd   leiiten  zu  Trost 


EIN  AUGSBURGER  BÜCHSENMEISTER  DES  16  JHS.     101 

vnd  hilff  in  die  eusserste  gefahr  seines  lebena  gibt,  der  auch  in 
solcher    That   den    sig    erlangt,    mehr    der  ehren  dann  gells  vnd 
guets  betrachtet,  wie  Cicero  von  Paulo  Einiho,  Scipione  Africauo 
vnd  Lucio  Mucio  bezeugt,  vnd  daher  dise  Carmina  gemacht: 
Das  diser  Ilaublleut  ehrlieh  That 
Gemainer  Nutz  geraichet  hat, 
Vnd  in  ihr  haufs  nichts  anders  kam, 
Dann  das  ihn  blib  ein  guter  Nam. 

W. 

'Warnschufs'    darmit  ein  Volckh  das  ander  warnet,    vnd   das   der 

feind  verbanden,  durch  schiessen  zuuerstehen  gibt. 
'Waidloch'  Zündloch. 

Z. 

'Zaichenfeur'  Kreyden  feur  oder  Losung  Feur,  dardurch  auch  ein 
Volckh  dem  anderen  etwas  verborgens  zuuerstehen  gibt. 

'Ziech  Kolben'  Ist  ein  Führkölbl  vnd  sonders  Instrument,  darmit 
ein  Schütz  ein  Rostiges  Rohr  einer  Büchsen  inwendig  widerumb 
glatt  vnd  eben  aufszeucht,  so  das  an  Ladstecken  geschruult   wirdt. 

'Zündl  Ruten'  Ist  der  Büchsenmaister  Achsel wöhr,  als  ein  Halbspiels, 
Vornen  vnd  Vnden  mit  einem  Spiefseisen,  oben  vnd  hinden  aber 
mit  Zweyen   geschrauften  Ilanen ,    in    ein  geheufs  oder  Müeterlin 

eingeschrauft,   daran  der  Zündslrickh  vmbgewunden,  vnd  m  b Ic 

Hanen  eingezogen  mag  werden. 

•Zoll'  ist  der  Zwölfte  Theil  eines  Stattwerckhschuchs. 

Ich  habe  darauf  verzichtet,  das  Onomasticon  durchging! 

commentieren.     einzelne   vorkommende  verschreibungtn  Z.s  sind 

leicht  zu  erketinen,  über  einige  wenige  lateinische  worte  mir  bin 

ich  mir  selbst  nicht  klar  geworden. 

Strafsburg  i.  Eis.  PAI  I-  HÖRN. 

DER  MYTHUS 
DES  ZWEITEN  MERSEBURGS  SPRUCB 

In  meinen  arbeiten  über  Baldrs  lod  (Zs.  II.  30511)  und  die 
Dioskuren  im  Beowulf  (Zs.  42 ,  229 ff)  ward   du-  betrachtuo| 
Merseburger  Spruches  principiell  ausgeschlossen,  oicht,  weil  ich 
je  an  dem  hohen  mythologischen  wer!  des  altehrwürdigen  denk 
mals  gezweifelt  hätte,  sondern  um  die  nordischen  und 
Zeugnisse  zunächst  durch  sich  selbst  sprechen   zu   lassen  i 
ich  jetzt  von  den  ergebnissen  der  genannten  untersuch 
ein  kurzes  Streiflicht  auch  auf  diesen  viel  umstrittenen  Bpn 
so  wag  ich  es  nur,  weil  mir  eine  s  o  n  «■  h  ra  bar« 
erklärung  in  reinmythologischer  hinsichl  nicht 


102  NIEDNER 

Ich  darf  dabei  auf  gewissen  grundlegenden  resultaten  gerade 
der  jüngsten  kritik  fufsen,  durch  die  Jacob  Grimms  und  Müllen- 
hoffs  auffassung  des  Spruches  wider  zu  ehren  gebracht  wurde: 
ein  kurzes  resum6  dieser  ergebnisse  wird  daher  zunächst  will- 
kommen sein. 

Was  zuvörderst  die  erläuterung  der  worte  Phol  und  Balderes 
anlangt,  so  dürfte  die  ansieht  von  Bugge  (Studier  i  304)  und 
Kauffmann  (Beitr.  15,  207),  die  in  ihnen  den  gott  nicht  finden 
wollen,  nach  den  ausführungen  Gerings  (Zs.  f.  d.  ph.  26,145fl. 
462 ff),  ESchröders  (Zs.  35,  237 ff)  und  Kögels  (Litteraturgesch. 
i  90  IT)  kaum  mehr  den  rang  einer  gegründeten  hypothese  be- 
haupten, selbst  vGrienberger,  der  jenen  die  ursprünglich  appella- 
tivische bedeutung  des  Wortes  einräumt,  hat  doch  den  Zusammen- 
hang mit  dem  nordischen  Baldr  nicht  in  zweifei  gezogen  (Zs.  f. 
d.  ph.  27,  448  ff)  :  und  in  der  tat  beweist  ihn  schon  der  eine  um- 
stand, dass,  falls  Balderes  volon  Wuotans  pferd  bezeichnete,  es 
ganz  unverständlich  bliebe,  warum  dieser  als  herr  des  Zaubers 
sein  ross  erst  durch  andre  gotlheiten  besprechen  liefse  :  somit  ist 
also  nicht  nur  die  Identität  von  Balder  und  Phol,  dessen  existenz 
insbesondere  durch  das  von  vGrienberger  (aao.  453  ff)  aus  Ortsnamen 
reichlich  geschöpfte  material  erhärtet  worden  ist,  vollkommen 
erwiesen,  die  ja  auch  neben  der  doppelbenennung  des  zweiten 
dioskuren  'Vali-Bous'  an  sich  grofse  Wahrscheinlichkeit  birgt1, 
sondern  auch  die  wesensgleichheit  beider  mit  dem  lichten  gott, 
dem,  wie  schon  von  auderer  seite  hervorgehoben  ist  (Gering  aao. 
s.  145),  auch  bei  dem  heutigen  stand  der  frage  schwerlich  in 
Müllenhoffs  sinne  das  bürgerrecht  im  texte  der  dritten  aufläge 
der  Denkmäler  verweigert  wurde  (i  16). 

1  erklärt  ist  der  name  freilich  noch  nirgend  sicher,  doch  erhält  die 
Kögeische  auffassung,  der  eine  indogermanische  wurzel  'kraft'  in  ihm  rindet, 
besonders  durch  vGrienbergers  ausführungen  (aao.  s.  461)  grofse  Wahrschein- 
lichkeit; der  bedeutung  nach  würde  sich  dann  sehr  schön  der  ältere  Harlung 
Embrihho  ('der  unermüdliche'  oder  'sichanstrengende')  vergleichen,  wie  Fri- 
tilo  ('Schönle')  dem  Vau  genau  entspricht  (Zs.  30,  222.  42,257).  so  ent- 
hielten beide  Dioskuren  —  auch  in  'Bui-Bous'  ligt  ja  der  begriff  der  'trei- 
benden, schaffenden  kraft',  in  ihrem  doppelnameu  die  begriffe  'glänz' 
und  'kraft',  nur  der  ältere  bruder  jenen,  der  jüngere  diesen  ursprünglich 
als  attributive  nebenbezeichnung.  schon  dieser  völlige  parallelismus  lässt 
mir  aber  die  beanstandung  der  gleich  folgenden  Schröderschen  erklärung  des 
Baidernamens  durch  vGrienberger  und  die  daran  sich  knüpfenden  mythischen 
consequenzen  (aao.  450  ff.  462)  sehr  unwahrscheinlich  erscheinen. 


D.  MYTHUS  D.  ZWEITEN  MERSEBURG EB   SPRUCHES 

Diese  ureprünglichkeit  des  gottes  im  Mersebursier  spn. 
hat  aber  durch  ESchröders  etymologische  ableitung  eine  wc 
liehe  stütze  erhalten,  der  das  charakteristische  untrennbare  altribut 
des  glanzes  nicht  nur  für  den  golt  selbst,  sondern  durch  den 
hiuweis  auf  das  Goteoross  'Bala'  und  das  Siegfriedsschwert  'Bai- 
moDC',  von  denen  dieses  ja  wider  an  einem  jugendlichen  heros 
haftet,  auch  für  die  äufseren  zeichen  seiner  kriegerischen  würk- 
samkeit  nachgewiesen  hat   (Zs.  35, 237  ff). 

Bezeichnend  genug  aber  ist.  dass  der  kurze  ausdruck  Balderes 
tolon  alle  wesentlichen  auch  sonst  nachweisbaren  attribu  - 
gottes  umschreibt,  zunächst  den  lichtspendenden  jugend- 
lichen charakter  kündend  —  wie  ja  XemtonaXot  auch  bei 
den  Hellenen  als  dioskorisches  attribut  erscheint  — .  sodann  aber 
darüber  hinaus  —  denn  mit  recht  erinnert  Kugel  (aao.  i  90)  an 
die  bedeutung  von  vole  als  streitross  bei  Wolfram  und  im  mhd. 
volksepos  —  deutlich  genug  auf  den  kriegerischen  r 
bändigenden  gott  der  altern  eddischen  lieder  weisend,  ja  w^nn 
das  varan  zi  holza,  wie  es  gemeinhin,  und  wie  mir  scheint,  am 
natürlichsten1,  geschieht,  als  jagdritt  erklärt  wird  ivgl.  Yölundkv. 
1  ff.  16),  so  könnte  man  auch  darin  wie  in  dem  Harlung  Fritele 
den  jungen  übermütigen  Dioskuren  erkennen,  der  wildester  un- 
bändigster jagdlust  obligl  iMüllenhoti  Z&  225  :  beidemal  un- 
abhängig ein  abbild  des  zum  fröhlichen  wettlauf  am  morgenhimmel 
emporsteigenden  junggeborenen  zwielichtgottes. 

Nicht  nur  die  iulaetheit  Balder-Phols  aber,  sondern  auch  die 
alte  erklärung   des  namens  und    der  Wesenheit    der  vier  an  der 
beschwörung  sich  beteiligenden  lichtgottheiten  ist  durch  die  j 
kritik  vortrefflich  gewahrt  und  bestätigt,  und  si<  -    gl  widerum 

die  unentbehrlichkeit  des  gottes  im  Spruche,     dass  Sunna  nichts 
mit  der  spätnordischen,  abslractbegrifflichen,  erst  skaldischer  er- 
rindung  ihre  entstehuug  verdankenden  Syn  der  Gj 
15,  209)  zu  tun  haben  kanu.  sondern  als  BonnengOUio  zu 
ist,   bat  Gering  genugsam        -  *r  die 

1  an  sich  könnte  man  ja  auch  an  eine  zauberfahrt  —    -     v 
'til  höh  ek  gekk  ok  lil  hräs  vißar    —    denken,   al  e  doch 

für  Wodan,  nicht  für  Baldr  passen  :  eine  liefere  u  j 
gerade  in  diesem    ausdruck   zu  suchen. 
und,  wie  schon  Kauffmann  hervorhebt  (Zs.  L  d 
sichtslos. 


104  MEDNER 

von  Kögel  (aao.  s.  92)  und  vGrienberger  (aao.  s.  452)  ange- 
nommene beziehung  des  ersten  göttinnenpaars  auf  Baldr  und  des 
zweiten  auf  Wodan  keine  im  mythus  liegende  innere  notwendig- 
keit  birgt,  wird  durch  die  von  Müllenboff  (Zs.  30,  218)  nach- 
gewiesene identität  der  Sunna-Süryd  mit  der  auch  sonst  im  my- 
thus eine  besondere  rolle  spielenden  Priya-Frija,  die,  soweit  ich 
sehe,  nirgends  beanstandet  ist,  erhärtet;  aber  auch  die  Müllen- 
hoffsche  deutung  der  Sinthgunt  als  einer  lichtgottheit  und  der 
Fulla  als  'copia'  (Denkm.3  u  74)  darf  als  sicher  gelten  und  dem- 
gemäfs  auch,  und,  wie  wir  später  sehen  werden,  nicht  nur  aus 
gründen  des  Zusammenhangs  in  gegenwärtiger  Überlieferung,  die 
Umstellung  der  Frija  an  das  ende  der  ganzen  reihe. 

Stehn  wir  also  in  der  annähme  Balders  als  hauptperson  im 
Spruche  auf  durchaus  festem  kritischen  boden,  so  erhebt  sich  not- 
wendig die  frage  nach  der  Stellung,  die  Wodan  im  Zusammenhang 
des  ganzen  einnimmt. 

Wenn  man  die  entscheidende  rolle,  die  dieser  gott  bei  der 
würkung  des  Zauberspruches  spielt,  mit  seiner  zaubermächtigen 
Stellung  in  den  nordischen  Havamal  (vv.  146 — 160)  vergleicht,  so 
könnte  man  leicht  auf  den  gedanken  kommen,  dass  Wodan-Odin 
in  der  uns  aus  dem  norden  geläufigen  gestalt  auch  im  mythus 
des  Merseburger  Spruches  wurzele,  und  diese  auffassung  könnte 
noch  eine  stütze  finden  in  der  tatsache,  dass  wenigstens  auch  in 
Niederdeutschland  nach  Paulus  Diaconus  Zeugnis  (Hist.  Langob. 
1 ,  7  f )  schon  in  verhältnismäfsig  früher  zeit  die  langobardische 
Frea  dem  Wodan  gegenüber  als  gemahlin  wie  als  rivalin  eine 
ähnliche  Stellung  einnahm  wie  die  nordische  Frigg  gegenüber 
Odin,  ja  auch  der  umstand,  dass  im  norden  gerade  die  der  Volla 
entsprechende  Fulla  es  ist,  die  nach  der  prosaischen  einleitung 
der  Grimnismal  die  Frigg  in  ihrer  rivalität  gegen  ihren  gatten 
unterstützt,  und  dass  eben  diese  Fulla  wider  die  einzige  der 
Gylfag.  c.36  angeführten  dienerinnen  Friggs  scheint,  der  schärfere 
und  unzweideutig  auf  eine  lichtgöttin  weisende  Charakteristik  zu- 
kommt, könnte  die  ursprünglichkeit  der  galtenschaft  wie  der  con- 
currenz  Wodans  und  Sunna-Frijas  nahelegen. 

Jedoch  widerstreiten  einer  solchen  annähme  hauptsächlich 
zwei  momente  :  beide  sind  schon  von  RMMeyer  in  seiner  inhalts- 
reichen recension  des  buches  von  Losch  (Anz.  xix  211)  angedeutet, 
zunächst  die  auffällige  rangierung  des  angeblich  höchsten   gottes 


D.  MYTHUS  D.  ZWEITEN  MERSEBURGER  SPRUCHES      1<>5 

hinter  seinen  söhn  Baldr,  die  aus  dem  uns  im  norden  geläufigen 
Verhältnis  der  beiden  götter  zu  einander  eine  mythologische  recht- 
fertigung  nicht  erhält,  sodann  aber  der  merkwürdige  zusatz  zu 
thü  biguolen  Wodan  :  so  he  wola  conda.  dass  dieser,  der  doch 
nur  den  sinn  haben  kann  :  'er  verstand  es  besser  als  die  vier 
göttinnen,  die  sich  vergeblich  abgemüht  hatten',  unter  der  Voraus- 
setzung von  Wodans  anerkennung  als  meister  über  allen  zauber 
(vgl.  galdrs  fopor  Vegtkv.  3)  eine  matte,  müfsige  bemerkung  dar- 
stellt, ligt  auf  der  hand.  vvolbegreiflich  aber  wird  er,  wenn  er 
die  entscheidende  lätigkeit  des  nachträglich  eingeschobenen  Wodan 
motivieren  sollte,  etwa  wie  unter  dem  eiufluss  der  vordringenden 
Odinsreligion  in  der  discreten  Überarbeitung  der  nordischen  Thryms- 
kvida  Heimdalls  an  stelle  des  höchsten  gottes  ausgeübte  bedeut- 
same handlung  durch  den  zusatz  visse  vel  fram  sem  vaner  aprer 
zu  begründen  versucht  ward  (Zs.  36,  281). 

Demnach  können  die  worte  ende  Wödan  und  Wodan,  so  he  wola 
conda  der  ältesten  germanischen  fassung  des  Spruches  nicht  an- 
gehört haben,  und  Wodan,  der  ja  ohnehin  in  Oberdeutschland 
sonst  nicht  bezeugt  ist,  hat,  wenn  er  auch  in  der  jetzigen  sacralen 
einkleidung  die  entscheidende  Stellung  behauptet,  sicher  erst,  wie 
auch  sonst  im  Baldr-  und  Dioskurenmythus,  den  allen  himmels- 
gott  verdrängt  —  ein  Verhältnis,  das,  da  er  selbst,  der  in  jüngeren 
fassungen  des  Spruches  allein  dominiert,  in  den  jüngsten  widerum 
durch  christliche  heilige  verdrängt  wird,  rückblickende  analogie- 
schlüsse  leicht  bestätigen  '. 

Wir  dürfen  somit  den  sacralen  rahmen  des  Spruches  ab- 
streifen und  haben  uns  die  fragen  vorzulegen  :  was  bedeutet, 
mythisch  genommen,  die  Verrenkung  von  Baldrs  rosa?  wa- 
bedeuten die  vergeblichen  heilversuche  durch  die  vier  göttinnen? 

1  auch  Losch  (aao.  s.  19  ff)  hat  an  dem  zusatz  auslote  genommei 
seiner  annähme  einer  unvollständigen  Überlieferung  and  sein.  Dg  sus 

der  spätem  christlichen  Egidiussage   kann  ich  in   keiner  weise  beipflichten: 
gewis  verdient  diese  legende   als  parallele   zum  Haldrmythus  in  christlieber 
zeit  beachtung,  aber  weit  entfernt  zur  erläuterung  des  nullius  beiaatn 
die   von   ihm   selbst  versuchte  reconstraction   trügt  Losch    nai 
felnd  vor  —  enthält  der  ganze  beruht,  und  vor  allem  die  h 
vierung  des  so  he  wola  conda  nur  eine  durch  die  Übertragung  Bof  <- 
notwendige,  zum  teil  vielleicht  misverständliche,  in  der  hau 
wust-enhemeristische  Umbildung. 


106  NIEDNER 

was   endlich  bedeutet   die  definitive  heilung   durch  den  höchsten 
gott  des  himmels? 

Dass,  wie  in  allen  übrigen  Versionen  des  Baldr-  und  Dios- 
kurenmythus  auch  in  unserm  spruch  ein  tagesmythus  steckt, 
hat  schon  Jacob  Grimm  richtig  empfunden,  wenn  er  sagt(Myth.4186): 
'das  erlahmte,  in  seinem  gang  aufgehaltene  pferd  Baldrs  empfängt 
vollen  sinn,  sobald  man  ihn  sich  als  licht-  oder  taggott  vorstellt, 
durch  dessen  hemmung  und  Zurückhaltung  grofses  unheil  auf 
der  erde  erfolgen  muss',  und  später  gelegentlich  eines  christlichen 
segensgrufses ,  wo  der  sonntag  reitend  gedacht  ist  (Myth.4615): 
'das  ist  allerdings  der  heidnische  tag,  wie  er  auf  Scinfahso  (altn. 
Skinfaxi)  mit  der  leuchtenden  mahne  einherreitet;  wer  aber  an 
den  lichten  gott  Paltar  auf  seinem  fohlen  dächte,  würde  auch 
nicht  gerade  fehlschlagen',  können  wir  diese  auffassung  des  alt- 
meisters  auch  im  einzelnen  nicht  zu  der  unsrigen  machen,  da 
wir  nach  Müllenhoffs  Vorgang  und  auf  grund  eigner  ergebnisse 
in  den  eingangs  genannten  arbeiten  in  Baldr  das  Zwielicht  und 
vielmehr  in  dem  durch  Wodan  verdrängten  gotte  den  tages- 
gott  sehen  müssen,  so  gibt  sie  uns  doch  die  richtschnur  für 
die  erklärung  des  ganzen  nicht  als  Jahres-,  sondern  als  tages- 
mythus. 

Wenn  wir  nun  versuchen,  den  epischen  teil  des  Zauberspruchs, 
die  eigentliche  götterhistorie,  als  noch  in  engster  Verbindung  mit 
alter  arischer  anschauung,  wie  sie  Myriantheus  (Die  Acvins  s.  40 ff) 
auf  grund  der  Veden  dartut,  und  doch  widerum  in  einem  wich- 
tigen puncte  auf  germanischem  boden  nach  heimischer  natur- 
anschauung  modificiert  zu  erweisen,  so  dürfen  zur  rechtfertigung 
dieses  Unternehmens  folgende  erwägungen  nicht  aufser  acht 
bleiben. 

Zunächst,  dass  bei  keinem  denkmal  der  altgermanischen 
spruchpoesie  eine  solche  Zusammenstellung  mit  dem  altindischen 
natürlicher  und  berechtigter  ist,  da  gerade  dieser  spruch  sich, 
wie  Kuhn  zeigte  (Zs.  f.  vgl.  sprf.  13,  51  ff.  58  ff),  in  seinem  schluss- 
wort  in  überraschender  weise  mit  einem  vedischen  berührt,  die 
nahe  verwantschaft  der  schlussformeln  legt  den  rückschluss  auf 
einstmalige  nächste  verwantschaft  auch  der  mythischen  Vorge- 
schichte wenigstens  nahe  K 

1  dass  beide  nicht  notwendig  zusammenhängen  müssen,  hat  ESchröder 
(Zs.  37 ,  257 ff)  mit  recht   hervorgehoben;    ebenso  dass  das  mit  dem  'galdr' 


D.  MYTHUS  D.  ZWEITEN  MERSEBURGER  SPRUCHES      107 

Sodann,  dass  auch  sonst  neben  der  allmählich  im  Baldr- 
Hartungenmythus  feste  gestalt  gewinnenden  vornehmsten  tonn 
der  germanischen  Dioskurensage  sich  Unterströmungen  fanden, 
die  an  älteste  vedische  Vorstellungen  anknüpften,  so  in  der  Breca- 
und  Hredelepisode  des  Beovvulf  (Zs.  42,  236  ff.  243),  so  ferner  vor 
allem  in  der  kunstvoll  in  einen  andern  allen  niylhus  verwobeneu 
sage  von  den  jungen  Harlungen  (Zs.  30,  222  ff). 

Ferner  darf  auch  der  charakteristische  stil  des  Spruches  nicht 
übersehen  werden  :  die  darstellung  ist  der  tendenz  der  schluss- 
formel  entsprechend  kurz,  sprunghaft,  prägnant;  sie  bricht  ab, 
wo  die  absieht  der  Zauberformel  erfüllt  ist.  wie  in  dem  zum  ver- 
gleich am  nächsten  liegenden  ersten  Merseburger  Spruche  niemand 
aufgeklärt  wird,  wo  die  walküren ,  die  clübödun  euniowidi ,  sich 
eigentlich  befanden,  vielmehr  die  kennlnis  davon  als  selbstverständ- 
lich vorausgesetzt  scheint,  so  erfahren  wir  in  unserm  spruch  nichts 
darüber,  wo  die  vier  göltinnen  plötzlich  herkommen,  wiewol  der 
mythische  Vorgang  sicher  als  bekannt  betrachtet  wird,  und  ebenso 
bleiben  die  Vorgänge  nach  der  heilung  von  Baldrs  ross  im  dunkel: 
ein  ergänzen  aus  dem  mythologischen  Zusammenhang  im  ganzen 
ist  hier  also  unumgänglich. 

Endlich  darf  bei  der  mythischen  deutung  des  Spruches  nicht 
vergessen  bleiben,  dass  bei  der  Zähigkeit,  mit  der  in  dieser  dicht- 
gattung  auch  bei  dem  Wechsel  der  worte  und  beneninmgen  doch 
der  ganze  tenor  der  vor-  und  darstellungsarl  gewahrt  bleibt,  im! 
fug  auch  auf  die  nacheinanderfolge  :  'Sinthguni-Snnua-Frija-1  ulla' 
oder,  wenn  Müllenhoffs  Umstellung  das  richtige  i rillt  is.  104), 
'--Fulla-Frija'  ganz  besonderer  nachdruck  gelegt  werden  mu>s. 

Versuchen  wir  nunmehr  so  einfach  wie  möglich  dem  Wort- 
laut des  Spruches  in  der  mythischen  erklärung  uns  anzuschließen. 

Dass  in  dem  ausdruck  vuorun  zi  holza  nichts  anderes  liegen 
kann  als  'sie  zogen  aus  zur  jagd',  und  dass  dies.-  Vorstellung  dei 
alten  auffassung  von  dem  Dioskurenwettlaul  vortrefflich  entspricht, 

zusammenhangende  '  spelF  an  sich   ein  vielleicht  erst  für    den   < 
fall  ersonnenes  zaubermärchen  sein  könnte;    was   mich    bei    dies 
trotzdem  in  der  annähme  eines  —  freilich  dem  sacralen  charakter  det 
entsprechend  freier  umgestalteten    —    mylhos  bestärkt,    i-t  Dicht 
desten   die  von  Kögel   im  Strafsburger   blutsegen  entd 
kurenmythus,  die,  wenn  auch  nur  lückenhaft,  doch  deutlich  an 
classische  form  des  nordischen  Baldrmythus  zurück«. 


108  N1EDNER 

ward  schon  oben  (s.  103)  bemerkt,  die  ersle  zeile  bedeutet  dem- 
nach: 'der  gott  des  Zwielichts  und  sein  vater,  der  tagesgott,  reiten 
auf  lichten  rossen  am  morgenhimmel  empor'  —  dem  Dioskuren 
als  Vorläufer  gebührt  daher  auch  im  spruch  die  erste  stelle. 

Der  ausdruck  :  dö  wart  demo  Balderes  volon  sin  vuoz  biren- 
kit  heifst  ohne  jede  nebenbedeutung:  'Baldr  kann  nicht  weiter- 
reiten ,  seine  fahrt  am  himmel  wird  gehemmt'  —  natürlich  für 
das  äuge  des  beobachtenden,  dem  eine  neue  naturerscheinung 
sich  aufdrängt. 

'Sinthgunt'  erscheint  nämlich  —  schon  längst  als  hypostase 
der  sonne  gefasst  (s.  104)  —  zuvörderst  in  gestalt  der  morgen- 
röte,  der  vedischen  Ushas.  aber  sie,  die  sich  den  gott  als  buhlen 
wählt  oder  von  ihm  als  siegespreis  davon  geführt  wurde  (Myrian- 
theus  aao.  s.  40),  und  die,  wie  man  auch  ihren  namen  deuten 
möge  *,  dem  Balder  ebenso  unzertrennlich  anhaftet  und  folgt  wie 
'Sintram'  dem  'Baltram'  oder  noch  im  Nibelungenlied  'Sindolt' 
dem  'Hunolt',  kann  sein  allmähliches  verblassen  nicht  hindern: 
je  mehr  sie  zur  glänzenden  sonne  sich  entfaltet,  um  so  mehr 
schwindet  der  Dioskur  —  überstrahlt  von  ihrem  lichte.  Baldrs 
fahrt  entzieht  sich  immer  mehr  dem  äuge  des  beobachtenden 
sterblichen. 

Aus  der  Ushas  ist  die  glänzende  Süryä  geworden  —  die 
doppelerscheinuug  der  wesensgleichen  Ushas-Surya  ist  hier  ganz 
ebenso  wie  in  der  analogen  hellenischen  sage  von  den  Leukippi- 
den  Hilaeira  und  Phoibe  (Zs.  42,  255)  durch  das  schwestern- 
verhältnis  ausgedrückt,  der  ritt  des  Dioskuren,  von  der  'Sunna' 
völlig  überstrahlt,  ist  nicht  mehr  zu  erspähen,  während  der  tages- 
gott immer  leuchtender  und  sichtbarer  aufsteigt. 

Stellen  nun  'Frija'  und  'Volla'  ebenfalls  hypostasen  der 
sonnengöttin    dar  —   woran    nach   dem  s.  104    erörterten  nicht 

1  dass  die  Buggesche  deutung  (Studier  i  286)  des  namens  nicht  in  be- 
tracht  kommt,  zeigt  schon  der  etymologisch  deutliche  Charakter  der  an- 
dern göttinnen  als  lichtwesen  (s.  103  f);  aber  auch  die  Schereische  deutung  als 
'die  sich  den  weg  erkämpfende'  oder  die  Kögeische  als  'himmelsgängerin' 
wird  neuerdings  von  vGrienberger  verworfen  :  ist  seine  deutung  'die  reisige 
kämpferin'  oder  'die  zum  kämpf  ausgehnde'  (aao.  s.  452)  die  richtige,  so  ist 
nicht  nur  die  enge  verwantschaft  mit  Brünhild  klar,  sondern  die  bedeutungs- 
entwicklung  auch  ganz  ähnlich  wie  bei  der  mythischen  Nanna,  wo  ebenfalls 
aus  der  grundauffassung  des  sieghaft  hervorbrechenden  lichts  sich  der  walkü- 
rische  Charakter  entwickelt. 


D.  MYTHUS  I).  ZWEITEN  MERSEBURGER  SPRUCHES      109 

zu  zweifeln  ist  — ,  so  kann  das  thü  biguolen  Volla,  Frija  era 
suister  folgerichtig  nur  einen  ganz  parallelen  Vorgang  bezeichnen, 
und  dies  kann,  da  eine  müfsige  widerholung  niemand  annehmen 
wird  und  das  viermalige  'bigalan'  auf  vier  verschiedene  phasen 
der  Verzögerung  deutet,  kein  anderer  sein,  als  die  würkung  der 
von  ihrem  höhepunct  allmählich  sinkenden  und  zuletzt  in  der 
abendröte  ausglühenden  sonne.  'Volla'  als  die  nach  dem  über- 
schreiten des  zeniths  in  den  ersten  stunden  noch  besonders  heils 
und  üppig  brütende  nachmittagssonne  würde  so  dem  begriff  der 
'copia,  abundantia'  ganz  vortreffliche  prägnanz  verleihen,  und  noch 
die  späte  ausmalung  der  Gylfaginning  c.  36  :  Fulla  .  .  ferr  laus- 
hdr,  ok  gullband  um  hoftfö,  hon  berr  eski  Friggjar  .  .  ok  veit 
launrdü  meö  henni  ist  dieser  deutung  denkbar  günstig. 

In  diesem  falle  gewönne  aber  die  Müllenhoffsche  Umstellung 
(s.  104)  auch  mythologisch  besondern  wert,  da  die  chiastische 
Stellung  :  'Sinthgunt-Sunna,  Volla-Frija'  vom  standpunct  des  be- 
obachtenden genau  die  vier  phasen  'morgenröte,  aufsteigende  sonne, 
sinkende  sonne,  abendröte'  widergäbe,  und  wenn  Frija  —  ent- 
sprechend der  bezeichnung  'Sinthgunt'  am  morgenhimmel  hier 
passend  wider  geliebte  (vgl.  skr.  priyd)  des  Dioskuren  genannt  — 
am  schluss  der  ganzen  reihe  steht,  so  hat  auch  dies  guten  sinn: 
sie,  die  besonders  in  südlichen  gegenden  sehr  schnell  wider  dem 
nächtlichen  dunkel  zueilt,  —  hat  doch  selbst  der  phantasievolle 
Hellene  kein  eigenes  wort  für  'abendröte'  —  konnte,  wenn  irgend 
eine  von  den  göttinnen,  am  ersten  dem  geliebten  zwielichtsijott 
wider  eingang  verschaffen  und  durch  heilung  seines  rosses  seine 
fahrt  am  abendhimmel  dem  menschlichen  äuge  wider  sichtbar 
machen,  aber  auch  ihre  beschwörung,  ollenbar  die  stärkste  von 
den  vieren,  ist  wie  die  ihrer  Vorgängerinnen,  umsonst. 

Bisher   ist   alles   im    festumschriebenen    rahmen    eines    La 
wol  verständlich  :   auch  dass  nach  der  nun  folgenden  Bieghaften 
beschwörung  des  von  Odin  verdrängten  Lagesgottes  Baldr  anl  ge- 
heiltem rosse  seinen  ritt  wider  aufnimmt .   dass  also   die  epische 
Fortsetzung  der  handlung   widerum   nur  gelautet    haben    könnte: 
Phol  ende  Wodan  fuorun  zi  holza,   und  dass  somit   der  rot 
für  den  zweck  des  Zauberspruches  einmal   typisch  t 
mythologisch  an  sich  eine  in  die  unendlichkeil   fortfaul 
lieh    neu   beobachtete   uaturerscheinung  darstellt,    wird    niemand 
bezweifeln. 


110  NIEDNER 

Die  frage  ist  nur  :  'wann  ist  die  heilung  des  götterrosses 
und  die  dann  folgende  fortsetzung  des  rittes  der  beiden  götter 
zu  denken?' 

Wenn  wir  uns  die  gewöhnliche  form  des  der  hellenischen 
Dioskurensage  genau  entsprechenden  Härtungen -Baidermythus 
(Zs.  42,  255  ff)  vor  äugen  stellen  —  und  diese  war  auch  der  alten 
spruchpoesie  geläufig1  — ,  so  kann  die  antwort  nur  sein  :  'am 
frühsten  morgen  des  nächsten  tages';  denn  nach  dieser  gestalt 
des  mythus  ist  das  nach  der  Frija  verschwinden  erscheinende 
Zwielicht  nur  ein  trügerisches  :  der  dem  echten  Dioskuren  feind- 
liche und  verderbliche  Abenddioskur,  durch  den  dieser  eben  dem 
tode  anheimfällt,  in  der  tat  mag  dies  —  besonders  in  südlichen 
gegenden  mit  schnell  hereinbrechender  nacht  —  die  geläufige 
Vorstellung  gewesen  sein  :  denn  das  schnell  enteilende  abendzwie- 
licht  konnte  nie  die  gleiche  aufmerksamkeit  wie  der  erste,  wenn 
auch  nur  flüchtige  strahl  des  lichtes  am  morgen  erregen. 

Anders  jedoch  in  den  nördlichen  gegenden:  bei  den  germa- 
nischen stammen,  wo  die  langen  lichten  abenddämmerungen  die 
phantasie  mindestens  ebenso  in  anspruch  nehmen  musten  wie  die 
entsprechende  erscheinung  am  morgenhimmel  —  man  denke  nur 
an  die  noch  heute  so  enthusiastische  preisung  der  lichten  nachte 
durch  die  nordischen  dichter  :  hier  konnte  sehr  wol  in  der  langen 
hellen  abenddämmerung  die  fortsetzung  von  Balders  ritt  gesehen 
werden  :  nach  dem  schwinden  der  wider  willen  ihrem  liebling 
verhängnisvollen  sonnengöttin  setzt  der  tagesgott  mit  Balder  aufs 
neue  und  noch  lange  seine  fahrt  fort  bis  zur  ankunft  der  spät 
einbrechenden  nacht. 

So  malte  also  der  mythus  unseres  Spruches  in  einfachster 
und  schönster  weise  den  gesamten  verlauf  eines  nordischen  hoch- 
sommertages 2  :  vom   ersten   auftauchen  des   lichtes    am   morgen- 

1  mit  recht  sieht  Kögel  (Litteraturg.  i  262  ff)  im  Strafsburger  blutsegen 
einen  nachklang  dieser  form  des  Baidermythus,  da  der  Vro  der  dritten  zeile 
ohnehin  auf  heidnischen  grundcharakter  des  Spruches  deutet  :  dagegen  scheint 
es  mir  gewagt,  auf  grund  der  äufserst  corrupten  und  lückenhaften  Über- 
lieferung das  Verhältnis  des  denkmals  zu  den  beiden  hauptversionen  dieser 
mythenform,  bei  Saxo  und  Snorri,  bestimmen  zu  wollen,  die  sicher  erkennbaren 
züge,  'die  absichtlichkeit  der  tötung'  und  'das  veranstaltete  Wettspiel'  weisen 
jedesfalls  deutlich   auf  die  classische   form  des   nordischen  mythus  zurück. 

2  an  einen  solchen  denkt  offenbar  auch  Losch  (aao.  s.  11),  aber  der 
tagesmythus  scheint  mir  bei  ihm  nicht  einheitlich  festgehalten,  es  würde 
hier  zu  weit  führen,  auf  diese  seine  ansieht  näher  einzugehn;  noch  weniger 


D.  MYTHUS  D.  ZWEITEN  MERSEBURGER  SPRUCHES      Hl 

himmel  bis  zum  letzten  verblassen  der  abeuddämmerung  hinüber 
in  das  nächtliche  dunkel. 

Ich  glaube  nicht,  dass  man  dieser  deutung,  die  sich  sowol 
an  die  mafsgebende  kritische  erläuterung  des  Spruches  wie  an 
die  herschende  etymologie  seiner  götternamen  aufs  engste  aolehnt 
(vgl.  s.  102 ff),  den  Vorwurf  des  gekünstelten  oder  auch  nur  des  ge- 
zwungenen machen  kann,  freilich  setzt  sie  im  gegensatz  zu  der 
gangbaren  form  des  Baidermythus  die  identität  der  Morgen-  und 
Abenddioskureu  voraus,  aber  diese  nebenauffassung  trjtt  auch 
sonst,  besonders  im  Harlungenmythus,  hervor  —  dort  ist  eben- 
falls der  tod  des  Zwillingspaares  nicht  dem  aufhören  der  morgen- 
dämmerung,  sondern  dem  verschwinden  der  abenddämmerung 
gleichzusetzen  (Müllenhoff  Zs.  30,  241).  sie  stellt  weder  eine 
ältere  noch  eine  jüngere  form  des  mythus  dar,  sondern  ist  der 
classischen  gestalt  der  sage  im  norden  von  jeher  parallel  ge- 
gangen, wie  ja  noch  die  überaus  günstige  und  sympathische 
Charakteristik  Höds  in  Saxos  pragmatischer  darstellung  deutlich 
erkennen  lässt.  denn  mag  immerhin  ein  gut  teil  davon  auf  den 
localpatriotismus  des  dänischen  geschichtsschreibers  kommen,  vor- 
bereitet war  sie,  wie  Axel  Olrik  (Sakses  oldhistorie  s.  45)  zeigte, 
schon  in  norwegischen  sögur  und  muss  als  nachklang  der  er- 
wähnten  nebeuvorstellung  gelten. 

Ist  doch  die  doppelauffassung,  wonach  morgen-  und  abend- 
zwielicht  bald  als  schärfste  gegensätze,  bald  als  wesensverwant 
betrachtet  wurden,  tief  in  dem  Charakter  dieser  naturerscheinung 
begründet,  je  nachdem  man  mehr  die  Verschiedenheit  ihrer  func- 
tion  am  himmel,  das  hervortauchen  aus  dem  dunkel  einerseits 
und  das  hinabsinken  in  die  nächtliche  fiosternis  anderseits,  oder 
die  ähnlichkeit  ihrer  entstehung  aus  tag  und  Dacht   ms  äuge 

Ganz  besonders  nahe  lag  aber  diese  auch  bei  den  Indern 
und  Hellenen  (Zs.  42,  253  ff)  nachweisbare  doppelvorstellun{ 
den  Germanen,  vornehmlich  bei  den  nördlichen,  wo  der  gran- 
diose Wechsel  der  langen  hellen  Bommerabende  und  der  endlos 
düstern  winternächte  dieser  verschiedenartigen  betrachtung  and 
Würdigung  des  Abenddioskuren  den  weitesten  Bpielraum  bot. 

Am  wenigsten  wunder  nehmen  wird  die  Vorstellung  roo  der 
identität    des    morgeu-    und   abeodzwielichts    bei    einer   mytnen- 

ist  es  an  dieser  stelle  möglich,  den  hauptteil  seiner  arbeit, 
parallelen  mit  den  sagen  vom  weifsen  hirscb,  in  berühren. 


112      D.  MYTHUS  D.  ZWEITEN  MERSEBURGER  SPRUCHES 

form,  die  dem  ganzen  Charakter  ihrer  sacralen  einkleidung  gemäfs 
den  tod  Ralders  überhaupt  nicht  einbegriff,  denn  das  lahmen 
des  rosses  wie  die  heilversuche  der  göttinnen  und  die  heilung 
durch  den  höchsten  gott  sind  mythisch  allein  identisch  mit 
den  bösen  träumen  Balders  und  den  mafsnahmen  der  Äsen  zur 
Verhütung  des  kommenden  Unheils,  wie  sie  uns  bei  Saxo  und 
in  den  Edden  entgegentreten;  sie  sind  —  und  in  diesem 
puncte  stimm  ich  Losch  (aao.  s.  13)  völlig  bei  —  mahnende 
hindeutungen  auf  des  lichten  gottes  Untergang,  aber  der  tod 
selbst,  der  nach  dem  verblassen  der  abenddämmerung  zu  setzen 
ist  (s.  110  f),  fällt  völlig  aus  dem  rahmen  des  Spruches  heraus,  und 
für  gestalten  wie  Höd  und  Vali  als  selbständige  Dioskuren  ist 
daher  in  ihm  kein  räum  :  kein  zweifei,  dass  diese  beschränkung 
auf  die  unheilkündende  vorzeit,  wodurch  das  hauptinteresse  nach 
dem  heilenden  gott  hingravitierte,  die  anknüpfung  an  den  zauber- 
kundigen Wodan  (s.  105)  erleichterte. 

Für  die   erschütternde   tragik   der   mythen   von  Balders  tod 
und  im  gegensatz  zu  ihnen  liefert  also  unser  spruch  ein  in  der 
grundstimmung  heitres,   wenn  auch  auf  düsterm  bodeu  sich  ab- 
hebendes und  mit  düstern  ahnungen  durchsetztes  Vorspiel. 
Rerlin,  13  august  (31  october)  1898.  FELIX  NIEDNER. 

ZU  KONRAD  VON  WÜRZBURG. 

Das  Mhd.  wb.  n2,  420 b  und  Lexer  n  998  setzen  ein  adj. 
smcehelich  an,  das  für  die  gute  zeit  so  wenig  zuzugeben  ist  wie 
etwa  süezelich  oder  gar  erelich.  unser  schmä(h)lich  stammt  aus 
smdhlich;  in  älterer  zeit  nicht  allzuhäufig,  verdrängt  es  später  das 
veraltende  schemelich,  wobei  innerhalb  der  litterar.  Überlieferung 
auch  die  ähnlichkeit  des  wortbildes  (schämlich  —  schmälich)  mit- 
würken  konnte,  das  mag  zb.  zutreffen  für  den  Engelhard,  wo 
Haupt  und  Joseph,  den  alten  druck  verbosernd,  durchweg  smcehe- 
lich schreiben,  während  schemelich  zu  ändern  war:  2095  so 
smcehelicher  mcere  —  3694  in  smwhelichen  spot  —  4050  von 
smcehelicher  not  —  4980  und  uz  vil  smcehelicher  not.  vgl.  ins- 
besondere zu  3694  schemelicher  spot  Silv.  3284.  4785.  Troj.  3371. 
28443;  zu  4050  u.  4980  schemelichiu  not  Troj.  28455;  zu  2095 
etwa  schemelichiu  wort  Troj.  148,  schemelichiu  dinc  Troj.  22621. 
smeheliche  als  jüngere  Variante  zu  schemeliche  findet  sich  zb.  bei 
Troj.  17735;  sonst  ist  mir  bei  KvW.  nur  das  von  Haupt  und 
Henczynski  in  den  text  gesetzte  adv.  smaheliche  Alexius  701  auf- 
gestofsen :  allein  hier  bietet  die  Sarner  hs.(S)  das  richtige:  man  schalt 
den  guoten  unde  sprach  im  dicke  schemeliche  zuo.         E.  SCH. 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS. 

Die  zeiteo  sind  vorüber,  wo  man  vom  dichter  des  Waltharius 
sageu  durfte  'poeta,  si  hoc  nomine  dignus  est,  harbarus'.  der 
hohe  kunstwert  der  dichtuug  ist  anerkannt,  und  die  aufgäbe  ist 
jetzt  mehr,  die  eigenschaften  derselben,  die  Vorzüge  und  die 
mängel,  ins  richtige  licht  zu  stellen.  in  einer  Jugendarbeit 
(Philologische  bemerkuugen  zum  Waltharius,  Münchner  akad. 
philol.  cl.  sitzungsber.  1873)  hatte  ich  die  Vorzüge  des  kuust- 
werks  gerühmt  und  hervorgehoben,  dass  der  dichter  seinen  stoff 
klar  überschaut  und  trefflich  dargestellt  habe.  RKögel,  der  in 
seiner  Literaturgeschichte  den  Waltharius  mit  warmer  liebe  be- 
handelt, bemerkt  ([  2  s.  336):  'epische  breite  ist  nicht  die 
sache  dieses  künstlers.  er  zieht  den  stoff  so  straff  als  möglich 
zusammen,  seine  linienführuug  ist  grofs  und  markig,  alles  klein- 
liche ist  ihm  fremd,  einzig  auf  die  hervorhebuüg  der  Haupt- 
sachen bedacht,  geht  er  nirgends  ohne  zwingenden  grund  ins 
einzelne,  detailmalerei  sucht  man  bei  ihm  vergebens',  sodann 
s.  337:  'die  Charaktere  der  handelndeu  personeu  sind  mit 
meisterhand  gezeichnet,  was  der  dichter  als  ihre  unterscheiden- 
den merkmale  augesehen  wissen  will,  erzäblt  er  uns  nicht,  son- 
dern lässt  es  aus  ihren  haudlungeu  hervorgehen,  auch  die  per- 
sonen  zweiten  ranges  sind  mit  Sorgfalt  bebandelt,  keine  flgur 
gleicht  ganz  der  andern;  nicht  schatten  und  Schemen,  sondern 
festumrissene  gestalten  von  fleisch  und  bein  treten  auf  und 
stofsen  coutrastierend  auf  einander  wie  im  würklichen  lebeo. 
aber  nicht  unausgesprochen  darf  bleiben,  dass  der  buhe  grad  des 
naturstudiums  und  der  psychologischen  beobachtuug,  der  den 
Verfasser  des  Ruodlieb  auszeichnet,  hier  noch  nicht  erreicht  ist'. 
Mir  erscheint  das  weseu  des  (Hehlers  in  diesen  stücken  an- 
ders, psychologe  ist  er  ganz  und  gar  nicht,  schon  im  auf- 
bau  des  ganzen  fehlt  beträchtlich  die  psychologische  enlwicklung. 
wie  Wallher  und  Hiltgund  im  anfange  sind,  s«  bleiben  Bie.  eicht 
die  Charaktere,  sondern  die  tatsachen  verwickeln  und  entwickeln 
sich  in  diesem  gedichte.  wie  sind  gespannt,  ob  der  eine  mann 
all  den  feinden  entgehn  wird,  ein  mitgefühl,  das  durcl 
danken  wie  v.  350— 354  und  543—551  gesteigert  wird;  wir 
sind  daneben  etwas  gespannt,  wie  Hagen-  Verhältnis  tu  Weither 
und  zu  seinem  küuig  sich  entwickeln  wnd:  das  ist  etwas,  abei 
Z.  F.  D.  A.  XLI1I.     N.  K.  XXXI. 


114  WILHELM  MEYER 

nicht  viel,  und  gar  die  Charaktere  sind  allesamt  von  6iner 
art:  welcher  unterschied  liefse  sich  finden  zwischen  Attila,  Hagen, 
Walther,  zwischen  Ospirin  und  Hillgund?  selbst  Günther  ist 
zwar  jugendlich  frech  und  nicht  geschickt  im  kämpfe,  doch  tapfer 
ist  er  und  hat  ehrgefühl  wie  die  andern  (941—953.  1083—1088. 
1413/5).  im  ganzen  gedieht  wird  Hiltgund  nur  ein  mal,  von  dem 
alten  fährmann,  schön  genannt,  und  spricht  hier  nicht  halb  so 
viel  als  in  dem  kleinen  bruchstück  des  angelsächsischen  Waltharius. 
da  war  allerdings  der  dichter  des  Ruodlieb  ein  andrer  keuner 
und  Zeichner  der  menschen  1 

Dafür  versteht  aber  der  dichter  des  lateinischen  Waltharius 
ganz  vortrefflich  zu  erzählen,  sagt  aber  Kögel  'epische 
breite  ist  nicht  sache  dieses  dichters',  so  möchte  ich  sagen: 
epische  breite  ist  die  hauptsache  bei  diesem  dichter;  er  gebraucht 
sie  in  aufserordentlichem  mafse,  aber  in  musterhafter  weise, 
klare  disposition,  folgerichtigkeit  der  entwicklung,  straffe  Zu- 
sammenfassung, anschaulichkeit  der  darstellung,  das  sind  eigen- 
schaften,  die  auch  ein  guter  geschichtschreiber,  überhaupt  jeder 
gute  Stilist  haben  muss.  überall  müssen  alle  wichtigen  umstände 
oder  ereignisse  deutlich  und  in  guter  gliederung  vorgestellt  und 
muss  so  dem  leser  ein  richtiges  und  vollständiges  bild  des  ganzen 
gegeben  werden,  anders  macht  es  unser  dichter,  er  meidet  es 
geradezu,  vieles  zu  erzählen,  in  den  ersten  10  versen  macht  er 
die  läge  des  landes  der  Hunnen  und  ihre  1000  jährige  Vorgeschichte  * 
ab  und  in  den  wenigen  vv.  96 — 115  die  erziehung  der  3  haupt- 
personen  und  deren  resultate.  dagegen  schildert  er  dinge  auf 
das  ausführlichste,  welche  ein  geschichtschreiber  nicht  oder  kaum 
erwähnen  dürfte,  zb.  den  inhalt  von  vv.  358 — 418,  die  prächtige 
Schilderung    der    ernüchterung    Attilas,    seines    unbändigen    und 

1  zur  erklärung  des  v.  10  {Hunorum  populus)  ultra  mülenos  fertur 
dominarier  annos  meint  Paul  vWinterfeld  (N.  archiv  22  [1897],  s.  569) 
'in  der  anschauung  des  dichters  verschmelzen  Ungarn  und  Hunnen  mit  den, 
mittelalterlicher  fabel  nach,  von  Alexander  d.  Gr.  hinter  die  kaspischen 
pforten  eingesperrten  Gog  und  Magog  der  Bibel',  ja,  1000  jähre  mögen  es 
bei  Gog  und  Magog  auch  sein,  allein  die  hauptsachen  widersprechen  sich: 
seit  über  1000  jähren  sind  Gog  und  Magog  eingesperrt,  aber  die  Hunnen 
dominantur.  sollte  nicht  Ekkehard  sein  ultra  1000  annos  berechnet  haben 
nach  dem  Hieronymus,  der  im  77  briefe  sagt  hane  gentem  .  .  sub  Dario 
Medorum  rege  20  annis  Orientem  tenuisse  captivum  et  ab  Aegyptiis 
atque  Aethiopibus  annuum  exegisse  v ectigal?    vgl.  Isid.  Orig.  9,  2,  66. 


DER  DICHTER  DES  WALTHARlüS  115 

doch  ohnmächtigen  grimms  und  ärgers  hat  der  dichter,  wenn  ich 
so  sagen  darf,  sich  aus  den  fingern  gesogen,  oder  nehmen  un- 
gleich v.  11 — 95:  das  sieht  aus  wie  ein  stück  geschichte  aus  der 
Völkerwanderung:  und  doch  konnte  der  dichter,  wie  er  sich  in 
dem  ganzen  gedichte  zeigt,  noch  um  das  jähr  1000  diese  85  ferse 
erfunden  nahen,  mit  ausnähme  der  namen  der  3  gefangenen  und 
ihrer  väter:  dazu  nahm  der  dichter  sich  zunächst  die  namen  der 
3  Völker,  die,  nicht  während  der  völkerwanderuug,  aber  in  der 
Karolingerzeit  und  später,  vom  Rhein  ab  hinter  einander  wohnten, 
der  Franken,  Rurgunder  und  Aquitaner.  3  gefangene  waren  es: 
also  erfand  er  3  einfalle  der  Hunnen  in  diese  feindlichen  länder. 
von  jedem  dieser  3  einfalle  wüste  er  gleich  viel,  uämlich  nichts; 
aber  wie  hat  er  es  verstanden,  diese  an  und  für  sich  gleichartigen 
Vorgänge  so  verschieden  auszumalen,  dass  wir  an  die  täuschuog 
gar  nicht  denken !  geschickt  malt  er  die  mittlere  scene  am  brei- 
testen (21  +  41  +  21  verse):  die  reitermasse  der  Hunnen,  deren 
unzählige  lanzeuspitzen  flammen  und  flimmern,  wie  die  aufgehende 
sonne  in  einer  vom  morgenwind  leicht  bewegten  Wasserfläche 
millionenfach  sich  spiegelt  und  widerglänzt1,  den  Wächter  auf 
Herirics  bürg,  der  ruft:  was  für  eine  staubmasse  erhebt  sich? 
feinde  nahen;  schliefst  die  thore!2,  die  reden  Herirics  zu  seinen 
raten  und  Attilas  zu  den  friedenshoten.  so  schafft  der  dichter 
prächtige  und  ausführliche  Schilderungen  aus  nichts. 

Der  ganze  Waltharius  besteht  aus  solchen  einzelnen  breit  aus- 
geführten scenen,  nicht  aus  einer  fortlaufenden  erzähluog.  BO 
muss  es  aber  jeder  gute  epische  dichter  machen,  mit  den  ein- 
sehen dichtem  berühren  sich  hierin  eng  die  dramatischen:  auch 
sie  erzählen  durch  einzelne  scenen.  ein  hauptunterschied  besteht 
allerdings:  die  scenen  des  dramatischen  dichters  müssen  dinge 
darstellen,  welche  die  leidenschaften  des  menschen,  furcht  und 
hoffnung,  schmerz  und  freude,  hass  und  liebe  ansprechen;  der 
epiker  kann  sich  auch  nur  an  die  phantasie,  das  erstaunen, 
richten,    wenn  könig  Ludwig  von  Baiern  bei  der  aufführung  des 

1  ein  naturschauspiel,  das  die  mönche  von  SGallen  oft  mit  stiller  l>e- 
wunderung  gesehen  haben  mögen,  wenn  sie,  vor  der  dämmt  nm.' 

dann  die  sonne  über  den  bergen  im  osten  des  Bodensees  heraufkommen  und 
ihre  strahlen  im  see  sich  brechen  sahen. 

2  nach  Virgils  Aen.  ix  35  'Qua  globus,    o   cives,    eah\ 

atra?    Ferte  citi  ferrum,  date  lela,  ascenditc  muros!    ffottü  adelt,  Ueia! 


116  WILHELM  MEYER 

indischen  dramas  Urvasi,  um  das  irren  und  suchen  des  königs 
im  walde  vorzustellen,  eine  Viertelstunde  lang  decorationen  mit 
den  herlichsten  indischen  vvaldscenerien  vorüberziehen  liefs,  so  war 
das  von  aufserordenllicher  würkung  auf  die  phantasie  der  Zu- 
schauer, allein  der  ganze  Vorgang  gehörte  nicht  in  ein  Schauspiel, 
sondern  in  ein  panorama.  beim  epischen  dichter  findet  sich 
beides;  zb.  die  Verhandlungen  zwischen  Ospirin,  Attila  und  Walther, 
ob  Walther  heiraten  soll  oder  nicht,  passen,  lebhafter  dialogisiert, 
trefflich  auf  die  bühne;  die  folgende  reiterschlacht  passt  nur  in 
den  circus,  usw. 

Die  nächste  aufgäbe  und  kunst  des  dramatischen  und  epi- 
schen dichlers  besteht  also  darin,  einzelne  Vorgänge  möglichst 
lebendig  auszumalen,  dabei  ist,  wie  Lessing  hervorgehoben  hat, 
ein  besonderes  kunstmittel,  dass  zb.  nicht  geschildert  wird,  was 
für  rüstungen  und  waffen  der  held  an  sich  trägt,  sondern  erzählt 
wird,  wie  er  ein  stück  nach  dem  andern  anlegt  und  ergreift, 
auch  diesen  kunstgriff  hat  unser  dichter  in  seinem  blinden  drang 
gefunden,  wie  überhaupt  seine  Schilderungen  der  einzelnen  Vor- 
gänge meisterhaft  sind.  die  andere  aufgäbe  des  epikers  und 
noch  mehr  des  dramatikers  ist  bedeutend  schwieriger  und  feiner: 
aus  der  unendlichen  fülle  von  scenen,  welche  der  stoff  seiner 
phantasie  bietet,  muss  er  nicht  nur  die  packendsten  scenen  heraus- 
finden, sondern  derartige,  dass  sie  alle  zusammen,  unvermerkt 
mit  einer  reihe  von  nebenzügen  ausgestattet,  doch  der  phantasie 
und  empfindung  des  hörers  und  lesers  sofort  die  klare  entwick- 
ln og  einer  grofsen  handlung  und  verschiedener  Charaktere  geben, 
hierzu  gehört  eine  beträchtliche  gäbe  von  dichterischer  selbst- 
beherschung  und  berechnung,  die  sich  oft  schwer  mit  der  heifsen 
phantasie  und  dem  gestaltungsvermögen  abfinden,  immerhin  tut 
sich  hier  der  epiker  im  ganzen  leichter  als  der  dramatiker;  denn, 
wenn  er  im  eifer  einer  prächtigen  Schilderung  die  motivierung 
künftiger  scenen  etwas  versäumt  hat,  so  kann  er  das  durch  nach- 
geschobene, erzählende  verse  in  etwas  gut  machen,  allein  es  ist 
für  den  dichter  unseres  Waltharius  rühmlich,  dass  er  diese  krücke 
fast  nicht  gebraucht,  das  gedieht  besteht  fast  nur  aus  abge- 
schlossenen Vorgängen,  die  sich,  seis  im  theater,  seis  im  circus, 
wirkungsvoll  vorführen  liefsen.  diese  einzelnen  Vorgänge  sind 
aber  so  geschickt  ausgewählt  und  dann  unvermerkt  mit  so  feinen 
einzelheiten  ausgestattet,    dass   sie   eine  klare,    folgerichtige    und 


DER  DICHTER  DES  WALTIIAIUÜS  117 

schöne  entwicklung  eines  grofsen  geschehnisses  ergeben,  manche 
dieser  kunstgrifle  mag  der  dichter  des  Waltharius  dem  Virgil  ab- 
gesehen haben,  weit  mehr  hat  er  der  bei  ünsern  vorfahren  ganz 
besonders  ausgebildeten  kunst  der  dichterischen  erzähluug  ab- 
gelernt, die  hauptstücke  aber  verdankt  er  der  gütigen  natur. 

Für  den  genuss  der  schönen  dichtung  ist  es  zunächst  gleich- 
gültig, wer  der  dichter  gewesen  ist:  allein  nicht  nur  für  den 
gelehrten,  sondern  für  jeden,  der  tiefer  in  das  Verständnis  dieses 
kunstvverkes  im  ganzen  wie  im  einzelnen  (denn  auch  da  hält  es 
stand)  eindringen  will,  ist  es  von  grofser  Wichtigkeit  eine  Vor- 
stellung davon  zu  haben,  wie  Ekkehard,  welcher  nach  Ekkehards  iv 
bericht  jetzt  wol  allgemein  als  Verfasser  des  lateinischen  Wal- 
tharius anerkannt  wird,  gearbeitet  habe,  nach  der  gewöhnlichen 
ansieht  der  germanisten  hat  Ekkehard  nur  eine  verlorene,  sehr 
ausführliche  vorläge  in  die  jetzt  vorhandenen  lateinischen  hexa- 
meter  umgearbeitet,  wobei  er  aus  seinem  Virgil  und  Prudentius, 
aus  denen  er  die  notwendigen  lateinischen  phrasen  bezog,  auch 
manchen  römischen  gedanken  in  seine  germanische  vorläge  ein- 
schmuggelte; diese  vorläge  selbst  ist  nach  den  meisten  ein 
deutsches  stabreimendes  gedieht,  nach  Kögel  eine  ausführliche 
lateinische  prosaübersetzung  eines  solchen  gewesen,  spuren  dieser 
deutschen  vorläge  will  man  auch  in  zahlreichen  germanismen 
finden1.     Scheffel- Hoblers  ausgäbe  lässt  s.  112  das  gedieht  ent- 

1  wenn  auch  Ekkehard  alle  gedanken  und  worte  des  gedichles  seilet 
geschaffen  hat,  so  muste  er  doch  natürlich  ebenso  viel  germanismen  sich  zu 
schulden  kommen  lassen,  als  wenn  jedes  wort  des  gedichtes  nur  Übersetzung 
eines  deutschen  Wortes  wäre,     das  ist  selbstverständlich,     aber  man  sollte 
mit  diesen   germanismen   doch   behutsamer  sein,    dahin  rechnen  zb.  Grimm 
s.  69  und  Scheffel  s.  115  den  v.  333  lorica  vestitus  viore  gigantis.    bat 
etwa   dieser  germanismus   dem  Ekkehard  iv   doch  so  gut  gefallen,   dass  ei 
ihn  Casus  SGalli  51  nachahmte,  wo  er  den  wackern  abt  Engilbert  schilderl 
velut  domini  gigans  lorica  indutus?    nein,  beide  schreibeb,  von  einander 
unabhängig,   das  i  Makkabäerbucn  aus,   wo  (3,  3)    der   jugendliche 
Macc.  induit  se  loricam  sicut  gigas.         der  stärkste  und  zum  veratindoi9 
der  worte  oft  wichtige  germanismus  bleibt  jene.  BChon   von  Grimm 
(Gramm,  iv  148/9.  189)  gekennzeichnete,  vollständige  verwirrui  \ 
der  Vergangenheit,    sodass   plusquamperfect,    perfect    und    im 
unterschied  stehen,    im  indicativ  gänzlich  und  zum  t'  il  im 
die  deutsche  spräche  ja  nur  eine  zeit  der  vergangenheil  hall 
sehr  oft  das  präsens  statt  des  futurs  (nicht  umgekehrt),    da  nun  vo 
wie  von  andern  epikern  der  zeit,  wie  nach    einer  verabn 


118  WILHELM  MEYER 

springen  'einem  kühnen  gedanken,  mit  der  Aeneide  zu  wetteifern', 
s.  114  lobt  sie  die  ansieht  von  WHertz,  nach  welcher  das  ge- 
dieht 'ohne  allen  zweifei  ein  nunmehr  verschollenes  altdeutsches 
heldenlied  zur  vorläge  hatte'. 

Ich  hin  schon  vor  25  jähren  dafür  eingetreten,  dass  Ekke- 
hard  die  geschichte  von  Wallher  in  kürze  gehört  oder  gelesen 
hatte  und  dass  er  danach  das  gedieht  selbst  geschaffen  hat.  von 
den  germanisten  hat  sich  dieser  ansieht  niemand  angeschlossen, 
denn,  wenn  auch  keinerlei  bruchstücke  des  angenommenen  alt- 
deutschen liedes  aufgetaucht  sind,  welche  für  jene  ansieht  gezeugt 
hätten,  wie  war  anderseits  ein  beweis  dafür  zu  finden,  dass  Ekke- 
hard  der  schaffende  dichter  gewesen  ist?  jetzt  lässt  sich  ein 
solcher  gewinnen. 

KStrecker  hat  in  dieser  Zeitschrift  42,  339 — 365  einen 
andern  weg  versucht:  er  vergleicht  die  Situationen  des  Virgil 
und  des  Prudentius  mit  denen  des  lateinischen  Waltharius.  der 
weg  ist  zwar  nicht  neu;  Georg  Zapp  er  t  hat  ihn  schon  betreten; 
er  wollte  1849  den  streitenden  Völkern  Österreichs,  'den  Germanen, 
Slaven  wie  Magyaren  versöhnend  ins  gedächtnis  rufen,  dass,  wenn 
ihre  idiome  auch  nicht  6ine  mutter  geboren,  doch  (ihre  littera- 
turen)  eine  brüst  gesäugt  hat,  und  dass  das  blut  der  classischen 
litteratur  gemeinsam  in  den  ädern  aller  unserer  rinnt';  zu  diesem 
zwecke  weist  er  in  einer  abhandlung  mit  dem  titel  'Virgils  fort- 
leben im  mittelalter'  (Wiener  akademie,  denkschriften  der  philos. 
histor.  classe,  bd  n,  1851)  nach,  wie  die  ganze  mittelalterliche 
litteratur,  besonders  die  lateinischen,  deutschen,  angelsächsischen, 
französischen  und  italienischen  dichter  den  inhalt  des  Virgil  aus- 
genützt haben,  stellt  zb.  Strecker  im  anfang  seiner  abhandlung 
(s.  340)  zusammen  Waltharius  308  mit  Aeneis  i  640,  Waith.  759 
mit  Aen.  ix  49  und  Walth.  1160  mit  Aen.  xn  175,  so  hat  das, 
schon  Zappert  unter  nr  106.  148  und  160  getan,  allein  Zapperts 
gebiet  ist  zu  grofs:  Strecker  hat  auf  seinem  engen  gebiet  mit 
grofser  sorgsamkeit  weit  mehr  parallele  Situationen  des  Waltharius 
und  des  Virgil  nachgewiesen,  er  hat  'den  versuch  gemacht,  durch 
eingehnde  vergleichung  das  Verhältnis  unsers  gedachtes  zu  seinen 
Vorbildern  näher  zu  präcisieren'.  die  ergebnisse  fasst  er  ver- 
schiedentlich zusammen,    zb.  s.  339  'der  dichter  (Ekkehard)  hat, 

das  präsens  auch  in  der  erzählung  gewöhnlich  angewendet  wird,  so  kommt 
eine  ganz  erstaunliche  masse  von  präsentia  heraus. 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  119 

was  seine  (deutsche)  vorläge  bot,  verstümmelt  oder  ganz  unter- 
schlagen und  durch  römisches  gut  ersetzt  oder  aber  die  römischen 
züge  frei  zugefügt';  s.  340  'die  besprochenen  verse  gewahren 
einen  eiublick  in  die  arbeitsweise  des  dichters,  die  wir  oft  an- 
gewendet finden:  eine  bestimmte  episode  des  Virgil  wird  zu  gründe 
gelegt  und  mit  passenden  floskeln  variiert';  s.  350  'man  muss  als 
grundsatz  aufstellen:  Ekkehard  springt  rücksichtslos  willkür- 
lich mit  dem  Stoffe  um;  sein  trachten  ist  darauf  gerichtet,  auf 
kosten  des  Originals  lateinisches  colorit  zu  erreichen';  s.  365  'im 
ganzen  wird  leider  das  resultat  dieser  arbeit  wol  nicht  angefochten 
werden  können,  dass  der  Waltharius  uns  in  mancher  beziehung 
ein  verfälschtes  bild  der  germanischen  heldenzeit  gibt'. 

Ich  habe  es  diesen  winter  gewagt,  über  den  lateinischen 
Waltharius  eine  Vorlesung  zu  halten,  dabei  hatte  ich  manches 
von  dem,  was  Strecker  jetzt  bringt,  schon  besprochen,  insbeson- 
dere hatte  ich  ebenfalls  die  ähnliche  anläge  der  reiterschlachten 
bei  Ekkehard  v.  179—207  und  bei  Virgi!  Aeneis  xi  598  —  623 
nachgewiesen,  ich  hatte  aber  diese  methode  benützt,  um  zunächst 
zu  zeigen,  dass  Ekkehard  jedesfalls  einige  stücke  der  dichtung 
selbst  geschaffen  hat,  und  hatte  versucht,  so  einen  ausblick  auf 
die  entstehung  des  ganzen  gedichtes  zu  gewinnen,  da  die  folge- 
ruogen,  welche  ich  aus  den  tatsachen  gezogen  halte  und  noch 
jetzt  ziehe,  wesentlich  andere  sind  als  die  Streckers,  so  will  ich 
dieselben  an  4  zusammenhängenden  scenen  v.  170  —  323,  der 
reiterschlacht  (r),  dem  Zwiegespräch  (n),  den  Schilderungen  des 
essens  (in)  und  des  folgenden  wetttrinkens  (iv)  hier  darzulegen 
versuchen,  allerdings  ist  mir  hierbei  nur  die  grundanschauung 
bestätigt  worden,  die  ich  schon  vor  25  jähren  ausgesprochen 
habe:  Ekkehard  ist  der  dichter,  und  das  ein  vortrefflicher. 

I  (Reiterschlacht  v.  170—214).  in  der  Aeneis  des 
Virgil  (xi  598)  zieht  die  reitermasse  der  Troer  und  Etruskei 
die  Stadt;  das  ganze  gefild  ist  bedeckt  mit  blitzenden  lanzen. 
ihnen  gegenüber  zeigen  sich  die  Latiner  und  Camilla  mit  ihrer 
schaar.  innerhalb  schussweile  machen  die  beiden  reitern 
einen  augenblick  halt;  dann  erheben  sie  das  schlachtgeschrei, 
spornen  die  pferde  an  und  werten  zugleich  ihre  Bpeere,  bo  viel« 
wie  Schneeflocken,  so  dass  die  helle  des  lages  verdunkelt  wird. 
mit  eingelegten  lanzen  stürzen  zunächst  Tyrrhenus  und  Acooteus 
auf  einander  und,   da  ihre  rosse  mit  lautem  krachen  zusammen- 


120  WILHELM  MEYER 

prallen,  so  wird  zunächst  deren  brüst  beschädigt,  und  Aconteus, 
von  dem  speer  des  Tyrrhenus  gefasst,  wird  aus  dem  sattel  ge- 
hoben und  weit  hinten  hin  geworfen ,  wo  er  dann  stirbt,  die 
Latiner  sind  erschreckt  und  ihre  reitermasse  macht  kehrt,  die 
Troer  verfolgen  sie.  doch  in  der  nähe  der  Stadtmauern  wenden 
die  ermutigten  Latiner,  und  die  verfolgenden  Troer  kehren  sich 
zur  flucht,  dasselbe  widerholt  sich  noch  einmal,  erst  beim 
dritten  wenden  kommt  es  zum  erbitterten,  stehenden  hand- 
gemenge:  implicuere  inter  se  acies  legitque  virum  vir,  .  .  pugna 
aspera  surgit. 

Im  Waltharius  reiten  die  beiden  schlachtreihen  in  parallelen 
linien  (oicht  in  keilform)  bis  in  schussweite  zusammen  und 
machen  halt,  die  trompeten  geben  das  zeichen  und  das  schlacht- 
geschrei  wird  erhoben,  und  sofort  (185  continuo,  nicht  'ununter- 
brochen' oder  'beständig')  werden  von  beiden  Seiten  die  wurfspiefse 
geworfen  und  pfeile  geschossen,  so  viel  wie  Schneeflocken,  als 
beide  teile  ihre  wurfspiefse  verworfen  haben ,  ziehen  sie  die 
Schwerter,  nehmen  die  Schilde  vor  und  nun  rennen  die  beiden 
linien  im  galopp  zusammen,  beim  zusammenprall  der  beiden 
linien  prallt  manches  ross  mit  einem  feindlichen  an  der  brüst 
zusammen  und  wird  so  kampfunfähig;  wenn  aber  die  rosse  an 
einander  vorbeistürmen,  so  kommt  es  vor,  dass  die  reiter,  welche 
fest  eingestemmt  mit  dem  schild  am  linken  arm  sich  vorlegen, 
mit  den  Schilden  zusammenprallen  und  dass  nun  der  fester 
sitzende  und  stärkere  seinen  gegner  aus  dem  sattel  hebt  und 
über  den  schwänz  des  pferdes  auf  den  boden  wirft,  so  sind 
viele  reiter  der  beiden  heere  aufser  gefecht  gesetzt:  die  übrigen 
geraten  nun  ins  handgemenge.  das  ist  für  Walther  die  zeit,  sich 
zu  zeigen;  er  wirft  die  feinde  so  gewaltig  nieder,  dass  sie  über- 
all vor  ihm  fliehen,  nachdem  der  sieg  entschieden  ist,  sucht  das 
heer  die  kriegsbeute  zusammen,  bis  Walther  mit  seinem  heerhorn 
sie  abruft. 

Offenbar  ist  der  hauptinhalt  des  Waltharius  mit  dem  des 
virgilischen  Stückes  nahe  verwant;  dennoch  sind  wesentliche  stücke 
des  kampfes  im  Waltharius  abweichend  gestaltet.  die  reiter 
des  Virgil  scheinen  nur  wurfspiefse  zu  werfen  und  diese  im 
vorwärtsreiten;  dann  rennt  ein  paar  Vorkämpfer  zusammen  mit 
eingelegter  lanze  (diese  scheint  der  dichter  des  Waltharius  über- 
haupt nicht  zu  kennen;    denn  selbst  in   den  kämpfen  am  felsen 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  121 

sprengt  kein  Franke  mit  eingelegter  lanze  auf  Walther);  der  fall 
des  einen  bewürkt  die  flucht  seiner  ganzen  reitermasse  und  erst 
viel  später  kommt  es  zum  handgemenge,  in  welchem  Camilla 
heldentaten  verrichtet;  erst  nach  ihrem  tode  xi  868  erfolgt  die 
flucht,  dagegen  im  Waltharius  scheinen  die  reitermassen  auch 
nach  dem  signal  stehn  zu  bleiben ,  und  sie  werfen  sowol  Wurf- 
spieße als  pfeile;  nachdem  die  spiefse  (nicht  die  pfeile?)  ver- 
schossen sind,  setzen  sie  sich  in  bewegung  und  es  erfolgt  der 
zusammenstofs;  was  nachher  bei  Virgil  von  dem  einzelnen  paar 
gesagt  ist,  das  wird  hier  auf  die  ganzen  scharen  übertragen: 
pectora  pectoribus  rumpunt  wird  wörtlich  herübergenommen; 
das  virgilische  excussus  .  .  praecipitat  longe  wird  durch  das  citat 
aus  Prudentius  hostem  .  .  impuhu  umbonis  sternere  ersetzt,  dann 
folgen  im  handgemenge  die  heldentaten  Walthers,  welche  sein 
heer  anfeuern;   bald  fliehen  die  feinde. 

Ebenso  deutlich  wie  der  Inhalt  zeigen  auch  die  zahlreichen 
aus  jener  stelle  des  Virgil  entlehnten  einzelnen  ausdrücke, 
dass  Ekkehard  bei  der  Schilderung  seiner  reiterschlachl  die  reiter- 
schlacht  des  Virgil  vor  äugen  gehabt  hat.  der  schluss  von  VV.  179 
sequiturque  exercüns  omnis  ist  gleich  dem  versschluss  Aeu.  xi  59S 
equitumque  exercitus  omnis.  in  VV.  180  ist    numeratam  aciem 

genommen  aus  xi  599  compositi  numero  in  turmas;  dadurch  ver- 
stehn  wir  auch,  was  in  W.  44  lbant  aequati  numero  sed  et  agmine 
longo  das  aus  Aen.  vn  698  genommene  'aequati  numero'  bedeutet; 
es  bedeutet  nicht  'in  gleiche  häufen  geteilt'  und  hat  nichts  zu  lim 
mit  der  gliederung  des  germanischen  heeres  uach  stammen,  gauen, 
geschlechtern  :  sondern   es  soll  die  in  der  nahe  des  feiudes  not- 
wendige  Ordnung   der   glieder    bezeichnen;    die    entsprechenden 
reihen  zählen  gleich  viele  männer.         die  bei  schlachten  ziemlich 
seltene  Verbindung  VV.  181  'per  latos  campos  et  ayros'  ist  genommen 
aus  Aen.  601   late  .  .  ager  campique  (vgl.  Aen.  x  408).         W.  183 
Iamque  infra  iactum  teli  congressus  uterque  Constiterat  =  Aen 
Iamque  intra  iactum  teli  p  r  o  gressus  uterque  Subttiterat,  wo  einige 
'Constiterat'  vermuteten.         VV.  ls;>  tunc  undique  clamor  ad  nuras 
Tollitur  ist  sachlich  =  Aen.  609  subito  enunpitui  clamor>\  sprach- 
lich Aen.  622   clamorem  tollunt  (noch  mehr  ix  566). 
Continuo  (sofort)  =  Aen.  612  (hastae  .  .  densae  »gl.  <■'  org. 
das  bild  für  die  pfeile  W.  188  Yeluti  .  .  nix  .  .  sporoÄi 
sagittas  ist  nicht  deutsch,  sondern  genommen  aus  A.n.  ein  j'imlnnt 


122  WILHELM  MEYER 

simul  undique  tela  Crebra  nivis  ritu.  W.  193  ff.  ist  nach  der 
Schilderung  des  Zweikampfes  Aen.  61 2 ff  gearbeitet;  W.  193  con- 
currunl  =  Aen.  613  incurrunt;  W.  194  Pectoribus  partim  rum- 
puntur  pectora  equorum  =  Aen.  614  perfractaque  quadrupedantum 
Pectora  pectoribus  rumpunt;  das  folgende  excussus  .  .  praecipitat 
longe  Aen.  615  gab  den  gedanken  zu  W.  195  Sternitur  et  quae- 
dam  pars  duro  umbone  virorum  (die  phrase  ist  genommen  aus 
Prudentius  Psych.  255  hoslem  .  .  cupiens  impulsu  umbonis  stemere). 

Die  folgende  Schilderung  von  Walthers  heldentaten,  daun  des 
allgemeinen  kampfes  und  der  flucht  hat  iu  der  betreffenden  partie 
der  Aeneis  keine  vorläge;  doch  hat  Ekkehard  einige  phrasen  der- 
selben entnommen;  W.  196  Waltharius  tarnen  in  media  furit 
agmine  bello  ist  gebildet  nach  xi  762  Qua  se  cumque  furens 
medio  tulit  agmine  virgo;  W.  202  terga  dederunt  Et  versis  scutis 
laxisque  feruntur  habenis  vgl.  mit  Aen.  618  versique  Latini  Reiciunt 
parmas,  623  datis  referuntur  habenis,  630  terga  tegentes ;  W.  203 
Tunc  imitata  ducem  gens  .  .  Saevior  insurgit  vgl.  mit  Aen.  758 
ducis  exemplum  eventumque  secuti  Maeonidae  incurrunt  (697  Altior 
exurgens;  Aen.  xn  902  =  Prud. Psych.  32  Altior  insurgens).  aber, 
da  der  Inhalt  dieser  Virgilschen  partie  nur  wenig  ähnüchkeit  bot, 
so  holte  sich  Ekkehard  hier  die  ausdrücke  auch  aus  andern  teilen 
der  Aeneis  oder  aus  Prudentius  (so  W.  191  manus  ad  mucronem 
vertitur  aus  Prudentius  Psych.  137  vertitur  ad  capulum  manus; 
W.  197  ist  zusammengepresst  aus  Aen.  x  512/3;  W.  198  tantas 
dare  strages  vgl.  ix  781  tantas  strages  impune  .  .  ediderit;  W.  199 
praesentem  .  .  mortem  =  Aen.  i  91;  W.  200/1  :  die  Situation,  nicht 
die  worte,  sind  =  Aen.  xn  368/9,  woran  Ekkehard  also  wol  nicht 
gedacht  hat;  W.  205  der  auffallende  gebrauch  von  proterit  stammt 
wol  aus  Prudentius  Psych,  prolog  28  pellit  fugatos  sauciatos  pro- 
terit; W.  206  belli  sub  sorte  ist  phrase  des  Prudentius,  so  Psych. 
21.  474  und  prol.  20). 

Dieses  mosaik  von  phrasen,  welche  aus  den  verschiedensten 
teilen  der  Aeneis  oder  der  Psychomachia  des  Prudentius  zu  einem 
neuen  bilde  zusammengefügt  sind,  findet  sich  auch  sonst,  je  nach- 
dem jene  dichter  und  Ekkehards  gedächtnis  sie  boten,  was  die 
Schilderung  der  reiterschlacht  auszeichnet,  ist  der  umstand,  dass 
aus  etwa  25  sich  folgenden  versen  des  Virgil,  welche  ebenfalls 
eine  reiterschlacht  schildern,  ein  gutes  stück  des  inhalts  und  eine 
menge  phrasen  herübergenommen  sind,     es  ist  unmöglich,  dass 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  123 

ein  deutsches  gedieht  über  Walther  die  reiterschlacht  in  der  an- 
läge und  in  manchen  sich  folgenden  einzelheiten  genau  ebenso 
geschildert  hatte,  wie  Virgil,  so  dass  dann  Ekkehard,  als  er  diese 
seine  vorläge  hätte  übersetzen  wollen,  dem  deutschen  leibe  ohne 
weiteres  das  überall  passende  Virgilsche  kleid  hätte  umlegen 
können,  es  ist  vielmehr  sicher,  dass  mindestens  die  hauplmasse 
dieser  Schilderung  des  Waltharius,  welche  sich  mit  Aen.  xi  deckt, 
in  jener  angenommenen  deutschen  vorläge  des  Ekkehard  nicht 
gestanden  haben  kann,  sondern  erst  von  Ekkehard  nach  Virgils 
muster  geschaffen  worden  ist. 

Das  hat  auch  Strecker  klar  erkannt  (s.  339  'es  ist  undenkbar, 
dass  Ekkehards  stoff  —  dh.  die  deutsche  vorläge  —  eine  so  ins 
einzelne  gelinde  ähnlichkeit  mit  Virgil  gehabt  haben  sollte'),  so 
weit  fällt  mein  weg  mit  dem  Streckers  zusammen ;  von  hier  an 
gehen  wir  auseinander,  für  Strecker  'erhebt  sich  nun  (s.  343) 
natürlich  sofort  die  frage,  ob  diese  partie  lediglich  dem  Ekkehard 
auf  rechnung  zu  setzen  ist,  oder  ob  dennoch  ein  deutscher  kern 
zu  gründe  ligt'.  er  entscheidet  sich  für  einen  deutschen  kern, 
denn  'die  schlacht  ist  im  zusammenhange  der  erzählung  nicht  zu 
missen,  sie  wird  vorausgesetzt  in  Walthers  Unterredung  mit  der 
geliebten,  vor  allem  ist  sie  nötig  als  motivierung  des  siegesfestes 
und  seiner  folgen;  die  trunkenheit  aber  ist  unentbehrlich,  um 
die  unbemerkte  flucht  zu  ermöglichen,  aufserdem  ist  sie  durch 
die  parallele  Überlieferung  gesichert,  auch  aus  ästhetischen  riiek- 
sichten  ist  die  schlacht  gefordert;  Walthers  arislie  am  Vorabend 
seiner  flucht  bringt  die  schwere  des  Verlustes  zur  ansebauung, 
der  dem  könig  bevorsteht,  es  scheint  mir  demnach  nicht  zweifel- 
haft zu  sein,  dass  der  dichter  (Ekkehard)  in  seiner  vorläge  die 
schlacht  vorfand  und  in  der  dargelegten  weise  verarbeitete'. 

Das  sind  viele  gründe  und  doch  reicht  keiner  weit  vor  der 
'parallelen  Überlieferung'  habe  ich  keine  achtung;  nach  meiner 
ketzerischen  ansieht  hat  das  spätere  mittelalter  das,  ^ -i>  es  von 
Walther  weifs,  aus  unserm,  in  sehr  vielen  abschrillen  verbreiteten 
lateinischen  Waltharius  und  aus  seiner  eigenen  pbantasie  b« 
mit  dem  'siegesfesl'  steht  es  schlecht.  Ekkehard  sagt  kein  worl 
davon  und  lässt  auch  Attila  beim  fest  keinen  toast  auf  den  »^r 
die  sieger  ausbringen,  und  er  weifs  wol,  warum  er  das  nich 
Walther  und  die  aufgeboteneu  Hunnen  baben  mübsal  erdulde! 
und  ihr  leben  daran  gesetzt,  um  den  feind  zu  b( 


124  WILHELM  MEYER 

eine  eigentümliche  sitte,  nach  der  solche  leute  den  andern,  die 
zu  hause  geblieben  sind  und  denen  sie  ein  volk  unterworfen 
haben,  auch  noch  auf  ihre  eignen  kosten  ein  siegesfest  geben 
sollten  :  zumal  Walther,  der  als  armer  general  (dux)  von  seinem 
degen,  dh.  von  dem,  was  Attila  ihm  schenkt,  leben  muss,  und  der 
einen  korb  riskiert,  wenn  er  um  die  tochter  eines  der  hunnischen 
grofsgrundbesitzer  (satrapa  =  tyrannus;  vgl.  136  und  die  rang- 
ordnung  in  V.  278  und  408/9)  freien  wollte,  deshalb  begründet 
der  dichter  nicht  weiter  das  festmabl,  zu  dem  Walther  nur  die 
bewohner  der  residenzstadt,  nicht  seine  kriegsgenossen  (V.  213) 
einlädt,  und  bei  dem  er,  um  sicherer  sein  ziel  zu  erreichen,  die 
schätze  vergeudet,   die  er  doch  nicht  mitnehmen  kann.  noch 

weniger  wird  diese  Schlachtschilderung  vorausgesetzt  in  dem  Zwie- 
gespräch der  verlobten,  denken  wir  uns  die  verse  121  und  122 
etwas  aufgeputzt  nach  V.  169  gesetzt,  so  konnte  der  dichter  un- 
mittelbar mit  verseu  wie  214  ff.  weiter  fahren. 

Also  zur  entwicklung  der  handlung  ist  die  Schilderung  der 
reiterschlacht  durchaus  entbehrlich,  ja,  sie  ist  nicht  nur  selbst 
sehr  kahl,  sondern  etwas  störend,  denn  v.  171  müsten  statt 
'■quaedam  gens,  quae  superata  resistebat'  doch  eigentlich  die  Franken 
stehn,  oder  wenigstens,  wenn  dem  Attila  das  so  zu  herzen  gieng, 
hätte  er  die  Franken  längst  bekämpfen  müssen,  demnach  hat 
Ekkehard,  wie  oben  bewiesen,  mindestens  die  hauptstücke  dieser 
reiterschlacht,  ja,  wie  mir  nach  der  obigen  darlegung  wahr- 
scheinlich ist,  die  ganze  reiterschlacht  selbst  geschaffen  und  ein- 
geschoben, dazu  hat  ihn  nach  meiner  ansieht  nur  der  dichterische 
kunstsinn  bewogen,  das  hauptstück  des  gedichts  sind  die  8 — 10 
einzelkämpfe  am  felsen  :  bei  deren  Schilderung  ist  das  hauptkunst- 
mittel  des  dichters  die  abwechslung;  der  einzelne  Walther  wird 
bald  von  einem  zu  pferd  oder  zu  fufs,  bald  von  vieren,  bald  von 
zweien  angegriffen,  er  gebraucht  im  kämpfe  die  schwere  lanze 
zum  wurf  und  stofs,  oder  das  schwert  oder  das  halbschwert. 
seine  angreifer  bewaffnet  der  dichter  mit  der  schweren  lanze  zum 
wurf  oder  stofs,  mit  der  lanze  am  schleuderriemen  (771),  mit 
zwei  leichteren  wurfspiefsen,  wie  meistens  die  barbaren  sie  führten, 
mit  schwert,  mit  pfeilen,  mit  Streitaxt  oder  mit  einem  stein1;  ja 
sogar  einen  schleppspeer  lässt  er  den  Helmnod  mit  drei  genossen 

1  es  fehlt  also  die  stechlanze  des  reiters,  die  keule  oder  der  streit- 
kolben,  die  sc.ileuder. 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  125 

handhaben,  ohwol  es  sehr  unwahrscheinlich  ist,  dass  bei  dem 
eiligen  aufbruch  aus  Worms  ein  ritter  solch  ein  belagerungs- 
werkzeug  mitgeschleppt  haben  sollte;  in  den  verschiedensten 
fechtweisen  werden  diese  waffen  verwendet.  allein  nicht  nur 
die  frauen,  sondern  auch  manche  männer  unsrer  zeit  ermüdet 
diese  lange  reihe  von  einzelkämpfen:  stets  wird  der  einzelne 
Walther  angegriffen  und  stets  erschlägt  er  seinen  gegner.  auch 
unser  waffendichter  merkte,  dass  diese  einförmigkeit  seines 
hauptstücks  unangenehm  sei;  wie  er  ein  meister  in  der  kunst 
der  abwechslung  ist,  schien  es  ihm  gut,  die  breite  Schilderung 
einer  grossen  reiterschlacht  voranzuschicken;  dann  wäre  die  kette 
der  einzelkämpfe  nicht  so  ermüdend. 

Nach  meiner  ansieht  hat  also  Ekkehard  die  Schilderung  der 
reiterschlacht  nicht  zu  drei  vierteln,  sondern  gänzlich  erfunden, 
er  hat  als  rahmen  dieser  seiner  Schilderung  die  Schilderung  des 
Virgil  xi  598 — 623  genommen,  aber  weshalb  hat  er  die  entwick- 
lung  der  schlacht  in  so  wesentlichen  stücken  geändert?  woher  hat 
dieser  waffendichter  die  andre  kampfesweise  genommen,  welche 
er  hier  schildert?  nicht  von  dem  deutschen  heerwesen  der 
Karolingerzeit,  denn  erstens  lieferten  die  Deutschen  keine  reiter- 
schlachten; dann  musten  auch  die  gewöhnlichen  reiter  ausgerüstet 
sein  mit  lancea  scutum  arcus  et  pharetras  cum  sagittis  et  spata 
et  semispata1  (Leges  n.  i  168).  die  deutschen  reiter  sind  also 
nur  mit  einem  schweren  speer  zu  wurf  und  stofs  (im  gedieht 
kommt  lancea  so  selten  vor,  weil  nur  der  nominativ  in  den  vers 
geht)  ausgerüstet,  während  rohe  Völker  meistens  mehrere  leichtere 
wurfspiefse  haben,  der  barbarische  Bretone  Murman  bei  Ermoldus 
in  377  (a.  818)  Ambas  missilibus  armat  et  ipse  manus,  dagegen 
der  nicht  sehr  angesehene  Franke  Coslus  (quidam  Francisco  genere 

1  W.  336  Et  laevum  femur  aneipiti  praecinxerat  ense  (=  spat.i  1367) 
Atque  alio  dextrum  pro  ritu  l'a  inoniarum,   dann    1390  IncolumiqHc  (dh. 
sinistra)    manu   mox   eripuit   semispatam,    Qua   dextrum    cinxitse    latus 
niemoravimus  illum.    alle  erklärer  können  nicht  erklären,  weshalb 
den  Deutschen  so   bekannte   tragen   eines   halbschwertes    von   dem     • 
kundigen  Ekkehard  v.  337  als  pro  ritu  Pannoniarum  erklärt  *n  I. 
er  vielleicht  nicht  sowol    das  tragen   des  halbschwertes  für  Ung 
klären,    als  vielmehr  dass  es  auf  der  rechten  seite   getragen  wur 
den   letzten  kämpf  war  das  wesentlich;   denn  hätte   das  halbs. 
dem  langschwert  oder   am  rücken    gehangen,   so  hätte  Wall  In 
mit  der  linken  band  nicht  schnell  ziehen  können. 


126  WILHELM  MEYER 

natus,  Non  tarnen  e  primo,  nee  generosa  manus)  ist  doch  armis 
praestantior  und  ruft  (in  455)  'Non  hoc  missilibus  certandum  est 
tempore  parvis'  und  Cuspide  Francisco  tempora  lata  forat.  unsere 
reiter  sind  mit  einer  menge  von  wurfspiefsen  bewaffnet  und  in 
der  ersten  abteilung  der  schlacht  werfen  sie  zuerst  diese  alle  ab, 
so  viele,  dass  das  tageslicht  dadurch  verfinstert  wird,  zum  folgen- 
den nahkampf  gebrauchen  sie  dieselben  nicht. 

Nun  ist  es  leicht  zu  erkennen,  wen  Ekkehard  hier  als  modeil 
genommen  hat.  einen  reiterkampf  der  Hunnen  wollte  er  schildern, 
von  diesen  wüste  er  zwar  nichts  :  allein  Hunnen  Avaren  Ungarn 
waren  den  damaligen  leuten  das  gleiche  volk.  die  Ungarn 
waren  seit  894  der  schrecken  Süddeutschlands,  und  wahrschein- 
lich hatte  Ekkehard  sie  selbst  gesehen,  wenn  nicht,  so  hatte  er 
mehr  als  genug  von  ihnen  gehört,  schien  es  dem  Ekkehard  also 
aus  gründen  der  dichterischen  abwechslung  gut,  in  sein  gedieht 
die  Schilderung  einer  vollen  scblacht  und  zwar  der  Hunnen  gegen 
ihre  feinde  einzuschieben,  so  konnte  er  beinahe  nicht  anders  als 
seine  Zeitgenossen,  die  Ungarn,  zu  copieren.  so  wird  diese 
schone  Schilderung  auch  sachlich  wichtig,  denn  wie  die  Ungarn, 
die  in  jenen  Zeiten  so  oft  Deutscbland  verwüsteten,  bewaffnet 
waren  und  wie  sie  kämpften,  darüber  wissen  wir  auffallend  wenig. 
Dümmler  hat  in  der  2  aufläge  seiner  Geschichte  des  oslfränkischen 
reiches,  bd  m,  1888,  s.  447  die  stellen  so  zusammengefasst  :  'mit 
schwert,  wurfspiefs  (wurfspiefsen?)  und  einem  bogen  aus  hörn 
bewaffnet  gebrauchten  sie  doch  das  erstere  fast  gar  nicht  und  ver- 
liefsen  sich  ganz  auf  ihre  Sicherheit  und  gewantheit  im  pfeil- 
schiefsen,  welches  sie  zu  pferde  unaufhörlich  übten,  ihre  durch 
einen  panzer  geschützten  rosse  tummelten  sie  mit  der  grösten 
leichtigkeit;  denn  der  kämpf  aus  der  ferne  war  ihnen  günstiger 
als  das  handgemenge'  .  ..  für  den  gebrauch  der  wurfspiefse  (pila) 
citiert  Dümmler  nur  die  Casus  SGalli  cap.  53  Ingruunt  tandem 
pharetrati  Uli,  pilis  minantibus  et  spiculis  asperi  (und  Hrotsvith 
Gesta  Oddonis  453  :  laedunt  felis  consueto  more  cruentis).  wenn, 
wie  natürlich,  dem  Ekkehard  die  Ungarn  =  Hunnen  waren,  so 
kommt  noch  dazu  der  oben  (s.  125,  note)  besprochene  vers  337 
praecinxit  alio  ense  (semispata)  dextrum  femur  pro  ritu  Panno- 
niamm.  berühmt  waren  die  Ungarn  durch  die  kriegslist,  dass 
sie  scheinbar  flohen,  im  fliehen  rückwärts  schössen,  dann  plötz- 
lich   wendeten    und    die   gelockerten    reihen    der   feinde    durch- 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  127 

brachen,  das  zu  schildern ,  dazu  boten  die  verse  seiner  virgi- 
lischen  vorläge 

xi  629  Bis  Tusci  Rutulos  egere  ad  moenia  versos, 
Bis  reiecti  armis  respectant  terga  tegentes 
dem  Ekkehard  die  handhabe,  dennoch  unterliefs  er  es;   denn  wo 
Walther  führte,  da  gieng  es  gerade  und  leicht  zum  siege. 

Die  vergleichung  der  Schilderungen  der  reiterschlacht  bei 
Virgil  und  bei  Ekkehard  lehrt  also  :  Ekkehards  quelle  berichtete 
nichts  von  einer  besondern  schlacht;  aber  Ekkehard  fand  es  für 
notwendig,  der  darstelluug  all  der  einzelkämpfe  am  felsen  die 
breite  Schilderung  einer  grofsen  schlacht  vorangehen  zu  lassen. 
da  seine  Zeitgenossen,  die  Ungarn,  ja  die  erben  der  Hunnen 
waren,  so  wählte  er  naturgemäfs  die  kampfesweise  der  Ungarn 
als  modell  für  sein  gemälde  einer  Hunnenschlacht,  in  Virgils 
xi  buche  fand  er  die  Schilderung  einer  ähnlichen  schlacht  :  also 
holte  er  sich  von  dort  gröfsere  und  kleine  bausteine  für  seinen 
eigenen  bau;  das  waren  aber  nur  Wörter,  keine  Sachen. 

II  (v.  215  —  287  Walthers  und  Hiltgunds  Zwiege- 
spräch), dieser  Vorgang  ist  von  manchen  nicht  richtig  er- 
fasst  worden,  besonders  nicht  von  Kögel  (Geschichte  d.  deutschen 
litt,  i  2,  s.  290 — 293).  die  dinge  könnten  sehr  romantisch  sein, 
sie  sind  aber  von  Ekkehard  so  einfach  und  nüchtern  gedacht, 
dass  sie    wol    eben    deshalb    misverstanden    wurden.  zunächst 

ist  die  flucht  von  geisein  keine  Undankbarkeit;  als  sein  Staat  das 
bündnis  aufhob,  hatte  Hagen  Ursache  und  recht  zu  fliehen;  er 
riskierte  sein  leben  so  wie  so.  für  Walther  und  Hiltgund  war 
die  frage,  ob  durch  ihre  flucht  nicht  ihr  beimatland  in  bösen 
krieg  gestürzt  würde,  oder  ob  sie  vielleicht  von  ihrem  Staate 
wider  ausgeliefert  würden,  diese  frage  schien  sich  allerdings  von 
selbst  zu  beantworten,  da  die  Burgunden  und  die  Aquitaner  Ober 
die  abgefallenen  Franken  hinaus  wohnten  und  da  nicht  einmal 
diese  von  Attila  für  ihren  abfall  bestraft  wurden,  jedenfalls  hat 
Ekkehard  um  diese  frage  sich  nicht  gekümmert. 

Für  Ekkehard  liegen  die  dinge  so  :  hätte  Walther  nur  die 
Hiltgund  zum  weibe  gewollt,  das  hätte  er  leicht  von  Attila  erreicht; 
aber  er  will  durchaus  zweierlei  :  erstens  und  vor  allem  in  seine 
liebe  heimat  zurückkehren,  zweitens  Hiltgund  mitnehmen,  vorsichtig 
wie  er  war,  passte  er  zunächst  auf  einen  günstigen  zeitpuncL 
ferner  muss  er  aber  wissen,  ob  sie  überhaupt   fliehen  will;  lange 


128  WILHELM  MEYER 

vorher  das  weih  zu  fragen  und  mit  ihm  darüber  zu  verhandeln, 
schien  ihm  nicht  ratsam ;  aus  vorsieht  hat  er  sich  auch  dem 
Attila  gegenüber  als  weiberfeind  geriert;  davon  hatte  natürlich 
auch  Hiltgund  gehört,  sie  wüsten  beide  recht  gut,  dass  sie  ver- 
lobt seien;  doch  keins  von  beiden  hatte  je  davon  gesprochen: 
er  nicht  aus  vorsieht,  sie  nicht  aus  stolz. 

Jetzt  schien  es  Walther  die  richtige  zeit  zur  flucht;  er  muste 
also  zuerst  wissen,  ob  sie  überhaupt  fliehen  wolle,  als  er  sie, 
die  schaflnerin,  in  Attilas  Wohnzimmer  allein  trifft,  küssen  sie 
sich,  nicht  als  verlobte,  sondern  nach  der  sitte  zum  Willkomm; 
die  betreffende  phrase  Cui  post  amplexus  atque  oscula  dulcia  dixit 
ist  entlehnt  aus  Aen.  i  687  cum  dabit  amplexus  atque  oscula  dulcia 
figet.  er  bittet  um  einen  trunk;  während  er  trinkt,  hält  er  ihre 
hand  gefasst;  das  war  auffallend,  deshalb  blickt  sie  ihn  an, 
schweigend  doch  forschend,  dann  will  er  sie  zu  einer  äufserung 
reizen  (provocat)  und  sagt  :  so  lange  seien  sie  zusammen  in  der 
Verbannung,  seien  auch  verlobt  und  hätten  doch  noch  kein  wort 
darüber  gesprochen.  Hiltgund  weifs,  dass  Walther  sich  für  einen 
weiberfeind  erklärt  hat,  sie  muss  also  seine  rede  für  spott  halten; 
nach  kurzem  besinnen  antwortet  sie  :  warum  er  sich  so  verstelle? 
es  wäre  doch  für  ihn  gewis  keine  schände,  sie  zur  frau  zu  be- 
kommen. Scheffels  'Viel  bessrer  verlobten  hältst,  schlauer,  du 
dich  wert'  ist  unrichtig  :  hier  ist  überhaupt  von  keiner  verlobten 
als  Hiltgund  die  rede.  Walther  versichert  sie,  in  keinem  stücke 
(nihilum)  habe  er  eben  sich  verstellt;  wenn  sie  mit  behutsamen 
sinnen  (votis)  schweigen  wolle,  so  werde  er  ihr  sein  geheimuis 
(der  flucht,  nicht  'ein  süfs  geheimnis')  enthüllen,  sie  ahnt  jetzt, 
was  er  will,  und  verspricht,  seinen  geboten  (placitis)  zu  folgen, 
da  enthüllt  er  kurz  seinen  willen,  zu  fliehen;  doch  ungern  würde 
er  sie  zurück  lassen,  sie  erklärt,  auch  sie  wünsche  glühend,  zu 
fliehen;  sie  werde  dabei,  ihm  zu  liebe,  alle  gefahren  bereitwillig 
ertragen.  so  hat  Walther  sein  ziel  erreicht;  er  weifs,  dass 
Hiltgund  mit  ihm  fliehen  will;  jetzt  gibt  er  seine  anweisungen, 
was  sie  für  die  flucht  vorbereiten  soll,  und  teilt  ihr  mit,  wie  er 
die  flucht  ermöglichen  will,  von  liebe  ist  bei  diesen  Verhand- 
lungen kaum  die  rede  (nur  v.  255  und  259)  :  alles  ist  aber  höchst 
verständig  und  praktisch. 

Nun  sagt  Strecker  s.  363  'bei  Walthers  gespräch  mit  seiner 
verlobten  denkt  der  dichter  an  die  Verhandlungen   der  Juno  mit 


DER  DICHTER  DES  WALTHAR1US  12$ 

Venus  im  4  buche',  was  sind  die  beweise?  Strecker  citierl  aus 
iv  109  quod  memoras,  was  hier  v.  241  sich  widerfindet;  dann  aus 
iv  105  simulata  mente  locutam,  was  sich  hier  v.  242  findet,  das 
sind  in  2  versen  2  entlehnungen  von  phrasen  aus  derselben 
fundgrube.  dann  ciliert  Strecker  aus  iv  114  perge ,  sequar  zu 
v.  249  Ad  quaecumque  vocas,  sequar  studiose  :  allein  hier 
denkt  Ekkehard  an  v  22  superat  quoniam  Fortuna,  sequamur, 
quoque  vocat,  vertamus  iter,  und  an  xu  677  quo  dura  vocat  For- 
tuna sequamur.  endlich  vergleicht  Strecker  mit  dem  übergangs- 
vers  276  Nunc  quo  more  fugam  valeamus  inire,  recludo  den  vers 
Aen.  iv  115  Nunc  qua  ratione  quod  instat  conßeri  possit,  paucis, 
adverte,  docebo  :  die  beiden  verse  haben  aufser  nunc  nichts  ge- 
meinsam ;  dazu  ist  der  virgilische  ein  so  formelhafter  übergangs- 
vers,  dass  er  viu  49  widerkehrt  nunc  qua  ratione,  quod  instat, 
expedias  victor,  paucis,  adverte,  docebo.  aber  vielleicht  sind  die 
Vorgänge  sich  ähnlicher  als  die  phrasen?  bei  Virgil  zankt  Juno 
die  Venus,  dass  sie  die  Dido  liebestoll  gemacht  habe;  nun  möge 
Aeneas  die  Dido  heiraten;  Venus  merkt  hinterlist;  hinterlistig 
stimmt  sie  scheinbar  zu;  doch  solle  Juno  die  erlaubnis  des  Ju- 
piter einholen,  der  inhalt  beider  sceneu  ist  demnach  sehr  ver- 
schieden, und  doch  soll  Ekkehard  bei  Walthers  gespräcli  mit 
seiner  verlobten  an  die  Verhandlungen  der  Juno  mit  Venus  bei 
Virgil  denken?  ich  fürchte,  wir  lernen  aus  dieser  scene  de» 
Virgil  gar  nichts  für  den  aufhau  der  scene  des  Ekkehard;  nur 
einmal  hat  Ekkehard  2  phrasen  hintereinander  aus  jener  scene 
des  Virgil  entlehnt;  wenn  man  einmal  eine  stelle  aufgeschlagen 
hat,  ligt  das  nahe,  hier  also  ist  mit  der  methode,  Situationen 
des  Virgil  und  des  Wallbarius  zu  vergleichen,  Dichte  anzufangen. 

III  (Das  essen  v.  288  —  303).  von  drin  Zwiegespräch 
springt  Ekkehard  sofort  auf  die  Schilderung  des  Festmahls,  das 
in  2  teile  zerfällt,  das  eigentliche  essen  und  das  trinkgelage.  die 
Schilderung  des  essens  zeigt  nicht  nur,  wie  Ekkehard  gearbeitet 
hat,  sondern  dabei  kommen  auch  wichtige  fragen  der  altertums- 
kunde  ins  spiel,  zb.  ob  jeder  gast  seinen  besondern  tisch  ror 
sich  hatte,  dann  ob  ein  teil  der  gaste  auf  polstern  : 
treten  hier  öfter  die  handschriflen  stark  auseinander.  d< 
ich  auf  die  einzelheiten  eingehn. 

Was   die   handscbriftenclassen    betrifft,    so    ball 
das,  was  ich  hierüber  vor  25  jähren  habe, 

Z.  F.  D.  A.  XLIII.     X.  F.  XXXI. 


130  WILHELM  MEYER 

dem  hauptstücke  für  richtig,  in  einem  nebenstücke  berichtige  ich 
jene  Jugendarbeit. 

Die  erhalteneu  handschriften  zerfallen  in  zwei  classen  :  zu 
einer  classe  treten  zusammen  die  Karlsruher  und  die  Stuttgarter 
hs.  (Kund  S),  die  lange  zeit  allein  bekannt  und  benützt  waren; 
zu  der  andern  classe,  die  den  prolog  des  Geraldus  an  der  spitze 
hat  und  deshalb  Gerahlusclasse  heifsen  mag,  gehören  die  Brüssler 
(B),  Pariser  (P)  und  Trierer  (T)  hs.,  die  von  Schönbach  in  dieser 
Zs.  33,  340 — 350  abgedruckten  wertvollen  Innsbrucker  bruch- 
stücke,  dann  von  Meyncke  mir  mitgeteilte  unbedeutende  Ham- 
burger bruchstücke  (13  jh.)  v.  316— 339  und  388—411,  endlich 
die  umfangreichen  auszüge  im  Chronicon  des  klosters  Novalese. 
zwischen  beiden  classen  schwanken  stark  interpolierte  hss. ,  die 
Wiener  und  Leipziger,  einander  völlig  gleich,  und  die  Engel- 
berger. 

Da  Ekkehards  r  arbeit  in  den  bänden  seines  lehrers  Geraldus 
und  100  jähre  später  Ekkehards  iv  gewesen  ist,  so  haben  Peiper 
und  Holder  mehr  oder  minder  die  erhaltenen  hss.  mit  jenen 
männern  in  engste  Verbindung  zu  setzen  versucht  und  teilweise 
die  törichten  lesarten  dem  dichter,  die  bessern  den  correctoreu 
zugeschrieben,  ich  habe  wenigstens  das  erreicht,  dass  man  mit 
der  geschichte  der  hss.  kein  unheil  mehr  anrichtet,  sondern  nach 
dem  werte  der  lesarten  fragt.  nun  hat  sicherlich  jede  von 
beiden  classen  entschiedene  fehler;  da  muss  und  kann  also  immer 
der  fehler  der  einen  classe  aus  der  andern  verbessert  werden, 
zahlreich  sind  die  fälle,  wo  die  beiden  classen  verschiedene,  aber 
fast  gleich  gute  lesarten  haben  :  ob  solium  quod  bissus  compsit 
et  ostrum  oder  s.  q.  compsit  bissus  et  ostrum  das  ursprüngliche 
ist,  kann  man  mit  dem  gescbmack  nicht  entscheiden,  ich  habe 
in  meiner  arbeit  von  1873  nur  die  sichern  fehler  der  Geraldus- 
classe  und  die  der  Karlsruh- Stuttgarter  classe  gegen  einander 
abgewogen  und  bin  zu  dem  Schlüsse  gekommen,  dass  die  fehler 
in  der  letztern  classe  zahlreicher  seien,  dass  man  also  sichrer 
gehe,  wenn  man  in  den  schwankenden  fällen  die  lesarten  der 
Geraldusclasse  in  den  text,  die  der  andern  classe  in  die  noten 
setze,  diese  höherschätzung  der  Geraldusclasse  halte  ich  noch 
heute  für  durchaus  richtig. 

Dagegen  habe  ich  in  meiner  Jugendarbeit  einen  fehler  be- 
gangen, der  sogar  gegen  die  regeln  der  kritischen  methode  ver- 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIÜS  i:;i 

stufst,  da  die  Rrüssler  hs.  mir  eine  reihe  trefflicher  lesarten  bot, 
so  behauptete  ich,  dass  man  der  Geraldusclasse  weit  mehr  als 
der  andern  classe  vertrauen  müsse,  dass  aber  widerum  ans  der 
Geraldusclasse  die  Rrüssler  hs.  so  hervorrage,  dass  man  manche 
lesarten,  welche  sie  allein  bietet,  als  die  allen  und  echten  an- 
sehen dürfe,  diese  behauptung  war  ein  fehler  gegen  die  gesetze 
der  hss.-genealogie.  wenn  eine  anzahl  hss.  einer  classe  eine  les- 
art  mit  der  andern  classe  gemeinsam  haben,  so  muss  diese  lesarl 
in  der  hs.  gestanden  haben,  aus  welcher  beide  classen  stammen; 
jene  lesart  dagegen,  welche  nur  eine  oder  einige  hss.  der  einen 
classe  enthalten,  stammt  nicht  aus  der  frühern  vorläge,  wenn 
zb.  v.  290  und  299  die  Rrüssler  hs.  allein  Luxurians  media  und 
Per  auram  bietet,  dagegen  Luxuria  in  media  und  Per  avium 
sowol  die  andern  hss.  der  Geraldusclasse  bieten  wie  die  Karls- 
ruher und  die  Stuttgarter  hs. ,  so  muss  in  der  vorläge  beider 
classen  Luxuria  in  und  aurum  gestanden  haben,  dagegen  Luxurians 
und  auram  müssen  Schreibfehler  oder  änderungen  des  Schreibers 
der  Rrüssler  hs.  oder  deren  nächster  vorläge  sein.  anders  ligt 
der  fall  selten;  zb.  in  147,  wo  die  Karlsruher  und  Stuttgarter 
hs.  sergia,  die  hss.  der  Geraldusclasse  teils  segnia,  teils  senia 
bieten  :  hier  kann  jede  einzelne  von  diesen  3  lesarten  in  der  ur- 
sprünglichen vorläge  gestanden  haben. 

Diesen  methodischen  fehler  merkte  ich  zuerst,  als  die  Inns- 
brucker bruchstücke  mir  bekannt  wurdeu.    zb.  v.  319  heifst  einzig 
richtig  .  .  Munera   Waltharius  retrahitque  redire  volentes.     so  bat 
zunächst   die  Karlsruher   und  Stuttgarter  (und  Wiener)  hs.,    nur 
dass  in  der  Karlsruher  redire  ausgefallen  ist.    dasselbe  stand  einsl 
in  der  verlornen  hs.,  aus  welcher  die  Geraldusclasse  stammt,    aus 
dieser   stammte   eine  jetzt   verlorne   hs. ,    .ms  welcher    die  Inns- 
brucker    bruchstücke    und    die  Novaleser  auszöge    Btammen,    in 
denen  retrahitque  zu  traxitque  (nach  31S  produxit)  geändert, 
volentes  richtig  erhalten  ist.    dann  stammte  aus  jener  vorlag 
Geraldusclasse  eine  andere,  jetzt  verlorne  hs.,  in  welcher  relraliit- 
que  richtig  erhalten,  aber  redire  volentes  entstell!  war;  bo  komm 
es,    dass   die  Rrüssler,    Pariser   und  Hamburger  hs.    i 
retrahitque  redire  videres  bieten;   den  las  auch 
Trierer  in  seiner  vorläge  und  suchte   zu  emendii 
schrieb  cunctos  retrahique  videres.      hier    kann    w 
prüfung  des  sinnes  sagen  :  da  ein  teil  der  Geraldus 


132  WILHELM  MEYER 

que,  ein  andrer  teil  volentes  mit  der  andern  classe  gemeinsam 
hat,  so  müssen  diese  lesarten  die  alten  sein  und  in  der  gemein- 
samen vorläge  beider  classen  gestanden  haben,  zugleich  können 
wir  hier  auch  ahnen,  wie  viele  abschriften  wenigstens  der  Ge- 
raldusclasse  es  einst  gegeben  hat  l. 

Strecker  sagt  s.  358  ungefähr  :  'dass  Ekkehard  würklich  so 
rücksichtlos  verfuhr,  wo  seine  römischen  Vorbilder  (Virgil,  Pru- 
dentius)  ihm  das  material  boten,  ohne  bedenken  die  darstellung, 
welche  er  in  seiner  (deutschen)  vorläge  fand ,  fallen  zu  lassen 
und  durch  die  römische  zu  ersetzen,  das  beweist  besonders  deut- 
lich die  gastmahlsscene'.  aber  für  die  Schilderung  des  essens 
v.  288 — 303  hat  Ekkehard  nicht  nur  eine,  wie  Strecker  meinte, 
sondern  3  darstellungen  von  gastmählern  bei  Virgil  und  Pru- 
dentius  vor  äugen  gehabt  und  benutzt,  das  verändert  den  ganzen 
standpunct.  Ekkehard  war  schon  dadurch  gezwungen,  sich  in 
gehörige  entfernung  von  seinen  Vorbildern  zu  stellen  und  selb- 
ständig zu  schaffen,  freilich  führte  den  Ekkehard  dazu  auch  der 
gegenständ  selbst,  prunkmahle  schildern  alle  epischen  dichter 
gern  :  ich  werde  öfter  erwähnen  das  mahl  Karls  d.  Gr.  und  des 
papstes  Leo  im  Carmen  de  Karolo  M.  et  Leone  papa  a.  799 
v.  523  —  532  (Poetae  aevi  Karolini  i  s.  379);  dann  jene  bei 
Ermoldus  Nigellus  (a.  826)  :  das  Ludwigs  des  Frommen  für  papst 
Stephanus  (n  231 — 234)  und  jene  für  den  Dänenkönig  Herold 
iv  459 — 480  (pruukmahl  in  der  kaiserlichen  pfalz)  und  iv  537 — 553 
(nach  der  jagd,  im  grünen),  man  wird  in  diesen  gewis  der  da- 
maligen etiquette  entsprechenden  Schilderungen  dennoch  fast 
ebenso  viele  classische  reminiscenzen  finden,  wie  bei  Ekkehard; 
ihnen  gesteht  man  dennoch  naturtreue  zu  :  aber  Ekkehard  'gibt 
ein  verfälschtes  bild  der  germanischen  heldenzeit'. 

Ekkehard  hat  vor  äugen  gehabt  zunächst  die  schon  von 
vielen    angeführte    Schilderung   des   pruukmahls,    das    Dido    dem 

1  ich  darf  hier  erwähnen,  dass  PvWinterfeld,  welcher  im  N.  archiv 
22,  1897,  s.  554 — 570  ebenfalls  die  Karlsruh-Stuttgarter  hss.-classe  für  ver- 
trauenswürdiger erklärt  hatte,  jetzt,  nachdem  ich  ihm  diesen  widerruf  meiner 
frühern  besondern  bevorzugung  der  Brüssler  hs.  und  die  unten  folgende 
erklärung  der  stark  verschiedenen  lesarten  in  v.  304  mitgeteilt  hatte,  sich 
meiner  Wertschätzung  der  Geraldusclasse  angeschlossen  hat  und  in  schwanken- 
den fällen  deren  lesarten  in  den  text,  die  der  Karlsruh-Stuttgarter  classe  in 
die  noten  setzen  will. 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  i:;:-, 

AeDeas  gibt,  Aen.  i  637  — 642.  697  —  708.  dann  aber  zweitens 
AeD.  viii  175 — 183  :  Aeneas  kommt  zu  EuaniJer,  der  eben  opfert; 
nach  freudiger  begrüfsung  wird  das  unterbrochene  opferfest  fort- 
gesetzt: 

175  dapes  iubet  (Euandrus)  et  sublata  reponi 
pocula  gramineoque  viros  locat  ipse  sedili, 
praecipuumque  toro  et  villosi  pelle  leonis 
178  accipit  Aenean  solioque  invitat  acerno. 
184  Postquam  exempta  fames  et  amor  compressus  edendi. 
zum    dritten     hat    Ekkehard     vor    äugen    Prudentius    Apotheosis 
712 — 716 ff.      in  der  wüste  werden    5000  männer,    dazu  flauen 
und  kinder,    also    noch   mehr   als  Wallhers  gaste,    mit  5  broten 
und  2  fischen  gespeist: 

712  Mxdta  virum  Strato  fervent  convivia  feno; 
centenos  simul  decubitus  iniere  sodales, 
seque  per  innumeras  infundunt  agmina  mensas 
pisciculis,  iam  crede  deum,  saturanda  duofais. 
719  crudus  conviva  resudat  Congeriem  ventris. 
die  Schilderung  des  gastmahls  der  Dido   (Aen.  i)    ist   der  unsern 
gegenüber  ein  ziemliches  durcheinander,     zuerst  wird  der  allge- 
meine eindruck  der  festhalle  geschildert : 

637  At  domus  interior  regali  splendida  luxu 

instruitur,  mediisque  parant  convivia  tectis: 
639  arte  laboratae  v  est  es  ostroque  superbo, 

ingens  argen  tum  mensis  caelataque  iit  auro 
641  fortia  facta  patrum,  series  longissitna  rerum, 
per  tot  dueta  viros  antiqua  ab  origine  gentis. 
dann    folgen   53  verse   mit   andern    dingen;    daran  schliefst 
wider  697: 

aulaeis  iam  se  regina  superbis 
aurea  composuit  sponda  mediamque  locarit. 
die  Troer   legen   sich    zu  tische    (strato  super  discumbitur  ostro): 
diener  bringen  waschwasser,   brot   \\m\  handlücber    (so  Senrius; 
die  folge  der  diensle  sprechen  dafür,  dass  mantelia  ^decken'  für 
die    einzelnen    tische   bedeutet;   jedesfalls  verstand  das  Ermoldus 
iv  461  mensas  .  .  parant:  Candida  praeponunt  »« 
50  dienerinnen    ordnen,    10o  diener   und   100   di<  wnd 

da ,    qui  dapibus    mensas  onerent    et  pocula    p0* 
auch    viele    Tyrer ,    imsi   discumbere   ton*   pictis. 


134  WILHELM  MEYER 

Schilderung  des  essens  zu  ende  :  es  sind  das  nur  elemente,  nicht 
eine  Schilderung  des  eigentlichen   Vorgangs. 

Ekkehard  schildert  mit  den  3  versen  288  —  290  die  Vor- 
bereitungen allgemein  :  Walther  verwendete  viel  geld  auf  herbei- 
zuschaffende speisen  und  richtete  die  tafel  prächtig  her.  das 
letztere  drückt  Ekkehard  aus  durch  Luxuria  denique  residebat 
(=  war,  herschte)  in  media  mensa.  heilst  das  :  'mitten  auf  der 
tafel'  oder  'auf  der  in  der  mitte  stehenden  tafel'?  das  moderne 
gefühl  spricht  zunächst  für  die  erste  Übersetzung;  allein  hier  ist 
Virgil  benützt,  schon  die  Wörter  instruxit  und  Luxuria  erinnern 
an  die  virgilischen  luxu  instruitur,  dann  ist  in  media  mensa  dem 
virgilischen  mediis  parant  convivia  tectis  nachgebildet;  ebenso 
speisen  Karl  d.  Gr.  und  papst  Leo  (v.  527)  medio  celebrant  con- 
vivia tecto.  Walther  lud  ja  alle  männer  der  residenz  ein  (278 
regem,  reginam,  satrapas,  duces  famulosque),  um  sicher  fliehen  zu 
können ;  diese  masse  brauchte  viele  tafeln  :  aber  in  der  mitte  der 
halle  stand  die  haupttafel,  an  welcher  der  könig  speisen  sollte; 
diese  prunktafel  meint  Ekkehard  auch  im  folgenden,  wo  er  von 
mensa  spricht. 

V.  291 — 293  :  die  feierlichkeit  beginnt  mit  dem  eintritt  des 
königs  in  die  halle,  welche  rings  mit  teppichen  behängt  ist; 
Walther  begrüfst  den  könig  und  führt  ihn  zu  dem  mit  seide  und 
purpur  geschmückten  ehrensitz.  die  virgilischen  vestes  arte  la- 
boratae  ostroque  superbo  können  alle  möglichen  decken  sein  :  für 
unsern  dichter  der  Karolingerzeit  waren  die  Wandteppiche  so 
sehr  hauptsache,  dass  nicht  nur  Ekkehard  sie  an  die  stelle  jener 
vestes  setzte  (aulam  velis  undique  saeptam) ,  sondern  schon  das 
gedieht  von  Karl  und  Leo  v.  524  Clara  intus  pictis  conlucet  vesti- 
bus  aula.  v.  292  solilo  quem  more  salutans  der  Geraldushss. 
(nach  Aen.  vu  357  solito  de  more)  ist  natürlich  richtig;  wie  sehr 
falsche  theorie  den  geschmack  verderben  kann,  sieht  man  daraus, 
dass  die  herausgeber  die  lesart  der  Karlsruher,  Stuttgarter  und 
Wiener  hs.  solito  quem  corde  salutans  iu  den  text  setzten.  v.  293 
den  groben  fehler  solium  quem,  der  in  den  meisten  hss.  der 
beiden  classen  steht,  muss  man  mit  Winterfeld  für  all  ansehen 
und  dem  Ekkehard  zurechnen;  fast  muss  man  sich  wundern, 
dass  nur  in  der  Innsbrucker,  der  ßrüssler  und  Wiener  hs.  das 
richtige  quod   herein  corrigiert   ist.  Strecker    (s.  359)    meint, 

Attila  nehme  den  ehrenplatz  ein,  wie  Dido  bei  Virgil  v.  698. 


DER  DICHTER  DES  WALTHAR1ÜS 

eigentlich  versteht  sich  das  doch  von  selbst  :  wenn  aber  ein  Vor- 
bild sein  muss,  dann  ist  es  Virgil  Aen.  vm  177,  dh.  die  art, 
wie  Euauder,  wo  alle  andern  auf  dem  rasen  sitzen  müssen, 
praecipuum  Aenean  toro  et  pelle  villosi  leonis  Accipit  solioque  in- 
vitat  acerno. 

Die  3  verse  294 — 296  schildern,  wie  platz  genommen  wird. 
Attila  setzt  sich  (consedit)  und  lässt  zu  seiner  rechten  und  linken 
je  einen  general  sich  setzen  (assedisse  iubet).  die  distributivzahl 
binos  ist,  wie  im  mittelaller  und  im  Waltharius  (zb.  v.  265.  695) 
so  oft,  gleich  der  cardinalzahl  duos.  der  künig  wählt  sich  selbst 
seine  tischgenossen;  das  technische  lateinische  wort  bierfür  scheint 
rubere  gewesen  zu  sein,  das  zeigen  die  beiden  auch  sonst  be- 
lehrenden stellen  des  Ermoldus  :  einmal  iv  473,  wo  Ludwig  der 
Fromme  im  prunksaal 

Discubuit  laetus,  lateri  Judith  quoque  pulcra 

iussa,  sed  et  regis  basiat  ore  genu. 
Hlutarius  Caesar  nee  non  Heroldus  et  hospes 

parte  sua  resident,  rege  iubente,  thoro. 
hier  ist  natürlich    zu  schreiben   lateri  Judith  quoque  pulcra  iussa 
sedet  regis,  basiat  ore  genu;  dann  iv  537,  wo  beim  jagdessen   im 
grünen  die  kaiserin  Judith 

Atque  pio  regi  viridanti  ruris  in  herba 

ipsa  sedile  parat,  ordinat  atque  dapes. 
Mox  manibus  lotis  Caesar  seu  pulcra  iugalis 

aurato  ecce  thoro  diseubuere  simul. 
Hlutharius  pulcher,  Heroldus  et  hospes  amatus 

aecumbunt  mensae,  rege  iubente  pio; 
cetera  gramineo  residet  nam  rure  iuventus. 
was   diseubuere   und   aecumbunt   bei   demj essen    im    grünen    be- 
deuten, will  ich  nicht  erörtern  :  aber  dass  die  fürstlichkeiten  beim 
mahle  im  kaisersaale  geseseen  sind,  dass  also  n  173    ' 
nur  heifst  'er  nahm  platz  an    der  tafel',    das    ist    für  Karolinger 
an  und  für  sich  selbstversändlich  und  beweisen  auch  die  Wörter 
sedet   und  resident,     bei  Ermoldus    sitzen    beide  male  mindi 
4  personen  au  der  kaisertafel.        bei  Ekkehard  muss  doch  Bioher 
auch  Walther  beim   könige    und    den    2  generalen 
auch  hier  ist  keine  rede  davon,    dass  jeder  mann 
dern  tisch  habe;    wo  Hiltgund,  die  königin  und  die  a 
damen  bleiben,  wird  nicht  gesagt. 


136  WILHELM  MEYER 

Walther  hat  den  könig  an  seinen  platz  gebracht :  v.  295 
reliquos  locat  ipse  minister  kann  da  nur  heifsen  'den 
übrigen  weist  der  (dazu  bestimmte)  diener  ihre  platze  an',  während 
man  gewöhnlich  erklärt  'den  übrigen  wies  ihre  platze  Walt  her'. 
minister  bedeutet  dem  Ekkehard  auch  sonst  den  würklichen  diener 
(v.  215.  365.  409);  ipse  hat  hier,  wie  oft  in  diesem  gedieht, 
kein  gewicht,  die  phrase  locat  ipse  ist  aus  dem  oben  gedruckten 
verse  des  Virgil  vm  176  genommen,  wo  auch  der  ehrensitz  des 
Aeneas  geschildert  ist. 

Die  platze  dieser  reliqui  sind  nun  geschildert  mit  v.  296 
Centenos  simul  decubitus  iniere  sodales.  nicht  nur  hat 
Scheffel  das  übersetzt  'auf  hundert  polstern  rings  die  Hunnen 
lagen  gestreckt',  sondern  fast  alle  sind  durch  das  decubitus  zu 
ähnlichen  erklärungen  geführt  worden,  ich  war  stets  überzeugt, 
Ekkehard  könne  die  krieger  nicht  bei  tische  liegend  schildern, 
am  allerwenigsten  da,  wo  der  könig  und  die  vornehmsten  sitzen: 
allein  ich  fand  keinen  weg  zu  dieser  erklärung.  endlich  sah  ich, 
dass  dieser  ganze  vers  aus  Prudentius  Apotheosis  713  ab- 
geschrieben ist.  was  wollte  Prudentius  damit  sagen?  die 
speisung  der  über  5000  menschen  in  der  wüste  ist  mit  folgendem 
zuge  ausgestattet  bei  Marcus  vi  40  :  et  diseubuerunt  in  partes  per 
centenos  et  quiyiquagenos  und  bei  Lucas  ix  14  :  facite  Mos  discum- 
bere  per  convivid  quinqudgenos.  ' decubitus'  ist  ein  spätes  und 
seltenes  wort;  in  der  Vulgata  findet  es  sich  3  male,  darunter 
Tobias  2,  3  exsiliens  de  deeubitu  suo  reliquit  prdndium,  und  Lu- 
cas 14,  7  von  den  gasten,  welche  ehrenplätze  erstreben:  inten- 
dens,  quomodo  primos  decubitus  eligerent :  also  'platz'  bei  tisch, 
bei  Prudentius  muss  centenos  distributiv  sein :  also  will  Pruden- 
tius sagen  'je  100  platze  zusammen  nahmen  die  genossen  ein  = 
sie  bildeten  tischgesellschaften  zu  je  100  platzen'.  für  Ekke- 
hard kann  centenos  =  'centum'  sein,  da  nun  nicht  einzusehen 
ist,  weshalb  bei  Walthers  mahl  je  hundert  beisammen  sitzen 
sollen,  so  ist  wol  die  andere  erklärung  vorzuziehen,  'die  reliqui, 
denen  der  diener  die  platze  anwies,  waren  so  viele,  dass  sie 
100  tischgesellschaften  bildeten,  dh.  dass  sie  100  tafeln  be- 
setzten.' hier  hat  die  runde  zahl  '100'  einen  sinn.  so  haben 
wir  die  grofse  menge,  die  Walther  laden  muste  (v.  358  urbis  qo- 
pulus),  gut  verteilt,  in  der  mitte  der  grofsen  halle  seines  hauses 
(nicht  der  königsburg,  wie  vWinterfeld    nach  seiner  Übersetzung 


DER  DICHTER  DES  WALTIIARIUS  i:;7 

von  v.  322  und  358  —  urbis  populusl  —  zu  versteh n  scheint) 
hatte  Walther  für  den  könig  und  die  vornehmsten  die  prunktafel 
bereitet,  die  andern  gaste  safsen  an  wol  100  tafeln,  welche  deo 
übrigen  räum  füllten. 

Die  folgeuden  6  verse  297—302  schildern  das  essen  und 
trinken  selbst,  der  v.  297  Diversasque  dapes  libans  con- 
viva  resudat  ist  gebildet  nach  dem  essen  der  grabesschlange 
Aen.  v  92  libavitque  dapes  und  nach  dem  übermässigen  essen  der 
gaste  Christi  in  der  wüste  bei  Prudentius  Apoth.  719  crwhu 
conviva  resudat  congeriem  ventris.  den  v.  300  Aurea  bissiua 
tantum  stant  gausape  vasa,  in  welchem  vielleicht  speeialisiert 
widerklingt  Aen.  i  640  ingens  argentum  mensis  caelataque  in  auro 
fortia  facta  patrum,  wird  wol  niemand  sonst  mit  PvWinterfeld 
übersetzen  'von  goldenen  tellern  afsen  die  gaste';  auch  Ermol- 
dus  iv  464  Aurea  per  discum  vasa  sedere  vides  ist  gewis  nur 
zu  verstehn  mit  dem  Carmen  de  Karolo  et  Leone  v.  528  aurea 
namque  tument  per  mensas  vasa  Falemo%.  die  erwähnung 
der  weingefäfse  ist  die  naturgemäfse  eiuleitung  zur  Schilderung 
des  vorhandenen  weins  in  den  mit  et  angefügten  folgenden  \n- 
sen  301/2    et  pigmentatus  crateres  Bacchus  adornat; 

illicü  ad  haustum  species  dulcedoque  potus. 
über  den  wilrzwein  ist  aufser  den  von  mir  früher  mitgeteilten 
stellen  noch  Dümmler  in  Mitteilungen  d.  antiqn.  gesellschaft  in 
Zürich  vii  s.  257  zu  vergleichen,  diese  3  verse  300—302  han- 
deln sicher  vom  trinken,  von  den  3  vorangehnden  versen  ban- 
deln die  2  ersten  (der  oben  mitgeteilte  v.  297  und  der  folgende 
298  hü  et  sublatis  aliae  referuntur  edendae)  sicher  von  den  speisen  : 
also  naturgemafs  auch  der  mit  atque  angeschlossene  v.  299  atque 
exquisitum  fervebat  migma  per  aurum. 

Was  bedeutet  nun  migma?  sicher  kein   getränk,  wir  meih, 
gliihwein    usw.    wol  gab  es  bei  gastniahlern  multimodum   menun 
(Ermoldus  iv  458),  allein  Ekkehard  ist  kein  s<»  confuser  scbilderer, 
dass  er  sich  folgen  lassen  konnte:  'es  gab  speisen  in  mrn. 
dampfenden    glühwein.     da    standen    lauter    goldene    w 
und  würzwein    in  fülle.'     die   letzten   '.\  ferse    mit- 
trinken, die  ersten  3  auf  die  speisen  beziehen. 
bei   speisen  ein  raffiniertes  migma  sein,   .1..-  io 

1  sollte  würklich  va»  bei  VirgiJ,  Ovid  und  Lui 
kommen?    das  würde  ein  charakteristicuoi  füi  den  gel  i 


138  WILHELM  MEYER 

dampft?  ich  finde  noch  heule,  wie  vor  25  jähren,  nichts  passen- 
deres als  'sauce.'  für  'gemüse'  ist  das  wort  migma  und  sind  die 
beiwörter  exquisitum  und  fervebat  unpassend,  für  'sauce'  passen 
sie  gut.  schon  das  kochbuch  des  Apicius  hat  eine  menge  re- 
cepte  für  im,  darunter  viele  für  iura  ferventia;  von  diesen 
schliefsen  viele  mit  et  perfundes,  aber  doch  manche  mit  et  inferes, 
dh.  diese  saucen  werden  separat  aufgetragen,  ich  werde  eine 
andere  erklärung  gern  annehmen,  allein  sie  muss  besser  sein  als 
die  meine;  die  bisher  vorgebrachten  sind  das  nicht. 

Werfen  wir  nun  eineu  blick  auf  Ekkehards  ganze  Schilde- 
rung des  essens.  die  3  verse  288 — 290  schildern  die  zurüstungen 
im  allgemeinen,  die  folgenden  3  verse  291 — 293  Attilas  empfang 
und  die  nächsten  3  verse  294 — 296,  wie  die  gaste  sich  zu  tische 
setzen,  jetzt  wird  in  3  versen  297 — 299  das  essen  und  wider 
in  3  versen  300 — 302  das  trinken  während  des  essens  geschildert, 
der  einzelne  vers  303  Waltharms  cunclos  ad  vihum  hortatur  et 
escam  (auch  389  potum  fastidit  et  escam,  nicht  escas)  schliefst 
die  ganze  Schilderung  gut  ab. 

Diese  Schilderung  ist  durchaus  sachgemäfs  und  ebenso  ver- 
ständig angelegt  als  anschaulich  ausgeführt.  Ekkehard  hat  dabei 
drei  verschiedene  römische  Schilderungen  von  gastmählern  im 
sinne  gehabt  und  hat  aus  ihnen  ausdrücke,  ja  sogar  einen  ganzen 
vers  entlehnt,  allein  nicht  einmal  einen  bedeutenden  zug,  ge- 
schweige denn  die  ganze  anläge  seiuer  Schilderung  hat  er  jenen 
vorlagen  entlehnt:  seine  Schilderung  ist  jenen  3  römischen  Schil- 
derungen gegenüber  durchaus  unabhängig  und  selbständig,  aber 
vielleicht  hat  Ekkehard  nur  genau  übersetzt?  da  seine  vorläge, 
eine  ältere  deutsche  dichtung,  natürlich  nichts  von  jenen 
lateinischen  gastmahlschilderungen  gewusst  haben  kann,  so  müste 
Ekkehard,  um  jene  wenigen  verse  zu  übersetzen,  sich  zunächst 
3  hexametrische  Schilderungen  von  gastmählern  aufgesucht  und 
aus  diesen  und  andern  fundgruben  sich  ausdrücke  zusammen 
geholt  haben,  eineu  beweis  hierfür  giebt  es  ebensowenig  als 
einen  vernünftigen  grund. 

Ekkehards  quelle  meldete,  Walther  machte  die  Hunnen  in 
Attilas  resideuz  bei  einem  gastmahl  alle  betrunken,  dann  entfloh 
er.  die  phantasie  des  Ekkehard  gestaltete  die  Schilderung  eines 
solchen  essens  nach  den  sitten  seiner  zeit;  um  diese  Vorstellungen 
in  lateinische  hexameter  zu  bringen,  durchlief  Ekkehard  die  ihm 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  139 

bekannten  hexametrischen  Schilderungen  ähnlicher  scenen:  allein 
er  entnahm  ihnen  nur  sprachliche  Wendungen,  keinen  gedanken. 
sowol  der  deutschen  wie  der  lateinischen  vorläge  gegenüber 
bleibt  Ekkehard  selbständig  :  die  Schilderung  des  essens  hat  er 
selbst  geschaffen. 

IV  (Das  trinkgelag  v.  304 — 323).  bei  solchen  essen 
giengs  natürlich  verschieden  zu.  das  gewöhnliche  mittagsessen 
Karls  des  grossen  schildert  launig  Theodulf  ('ad  Karolum  regem', 
Poetae  aevi  Karolini  i  s.  488):  gegen  ende  des  essens  stehn  da 
sogar  manche;  dann  wird  die  tafel  aufgehoben;  die  meisten  gehn 
scherzend  zusammen  in  den  garten,  einige  bequeme  bleiben  im 
saal,  um  das  boshafte  gedieht  Theodulfs  vorlesen  zu  hören.  Er- 
moldus  Nigellus  schildert  2  mahlzeiten  Ludwigs  des  Frommen  826: 
ein  prunkmahl  im  kaisersaale  (iv  457)  und  ein  jagdessen,  ein 
laubhüttenfest  (iv  537):  natürlich  geht  es  dabei  fast  ebenso  fromm 
zu,  wie  bei  den  festmahlen  zu  ehren  eines  papstes  (Carmen  de 
Karolo  Magno,  Poetae  i  s.  379  v.  523,  und  Ermoldus  n  231). 
man  wird  es  aber  auch  ohne  gelehrte  belege  aus  Priskos  und  sonst- 
woher  glauben,  dass  die  alten  Deutschen  auch  trinkgelage  ab- 
hielten, bei  denen  das  trinken  die  hauptsache  war  und  wobei 
gewisse  natürliche  formen  beobachtet  wurden,  zb.  dass  die  ge- 
nossen einander  zutranken  und  dass  der  vornehmste  damit  den 
anfang  machte,  ein  solches  trinkgelag  schloss  sich  natürlich 
immer  an  ein  essen  an.  auch  sonst  und  in  einfachen  lallen  blieb 
man  nach  der  arheit  des  essens  noch  etwas  beisammen  sitzen 
zum  plaudern  und  trank  ein  glas  wein  dazu  (so  zk  im  Ruodlieb 
vii  19  beim  bauern  und  xi  27  u.  xiu  107  bei  edelleuten):  bei  be- 
sonderen gelegenheiten  trat  an  dessen  stelle  d;i>  trinkgelag. 
natürlich  wurden  nun  nach  dem  ende  des  essens  die  leller  und 
platten  mit  den  Speiseresten  und  auch  die  meisten  tafeln  weg 
genommen,  und,  damit  das  leichter  gehe,  erhob  sich  vorher  die 
ganze  tiscbgesellschaft.  das  war  auch  der  natürliche  zeitpunet, 
dass  die  damen  sich  entfernten1,    so  geht  es  auch  bei  Ekkehard, 

1  so  erklärt  sich   2S4   Cum  retiqtri  turgant  =  omnet  r 
Hiltgund;    icli   hatte   einmal   an  reliquae  gedacht).     - 
Ekkehard  nicht  angedeutet,  wo  die  königin  und  die  andern  ! 
wenn  man  sieht,  wie  genau  Ermoldus  notiert,  da« 
sich  sitzen  liefs,  wie  aber  hier  v.  295   von  der  könig 
so  möchte  man  fast  meinen,  die  damen  seien  abseits  gesessen. 


140  WILHELM  MEYER 

dem  das  trinkgelag  ja  ein  hauptmiüel  zu  seinem  zwecke  ist. 
nachdem  die  tafel  aufgehoben  ist1,  wendet  sich  Wallher  an  Attila 
'er  möge  zunächst  sich,  weiterhin  (tunc  ist  allein  richtig)  den 
anderen  eine  frohe  stunde  bereiten':  womit,  das  zeigt  das  wort 
laetificare  (Vulgata:  vinum  laetificat  deum.  et  homines  und  vinum 
laetificat  cor  hominis,  Ermoldus  iv  553  laetificat  pectora  Bachus), 
noch  deutlicher  der  becher  mit  wein,  den  Walther  dem  Attila 
überreicht.  Attila  trinkt  ihn  leer  und  fordert  die  anderen  alle  auf, 
desgleichen  zu  tun.  ob  der  königsbecher  kreiste,  wird  nicht  deut- 
lich gesagt:  jedesfalls  gesellten  sich  viele  andere  pocula  dazu, 
welche  immer  zu  füllen  die  diener  rannten.  Walther  und  Attila 
muntern  die  zechgenossen  immerfort  zu  neuem  trinken  auf;  die 
beabsichtigte  würkung  tritt  ein:  alle  liegen  bald  wie  tot  in  den 
sälen  umher  auf  dem  boden2. 

Von  dieser  fast  20  hexameter  langen  Schilderung  ist  fast 
kein  ausdruck  aus  Virgil  genommen,  doch  den  inhalt  derselben 
sucht  Strecker  mit  Aen.  i  723 — 749  in  Verbindung  zu  bringen, 
zunächst  soll  die  Schilderung  des  napfes:  308  nappam  dedit  arte 
peractam  Ordine  sculpturae  referentem  gesta  priorum  nachgemacht 

1  die  Geraldusclasse  der  hss.  (die  Brüssler,  Pariser,  Trierer,  die  Nova- 
leser chronik  und  die  Engelberger  hs.)  bezeichnet  diesen  Übergang  mit  v.  304, 
der  aus  der  benützten  stelle  Aen.  vm  184  gebildet  ist: 

Postquam  epulis  depulsa  fames  sublataque  mensa. 
ein  abschreiber  fand  von  dem  üppigen  essen,  wo  die  gaste  von  den  vielen 
speisen  schwitzten,  den  ausdruck  depulsa  fames  zu  kahl,  er  erinnerte  sich, 
dass  der  geliebte  Virgil  für   diesen  Vorgang  eine  geeignetere  vorläge  biete, 

Aen.  i  723  Postquam  prima  qtiies  epulis  mensaeque  remotae, 
also  machte  er  daraus: 

Postquam  epulis  adsumpta  quies  mensaeque  remotae. 
das  stand  in  der  hs.,  aus  welcher  die  Karlsruh-Stuttgarter  hss.-classe  stammt; 
dann  wurde  verschrieben  Postque  epulis  absumpta  quies,  was  die  Karlsruher 
und  die  Stuttgarter  hss.  bieten,  und  dieser  Schreibfehler  wurde  gewant  ver- 
bessert, wider  nach  Virgil,  in  der  Wiener  hs.  zu  Postque  eptdas  assumpta 
quies.  dies  ist  eine  natürliche  entwicklung,  wie  jetzt  auch  Paul  vWinter- 
feld  mir  zugesteht,  der  im  N.  archiv  22,  1897,  s.  563  die  lesart  der  Geraldus- 
classe für  interpoliert  angesehen  hatte. 

2  Ekkehard  malt  die  trunkenheit  316  und  317  :  mächtige  mäuner 
schwanken  und  sonst  beredte  stammeln;  balbuttit  madido  facundia  fusa 
palato  :  das  palatum  ist  ein  Sprechwerkzeug;  da  es  aber  zu  sehr  befeuchtet 
ist,  so  werden  die  damit  hervorgebrachten  laute  (facundia  fusa)  zum 
stammeln  :  also  nicht,  wie  Althof  unschön  und  falsch  übersetzt  :  'und  es 
stammelt  das  breite  geschwätz  mit  triefendem  munde'. 


DER  DICHTER  DES  WALTHAR1ÜS  m 

sein  den  versen,  mit  welchen  Virgil  i  640  gleich  im  anfan 
pracht  in  der  festhalle  geschildert  hat  ingens  argentum  m 
caelataque  in  auro  fortia  facta  patrum.  die  beiden  Bleuen  bat 
schon  Zappert  (Wiener  denkschriften  n  1851  s.  54)  zusammen« 
gestellt,  dass  Ekkehard  für  diese  schale  aus  v.  641  facta  patrum 
die  gesta  priorum  bezogen  hat,  ist  möglich;  doch  Bind  Bolcbe  kunst- 
reichen hecher  nicht  so  selten,  wie  man  sagt;  vgl.  zl>.  den  ge- 
schnitzten hecher  des  bauern  im  Ruodlieh  (mit  einer  band  und 
den  4  paradiesströmen)  und  im  ganzen  das  antike  gefaTs,  aul 
dessen  sculpturen  Theodulf  ('Contra  iudices'  179  —  202)  Ober 
20  hexameler  verwendet. 

Doch    diese  nachahmung   betrifft  jedesfalls  nur  eine  oeben- 
sache.     wichtiger  ist,    was  Strecker    s.  359    behauptet:    'in    der 
Schilderung   des  trinkgelages   ist  Aen.  i  72811"  nicht  ungeschickt 
umgearbeitet',     betrachten  wir,    was  bei  Virgil  dem    essen   folgt : 
als  das  essen  beendet  und  die  tische  weggeräumt  waren,    wurden 
die  weingefäfse  aufgestellt  und  die  hängeleuchter  angezündet,    die 
künigin    ergrilV    eine  goldene,    mit    edelsteinen    besetzte    schale, 
brachte    den  trinkspruch  aus,    dies   fest   müge    freudig  verlaufen, 
spendete  den  gottern,    nippte   an    der  schale,    gab   sie    dann  mit 
zuruf  dem  Bitias,  der  kräftig  daraus  trank;  ihn»  folgten  die  andern 
edeln.     dann    singt    der    Sänger    von    der    Schöpfung    und    alle 
klatschen    beifall.     Dido   spricht  mit   Aeneas;   zuletzt   bis  lief  in 
die  nacht  hinein    gibt    er  von    seinen    Schicksalen    einen  beruht. 
der   das  2  und  3    buch    füllt.        was   kann    Ekkehard   bier   aus 
Virgil  entlehnt  haben?:  dass  der  angesehenste  vm trinkt  und  die 
andern  folgen,     wenn  Ekkehard  so  umzuarbeiten  verstand,  dann 
war  er  nicht  nur  'nicht  ungeschickt',  sondern  ein  meister;  allein 
welcher   dichter   des  8 — 10    jhs.,   der   dies   trinkgelag    schildern 
wollte,    hätte    nicht    den    Attila    dasselbe    mit    zutrinken    eröffnen 
lassen?     gut,  sagt  die  andere  partei,   in  der  ganzen  Bchilderung 
des   trinkgelags    ist    allerdings    last    nichts   aus    Virgil    entlehnt: 
'aber    wo     wir    enllehnungeu     nicht    nachweisen     können, 
der  dichter    sich   enger  an    seine   vorläge   gebalten   haben' 
wurde    früher    dem    dichter    Ekkehard    sein    lob    eot* 
der  Scylla  Virgil   oder   von    der   Charybdis,   der  deol 
läge,    weggerissen;    allein   jetzt    sind  wir   Vfe 
kommen,    dass  man  das   Dicht  mehr  hin   darf,  ODDi 
walt  anzutun. 


142  WILHELM  MEYER 

Betrachten  wir  die  drei  oder  vier  besprochenen  stücke,  die 
Schilderungen  der  reiterschlacht  und  des  essens  siud  so  stark 
durchsetzt  mit  phrasen  und  kleinen  zügen  aus  Virgil  und  aus 
Prudentius,  dass  man  allerdings  wie  Strecker  s.  339  sagen  muss: 
'es  ist  undenkbar,  dass  Ekkehards  Stoff  (dh.  die  von  ihm  be- 
nutzte vorläge)  eine  so  ins  einzelne  gelinde  ähnlichkeit  mit 
Virgil  gehabt  habe.'  bei  der  reiterschlacht  hat,  wie  ich  glaube, 
Ekkehard  ein  höheres  ziel,  die  Schilderung  einer  Ungarnschlacht 
verfolgt:  jedenfalls  hat  er  ein  vortreffliches  und  durchaus  zum 
übrigen  gedieht  stimmendes  ganze  geschaffen,  die  Schilderung 
des  essens  ist  ebenfalls  trefflich  und  des  übrigen  gedichtes  voll- 
kommen würdig,  hier  also  ist  Ekkehard  schaffender  dichter  und 
zeigt  dabei  dieselbe  kunst,  welche  das  ganze  gedieht  zeigt. 

Die  beiden  andern  scenen,  das  gespräch  der  beiden  verlobten 
und  das  trinkgelag,  sind  nicht  nach  Virgil  und  Prudentius  ge- 
arbeitet :  von  ihnen  behauptet  man  nun,  sie  seien  nur  von  Ekke- 
hard aus  seiner  vorläge  in  lateinische  hexameter  umgearbeitet, 
als  grund  für  diese  behauptung  wüste  man  früher  nur  zu  sagen 
'ein  so  jugendlicher  dichter  kann  nicht  so  vortreffliches  geschaffen 
haben.'  dieser  grund  ist  jetzt  hinfällig  geworden;  denn  wenn 
Ekkehard  die  Schilderung  der  reiterschlacht  und  des  essens  dichten 
konnte,  so  konnte  er  auch  das  Zwiegespräch  und  das  trinkgelage 
so  schildern,  wie  wir  es  lesen,  was  für  ein  dichten  aber  wäre 
das  gewesen?  :  v.  170 — 214  erfindet  Ekkehard,  v.  215 — 287  über- 
setzt er;  das  erste  stück  des  gastmahls  v.  289 — 304  erfindet  er, 
das  zweite  v.  305 — 323  übersetzt  er.  das  ist  geschmacklos, 
wenn  aber  würklich  so  etwas  geschehen  wäre,  wie  kommt  es, 
dass  das  gedieht  so  aus  6inem  gusse  vor  uns  steht?  ich  spreche 
nicht  von  der  gleichheit  des  ausdrucks,  sondern  von  den  eigen- 
schaften,  den  milteln  und  kunstgriffen  des  dichters.  wie  kommt 
es  endlich,  dass  in  dem  langen  gedieht  sich  durchaus  kein  zug 
erhalten  hat,  der  in  die  zelten  vor  Karl  dem  Grofsen  gehören 
müste?  wenn  Ekkehard  nur  ein  älteres  deutsches  gedieht  in  la- 
teinische hexameter  umsetzte,  so  müste  er,  um  die  deutschen 
volkstümlichen  züge  alle  so  auszumerzen,  sein  deutschtum  ebenso 
gehasst  haben,  als  er  es,  aus  der  wah,Mes  Stoffes  und  der  liebe- 
vollen ausmalung  etlicher  scenen  zu  scl[iliefsen ,  offenbar  geliebt 
hat.  sogar  in  der  Schilderung  des  feldztfges  Attilas  sind  für  die 
gebenden    vom   Rhein    bis   Südfrankreich    die    Völker    eingesetzt, 


DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS  143 

Franken,    Rurgunder,   Aquitaner,    welche    in    der   Karolingerzeit 
da  wohnten. 

Wir  dürfen  also  nicht  nur,  sondern  wir  müssen  bis  zur  auf- 
findung  tüchtiger  gegenbeweise  annehmen,  dass  der  lateinische 
Waltharius  von  Ekkeliard  entworfen  und  ausgeführt  ist.  der 
stoff,  den  er  hörte  oder  las,  entzündete  seinen  dichtergeist  und 
er  versuchte  es,  diesen  stoff  zu  formen,  dass  ihm  das  so  trefflich 
gelang,  ist  merkwürdig,  aber  doch  nicht  so  auffallend,  wie  man 
oft  meint,  das  untergehende  altertum  übte  die  poetische  er- 
zählung,  und  die  deutschen  stamme,  welche  in  der  zeit  der  Völker- 
wanderung und  nachher  Europa  durchzogen,  welch  andere  dich- 
tungen  kannten  sie,  als  jene,  in  welchen  dazu  geschickte  und 
wol  geübte  mäoner  ernste  oder  heitere  vorfalle,  zumeist  aus  der 
geschichte  des  eigenen  Stammes,  erzählten?  so  war  bei  den  Angel- 
sachsen wie  bei  den  Deutschen  die  kunst,  in  versen  zu  erzählen, 
weit  ausgebildet,  die  bekanntschaft  mit  Virgil,  Sedulius,  Venautius 
Fortunatus  befruchtete  und  erweiterte  diese  einheimischeerzähhin^s- 
kunst.  so    entstanden   jene  historischen  lieder,   welche 

durchaus  nicht  einfach  erzählen,  sondern  mit  grofser  kunst  an- 
gelegt sind,  deren  ältestes,  das  lied  eines  schlichten  geistlichen 
vom  sieg  Pippins  über  die  Avaren  (a.  796,  Poetae  aevi  Karoliui  i 
116),  auch  das  beste  ist;  der  lateinische  ausdruck  ist  recht  uu- 
gewant,  aber  der  epischdramatische  aufbau  ist  ganz  vortrefflich; 
um  das  zu  erkennen,  muss  man  freilich  erst  wissen,  dass 
gedieht  in  gruppen  zu  je  3  Strophen,  welche  gruppen  wahr- 
scheinlich auch  durch  die  melodie  markiert  waren,  aufgebaut  ist. 
der  mündliche  Vortrag  zerlegte  zu  allen  /eilen  einerseits  die 
dichtungen  in  gröfsere  abschnitte,  so  weit  eben  in  einem  laufe 
die  stimme  des  vortragenden  und  die  Spannkraft  der  hörenden 
reichte  (die  alte  romanische  dichtung  hat  diese  abschnitte,  die 
tiraden,  durch  den  gleichen  reim  deutlich  gekennzeichnet);  an- 
derseits forderte  und  forderte  die  lebendige  declaraation  ganz  be- 
sonders die  dramatische  ausgestallung  der  dichtungen.  so  wurd< 
die  trockene  erzähluug  der  buchepen  verdrängt  und  an 
stelle  traten  die  oben  (s.  115)  gerühmten  epischdram 
scenen. 

So  wird  man  sich  über  das  bruchstück  De  B 
Leone  papa  (a.  799)  und  über  den  Waltharius  ale 
liehe   kunslwerke   freuen,   aber   unbegreiflich    wird   mai 


144  WILHELM  MEYER 

die  damalige  zeit  nicht  nennen  können,  es  war  eine  glückliche 
fügung,  dass  ein  so  begabter  dichter,  wie  Ekkehard  ,  diese  aus- 
gebildete erzählerkunst  benutzte  zur  darstellung  der  geschichte 
des  Walther. 

Doch,  hat  Ekkehard  sein  lob  glücklich  durch  die  Charybdis 
gerettet,  so  bedroht  dasselbe  die  Scylla,  die  nachahmung  der  rö- 
mischen dichter,  sie  hat  2  köpfe  :  Ekkehard  soll  den  wert  seiner 
dichtuug  dadurch  geschädigt  haben,  dass  er  jenen  römischen  Vor- 
bildern entweder  ganze  scenen  und  Situationen  oder  eine  grofse 
menge  von  ausdrücken  und  phrasen  entlehnt  hat.  zum  glücke 
brauchen  wir  hier  nicht  die  schwierige  frage  der  nachahmung 
zu  erörtern,  wenn  die  griechischen  tragödien-  wie  komödien- 
dichter nicht  wetteifernd  die  gleichen  Stoffe,  charaktertypen  und 
Situationen  bearbeitet  hätten,  so  hätte  das  griechische  drama  sich 
nicht  so  schnell  und  so  allseitig  entwickelt;  und  ohne  nach- 
ahmung, wie  stünde  es  mit  der  kunst  aller  zeiten?  bei  Ekkehard 
ligt  die  sache  klar;  wir  haben  ja  die  von  ihm  benutzten  römischen 
Vorbilder,  Virgil  und  Prudentius.  man  vergleiche  die  virgilsche 
reiterschlacht  und  die  3  Schilderungen  von  gastmählern  mit  den 
Schilderungen  des  Ekkehard,  man  wird  dieselbe  Selbständigkeit 
und  dieselbe  kunst  des  dichters  bewundern,  wie  in  den  scenen, 
zu  denen  er  keine  römischen  Vorbilder  benutzt  hat.  natürlich 
mag  Ekkehard  die  erste  anregung,  in  diese  oder  jene  scene  seinen 
stoff  zu  giefsen,  aus  Virgil  oder  aus  Prudentius  empfangen 
haben  :  allein  das  hat  nichts  zu  tun  mit  der  Originalität  seiner 
dichtung. 

Die  einzelnen  ausdrücke,  deren  wir  uns  bedienen,  haben 
doch  auch  wir  uns  an-  und  zusammengelernt,  bei  Ekkehard 
und  seinen  Zeitgenossen  war  das  erlernen  der  nötigen  lateinischen 
ausdrücke  kindlicher  :  die  Vulgata  und  Virgil  waren  der  grund- 
stock;  dazu  kam  bei  Ekkehard  die  Psychomachia  des  Prudentius. 
gefährlich  waren  die  seltenen  und  bildlichen  ausdrücke;  da  be- 
gegneten leicht  böse  misverständnisse.  so  hat  der  vortreffliche 
dichter  De  Karolo  M.  et  Leone  papa,  durch  den  virgilischen  vers 
Sola  Sophocko  tua  carmina  digna  cothurno  verleitet,  die  zur  jagd 
reitende  tochter  Karls  des  Grofseu  also  beschuht  Clara  Sophocleo- 
que  ornatur  virgo  coturno.  so  böse  misverständnisse  sind  dem 
Ekkehard  nicht  nachzuweisen,  trotzdem  er  viele  seltenere  ausdrücke 
herübergenommen,   ja   manchem  bildlichen  ausdrucke   ein    neues 


DER  DICHTER  DES  WALTIIARIUS  145 

gepräge  gegeben  hat1,  hätte  Ekkehard  das  gedieht  in  deutscher 
spräche  geschrieben,  so  würde  natürlich  jetzt  die  deutsche  grammatik 
und  die  deutsche  wortkunde  dabei  gut  fahren,  allein  der  Inhalt  wäre 
der  gleiche  geworden  und  die  form  vielleicht  kunstloser,  eine 
spräche  zu  einer  litteratursprache  auszubilden,  ist  ein  schweres 
stück  :  die  kunstreich  entworfenen  und  ausgebauten  reden,  ge- 
schichtswerke  und  dichtungen,  die  fremdartigen  und  doch  packen- 
den gedanken  der  lateinischen  litteratur,  die  wolklingenden  und 
prächtigen  ausdrücke  der  lateinischen  spräche  haben  auch  die 
deutschen  stamme,  besonders  in  der  Karolinger-  und  Ottoneuzeit, 
in  eine  zucht  genommen,  deren  segen  jetzt  gewöhnlich  vergessen 
oder  unterschätzi  wird.  Alcuin,  Theodulf  und  der  dichter  de 
Karolo  M.  et  Leone  papa  haben  auch  nur  mit  erlernten  römischen 
phrasen  gearbeitet  :  ihre  Schilderungen  Karls  d.  Gr.  und  seines 
hofes  werden  deshalb  von  niemandem  für  gefälscht  erklärt,  wes- 
halb sollten  die  gedanken ,  welche  Ekkehard  sich  gemacht  hatte 
zur  ausmalung  seines  Stoffes,  bei  der  einkleidung  in  römische 
ausdrücke  undeutsch  geworden  sein?  vielmehr  ist  Ekkehards 
dichtung  weder  durch  die  nachahmung  von  Situationen  noch  durch 

1  dabei  hat  Ekkehard  gewis  nicht  solche  geschmacklosigkeiten  be- 
gangen, wie  man  sie  ihm  zb.  in  v.  397  mit  in  urbem  zutraut,  das  heilst 
einmal  'stadt',  nicht  'bürg',  nicht  'palast*.  bei  der  Schilderung  des  Unge- 
heuern ärgers  (nicht  'katzenjammers')  benützt  allerdings  Ekkehard  phrasen 
aus  Aen.  vin  19—30  und  besonders  aus  19—21,  wo  geschildert  wird,  wie 
Aeneas,  gegen  den  ganz  Italien  in  waffen  tritt,  von  sorgen  erliillt  am  Hber- 
ufer  schwer  den  schlaf  findet,  die  Situationen  sind  verschieden  genug,  so- 
dass wol  niemand  behaupten  wird,  dadurch  sei  Ekkehard  zu  seinem  prich- 
tigen  und  reichen  gemälde  angeregt  worden,     zu  diesem  gemilde  brauchte 

Ekkehard   auch   die   Schlaflosigkeit;    dazu   genügt«-  il licht    Aen.  mm  30 

seramque   dedit  per  membra   quietem;    aber  diese  phrase  erinnerte  ihn  an 
eine  ähnliche  Aen.  iv  5   nee  placidam  membri»  dal  cum  quietem 
streckte    er   dann    (etwas   unpassend)    mit  potuit  zu 
membris  potuit  dare  cura  quietem.    wegen  dieses  einzigen  rerset 
anfang   des  iv  buches    folgert   min  Strecker   (8  >),   die  "" 

des  iv  buches  geschilderte  liebesmial  der  Dido   Bei  ebenfalls   dem  Bfc 
vorbild  gewesen  für  die  Schilderung  de-  Srgers  des  «Utile;  und,  weil 
60  verse  später  die  Dido,   welche  natürlich    mit  ihrem   \ 
sammen  sein  will,    mit  ihm   tota  vagatur  per  urbem,  des 
bei  der  Schilderung  des  AttiU«,  der  schlaflos  in  seinem  grimm   ■ 
aufspringt,  richtig  sein  :  v.  391  demum  turgeru  dücurrü  in  url 
torum  veniens  simul  attigit  atque  reliqutt.  damit  discreditiert  d 
brauchbare  melhode. 

Z.  F.  D.  A.  XLI1I.      N.   F.  XXXI. 


146     WILHELM  MEYER  DER  DICHTER  DES  WALTHARIUS 

die  Verwendung  von  ausdrücken  des  Virgil  oder  Prudentius  irgend- 
wie romanisiert  oder  in  ihrem  dichterischen  oder  ursprünglichen 
wesen  und  werte  beeinträchtigt  worden. 

Strecker  schliefst,  'leider  werde  das  resultat  seiner  arbeit 
nicht  angefochten  werden  können,  dass  der  Waltharius  uns  in 
mancher  beziehung  ein  verfälschtes  bild  der  germanischen  helden- 
zeit  gebe',  wol  mag  nach  meinen  ausfuhrungen  die  germanische 
altertumskunde  es  ganz  aufgeben,  aus  dem  lateinischen  Waltharius 
ein  supplementum  zu  den  nachrichten  des  Caesar  und  Tacitus 
zu  schöpfen  :  allein  wir  gewinnen  etwas  wichtigeres,  die  persön- 
lichkeit eines  wahren  dichters,  auf  den  wir  stolz  sein  dürfen. 
Göttingen,  14  febr.  1899.       WILHELM  MEYER  (aus  Speyer). 

ALTVILE  IM  SACHSENSPIEGEL. 

So  lange  als  für  dieses  vielbesprochene  wort  noch  keine 
einigermafsen  sichere  deutung  gefunden  worden  ist,  mag  es  nicht 
für  unangemessen  gehalten  werden,  noch  einen  Vorschlag  zu 
machen,  der  freilich  auf  Sicherheit  keinen  anspruch  erhebt, 
aber  mir  doch  ebenso  viel  Wahrscheinlichkeit  für  sich  zu  be- 
sitzen scheint,  wie  irgend  einer  der  vorherigen  erklärungsver- 
suche,  und  der  vielleicht  zur  endgiltigen  lösung  des  problems 
einen  beitrag  liefern  könnte. 

Ich  möchte  nämlich  auf  die  ähulichkeit  in  form  und  be- 
deutung  aufmerksam  machen ,  die  zwischen  altvile  (var.  aluile) 
und  mlat.  alphilus,  alphinus  Mäufer  im  Schachspiele',  afrz. 
aufin  dass.,  aber  auch  'tor,  narr',  me.  alfine  'bishop  at  chess, 
fool,  homo  fatuus'  bei  genauer  Untersuchung  sich  herausstellt, 
die  durch  mlat.  alphilus,  alphinus  bezeichnete  Schachfigur,  be- 
kanntlich ursprünglich  (uzw.  im  Orient)  ein  elefant,  wurde  im 
abendlande  vielen  umdeutungen  und  Veränderungen  unterworfen, 
in  Deutschland,  wo  das  Schachspiel  im  12  jh.  sicher  bekannt  war, 
wurde  der  alfil  (wahrscheinlich  infolge  volksetymologischer  um- 
deutung  und  Veränderung  der  ersten  silbe  al-  in  *alt-)  zum 
alten,  ein  name,  der  besonders  auf  md.  und  nd.  gebiet  all- 
gemein gebräuchlich  war.  auch  in  England  mag  diese  umdeutung 
der  ersten  silbe  {al-  in  *ald-)  stattgefunden  haben,  denn  um 
1180  gebraucht  der  engländer  Alexander  Neckam  den  ausdruck 
'senex'  für  die  betreffende  figur,  die  auch  in  einem  zeitgenössischen 
Oxforder   codex  calvus  genannt  wird,   s.  vdLinde  Quellenstudien 


BJÖRKMAN  ALTVILE  IM  SACHSENSPIEGEL  1  17 

z.  gesch.  des  Schachspiels  (Berlin  1881)  s.  681V.  —  ich  gl»ube 
also,  dass  wir  aus  diesen  umständen  ein  volksetymologisch  um- 
standenes deutsch-mlat.  *altfilus  erschliefsen  dürfen. 

Eine  andre  Veränderung,  der  die  figur,  namentlich  in  Frank- 
reich, unterworfen  wurde,  war  die  zum  narren,  diese  Ent- 
wicklung lässt  sich  m.  e.  durch  zwei  zusammenwirkende  um- 
stände erklären,  'die  ältesten  ahhildungen  des  'alfil'  in  den 
schachmss.  des  13  und  14  jhs.  stellen  ihn,  auf  die  Stoßzähne  des 
(in  Europa  in  Vergessenheit  geratenen)  elefanlen  anspielend,  mit 
gespaltener  spitze  dar',  s.  vdLinde  Gesch.  u.  litt,  des  Schachspiels 
(Berlin  1874)  i  146.  wie  in  England  aus  dieser  figur  mit  ge- 
teiltem haupte  ein  hischof  mit  mitra  wurde,  episcopus  cornutvs 
genannt  (vgl.  vdLinde  aao.,  Mafsmann  Gesch.  des  miltelalierl. 
Schachspiels,  Quedliub.  und  Leipzig  1839,  s.  41),  so  wurde  sie  in 
Frankreich  und  angrenzenden  ländern  zum  narren,  und  <!: 
spaltene  spitze  des  alfil  wurde  zur  narrenkappe.  schon  im  13  jh. 
heilst  die  figur  istultus  saltator'  (vgl.  Mafsmann  aao.  s.  40  n.j; 
dem  afrz.  aufin  wurde  allmählich  fou,  fol  als  bezeicbnung  der 
figur  zur  seite  gestellt,  und  ufrz.  heilst  die  ßgui  le  fou.  das 
wort  aufin  wurde  sogar  in  dem  grade  mit  fou  gleichwertig,  dass 
es,  wie  aus  dem  heispiele  hei  Godefroy  erhellt,  'tor,  narr' 
ohne  directe  anspielung  auf  das  Schachspiel  bedeuten  kennte. 
auch  das  dem  frz.  entlehnte  me.  alfine  ist  in  der  Bedeutung  von 
'fool,  homo  fatuus'  in  der  ersten  hälfte  des  15  jhs.  I 
s.  Murray  NED.  s.  v.  —  zu  dieser  entwieklung  des  wertes  alphinus, 
alfin  mag  jedoch  auch  ein  anderer  umstand  heigetragen  haben,  das 
altgermanische  hat,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  eine  würze!  *aÄ- 
'tor,  narr'  hesessen  *;  dass  nun  die  entwieklung  von  mlat.  alplu'lus, 
alpfunus  zur  bedeutung  'narr'  und  die  entwieklung  der  betreffenden 
Schachfigur  in  der  besagten  weise  hauptsächlich  auf  romanischem 
boden  bezeugt  ist,  kann  ja  Zufall  sein  und  brauch!  Obrigeas  bei 
dem  internationalen  charakter  des  Schachspiels  nicht  zu  befremden; 
auch  ist  die  zusammenwürkung  germanischen  und  romanischen 
sprachguts  zu  vergleichen,  die  sich  in  frz.  feu  folh-t  als  Dachbil- 
dung   des    deutschen  elflicht   widerspiegelt,    vgl.   Grimm    DMfth. 

1   so    scheint   aus  ndl.  alf  Ten  zoot,    een  «1« 
'kindisch,  närrisch"  usw.  bcrvoriogeho,  vgLWadstein  öppM 
nie.  alfine  Tool'  direct  aus  dem  germanischen  BlaannworU   bersoleiü 
es  Wadstein  aao.  tut,  erlauben  die  vorgebrachten  tatsachen  nicl 


148  BJÖRKMAN 

n*  s.  764.  auch  hier  mag  das  lateinische  vermittelt  haben,  wie 
sich  nach  dem  von  Grimm  aao.  angeführten  ignis  fatuus  vielleicht 
vermuten  lässt.  — 

Kehren  wir  nun  von  diesem  excurse  zu  altvile  zurück,  ich 
halt  es  für  möglich,  dass  zur  zeit  der  Überlieferung  des  Sachsen- 
spiegels infolge  der  popularität  des  Schachspiels  und  der  darüber 
verfassten  moralisierenden  und  allegorisierenden  Schriften  mlat. 
alphilus,  bezw.  *altfilus  in  Deutschland  geläufige  Wörter  waren, 
in  Baiern  wurde  das  Schachspiel  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
am  frühesten  bekannt,  und  zwar  lange  vor  der  zeit  Alexander 
Ps'eckams,  s.  vdLinde  Gesch.  i  143,  ii  142 ff,  und  dadurch  lässt 
sich  vielleicht  das  Vorhandensein  des  bairischen  eigennamens  Alt- 
fil,  Altvil  aus  der  zeit  1180—90  (s.  Höfer  Altvile,  Halle  1870, 
s.  14)  erklären,  man  beachte  auch,  dass  der  altvile-\ers  der  A- 
redaction  des  Sachsenspiegels  noch  nicht  angehört,  die  möglich- 
keit  kann  zwar  nicht  verneint  werden,  dass  der  betreffende  vers 
älter  sein  könnte  als  die  zeit,  wo  das  Schachspiel  nach  Deutsch- 
land kam;  was  vorher  in  dem  verse  gestanden  haben  mag,  ist 
aber  schwierig  zu  bestimmen;  allerdings  müste  es  ein  wort 
gewesen  sein ,  welches  zur  zeit  der  Überlieferung  dem  mlat. 
worte  so  ähnlich  war  in  bezug  auf  form  und  bedeutung,  dass  es 
ohne  weiteres  damit  identificiert  wurde;  besonders  wahrscheinlich 
wäre  dieser  fall  gewesen,  wenn  das  ursprüngliche  wort  aufser 
gebrauch  geraten  und  deshalb  ungeläufig  war.  ich  halt  es  für 
nicht  unmöglich,  dass  in  diesem  falle  ein  wort  da  gestanden  hatte, 
dessen  erster  teil  auf  germ.  *alb-,  dem  wol  ursprünglich  ver- 
schiedene bedeutungen  zukamen,  zurückgieng  1.  darauf  werden 
wir  aber  später  zurückkommen,  sehen  wir  jetzt  nach  Höfer  Altvile 
s.  4  ff  zu,  wie  die  deutungen,  die  die  alten  übersetzerund  erklärer  dem 
worte  gaben,  zu  denen  stimmen,  die  dem  mlat.  alphilus  und  dessen 
Weiterentwicklungen  in  den  verschiedenen  sprachen  zukamen. 

1)  fatuus,  sötte  etc.  stimmt  ohne  weiteres  zur  widergabe  des 
afrz.  aufin  durch  stultus ,  zu  nfrz.  le  fou  als  name  für  dieselbe 
Schachfigur  und  zu  me.  alfine  'fool\ 

2)  Falls  das  von  Höfer  s.  6  erörterte  homuncio  (=  'parvus 

1  die  lesarten  aluyle,  alevile,  alwile,  die  formell  mit  mlat.  alphilus 
noch  besser  übereinstimmen,  sind  hierbei  nicht  aufser  acht  zu  lassen,  für 
das  ursprüngliche  wort  mit  *alt-  muss  natürlich  md.  oder  nd.  form  ange- 
nommen werden. 


ALTV1LE  IM  SACHSENSPIEGEL  149 

aut  vilis  homo')  sich  würklich  auf  alt  fite  bezieht,  was  freilich 
Höfer  im  gegensatz  zu  Grimm,  Haupt  uaa.  bezweifelt,  so  konnte 
auf  den  von  Du  Cange  s.  alphinus  citierten  vers  'sie  inter  scacchos 
alphinus  inutilis  extat,  inter  aves  bubo'  hingewiesen  werden. 

3)  Die  deutung  'elbisches  wesen',  'neptunius'  liefert  eine 
neue  stütze  für  die  annähme,  dass  in  alt  fite  t  uuursprünglich 
ist  und  dass  die  lesarten  ohne  t  die  echtesten  sind,  weil  diese 
deutung  sich  aus  solcher  form  am  leichtesten  erklärt,  freilich 
lässt  sie  sich  auch  durch  umdeutung  von  alphilns,  alfil  sehr  gut 
erklären;  falls  abfcr  der  vers  älter  ist  als  die  aufnähme  des  mlat. 
wortes  in  Deutschland,  könnte  man  sich  denken,  dass  das  wort, 
das  vorher  dagestanden  hat  und  das  meiner  obigen  annahmt' 
nach  mit  *aW-  anfing,  als  'elbisches  wesen'  gedeutet  wurde  oder 
aber  von  vornherein  diese  bedeutung  gehabt  hatte,  elben  und 
zwerge  werden  ja  häufig  neben  einander  genannt,  und  das  vor- 
kommen von  al(t)vile  im  zusammenbang  mit  dverge  lässt  mich 
vermuten,  dass  al(t)vile  und  dverge  hier  zwei  verschiedene  arten 
von  wechselbälgen  bedeutet  haben,  alles  unter  der  Voraussetzung, 
dass  der  vers  alt  ist.  aus  dem  schon  citierten  aufsatze  VVadsteins 
wird  unter  berücksichtigung  allbekannter  mythologischer  tatsachen 
klar,  wie  infolge  des  formellen  Zusammenfalls  verschiedener  urgerm. 
Wörter,  die  'elbisches  wesen,  tor'  etc.  bezeichneten,  verscbieclene 
eigenschaften  den  elben  und  den  von  ihnen  statt  der  gestohlenen 
menschenkinder  untergeschobenen  wechselbälgen  von  der  volks- 
phantasie  beigemessen  wurden,  was  wäre  dann  natürlicher,  als 
dass  man  sich  den  elbischeu  wechselbalg  als  'toren'  wie  den 
zwergischen  als  körperlich  verkrüppelten  menseben  dachte  '  ? 

1  dass  die  elfen  und  zwerge  der  Volksvorstellung  nach  sogar  dasselbe 
übel  verursachen  konnlen,  erhellt  aus  norw.  dial.  alftkott  oder  dvergtkott, 
'eine  art   tierkrankheit'  (Aasen),  wie  aus  dem  von  Wadstein    aao.   B.  1 7 1 
angeführten   norw.   dial.  alfskoten  gleichbedeutend   mit  dvergilagen  'lahm, 
gefühllos',    ich  möchte  hier  auf  eine  stelle  in  der  me.  schrift  H a  1  i  Meiden- 
had  aufmerksam  machen,  die  an  die  bewuste  stelle  im  Sachsenspiegel  < 
mafsen  erinnert,     dort  kommt  nämlich  die  Zusammenstellung    \ 
und  crupel  vor  (s.  33  in  der  ausg.  von  Cockayur  E.E.T.S.  ivi 
seli  meiden,  beo  ße  enot  ienule  ancs  <>f  wedlac,  brn  he  cttttg 
beo  he  hwuch  se  he  eauer  beo;  pu  most  to  htm  fialden. 
spricht  afrz.  chenrgon  'terme  injurieux'  (Godefroy)  aus  mlat  eaml 
balg-'  (Du  Cange).     cmigitn  (urspr.  ' wechselbalg 0   in   der 
mit  crupel   erinnert  an   die   Zusammenstellung  von   alivil  (vielh 
'wechselbalg')  mit  dverg  und  kropelkint  im  Sachsens] 


150  BJÖRKMAN  ALTVILE  IM  SACHSENSPIEGEL 

4)  Erst  im  15  jh.  wurde  das  wort  nach  Hüfer  s.  9  als 
'zwitter'  gedeutet;  auch  diese  deutung  hat  mlat.  alfilus  mit  ver- 
schulden können;  bekanntlich  wurde  die  besagte  Schachfigur,  wie 
oben  erwähnt,  mit  gespaltener  spitze  dargestellt,  und  dass  man 
sich  im  mittelaller  die  zwitter  als  zweiköpfig  vorstellte,  zeigt 
Höfer  s.  17  ff.  —  aber  auch  hier  kann  die  Ursache  tiefer  liegen, 
die  elfen  stellte  man  sich  nämlich  im  germ.  altertum  als  zwitter 
vor,  was  sich  noch  heute  in  ne.  scrat  1)  'zwitter',  2)  'der  zwerg- 
haft dürftige  mensch,  knirps'  ahnen  lässt.  dieses  scrat  ist 
lehnwort  aus  nord.  sprachen,  vgl.  altn. skratti  1)  'wizard',  2) 'water- 
sprite'.  im  altgerm.  wurden  schratte  und  zwerge  oft  zusammen 
erwähnt  oder  sie  waren  mit  zwergen  und  wol  auch  mit  elfen  gleich- 
bedeutend, s.  Grimm  DMyth.  i4  s.  396  f.  anh.  s.  139. 

Als  hauptergebnis  des  vorgebrachten  darf  vielleicht  folgendes 
gelten,  falls  der  vers,  wo  altvile  vorkommt,  ein  alter  ist,  mag 
ein  wort  dagestanden  haben,  dessen  erster  teil  auf  urgerm.  *alb- 
zurückgieng  und  das  ein  durch  den  einfluss  übler  geister  stumpf- 
sinniges oder  in  andern  beziehungen  schlecht  geratenes  kind 
(wechselbalg)  bedeutete  und  welches  später  mit  dem  in  seiner 
bedeutung  von  derselben  wurzel  *alb-  beeinflussten  mlat.  al- 
philus  bezw.  *aWfilus  identificiert  wurde,  oder  ist  das  wort  direct 
aus  dem  mlat.  entlehnt,  obvvol  in  seiner  bedeutung  durch  hei- 
mische Wörter  und  Vorstellungen  beeinflusst? 

Von  den  früheren  deutungsversuchen  erwähn  ich  nur  den 
von  Höfer  aao.  und  den  von  Zacher  bei  RSchröder  Zschr.  f. 
rechtsgesch.  22  (Savigny-stiftung  9)  s.  55 ff.  nach  Höfer  hat 
das  wort  ursprünglich  nur  'alte  feile'  bedeutet,  dagegen  lässt 
sich  vieles  einwenden,  es  sei  genug,  hervorzuheben,  dass  diese 
etymologie  sich  nicht  mit  den  deutungen,  die  man  sich  im  mittel- 
alter  von  dem  worte  machte,  vereinigen  lässt,  und  dass  dabei  auch 
die  nicht  zu  übersehenden  lesarten  aluyle  usw.  unerklärt  bleiben. 
Zacher  teilt  das  wort  al-twile  ab,  was  sich  schon  dadurch  als 
unzulässig  ergibt,  dass  dann  das  erste  glied  al-  als  völlig  unver- 
ständlich dasteht. 

Göttingen  (üpsala).  ERIK  BJÖRKMAN. 


ZUR  GESCHICHTE 
VON  DER  'SÄUGENDEN  TOCHTER'. 

In  der  Zs.  f.  vgl.  litteraturgeschichte  n.  f.  12,  450  ff  handelt 
GKnaack  über  die  bekannte  geschichte  von  dem  braven  mädchen, 
das  seinen  vater,  nach  andrer  version  seine  mutter,  im  gefängnis 
säugte  und  dadurch  vor  dem  hungertode  bewahrte,  indem  ich 
seinem  am  Schlüsse  dieses  aufsatzes  ausgesprochenen  wünsche 
nachkomme,  weitere  parallelen  zu  dieser  so  oft  widerholten  ge- 
schichte mitgeteilt  zu  erhalten,  bemerk  ich  im  voraus,  dass  schon 
von  verschiedenen  andern  gelehrten,  von  Oesterley,  Liebrecht, 
RKöhler,  JBolte  uaa.  weit  mehr  litteratur  über  diesen  gegenständ 
zusammengetragen  worden  ist,  als  in  obigem  aufsatz  von  seinem 
in  der  einschlägigen  litteratur  anscheinend  nicht  bewanderten 
Verfasser. 

Die  geschichte  von  der  guten  tochter  ist  durch  die  ganze 
prosaische  erzählungslitteratur  des  mittelalters  verbreitet,  bald  in 
der  version  vom  vater,  bald  in  der  von  der  mutter  der  säugenden 
auftretend,  in  den  geistlichen  exempla-sammlungen  wird  sie  als 
leuchtendes  beispiel  kindlicher  liebe  oder  des  mitleids  angerührt, 
wo  eine  antike  quelle  citiert  wird,  ist  es  meist  Valerius  üb.  v, 
im  Libro  de  los  enxemplos  102  (wie  ich  RKöhler  Kleinere  Schriften 
i  373  entnehme)  Solinus  (i  124),  der  auch  bei  Hondorff  benutzt 
scheint,  die  stellen  aus  dieser  litteratur  haben  Oesterley  (Gesta 
Romanorum  s.  744)  und  Crane  (Jacques  de  Vitry  zu  c.  238  ')  ge- 
sammelt, gleich  einer  der  ältesten  Vertreter  dieser  litteratur- 
gattung,  Jacques  de  Vitry  (gest.  1240),  hat  die  geschichte  in 
seinen  Sermones  vulgares  (Exempla  ed.  Crane  c.  238  =  Leco] 
de  la  Marche  ou  L'esprit  de  nos  aieux  s.  2371).  im  14  jh.  erzählt 
Johannes  Junior  in  der  Scala  celi  fol.  39  die  version  von  der 
mutter  als  beispiel  der  'compassio'  aus  Valerius.  demselben  jb. 
gehört  vielleicht  noch  der  Seelentrost  an,  ein  aus  moralischen 
erzählungeu  bestehendes  volkstümliches  erbauungsbuch ,  w 
dessen  ich  auf  Geffcken  Der  bilderkatechismus  des  15  jlis.  i  | 
s.  45  und  Goedeke  Grundriss  i2  473  verweise,  in  der  lateinischen 
Präfatio  wird  unter  den  quellen  das  Speculum  historiale  genannt, 
doch  kann  der  Verfasser  des  'Seelentrostes'  die  geschichte  nicht 

1  dazu  trägt  ESchröder  nach  Estienne  de  Besancon  dm.  14752  bl.  4 
unter  'compassio'  (Valerius),  clm.  7995  bl.  26^  (geschichte  von  der 
quelle  des  catalan.  Recull  de  eximplis  und  des  Johannes  Junior. 


152  KRETSCHMER 

aus  diesem  entnommen  haben,  da  er  sie  abweichend  erzählt 
(Kölner  hs.  des  15  jhs.  ed.  Pfeiffer  in  Frommanns  Deutschen 
mundarten  i  [1854]  s.  218  n.  58;  schwed.  Själens  Trost  ed. 
Rlemming  [Stockholm  1871—73]  s.  278f).  —  im  15  jh.  finden 
wir  die  version  von  der  mutter  bei  dem  Basler  dominicaner  Jo- 
hannes Herolt  (Discipulus)  De  tempore  et  de  sanctis,  sermo  xxiv; 
im  16  jh.  beide  bei  Andreas  Hondorff,  dem  pfarrherrn  zu 
Droyfsig  (gest.  1572),  in  seinem  Historienn  und  exempelbuch  .... 
nach  den  heiligen  10  geboten  ausgeteilt  (Promptuarium  exem- 
plorum,  Lpz.  1572)  fol.  165a  zum  4  gebot,  aus  Pero,  der  tochter 
Cimons,  ist  hier  durch  misverständnis  des  accusativs  Cirnona  bei 
Valerius  eine  Cirnona  gemacht,  citiert  wird  für  die  version  von 
der  mutter  auch  das  Exempelbuch  (Exemplorum  libri  x,  Augs- 
burg 1518)  des  Marcus  Antonius  Sabellicus  (1436 — 1506) 
m  c.  6.  —  noch  im  18  jh.  erwähnt  Abraham  a  SClara  ver- 
mutlich nach  alten  exempelbüchern,  wie  er  sie  benutzte,  mit  der 
formel  der  präteritio  die  tochter,  welche  ihre  leibliche  mutter 
mit  eigenen  brüsten  gesäuget  hat  (Judas  Der  ertzschelm,  Saltz- 
burg  1710,  i  120).  —  noch  andre  stellen  verzeichnet  Crane  aao. 
(ßernardinus  deBustis Rosarium  1 142  b ;  ScotusMensaphilos.p.116). 
Nicht  minder  häufig  ist  die  geschichte  in  der  profanen  er- 
zählungslitteratur.  die  citate  aus  Vincenz  vonBeauvais  Spe- 
culum  doctrinale  iv  41,  Speculum  historiale  v  125  hat  bereits 
RKöhler  (Jahrb.  f.  rom.  u.  engl.  litt,  xiv  25  f)  beigebracht  und 
gezeigt,  dass  die  sage  aus  dieser  quelle  in  den  altfranzüsischen 
roman  vom  herzog  Girart  deRossillon  v.  3053 — 3080  über- 
gegangen ist,  wo  sie  der  herzogin  Bertha  in  den  mund  gelegt 
wird,  wenig  jünger  als  die  grofse  encyclopädie  des  Vincenz  ist 
die  'Summa  galensis'  dh.  die  Summa  collectionum  sive  commuui- 
loquium  des  franciscaners  Johannes  Galleusis  (oder  Wallen- 
sis),  der  um  1260  in  Oxford  lehrte  und  ca.  1303  starb  (vgl. 
Hist.  litt,  de  France  xxv  177  ff)  :  in  dieser  durch  zahlreiche  hi- 
storien  erläuterten  moral-  und  erziehungslehre  (gedruckt  Augs- 
burg 1475)  wird  ii  2  c.  2  die  version  von  der  mutter  aus  Va- 
lerius als  beispiel  der  den  eitern  schuldigen  liebe  angeführt. 
Jacobus  de  Cessolis  bringt  sie  in  derselben  rubrik  in  seiner 
allegorischen  auslegung  des  Schachspiels  an,  von  wo  sie  in  die 
deutschen  bearbeitungen  seines  Werkes  von  Heinrich  von 
Beringen  (ed.  Zimmermann  v.  31 19 — 3191),  Run  rat  vAmmen- 


ZUR  GESCHICHTE  VON  DER  SÄUGENDEN  TOCHTER  153 

hausen  (ed.  Vetter v. 8423 — 8564),  dem  Pfarrer  zu  dem  Hecht  e 
(Zs.  16,248,33  —  250,  10)  und  meister  Stephan  (v.  2045— 21 L8) 
übergieng. in  den  Gesta  Romanorum  kommt  die  geschichtein  der 
ältesten  datierten  hs.  von  1342  (ed.  Dick,  1890)  nicht  vor  :  Oester- 
leys  ausgäbe  hat  sie  in  der  Appendix  (c.  215),  die  die  in  der  Ur- 
sprache nicht  erhaltenen  stücke  der  handschriftlichen  recensionen 
enthält,  der  fälschlich  unter  dem  namen  des  Nicolaus  Pergamenus 
gehnde  Dialogus  creaturarum  aus  dem  14  jh.  (ed.  Grässe  Bibl. 
d.  litt.  ver.  148)  erwähnt  in  c.  94  beide  Versionen  nach  Valerius. 
Boccaccio  liefs  sich  die  rührende  geschichte  (version  von  der 
mutter)  in  seiner  historiensammlung  De  claris  mulieribus  nicht 
entgehn  (in  der  italien.  Übersetzung  des  Apenninigena  ed.  Man- 
zoni,  Coli,  di  opere  ined.  xxx  s.  108  ff  n.  63).  durch  Stain- 
höwels  deutsche  Übersetzung  dieses  buches  von  1473  (ed. 
Drescher  Bibl.  d.  litt.  ver.  205,  c.  64  s.  215)  wurde  Hans  Sachs 
mit  der  erzählung  bekannt  und  verarbeitete  sie  1569  zu  seinem 
gedieht  von  'Romana,  die  seugend  dochter'  (Hans  Sachs  ed.  Goetze 
xxni  s.  470).  —  in  Frankreich  wurde  die  geschichte  zu  einer 
1548  in  Lyon  gedruckten  Moralite  dramatisiert  (Ancien  theatre 
franeois  ed.  Viollet  le  Duc  m  [1854]  s.  171  ff)  :  lHistoire  romaine 
d'une  femme  qui  avoit  voulu  trahir  la  cite  de  Romme  et  commeut 
sa  fille  la  nourrist  six  sepmaines  de  son  lait  eu  prison'.  1616 
spielt  ThAgrippa  d'Aubign6  in  seinem  gedieht  'Les  tragiques' 
Laianne  Bibl.  Elzev.  45,  Paris  1857  s.  17)  auf  die  sage  von  dem 
mädchen,  das  seinen  greisen  vater  im  gefäugnis  säugte,  an. 

Auch  in  neuere  historiensammlungen  ist  sie  aufgenommen, 
so  in  die  Eutrapeliarum  philologico-historico-ethico-politico- 
theologicarum  libri  in  di.  3000  schöner  nützlicher  ....  Historien 
(Lpz.  1656)  n  tausend  n.  442,  wo  es  am  schluss  heifst,  dasa 
Sibylla  Schwärtzin  [f  1638],  deren  'Deutsche  poetische  gedichte' 
(Danzig  1650)  mir  nicht  zugänglich  sind,  die  geschichte  aus  dem 
holländischen  ins  hochdeutsche  gebracht  habe,  wovon  einige  rerse 
citiert  werden,  ferner  in  die  Neue  und  vermehrte  Acerra  philo- 
logica  di.  700  auserlesene  nützliche  lustige  und  denckwürdige 
historien  und  discurseu  (Stettin  1754),  iv  hundert  o.  7:'.  Cimon 
und  Pera),  schon  citiert  vou  Oesterley  Gesta  Rom.  s. 

Es  kann    nicht   verwundern,    dass    eine   litlerarisch    .*<» 
widerholte   erzählung  auch   in    die  volkstraditioo 
dabei    wurden    namentlich    zwei    Veränderungen 


154  KRETSCHMER 

während  bei  Valer.  Max.  v  4,  7  die  tochter  in  die  kerkerzelle  ge- 
lassen wird,  nachdem  sich  der  gefängniswärter  vergewissert,  dass 
sie  keine  nahrungsmiltel  bei  sich  trage,  stellt  sich  das  volk  den 
Vorgang  oft  so  vor,  dass  die  tochter  dem  vater  durch  ein  loch 
der  gefänguiswand  oder  durch  das  eiserne  gitter  hindurch  die 
brüst  reichte,  da  dies  indessen  nicht  leicht  ausführbar  erscheint, 
so  lässt  man  das  motiv  der  säugung  auch  ganz  fallen  und  er- 
zählt, die  tochter  habe  dem  vater  von  aufsen  durch  einen  rohr- 
halm  oder  einen  schlauch  milch  als  nahrung  eingeflöfst  (Wossidlo 
Mecklenburg.  Volksüberlieferungen,  i  bd.  Rätsel,  1897,  s.  215. 
Jahn  Volkssagen  aus  Pommern  n.  669). 

Die  zweite  Veränderung  entsprang  der  neigung  des  Volkes, 
ungewöhnliche  und  auffällige  verwantschaftsverhältnisse  zum  gegen- 
ständ von  rätseln  zu  machen,  nun  sagt  schon  Valerius  von  der 
Pero,  sie  habe  ihren  vater  velut  infantem  mit  der  brüst  genährt: 
die  tochter  wurde  dadurch  gleichsam  zur  mutter  ihres  vaters. 
das  hierauf  bezügliche  rätsei  findet  sich  schon  im  Strafsburger 
rät  sei  buch  von  1505  (ed.  Butsch,  Strafsburg  1876,  s.  28  n.  309): 
Durch  seulen  gesogen  ist  herren  betrogen,  des  dochter  ich  was,  des 
muter  bin  ich  worden,  ich  hob  meiner  muter  ein  schön  man  ge- 
tzogen.  ebenso  im  Neu-vermehrten  Rath  Büchlein  (ganz 
neu  aufgelegt  :  s.  1.  e.  a.)  s.  47  n.  51.  unbedeutend  variiert  bei 
Simrock  Deutsches  rätselbuch  i  139,  citiert  von  Wilmanns  Zs. 
13,  495  f,  der  noch  weitere  parallelen  aus  der  rätsellitteratur 
(Reusner  s.  75.  270  und  'Angenehmer  Zeitvertreib  lustiger  gesell- 
schaften  bestehend  in  666  rätzeln',  1748,  n.  108)  beibringt  [ferner 
Lauterbachii  Aenigmata  add.  Reusn.  aenigm.  1601  p.79,  Therander 
Aenigmatogr.  nr  131  (R.)]. 

Die  in  Mecklenburg  vorkommenden  fassungen  des  volks- 
rätsels  hat  Wossidlo  aao.  gesammelt,  bemerkenswert  ist  hier  das 
misverständnis  in  den  Varianten  n.  10 — 12  :  der  alte  anfang  Durch 
Säulen  gesogen  wurde  umgedeutet  zu  Durch  Sohlen  gesogen  und 
erzählt,  die  tochter  habe  den  vater  mittels  einer  durch  den  fufs- 
boden  gesteckten  pfeife  ernährt,  die  andern  fassungen  haben: 
durch  Mauern,  Felsen  oder  Bretter.  —  auch  die  Ehsten  haben 
das  rätsei,  Wiedemanu  Aus  dem  innern  und  äufsern  leben  der 
Ehsten  (Petersburg  1876)  s.  279,  in  der  form  :  'mein  vater  war 
er,  seine  mutter  wurde  ich;  das  kind,  das  ich  säugte,  war  meiner 
mutter   mann',      die    byzantinische    fassung    citiert    Legrand 


ZUR  GESCHICHTE  VON  DER  SÄUGENDEN  TOCHTFJ5     155 

Contes  pop.  grecs  p.  xn  nach  Boissonade  aus  einer  Pariser  bs., 
eine  italienische  parallele,  Bernoni  Iudovinelli  popolari  vene- 
ziani  n.  63,  und  eine  spanische,  Demofilo  Coleccion  de  Enigmas 
n.  238  führt  Pitre  Archivio  per  le  tradiz.  pop.  i  1882,  s.  468 
an;  weitere  italienische  litteratur  verzeichnet  derselbe  in  den 
Indoviuelli  etc.  del  pop.  sicil.  (Bibl.  trad.  pop.  sie.  xx  1897) 
s.  440  zu  dem  sicil.  rätsei  n.  932. 

Wo  die  geschichte  ausführlich  als  mä'rchen  erzählt  wird,  ist 
das  rätsei  derart  darein  verflochten,  dass  der  könig  den  zum 
hungertode  verurteilten  freilässt,  nachdem  ihm  ein  rätsei  auf- 
gegeben worden  ist,  das  er  nicht  lösen  kann,  die  tochter  legt 
ihm  jenes  rätsei  vor,  das  ich  in  der  venezianischen  fassung 
bei  Corazzini  Componimenti  della  letteratura  pop.  ital.  s.  414  f 
(La  bona  fia)   widergebe: 

Indovina,  indovinator ! 

Figlia  io  son  de  l'imperator. 

Oggi  son  figlia,  doman  son  madre 

Di  un  figlio  maschio,  marito  di  mia  madre. 
der  könig  kann  das  rätsei  nicht  lösen  und  muss  daher  den  ge- 
fangenen freilassen,  wie  man  sieht,  ist  hier  das  in  rätselmärchen 
beliebte  motiv  verwendet,  dass  einem  verurteilten  das  leben  ge- 
schenkt werden  soll,  wenn  er  den  richtern  ein  rätsei  aufgibt, 
das  diese  nicht  lösen  können,  eine  sicilianische  version  steht 
bei  Pitre  Fiabe,  novelle  e  raeconti  pop.  sicil.  in  n.  196  s.  388  ff, 
eine  venezianische  bei  Pitre  Novelline  pop.  sicil.  1873  s.  76 ff. 
andre  italienische  und  zwei  skandinavische  parallelen  hat 
Bolle  bei  RKöhler  Kleinere  Schriften  i  373  zusammengestellt  ein 
englisches  Volkslied  von  'The  l'aitliful  daughter'  (jüngste  der 
drei  töchter  eines  zum  tode  verurteilten  hochverräters)  bei  11.  n- 
derson  und  Wilkinson  Notes  on  the  iolk-lore  of  the  Dortbern 
couuties  n.  15  bespricht  Liebrecht  Heidelb.  Jahrb.  d.  litt.  1868 

Die   neugriechische   fassung    des    märchens    bat    «uerel 

Politis   NeosMrjvixa  'AväUv.xa  i  40   aus    dem  Peloj iea  mit- 

geteilt    (übersetzt   von   Legrand  Contes   pop.  grecs    s.    IT  .    eine 
zweite  version  aus  Lesbos  Georgakis  et  Pineau  Folklore  de  I 
p.  108  f;    eine  damit  übereinstimmende  habe  ich  auf  Thei 
gezeichnet,     hier  ist  noch  ein  zweites  volksratsel,    'I.'-  *om  un- 
geborenen, das  sonst  selbständig  existiert,  ei 
unursprünglicher  zusatz. 


156  KRETSCHMER 

Auch  die  bildende  kunst  hat  sich  des  so  beliebten  Stoffes 
bemächtigt,  schon  Politis  aao.  hat  darauf  hingewiesen,  dass  — 
entsprechend  der  erwähnung  bildlicher  darstellungen  bei  Va- 
lerius  —  ein  pompejanisches  gemälde,  Mus.  Rorbon.  i  taf.  5,  den 
Vorgang  abbildet  (sogen.  Caritä  greca  oder  roraana).  Rohden  Die 
pompej.  terracotten,  taf.  47,  s.  57—  60,  fügt  noch  zwei  weitere 
fresken  derselben  herkunft  und  eine  terracottagruppe  neronischer 
zeit  aus  der  casa  di  Giulia  Feiice  hinzu,  es  wäre  von  ioteresse 
festzustellen,  ob  es  nicht  illustrierte  Valeriushss.  gibt1,  die  die 
scene  darstellen,  in  der  renaissancezeit  begegnen  mehrfach  dar- 
stellungen der  sage,  so  ist  sie  nach  Otte  Handb.  d.  christl. 
kunstarch.  i5499,  worauf  mich  EdwSchröder  hinweist,  au  dem 
um  1445  angefertigten  chorgestühl  des  doms  zu  Magdeburg  zu 
sehen,  in  dem  druck  von  Stainhöwels  Übersetzung  der  'Be- 
rühmten frauen'  des  Boccaccio  (1473)  [Bibl.  litt.  ver.  205  s.  215] 
findet  sich  bei  der  geschichte  von  Romana  ein  holzschnitt,  der 
den  kerker  von  aufsen  zeigt  :  durch  das  fenster  sieht  man  Ro- 
mana ihre  mutter  säugen,  dem  16  jh.  gehören  die  von  Bolte 
Bibl.  litt.  ver.  207  s.  587  erwähnten  kupferstiche  von  Lucas 
Cranach  und  den  beiden  Behams  an,  sowie  ein  bild  in  EMechlers 
Katechismus  von  1561  (Bolte  in  RKühlers  Kl.  sehr,  i  373).  wie 
mir  JohBauer  mitteilt,  ist  der  gegenständ  auch  in  der  italienischen 
maierei  behandelt2.  Rubens  hat  ihn  in  einem  der  Sammlung  des 
herzogs  von  Marlborough  angehörigen  Ölgemälde  verewigt;  vgl. 
Goeler  vRavensburg  Rubens  und  die  antike  s.  189.  223,  wo  eine 
copie  und  zwei  weitere  darstellungen  desselben  gegenständes  (von 
Rubens  oder  seiner  schule?)  nachgewiesen  werden,  über  dem 
an  dem  Botermarkt  liegenden  portal  des  Beifrieds  in  Gent,  das 
aus  dem  18  jh.  stammt,  sieht  man  eine  weibliche  figur,  die  einem 
gefesselten  greise  die  brüst  reicht,  im  volk  wird  das  relief  'der 
Mammelokker'  genannt  und  dazu  die  bekannte  geschichte  erzählt 
(Wolf  Ndl.  sagen,  Lpz.  1843,  s.  621  n.  529).  es  mag  noch  mehr 
darstellungen  des  gegenständes  geben,  als  ich  hier  nachweisen 
kann  :  wenigstens  spricht  Laianne  (zu  A.  d'Aubigne  's  Les  Tragi- 
ques  s.  17)  von  vielen  'peintures  et  gravures',  ohne  freilich  eine 
namhaft  zu  machen. 

1  eine  hs.  der  Magliabecchiana,  aber  erst  aus  dem  ende  des  14  jhs., 
'con  miniature'  ist  erwähnt  Gollezione  di  opere  inedite  xiv  (1867)  s.  12  n.  vi. 

2  ein  um  1650  angesetztes  italien.  gemälde  sali  ich   in  Mainz  :  nr  232- 


ZUR  GESCHICHTE  VON  DER  SÄUGENDEN  TOCHTER  157 

Über  den  Ursprung  der  antiken  erzähl  ung  selbst  lägst  sieb 
niebts  sagen,  in  ibrer  absonderlichkeit  erinnert  sie  an  die  bei- 
spiele  übertriebenen  Opfermutes,  an  denen  die  buddhistische 
litteratur  so  reich  ist.  man  denkt  unwillkürlich  an  Cbina,  wo 
bekanntlich  die  liebe  zwischen  eitern  und  kindern  höher  geschützt 
und  gepriesen  wird  als  die  zwischen  den  beiden  geschlechtern. 
in  der  tat  teuschen  wir  uns  hier  nicht  ganz,  eines  von  den 
Nijüshi  kö,  den  24  beispielen  kindlicher  liebe  bei  den  Chinesen, 
erzählt  von  einer  in  der  T'angzeit  (618 — 907)  lebenden  Chinesin, 
Ts'ui  She  (Japan.  Saishi),  sie  habe  ihre  urgrofsmutter  (nach  an- 
dern ihre  Schwiegermutter),  die,  weil  sie  ihre  sämtlichen  zahne 
verloren,  nicht  mehr  reis  essen  konnte,  mit  ihrer  eignen  milch 
genährt  und  dadurch  am  leben  erhalten  :  s.  FWKMüller  Zs.  f. 
ethnol.  1897,  verhandl.  s.  90.  diese  auch  in  Japan  allgemein 
bekannte  geschichte  ist  auch  öfter  bildlich  dargestellt,  so  von  dem 
berühmten  japanischen  maier  Hokusai  und  in  einer  japanischen 
elfenbeiugruppe  des  ethnographischen  museums  in  München,  wie 
man  aber  sieht,  stimmt  sie  mit  der  sage  der  Pero  nicht  derart 
überein,  dass  ein  historischer  Zusammenhang,  durch  die  indische 
litteratur  vermittelt,  notwendig  angenommen  werden  müste. 
übrigens  kehrt  das  geschmacklose  motiv  der  säugung  eines  er- 
wachsenen l  auch  in  Europa  noch  mehrfach  wider,  in  der  Legende 
des  heiligen  Rernhard  von  Clairvaux2  und  in  einer  weitem,  in 
mehreren  Versionen  vorliegenden  Marienlegende15,  und  kann  jeden- 
falls spontan  an  verschiedenen  orten  aufgekommen  sein  und  zu 
analogen  erzählungen  geführt  haben. 

Marburg  i.  H.  PAUL  KRETSCilMEll. 

1  angemerkt  sei   noch,    dass  nach  Polack   in  Pereieo   die  weibei  dei 
Nomaden   ihre  milch  auf  dem  markt   als  nahruog   für  schwache  greise  vi 
kaufen  (Ploss-Bartels  Das  weib  ua  433). 

2  er  soll  von  der  gottesmutter  selbst  mit  ihrer  milch  getränkt  worden 
sein,  eine  symbolisierung  der  göttlichen  Stärkung,   der   der  mellifluas 
beredsamkeit  verdanken  sollte,     die  absurde  legende   ist  öfter    bildlich  dar- 
gestellt worden,  so  in   zwei   gemälden    des  Wallraf-  Richartz-mnsi  ums   in 
Köln,  das  eine  vom  'meister  des  Marienlebens'   abgeb.  Ploss-Bartels 
(1899)  281. 

3  Mussafia  Studien   zu    den  malichen  Marienlegenden  i  28  : 
Pezschen  Sammlung,  n  75  :  nr  26  der  Arsenal-hs.,  in  16 :  l 

von  Ahaus,  iv  H  u.  30  :  nr  6  des  Adgar  und  die  quelle  daffll 

ein  schwer  kranker  mönch  wird   durch   die  milch   der  gottesmatter 


COPULATIVE  EIGENNAMEN. 

Alle  spräche  ist  namengebung.  bleibt  die  benennung  dauernd 
an  eioem  einzelnen  Individuum  haften,  so  nennen  wir  sie  'eigen- 
namen';  werden  verschiedene,  wesensgleiche  oder  ähnliche  exem- 
plare  mit  dem  benannten  identifiziert,  so  heifst  der  name  'appella- 
tivum'.  hier  wie  dort  gibt  es  Zwischenstufen  und  Übergänge; 
und  die  römische  namengebung,  die  durch  ihre  soldatisch-scharfe 
aufgliederung  innerhalb  der  indogermanischen  namengebung  eine 
so  vereinzelte  Stellung  einnimmt,  ist  nicht  nur  äufserlich  mit  der 
wissenschaftlichen  nomenclatur  völlig  gleichartig  :  Marcus  Tullius 
Cicero  enthält  species,  genus  und  abart.  auch  unsre  modernen 
familiennamen  stehn  den  appellativen  noch  nahe;  ob  einer 
'Müller'  genannt  wird,  weil  er  selbst  dies  gewerbe  betreibt,  oder 
weil  es  seine  vorfahren  taten ,  das  macht  semasiologisch  nichts 
aus.  es  ist  ja  auch  erst  neue  pedanterie,  die  motion  bei  eigen- 
namen  zu  unterdrücken,  wo  man  noch  im  anfang  unsers  Jahr- 
hunderts gemütlich  von  der  'Schulzin'  sprach,  gerade  wie  man 
auch  ihres  gatten  namen  noch  flectierte.  'je  höher  wir  ins  alter- 
tum  der  spräche  hinaufsteigen',  sagt  LTobler  (Über  die  Wort- 
zusammensetzung s.  40),  'um  so  durchsichtiger  wird  die  Scheide- 
wand zwischen  nomina  propria  und  appellativa'. 

Unsre  polizeilichen  meldeämter,  tabellen  und  listen  haben 
uns  eben  mit  der  zeit  daran  gewöhnt,  die  natürliche  eingliederung 
der  eigennamen  in  das  übrige  sprachmaterial  ganz  aufzugeben 
und  diese,  die  ja  allerdings  ihre  eigenheiten  haben  (wie  jede 
andre  wortclasse  sie  auch  hat),  ganz  als  worte  sui  generis  zu 
behandeln,  insbesondere  hat  die  etymologie  der  namen  darunter 
zu  leiden  gehabt,  während  man  sich  mit  der  deutung  der  fa- 
miliennamen vielfach  bemüht  hat,  begnügt  man  sich  für  die  äl- 
teren personennamen  fast  durchweg  mit  einer  analyse,  die  zwei 
etyma  von  oft  recht  weiter  bedeutung  unvermittelt  nebeneinander 
stellt,  mir  sind  nur  zwei  gröfsere  versuche  erinnerlich,  die 
eigentliche  bedeutung  zusammengesetzter  eigennamen  aufzudecken: 
der  allgemeinere  von  Wein  hold  (Deutsche  frauen2  i  13f)  und 
der  specielle,  auf  die  namen  mit  -rün  bezügliche  von  Müilen- 
hoff  (Zur  runenlehre  s.  44 f);  denn  die  widergabe  griechischer 
namen  durch  deutsche  in  Papes  Wörterbuch  dient  wol  dazu,  die 
oft  und  mit  recht  hervorgehobene  verwantschaft  griechischer  und 


R.  M.  MEYER  COPULATIVE  EIGENNAMEN  159 

deutscher  namengebung  hervorzuheben  (vgl.  Förstemann  in  Kulms 
zs.  1,  116;  Abel  Die  deutschen  personennamen  s.  9,  mit  inter- 
essanter gegenüberstellung  römischer  namen;  Kluge  in  Pauls 
grundriss  1  304),  schiebt  aber  die  eigentliche  Übersetzung  nur 
eine  stufe  weiter  zurück,  populäre  Übersetzungen  gehn  seilen 
über  das  raten  heraus;  und  selbst  ein  mann  wie  Steub,  der  die 
bedeutsamkeit  der  alten  namen  nachdrücklich  behauptet  (Die  ober- 
deutschen familiennamen  s.  27  f),  gibt  schon  für  die  älteste  zeit 
unserer  Urkunden  verfall  und  häufige  Sinnlosigkeit  der  namen  zu 
(s.  31).  Sütterlin  (Littbl.  f.  germ.  u.  rom.  phil.  1899,  s.  55)  will 
aus  der  Sinnlosigkeit  von  formen  wie  Fredegnnde,  Sigefrid,  Wolfram 
keinen  schluss  gegen  die  herkömmliche  art  der  deutung  solcher 
uamen  gezogen  wissen.  Förstemann  hat  gar  (aao.  s.  103)  über- 
haupt geläugnet,  dass  die  namenteile  zu  einander  passen  müssen, 
sich  aber  damit  Müllenhoffs  heftigsten  Widerspruch  zugezogen 
(Zur  runenlehre  s.  54). 

Zum  beweis  nun,  dass  würklich  die  alten  namen  früh  blofs 
auf  den  klang  hin  gebildet  seien,  führt  man  neben  ein  paar 
schwierigen  compositionen  (Steub  aao.  s.  29)  besonders  noch 
solche  namen  an,  in  denen  der  eine  teil  ganz  suffixartig  an  den 
andern  gehängt  sei.  ein  name  wie  Hildegund,  argumentiert  man, 
sei  doch  nur  möglich,  wenn  -gnnd  schon  blofse  ableitung  sei, 
wie  das  alte  -wald  in  romanisch  Bonald  udgl.  denn  es  sei  doch 
unmöglich,  zwei  Synonyma  in  irgendwelche  casuelle  Verbindung 
zu  bringen,  die  einen  guten  sinn  ergebe. 

Das  princip  ist  natürlich  zuzugeben,    alle  namengebung  ent- 
artet,   und  mit   der  zeit    entscheidet  überall    'der  zufall  oder  ein 
oft  sehr  alberner  kitzel  der  mode  oder  des  ohres'  (Weinhold  Alt- 
nordisches leben  s.  270).    aber  für  die  altgermanisrhe  zeit  möchte 
ich  doch  hier  vorsichtiger  sein,    wir  werden  hoffentlich  bald  die 
schönen  ergebnisse  langjähriger  namenstudien  kennen   lernen,  aus 
denen  Edward  Schröder  mich   schon   jetzt    einige  ein-   und  auf- 
blicke hat  gewinnen  lassen;  sie  werden  beweise»,  wie  fest«  regeln 
einer  allerdings  schon  früh  eintretenden  entartung  voi  11 
von  seinen  entdeckungen  darf  ich  natürlich  noch  keinen  gebt 
machen;  aber  für  meine  zwecke  genügt  auch  sehen  der  1 
auf  die  gleichartigkeit  des  in  eigennainen  niedergelegten  spn 
materials  mit  dem  sonstigen  spraclmnrat. 

Wir   haben    in   der   blütezeit   der  altger*.    naiw  1 


160  R.  M.  MEYER 

der  allgemeinen  Wortzusammensetzung  noch  kaum  composition 
mit  uneigentlichen  suffixen  :  die  lebendigen  wortstämme  werden 
fast  nur  mit  ihresgleichen  zusammengesetzt,  es  scheint  mir  ein 
anachronismus,  anzunehmen,  dass  so  stark  empfundene  worte 
wie  -gund  in  Hildegund  schon  als  bedeutungslose  suffixe  gegolten 
haben  sollen,  während  etwa  -dorn  in  Zusammensetzungen  noch 
als  fertiges  wort  gefühlt  wurde,  die  altgerm.  poesie  spielt,  wie 
jede  alte  volkstümliche  dichtung,  gern  mit  der  deutung  der  eigen- 
namen  (meine  Altgerm,  poesie  s.  301);  sie  empfand  sie  also  noch 
als  von  einem  würklichen  leben  erfüllt. 

Dass  man  eine  würkliche  bedeutung  in  den  ganzen  namen 
legte,  dafür  spricht  auch  die  feierlichkeit,  mit  der  man  die 
namensverleihung  umgibt,  sie  ist  bei  uns  wie  bei  vielen  Völkern 
die  symbolische  anerkennung  der  person,  die  feierliche  zuer- 
kennung  der  dem  stammesgenossen  zukommenden  rechte,  die 
namengebung  war  ein  recht,  das  durch  Schenkung  erkauft  wer- 
den muste,  denn  das  ist  wol  die  ursprüngliche  bedeutung  der 
'namenfestung'  (vgl.  Keyser  Efterladte  skrifter  11  2,  7;  Weinhold 
Altnord,  leben  s.  263).  ist  ein  kind  nicht  ganz  im  stände,  seine 
persönliche  geltung  zu  behaupten,  so  wird  die  namengebung  aus- 
gesetzt, so  fasse  ich  die  oft  besprochene  episode  in  Helgakv. 
Hj.  ii  auf.  Gering  fragt  (Edda  s.  151)  :  'soll  das  bedeuten,  dass 
der  knabe  nicht  blofs  stumm,  sondern  auch  taub  war  (somit  auf 
keinen  namen  hören  konnte),  und  dass  er  erst  durch  die  walküre 
den  gebrauch  seiner  sinne  erhielt?'  aber  ein  kind  von  ein  paar 
tagen  hört  doch  auch  sonst  auf  keinen  namen  1  das  kind  war 
stumm,  und  schon  die  ersten  schreie  eines  stummen  unterscheiden 
sich  von  der  spräche  normaler  Säuglinge,  man  sucht  ihm  nun 
—  so  deut  ich  die  erzählung  —  dennoch  einen  namen  zu  geben, 
damit  es  'ein  ganzer  mensch'  sei;  aber  kein  name  bleibt  haften, 
es  nimmt  keinen  an,  antwortet  auf  keinen  mit  einem  schrei, 
(man  darf  vielleicht  annehmen,  dass  die  versuchten  namen  selbst 
zauberkräftig  sein  sollten,  etwa  durch  einen  die  redegabe  an- 
deutenden teil,  wie  in  den  Madal-namen.)  so  wächst  er  auf, 
namenlos,  schicksalslos.  da  erscheint  die  walküre  und  gibt  ihm 
einen  bezeichnenden  namen  (H.  Hj.  6).  noch  ist  er  nicht  'heilP, 
nicht  'integer';  in  zukunft  soll  er  einen  namen  tragen,  der  selbst 
ein  segenswunsch  ist  (Schröder  Zs.  42,  62).  er  war  vorher  we- 
niger als   ein  mensch,  namenlos,  schicksalslos  (Vol.  20);    er  soll 


COPULATIVE  EIGENNAMEN  IM 

von  nun  an  mehr  sein  als  andere  :  Helgi,  einer,  dessen  unver- 
letzlichkeit die  götter  verbürgen,  denn  das  ist  die  alte  bedeutun- 
von  heilag  und  seineu  nebenforraen  :  'heilig'  ist,  wen  ein  gött- 
liches wesen  alls  heilan  bibr  vera  (Grimn.  3)  :  wer  oder  was  unter 
göttlichem  schütz  steht  (Henning  Die  deutschen  runendenkmäler 
s.  31).  was  Heyne  (DWb.  iv  2,  828)  als  die  ursprüngliche  be- 
deutung  angibt  :  'heil  habend,  mit  sich  führend',  das  ist  sicher- 
lich erst  spät  abgeleitet,  kein  ursprüngliches  volk  kennt  'heilige' 
personen,  jedes  'unverletzliche'  (vgl.  Anz.  xxiu  384).  nun  ist  Helgi 
ein  mann ,  nun  hat  er  einen  namen  —  einen  bedeutungsvollen 
namen;  nun  kann  er  ohne  das  eingreifen  dämonischer  mächte 
nicht  gefällt  werden,  seinen  Ursprung  aber  hat  der  namen  ge- 
rade in  der  individuellen  läge  des  falls,  wird  doch  auch  bei  den 
Römern  der  knabe  mit  dem  vollgiltigeu  namen  erst  bei  erteilung 
der  toga  ausgestattet  (Mommsen  Römische  forschungen  i  32): 
mündigkeit  und  namen  werden  zugleich  anerkannt,  wie  sollte  man 
da  in  alter  zeit  eine  sinnlose  Silbengruppierung  gewählt  haben  1 
Ich  glaube  also  :  man  muss  principiell  für  die  namen  der 
altern  zeit  einen  guten,  verständlichen  sinn  annehmen  — 
für  die  personennamen  gerade  so  wie  man  es  für  die  Ortsnamen 
überall  tut.  und  um  jene  ganze  gruppe  von  namen  auf  einmal 
der  'Sinnlosigkeit'  zu  entheben,  die  bisher  als  hauptargument  für 
das  frühe  herabsinken  häufiger  namenworte  zu  namenbildenden 
suffixen  gedient  haben,  gibt  es  eine  einfache  erklärung,  di 
mir  (zunächst  für  den  namen  Haduwig1),  schon  früher,  unab- 
hängig von  diesen  allgemeinen  erwägungen,  aufdrängte  :  man  mute 
sie,  glaub  ich,  nicht  als  unterordnende,  sondern  als  beiordnende 
composita  auffassen,  wie  ein  frommer  kalbolik  etwa  Beinen  Boho 
nach  den  beiden  apostelfürsten  'Peter-Paul'  nennt,  so  konnte  ein 
Verehrer  Wodans  dem  seine:  nach  den  beiden  heiligen  lieren 
den  namen  'Wolf-Rabe'  geben,  wie  im  runenalpbabel  das 
hagl  und  nonö  vorkommt,  fern-  und  nahkampl  (meine  Altgerm. 
poesie  s.  25),  so  bindet  ein  germanischer  bäuptiing  si 
töchterchen  den  hinweis  auf  hildja  und  gunthju,  hathu  und  wtg 
ein.  sicherlich  lagen  für  den  kenm-r  auch  hier  urs] 
bedeutungsnuancen  vor,  wie  sie  eine  durebführung  von  WGrii 
'Deutschen  Wörtern  für  krieg'  (Kl.  sehr,   in  516ff) 

1  der  freilich,  wie  mich  Schröder  belehrt,  als  Iranern] 
für  /laduwi(h)  eintritt. 

Z.  F.  D.  A.  XLIH.     N.  F.  XXXI. 


162  R.  M.  MEYER 

hätte  :  hathu  könnte  etwa  das  blinde  kriegsglück  bedeuten,  wie 
Schade  (Altd.  wb.  i  361)  unter  hinweis  auf  den  namen  des  blinden 
Hödur  meint,  wig  (WGrimm  aao.  s.  518 f)  Volkskrieg  usw.  so 
weiht  man  ja  auch  tempel  und  kirchen  benachbarten  gottheiten, 
und  taufte  früher  so  auch  gasthäuser  mit  doppelnamen,  wie  noch 
jetzt  das  altberühmte  Wirtshaus  'Star  and  garter'  bei  Richmond 
die  insignien  des  hosenbandordens  führt;  unserer  pedanterie  ist 
aber  auch  das  verloren  gegangen. 

Über  die  dvandva  wird  sich  sicherlich  weiteres  licht  ver- 
breiten, wenn  die  von  Jacobi  (Compositum  und  nebensatz, 
Bonn  1897)  so  glücklich  begonnene  deutung  alter  composition 
aus  syntaktischen  gesichtspuncten  fortgeführt  wird,  schon  jetzt 
sind  analogieschlüsse  möglich,  die  die  uns  fremdartige  copulative 
composition  uns  näherbringen.  Jacobi  hat  (aao.  s.  83  f)  die  bahu- 
vrihi-composita  als  unentwickelte  relativsätze  gedeutet  :  gododax- 
Tvlog  heifst  jemand,  der  finger  wie  die  rosen  besitzt,  noch  alter- 
tümlicher ausgedrückt  :  dem  finger  sind  wie  rosen  (aao.  s.  88). 
nun  bemerken  wir,  dass  bei  den  dvandva  die  Zusammenfassung 
unter  eine  höhere  einheit  zwar  nicht  immer,  aber  doch  meist 
erkennbar  ist  (vgl.  Justi  Zusammensetzung  der  nomina  s.  81, 
LTobler  aao.  s.  40  f).  als  älteste  classe  pflegt  man  die  addieren- 
den Zahlwörter  aufzufassen  (vgl.  Brugmann  Grundriss  i  85),  und 
der  umstand ,  dass  sie  allein  sich  über  alle  idg.  sprachen  ver- 
breitet haben,  erhebt  diese  Vermutung  fast  zur  gewisheit.  was 
heifst  nun  aber  das  von  Brugmann  citierte  beispiel  idg.  *duö-dekm 
ursprünglich?  es  heifst  nicht,  wie  wir  oberflächlich  sagen: 
'zwei  und  zehn';  denn  dass  man  fertige  zahlen  addieren  könne, 
fällt  menschen  so  früher  culturstufe  sicherlich  nicht  ein;  es  heifst: 
'einheiten  habend  zunächst  zwei  und  dann  noch  zehn',  mit  an- 
dern worten  :  die  copulativen  zahlworte  sind  eigentlich  selbst 
bahuvrihi-composita;  sie  deuten  nur  an,  was  auch  bei  den 
possessiven  compositis  hinzugedacht  werden  muss.  nach  diesem 
muster  werden  nun  erst  allmählich  echte  dvandva  gebildet  wor- 
den sein,  zunächst  (Tobler  aao.  s.  39  f)  vorzugsweise  mit  eigen- 
namen  göttlicher  wesen.  man  kann  nicht  etwa  zwei  ganz  be- 
liebige worte  addieren;  sondern  auf  der  basis  einer  gemeinschaft- 
lichen eigenschaft  steht  eine  traditionelle  gruppe  aufgebaut :  'ihr 
götter,  und  zwar  zunächst  Indra  und  neben  ihm  Brihaspati'.  'ihr 
die  ihr   verwante   seit,    söhn  und  vater'.     'sie   besitzen  die  we- 


COPULATIVE  EIGENNAMEN  H,, 

sentlichsten  eigenschaften  :  äufsere  Schönheit  und  innere  tilgend, 
■/.ctloxaya9ia.  daher  kommt  in  der  beiordnenden  compositum 
die  auffällige  Verbindung  von  synonymen  vor  (Tobler  s.  81)  und 
besonders  auch  von  zweierlei  namen  desselben  gottes  (ebd.  s.  41)  — 
gewis  der  stärkste  ausdruck  für  die  Hervorhebung  der  innern 
beziehung  zweier  dvaudvateile.  können  wir  uns  also  wundern, 
bei  unsern  copulativen  eigennamen  ebenfalls  synonvma  wie  in 
Hildebrand  und  Haduwig  vereint  zu  finden?  diese  namen  sind 
eigentlich  einfache  namen  wie  Askr  und  Embla,  nur  dass  ihr 
begriff  in  zwei  teile  zerspalten  wird. 

Nun  erinnern  wir  uns  aber,  wie  sehr  gerade  die  altgerm. 
poesie  diese  zerspaltung  liebt,  ein  name  ist  ein  segensspnich, 
und  die  alten  Germauen  segnen  mit  symbolischer  aufleilung  aller 
möglichkeiten : 

offin  si  dir  daz  sigidor,  sami  si  dir  diz  selgidor, 

bislozin  si  dir  diz  wdgidor,  sami  si  dir  diz  wdfindor. 
Lucae  (Zs.  23,  94)  löste  den  segen  in  der  art  unsers  fahneneides 
auf:  'glück  und  heil  zu  wasser  und  zu  lande'.  Müllenhoff  (MSD. 
iv  8;  anm.  s.  54)  billigle  das.  aber  ich  sehe  nicht,  dass  'land  und 
wasser'  in  alter  zeit  so  scharf  gegenübergestellt  würden,  das 
antithetische  gegenstück  zu  Mand'  ist  altgerm.  nicht  'wasser',  son- 
dern 'luft'  bezw.  'himmel'.  wo  es  in  der  christlichen  Genesis 
(v.  163)  heifst: 

5a  gesundrod  ivces  lago  wi~6  lande, 
da  sagt  die  heidnische  Völuspa: 

jorp  fannsk  qva  ne  upphimenn; 
sandr  ne  sqr  dagegen  werden  gemeinschaftlich  (als  ruhende  massen) 
den  bewegten  wellen  gegenübergestellt,  gerade  wie  Byndl.  24,  1. 
HH.  i  22,  3.  HHj.  29,  4  (Hildebrand)   land  und  meer  zusammen- 
gehören,   bei   den  fragepaare.i  in   den  Ahissmal  stehn  erde  und 
himmel,  luft  und  meer  sich  gegenüber.    Ferner  ist  segildor  nichl 
belegt   und   ein   ziemlich  unwahrscheinlicher  ausdruck,    wahrend 
seldidor  von    Wackeruagel  mit   guten    parallelen    gestützt    werden 
konnte,    ich  meine,  es  büte  sich  sehr  natürlich  die  antithesi 
erfolg    durch   anstrengung    und  saldo  :   ruhe    nach   dun   e 
'offen  sei  dir  das  tor  des  sieges,    ebenso    das  un- 
verschlossen   sei   dir   das   tor   der    stürmischen    w 
fährlichen  waffen'.     'sieg'    kann    man    ja   auch    ohne  • 
ringenl    fassen  wir  nun  den  Weingartner  segen,  wi 


164  R.  M.  MEYER 

nagel  nahm,  so  haben  wir  in  sigi  und  scelde  *  eine  antithetische 
zerspaltung  des  hauptbegriffs  :  erwünschter  erfolg  —  ganz  dieselbe 
zerspaltung,  die  wir  in  einem  der  berühmtesten  deutschen  eigen- 
namen  haben  :  in  dem  namen  Siegfriedl 

Wir  pflegen  den  namen  zu  übersetzen  :  'der  durch  den  sieg 
frieden  —  oder  eigentlich  nur  :  einen  festen  vertragszustand  — 
stiftet   oder   besitzt'    (so  zb.  Weinhold  Deutsche   frauen    i  s.  15). 
die  Vorstellung  passt  vortrefflich  zu  altgerm.  ideen    (die  übrigens 
glücklicherweise  nicht  auf  die  alte  zeit  beschränkt  blieben  :  'zweck 
des  krieges  ist  die  erkämpfung  des  friedens'  Bismarck  Gedanken 
und  eriunerungen  n  s.  96);  die  construction  ist  bedenklich,    in- 
strumentale  tatpurusha  führt  Weinhold  (aao.  i  s.  14)  freilich  an; 
aber  immer  steht  dann  der  in  dem  zweiten  teil  enthaltene  verbal- 
begriff zu  dem  ersten  Substantiv  in  enger  Verbindung,    darf  man 
den  nach  Schröder   unter   roman.  einfluss   stehnden   namen  Ma- 
dalberta   überhaupt   so   deuten ,    so    erläutert  ein    adj.   wie   mhd. 
redespcehe   die   semasiologische  Zusammengehörigkeit   beider  teile, 
der    name    Gerdrüd    erhält    seine    berechtigung,     wenn    wir    im 
Nibelungenlied    die  leibhaftige   starke  speerwerferin  Brünhilt   er- 
blicken   (und    ich    erinnere    auch    an    den    namen    Shakespeare). 
schwerlich  ist  aber  zwischen  'sieg'  und  'frieden,  vertrag,  schütz' 
—  den  bestandteilen  der  namensgruppe  Sigemunt,  Sigewart,  Sige- 
frid,  Sigelind  —  eine  solche  instrumentale,   causale  Verbindung 
wie  in  Gerdrud  und  vielleicht  in  Madalberta  traditionell,    nehmen 
wir  dagegen  die  analogie  des  Weingartner  segens  an  :  'der  sieg 
und   gefestigten   frieden    besitzt'    (oder   'besitzen  soll';    auch   in 
eigentlichem    wünsch    braucht    der    Deutsche    gern   aussage    für 
segen  und  fluch  Gramm,  iv  176)  —  dann  stimmt  alles  vortrefflich. 
Nun  bieten  aber  die  altgerm.  zwillingsformeln  (meine  Altgerm, 
poesie  s.  240  f)  überhaupt  eine  starke  analogie  für  copulative  com- 
position.     beziehungen   zwischen    eigennamen    und    formelhaften 
Verbindungen  existieren    auch    sonst  :   Solberta  —  freilich  wider 
ein  roman.  name    nach  Schröder   —    wie  Jul.  166.  459;    namen 
und  vergleiche  mit  wolf  und  adler  (Deutsche  frauen  s.  13;  Altgerm. 
poesie  s.  111;   Hav.  58,  9;    Hamd.  29,  9)  usw.    wir  haben  unter 
den  runennamen  jenes  paar  hagl  und  naufi,   das  wir  mit  namen 

1  [zur  stütze  der  Meyerschen  auffassung  und  um  Müllenhoffs  bedenken, 
s(elde(dor)  sei  'zu  abstract  und  allgemein',  zu  entkräften,  verweis  ich  auf 
die  formel  sige  unt  scelde  Neidh.  50, 12.  jTit.  4449.      R.] 


COPULATIVE  EIGENNAMEN  ].,;, 

wie  Hildegnnd  bereits  verglichen,  die  zwillingsformeln  sind  die 
germ.  ablösung  der  alten  dvandva,  die  ja  in  allen  sprachen  aufsei 
indisch  selten  sind  (Brugmann  aao.  s.  85)  und  germ.  besonders 
spärlich  (Tobler  s.  82);  obwol  wir  spuren  von  ihnen  noch  nach- 
weisen können,  aber  die  spuren,  die  wir  haben,  stehn  fast  alle 
ursprünglichen  Wortpaaren  mit  copula  noch  merkwürdig  nahe. 

Als  dvandva  pflegt  man  die  verstärkenden  teile  volkstümlicher 
elative  aufzufassen  :  kohlrabenschwarz  —  schwarz  wie  kohle  und 
rabe.  da  ist  also  unter  dem  hochdiuck  des  accents  die  copula 
erstickt,  ebenso  wäre  sie  in  namen  wie  Sigefrid  durch  die  not- 
weudigkeit  der  anpassung  an  andre  namen  unterdrückt.  —  als 
eine  andre  spur  germanischer  dvandva  fass  ich  schimpfworte 
wie  Schweinehund  auf.  'hund  von  einem  schwein"?  Kleist  sagt 
freilich  im  Zerbrochenen  krug  :  'steht  nicht  der  esel  wie  ein  ochse 
da',  aber  das  ist  eben  ein  scherz,  'schwein  und  hund  zugleich', 
das  passt  und  hat  analogien  wie  camelopardalus  und  das  bei  Goethe 
(an  Schiller  10  juni  1795  und  sonst)  beliebte  (ragelaphus  zur 
seite.  Schröder  verweist  mich  noch  auf  Hiruzpero  Förstern, um 
i  688,  daneben  Hiruzpirin  'hirschbär  und  hirschbäriu'.  wie  nah 
aber  scheltworte  und  eigennamen  sich  stehn,  weifs  jeder;  in  Spitz- 
namen gehn  sie  ja  geradezu  ineinander  über. —  auch  die  unschöne 
neubilduug  'hemdhose'  fasst  (wie  'butterbrod'  gegenüber  engl. 
'bread  and  butter')  ein  traditionelles,  obendrein  allitterierendes 
wortpaar  in  eine  einheit  zusammen.  —  also  überall  hier  wären 
formelhafte  wortpaare  in  dvandva-composita  gewandelt,  das  spricht 
wol  für  unsre  erklärung  von  'Siegfried'. 

Man  begreift  aber  auch  leicht,  wie  gerade  bei  personennamen 
die   beiordnende  Zusammensetzung   aulkommen    konnte,     bei  diu 
Germanen  wie  bei   den  Griechen  liebt  man  es,    innerhalb   einer 
familie  ein  namenschema  durrhzuführen  (Weinhold  Altnord.  leben 
s.  267  f,  Deutsche  frauen  s.  97  f;  Curtius  Gesammelte  abhandlungen 
i  520).     wie  nahe  lag  es,    namensteile  zweier  'paten'    (Altnord. 
leben  s.  262)    zu   combinieren,    etwa   wie   in    der  Schweiz  noch 
heute  die  Burckhardt-Merian    und   [mhof-Blumer  dvandva -d 
bilden.      (es    können    auch    tatpur usba    daraus  werden, 
GKellers  köstlichem  'Schmied  seines  glückes'    aus  'John   : 
Häuptle'   'Hans  kohlköpfle'  wird!)      nach    Noi 
Zs.  d.  ver.  f.  volksk.  7,318)   hat   die  coinbination    dei 
namen  sogar   in  der  urzeit   unbedingt  geherscht, 


166  R.  M.  MEYER 

beweisbar  ist.  der  durchgeführte  namensteil  bildet  gleichsam  das 
vvappen  der  familie,  und  es  enlstehn  so  'alliance-  wappen'  :  ein 
teil  steuert  den  'sieg'  bei,  einer  den  'frieden'  (über  den  einfluss 
der  würklicheu  vvappen  auf  die  eigennamen  vgl.  Mommsen  aao. 
s.  12;  man  denke  an  schwedische  namen  wie  Sparre,  dänische 
wie  Rosencrantz,  jüdische  wie  Rothschild),  der  uame  ist  ja  selbst 
ein  wappen;  seine  schilder  bilden  die  namensteile,  sie  sind  nicht 
eigentlich  'worte',  sondern  die  ganze  volle  bedeutung  des  Stammes, 
die  ungeteilte  kraft  der  wurzel  ligt  in  dem  namenswort.  sigi  im 
namen  heifst  nicht  blofs  'sieg',  wie  das  appellativum,  sondern  es 
schimmert  in  allen  bedeutungen,  die  die  wurzel  in  compositionen 
und  ableitungen  annehmen  konnte,  wie  ein  talisman  ward  solcher 
namenssegen  gehütet,  als  mahnung  empfunden  (Curtius  aao.  s.  520) 
und  gewis  auch  (man  denke  wider  an  Helge!)  wie  ein  geschenk  ver- 
liehen :  da  mochten  sich  denn  leicht  zwei  abstracta  zusammenfinden, 
nicht  eins  dem  andern  untergeordnet,  sondern  einander  beigeordnet, 
wie  wir  etwa  noch  heut  grafen  von  Ion-  und  Knypbausen,  herren 
von  Prittwitz    und  Gaffron   oder  von  Canitz    und  Dallwilz  habeu. 

Resonders  lehrreich  scheint  mir  noch  die  analogie  des  vülker- 
namens  'Angli-Saxones'  :  'der  composition  war  die  einfache  addi- 
tion  vorausgegangen,  in  gente  Anglorum  et  Saxonum  schreibt  papst 
Zacharias  748  an  Rooifaz'  (Dove  Vermischte  schriftchen  s.  304  anm.). 

Ich  habe  eine  reihe  von  gründen  für  meine  auffassung  vor- 
gebracht, die  aus  der  art  der  namengebung,  aus  sprachlichen  und 
poetischen  analogien,  aus  einzelnen  schwierigen  fällen  entnommen 
sind,  ich  möchte  zum  schluss  vermutungsweise  noch  ein  spe- 
cifisch  onomatologiscb.es  argument  vorbringen,  ich  glaube,  dass 
diejenigen  eigennamen,  die  copulative  compositionen  darstellen, 
sich  von  andern  durch  die  art  der  Verkürzung  wenigstens  ur- 
sprünglich unterschieden  haben. 

Wir  sind  ja  bierin  die  reinen  barbaren.  uns  kostet  es  nichts, 
aus  Henriette  Jette,  aus  Auguste  Guste  zu  machen,  aber  die 
alten  respectierten  auch  hier  die  rechte  des  namens,  .es  gibt 
zweierlei  formen  der  Verkürzung  bei  ihnen  :  entweder  es  tritt  ein 
teil  allein  für  die  composition  ein,  Wulf  für  Hunulfus  (vgl.  Stark 
Kosenamen  s.  12  f)  mit  Verflüchtigung  des  ersten  teils,  Bruna  für 
Brunichildis  (vgl.  ebda  s.  15  f)  mit  Unterdrückung  der  zweiten 
hälfte.  oder,  was  wenigstens  auf  deutschem  gebiet  die  herscheude 
regel  ist  :  es  wird  eine  form  gebildet,  in  der  zwar  nur  der  eine 


COPULATIVE  EIGENNAMEN  167 

uamensteil  kenntlich  bleibt,  der  andre  aber  immer  doch  mit  ver- 
treten ist.  in  der  regel  lässt  er  sich  zwar  nur  durch  einen  ty- 
pischen laut  symbolisch  vertreten  —  genau  wie  in  der  flexiou 
eine  typische  reduplicationssilbe  für  die  ursprüngliche  Verdoppelung 
des  Stammes  eintritt,  fast  immer  herscht  dann  der  erste  teil 
(DGr.  n.  abdr.  m  663;  Stark  aao.  s.  98f)  und  der  zweite  wird  am 
schluss  durch  ein  hypokoristisches  zeichen  angedeutet. 

Sollten  beide  methoden  ursprünglich  nebeneinander  bestan- 
den haben?  dagegen  spricht  schon  der  umstand,  dass  die  er- 
setzung  des  componierten  namens  durch  einen  namensteil  allein 
zu  Verwechslungen  mit  den  wahrscheinlich  doch  uralten  uncom- 
ponierten  namen  führen  konnte.  Wulf  kann  einstämmiger 
eigenname  sein,  oder  ersatz  für  Hunulfus,  oder  auch  für  Wulfric. 
ich  denke  mir  also  :  am  liebsten  wurden  solche  namen  halbiert, 
die  noch  als  copulative  bildungen  empfunden  wurden,  hier  konnte 
ungezwungen  ein  Vertreter  der  firma  für  beide  eintreten,  und 
von  hier  kann  dann  der  anstofs  ausgegangen  sein,  dass  man  im 
norden  gern  die  alte,  für  tatpurusha  im  gründe  allein  zulässige 
regel  aufgab,  dass  der  unselbständigere  component  nur  einen 
symbolischen  pfennig  in  die  masse  einwarf. 

Hierfür  spricht  auch  die  analogie  des  griechischen,  wenn 
dort  der  eine  teil  des  componierten  vollnameus  unverändert  bleibt, 
so  wird  mindestens  beim  oxytonierten  Stammwort  der  acceut 
zurückgezogen  (Fick  Griechische  personennamen  s.  22)  und  da- 
durch an  die  ursprüngliche  Zusammensetzung  erinnert  :  Ev&vg 
zu  Ei^vArjg  gegenüber  evd-vg  —  und  gerade  die  dvandva  lieben 
es,  den  accent  zurückzuziehen  (Justi  s.  73).  so  Verraten  sie  ihre 
eigenart  noch  in  der  Verstümmelung.  — 

Dürfen  wir  so  die  kategorie  der  copulaliven  eigennamen  als 
gesichert  ansehen,  so  versuchen  wir  zum  schluss  eine  übersieh I 
ihrer  beliebtesten  gruppen,  ohne  deshalb  für  jeden  vermutungsweise 
hierher  gezogenen  namen  die  dvandva-eigenschaft  mit  bestimmtheil 
zu  behaupten,  ob  mit  den  gleichen  aamenwörtern  copulative  und 
andre  compositionen  sich  bilden  liefseu  —  wie  wir  es  voraus- 
setzen — ,  oder  ob  gewisse  stamme  für  die  beiordnenden  rollnamen 
reserviert  blieben,  lässt  sich  jetzt  wol  noch  nicht  entscheiden. 

Nach  ihrer  bedeutung  und  unter  benutzung  dei  Dbrigen 
kriterien  stellen  wir  folgende  hauptclassen  der  dvandva-namen  auf: 

A)   rechte  wappenn  amen    wie    Porstein,    Ulfketil,    l'ri/m- 


168  R.  M.  MEYER 

ketil.  kommt  ja  doch  das  thorszeichen  und  der  kesselhaken  wirk- 
lich als  typischer  teil  an  hausmarken  vor  (Homeyer  Haus-  und 
hofmarken  s.  146.  152),  und  auf  der  von  Grofse  und  vdSteinen 
bestrittenen  bahn  wird  (trotz  Homeyers  Widerspruch  aao.  s.  139. 
149  f)  vielleicht  auch  hier  noch  manches  tierbild  als  grundform 
der  'geometrischen  figur'  aufgedeckt  werden  :  da  lägen  dann 
wolf,  bär,  adler  am  nächsten,  haben  wir  doch  Wappentiere  schon 
in  altgerm.  zeit,  wie  es  ja  auch  bei  dem  ursprünglich  wol  überall 
herschenden  totemismus  fast  selbstverständlich  ist;  auch  sonst 
kommen  häutige  namensteile  als  typische  hauszeichen  vor  :  das 
pferd,  der  hahn  (statt  des  raben),  die  sonne  (EHMeyer  Deutsche 
Volkskunde  s.  69.  71).  die  Verwendung  des  wappenzeichens  im 
namen  hat  ja  auch  praktische  bedeutung.  die  älteste  Verwendung 
der  schrift  dient  wol  überall  der  eigentumsbezeichnung;  wie  be- 
quem konnte  ein  Ulfketel  sein  vieh  mit  einer  besitzmarke  stem- 
peln !  ist  doch  so  vielleicht  alle  schrift  aus  totemistischen  zeichen 
entstanden  :  Brugsch  (Bildung  und  enlwicklung  der  schrift  s.  19  f) 
führt  die  urzeichen  auch  wider  auf  dieselben  Charaktere  zurück, 
die  in  unsern  alten  namen  herschen  :  adler,  gefäfs  (kessel),  löwe 
(das  orientalische  gegenstück  des  nordischen  wolfs  usw.)  noch 
das  kreuz  der  analphabeten  mag  eine  christlich  umgedeutete  be- 
wahrung  alter  hausmarken  sein.  —  so  also  erklären  sich  diese 
seltsamen  namen  vortrefflich,  was  aber  sollte  sonst  'wolfkessel', 
'Thorstein'  bedeuten?  nur  als  dvandva-bahuvrihi  von  derart  der 
addierenden  zahlworte  haben  sie  guten  sinn  :  'der,  der  den  wolf 
und  den  kessel  im  wappen  führt',  'der,  dem  thor  und  der  opfer- 
stein heilig  sind'  —  wie  etwa  eine  linie  der  westfälischen  Rech- 
berg 'Rothenlöweu'  genannt  wird  oder  eine  nonne  'Magdalena 
a  Sancta  Agatha'  heifst. 

Eine  zweite  hauptclasse  sind  B)  die  segensnamen:  Gund- 
frid,  Hruadlaug,  Theodrad(a)  udgl.  :  namen,  bei  denen  dem  neu- 
geborenen zwei  allgemeine  begriffe  als  segensspruch  beigelegt 
werden,  von  denen  in  der  regel  einer  in  der  familie  hergebracht 
war.  man  denke  an  eine  moderne  Strophe  wie  die  bekannte 
von  Rittershaus: 

Der  fahne  treu,  die  im  gefechte 
in  not  und  kämpf  uns  weht  voran  — 
dem  volk,   der  freiheit  und  dem  rechte 
getreu  bis  auf  den  letzten  mann  — 


COPULATIVE  EIGENNAMEN  169 

und  man  wird  einen  namen  wie  Theodrada  besser  verstehn,  als 
wenn  man  seine  beiden  teile  in  ein  mühsames  abhängigkeils- 
verhältnis  zwingt. 

Diese  beiden  hauptclassen  der  dvandva-namen  konnten  immer- 
hin genügende  kosenamen  mit  selbständiger  hallte  liefern,  um 
das  princip  allmählich  auch  auf  tatpurusha-namen  zu  übertragen, 
unwahrscheinlich  wäre  es  dagegen,  dass  von  diesen  aus  gerade 
namenworte  von  so  'herabgesunkener  bedeutung'  wie  -brand, 
-hild,  -frid,  -gund  zu  selbständiger  namensfunction  gelangt  wären, 
und  doch  hat  man  gerade  zb.  die  beiden  teile  des  namens  Ililde- 
gnnd,  die  jeder  für  sich  zur  benennung  genügen,  unter  die 
'suffixartig  gebrauchten'  namenwörter  eingereiht  1  wie  viel  besser 
konnte  aus  den  wappennamen  heraus  die  beliebtheit  des  'Wulf 
nachfolge  für  einstämmige  kosenamen  erwecken!   — 

Ich  möchte  zum  schluss  noch  bemerken,  dass  ich  die  auf- 
fassung  von  eigennamen  als  dvandva  für  andre  sprachen  noch 
nicht  gefunden  habe.  Pott  betont  zwar  (Personennamen  s.  82) 
das  alter  der  reduplicierten  namen,  bringt  auch  (s.  683)  einen 
merkwürdigen  eigennamen  'die  vier  männer',  di.  wahrscheinlich 
so  viel  wert  als  vier  ('qui  a  de  l'esprit  comme  quatre',  sagen  die 
Franzosen),  aber  eigentlich  copulative  namen  gibt  er  nicht,  doch 
das  ligt  wol  mit  an  der  vorgefassten  meinung,  ein  name  müsse 
'einfach'  sein,  sucht  man  unter  den  hier  entwickelten  gesichts- 
puncten  weiter,  so  wird  man  vielleicht  auch  anderswu  bisher 
schwierige  namen  einfach  und  mit  culturbistorischer  Wahrschein- 
lichkeit als  dvandva-composita  deuten  können. 

Berlin,  15  Januar  1898.  RICHAlil)  M.  ME1  ER. 

ZUM  RHYTHMUS  GANYMED  UND  HELENA. 

Mit  der  Untersuchung  antiker,  frauen-  und  kuabeulieb.-  ver- 
gleichender Schriften  beschäftigt,  werde  ich  von  meinem  freunde 
Singer  auf  ein  mittelalterliches  analogou,  den  in  dieser  Zeitschrift 
18  (1875),  124ff  publicierten  rhythmus  Ganymed  und  Belena  so- 
wie auf  die  bemerkungen  ebenda  22  (1878),  256  Bf  aufmerksam 
gemacht,    dass  der  rhythmus  in  seinem  colorit  und  insb 
in   seinen    mythologischen    fictionen   Vertrautheit    mit    der 
verrät,   ligt  auf  der  hand  und   ist  auch  bereits   bemerkt  won 
(Zs.  18,  125).    das  processverfahren  als  form  für  die  I 
von  problemen  ist  bei  der  griechischen  sophistik  beliel 


170  PRAECHTER 

es  die  Römer  übernommen  haben  (vgl.  Hirzel  Der  dialog  n  178 
anm.  1).  doch  wird  sich  daraus  angesichts  der  mittelalterlichen 
Streitgedichte  für  die  quellenfrage  kaum  etwas  gewinnen  lassen, 
weiter  führt  die  tatsache,  dass  auch  das  behandelte  problem  selbst, 
die  Streitfrage,  ob  frauen-  oder  knabenliebe  den  vorzug  verdiene, 
ins  altertum  verweist,  schon  an  und  für  sich  wird  mau  geneigt 
sein,  die  Vorstellung,  dass  Päderastie  und  fraueuliebe  concurrierend 
mit  einander  in  die  schranken  treten,  nicht  für  eine  geburt  des 
christlichen  mittelalters  zu  halten,  auch  wenn  man  einerseits  den 
der  moral  günstigen  ausgang  des  processes  und  anderseits  die 
Zs.  22,  256  ff  mitgeteilten  sittengeschichtlichen  tatsachen  in  rech- 
nung  zieht,  in  der  tat  ist  der  gegenständ  im  altertum  mehrfach 
behandelt,  in  eingehenderer  weise  von  Plutarch  im  'Eqcotiy.Öq^ 
von  Ps.-Lukian  in  den  "Egtoreg  c.  17  ff  und  von  Achilleus  Tatios  n 
c.  35  ff.  speciell  mit  Ps.-Lukian  weist  unser  rhythmus  eine  an- 
zahl  von  berührungen  auf,  die  auf  einen,  wenn  auch  entfernten 
und  vermittelten,  verwantschaftlichen  Zusammenhang  deuten,  schon 
die  Schilderung  der  scenerie  zeigt  ähulichkeit.  bei  Ps.-Lukian 
c.  18  spielt  der.  streit  zur  Sommerszeit  auf  einem  schattigen  ruhe- 
platze unter  den  lauten  der  cicaden.  im  rhythmus  fingiert  der 
Verfasser,  im  frühliug  im  schatten  eines  Ölbaums  beim  gesange 
der  Vögel  im  träume  dem  streite  beigewohnt  zu  haben,  gewis 
kann  hier  zufall  obwalten,  wichtiger  ist  die  Übereinstimmung 
in  der  Vorführung  eines  Streitverfahrens,  bei  welchem  jede  der 
beiden  einander  entgegenstehenden  anschauungen  durch  einen 
anhänger  verfochten  wird  und  schliefslich  aus  richtermunde  die 
entscheidung  erfolgt,  das  richteramt  übt.  bei  Ps.-Lukian  ein  freund 
der  streitenden,  im  rhythmus  Natura  und  Ratio,  denen  die  Pro- 
videncia  zugesellt  wird,  aber  auch  bei  jenem  begegnen  uns  die 
erste  und  die  dritte  dieser  Wesenheiten,  die  natur  wird  c.  19 
unter  starkem  hervortreten  ihrer  persönlichkeit  von  dem  Vertreter 
der  frauenliebe  als  zeugin  angerufen,  und  die  Vorsehung  hat  nach 
c.  22  ihre  Satzungen  zu  gunsten  der  frauenliebe  getroffen  —  die 
persönlichkeit  ist  allerdings  hier  sehr  verflüchtigt,  aus  der  argu- 
mentation  dieser  partei  kehren  zunächst  drei  puncte,  die  sich  bei 
Ps.-Lukian  finden,  in  dem  rhythmus  wider:  1)  der  verkehr  zwischen 
den  beiden  geschlechtern  ist  für  die  forterhaltung  der  gattung 
notwendig  (Ps.-Luk.  19;  Gan.  u.  Hei.  str.  31 ;  vgl.  auch  str.  29,  4). 
2)   mann   und   weib   ist   (deshalb)   ein    verlangen    nach    einander 


ZUM  RHYTHMUS  GAiNYMED  UND  HELENA  171 

von  der  natur  eingepflanzt  (Ps.-Luk.19  y.otvbv  äpcpoTiQip  yivei 
tcoSov  eyy.egaaa^ievr]  [sc.  fj  cpvoiq};  Gan.  u.  Hei.  str.  33,3 
contrahuntnr  hie  et  kec  naturali  flexu).  3)  die  tiere  kennen  nur 
den  geschlechtsverkehr  zwischen  männchen  und  weibchen,  nicht 
den  päderastischen  (Ps.-Luk.  22,  Gan.  u.  Hei.  str.  33,  4).  auch 
in  dem  gegenargumente  gegen  letzteren  beweisgruud  treuen  die 
antike  und  die  mittelalterliche  darstellung  zusammen:  der  mensch 
als  vernunftbegabtes  wesen  darf  sich  die  vernunftlosen  tiere  nicht 
zum  muster  nehmen  (Ps.-Luk.  36,  Gan.  u.  Hei.  str.  34),  und  auch 
sonst  finden  sich  noch  mehrfache  berührungen,  so  in  der  bemer- 
kung,  dass  der  knabe  beim  päderastischen  verkehr  keinerlei  lustem- 
pfindung  habe  (Ps.-Luk. 27,  Gan.  u.  Hei.  str.  41),  und  in  dem  hin- 
weise auf  die  kürze  der  zeit,  während  welcher  der  knabe  für  einen 
solchen  verkehr  brauchbar  ist  (Ps.-Luk.  26,  Gan.  u.  Hei.  str.  45). 

Am  meisten  beweiskraft  für  einen  Zusammenhang  zwischen 
Ps.-Lukian  und  dem  rhythmus  hat  die  Übereinstimmung  in  dem 
der  tierwelt  entnommenen  argument.  die  demselben  zu  gründe 
liegende  behauptung  über  das  geschlechtliche  verhalten  der  tiere 
ist,  wie  die  beobachtuug  zeigt,  falsch,  sie  erklärt  sich  aber  bei 
Ps.-Lukian  sehr  einfach  daraus,  dass  dieser,  wie  ich  Berl.  philo!. 
wochschr.  16  (1896)  sp.  870 f  dargetan  habe,  einen  teil  seiner 
beweisgründe  der  kynisch-stoischen  diatribe  entnommen  hat,  in 
dieser  aber  der  hinweis  auf  die  tiere  als  naturgemäfs  lebende  wesen 
ein  stehndes  capitel  bildet  (vgl.  Ernst  Weber  Leipz.stud.  10, 108  IT). 

Die  frage,  welcher  art  die  verwantschafl  zwischen  Ps.-Lukian 
und    dem  rhythmus  ist   und    durch  welche   canäle   dem  Verfasser 
des  letzteren  das  antike  zugeflossen  sein  kann,  mögen   Kim 
beantworten,     heranzuziehen  wären  dabei  auch    die  Zs.  22, 
abgedruckten  stücke,    von  welchen   das  erste  wider   den  binweis 
auf  die  tiere  mit  der  betouung  der  notwendigkeit  der  frauenliebe 
für  die  erhaltuug  der  galtung  verbindet  (zu  den  wollen  in 
terra  seinen  radice  careret  vgl.  Ps.-Luk.  20  a.  e.   Kaza  neTQtöv 
de,  qaoLv,  dyovwv  oneigavitg  und  Phil.  d.  vil.  cont  7   p.  481 
de  Abr.  26  p.  20,   de  leg.  spec.  7  p.  306;    »gl.  Wendland  Philo 
u.  d.  kyn.-stoische  diatr.  [Wendland  u.  Kern  Beitr.  zur  gesch.  d. 
griech.  philos.  u.  relig.  Berlin  1895]  s.  34),  ferner  Ulrich  vLichten- 
steiu  Frauenbuch    s.  614,  20  ff  Lachm.   (die    iure    /.  20  ff),    Kl. 
ged.  v.    d.  Stricker   her.  v.  Hahn    12,    117  11  (4221   fast  wörtlich 
gleich   Ulr.  vLicht.  aao.  30  f;    427    Versäumnis   der  kindei 
Gan.  u.  Hei.  str.  61,5;  459  Sodom  u.  Gomorra,  vgl.  Gan.  n.  Hei. 
str.  67,  2,   Zs.  22,257  z.  1 4    des  excerpts;     176   die  natui 
soniliciert,   vgl.  Gan.    u.  Hei.  str.  10 ff),     die  Noticea 
xxix  2 e  pari.  s.  275  f  mitgeteilten  stücke  bieten  -  - 
u.  Hei.  nichts  neues,    den   nachweis  aller  dies  i   '•■ 

ich  der  freundlichkeit  Singers. 

Bern.  KABJ.  PRAECH1 


CHATTI  UND  HESSEN1. 

Dass  die  namen  Chatti  und  Hessen  (bis  auf  den  Stammes- 
ausgang -o-  dort,  -?'-,  jünger  -ien-  hier2)  nicht  identisch  seien, 
davon  hat  Braune  IF.  4,  341  ff  mich  und  in  gleicher  weise  viele 
andre  nicht  zu  überzeugen  vermocht,  ich  glaubte  nach  lesung 
seines  aufsatzes  zunächst,  dass  derselbe  bei  seinem  völligen  mangel 
an  stichhaltigen  gründen  sich  in  den  äugen  jedes  lesers  so- 
fort von  selbst  widerlegen  müsse;  da  ich  aber  sehe,  dass  ver- 
schiedene gelehrte,  wie  zb.  Kossinna  (vgl.  IF.  7,  284),  der  jedes- 
falls  nicht  aus  ethnographischen,  sondern  aus  sprachgeschicht- 
lichen gründen  dies  glaubt  tun  zu  müssen,  Braune  folgen,  seh 
ich  mich  genötigt  darzulegen,  weshalb  Braunes  gründe  auf  mich 
ihres  eindrucks  von  vorne  herein  völlig  verfehlen  musten. 

Die  Chatti,  sagt  Braune  s.  345,  waren  'nach  den  antiken 
berichten  ein  sehr  grofses  volk',  die  mittelalterlichen  Hessen  da- 
gegen, die  bewohner  des  Hessi-gowe,  nur  ein  gauvolk.  freilich: 
von  den  Chatti  der  Römer  (mit  einschluss  der  MattiUci)  sind, 
wenn  wir  von  der  ohne  zweifei  eingetretenen  mischung  mit  resten 
der  Burgunden  und  andrer  stamme  absehen,  die  gesamten  Ober- 
franken ausgegangen;  ebenso  aber  werden  ihrerseits  die  Chatti 
der  Römer  von  dem  Hessen -gau  als  ihrem  ursitze  ausgegangen 
sein,  in  gleicher  weise  hatten  die  Batavi  und  haben  deren  nach- 
kommen ein  gröfseres  gebiet  inne  als  dasjenige,  das  noch  heute 
die  Betuwe  heifst;  die  Bructeri  der  Römer  und  trotz  ihrer  nieder- 
lage  vermutlich  auch  ihre  nachkommen  ein  gröfseres  als  den 
Borahtra -  gau ,  und  entsprechend  müste  es  unter  normalen  Ver- 
hältnissen überall  gewesen  sein,  'die  betrachtung  der  ethno- 
graphischen Verhältnisse  führt  uns',  erklärt  Braune,  'nicht  weiter, 
als  dass  die  Hessen  ein  kleiner  teil  der  früheren  Chatten  gewesen 
sein  müssen',  nun,  ganz  ebenso  sind  auch  die  spätem  und  die 
heutigen  Schwaben  nur  ein  kleiner  teil  der  alten  Suebi,  ohne 
dass  doch  jemand  die  identität  der  namen  Suebi  und  Schwaben 
bestreiten  wird.     Braune   erkennt   denn    auch  an,    dass,    da  die 

1  ursprünglich  als  excurs  innerhalb  der  besprechung  von  Noreens  Ur- 
germ.  lautlehre  (Anz.  xxv  113ff)  geschrieben,  die  Chatti  waren  nach  meiner 
ansieht  germ.  Xajjpös  mit  urgerm.  J>p  (>  später  germ.  ss)  aus  vorgerm.  It, 
s.  die  anzeige  von  Noreens  buch  s.  117  ff. 

2  vgl.  für  dieses  Frisii,  jünger  Frisiones,  für  jenes  ae.  Swdfe  neben 
ahd.  Swäbd  =  Suebi. 


MÖLLER  CHATTI  UND  HESSEN        173 

Hessen  'in  dem  centrum'  des  gebietes  der  Chatti  sitzen,  vom 
ethnographischen  gesichtspuncte  aus  nichts  dagegen  ein- 
zuwenden wäre,  die  namen  Chatti  und  Hessen  für  identisch  zu 
erklären,  'wenn  dies  die  Sprachwissenschaft  erlaubt'. 

Was  das  sprachliche  betrifft,  so  erklärt  Braune  s.  348  es 
für  'unzulässig',  das  tt  in  Chatti  als  etwas  anderes  aufzufassen 
als  'die  geminierte  dentale  verschlussfortis'  wegen  der  'beiden  an- 
dern cbattischen  fälle  des  tt',  Mattium  und  Chattuarii.  von  diesen 
'beiden  andern  chattischen  fällen'  ist  nun  freilich  Mattium, 
Mattiäci  gar  nicht  germanisch,  sondern  keltisch,  s.  Streitberg 
IE.  5,  88,  und  Chattuarii  gar  nicht  speciell  chattisch,  sondern, 
wenn  chattisch,  dann  allgemein  fränkisch,  diese  beiden  namen 
hatten  indessen  würklich  tt,  und  es  hat  auch  noch  niemand  be- 
zweifelt, dass  zur  zeit  der  germanischen  Chatten  und  Chattuarier 
ein  germ.  tt  existiert  hat  (vgl.  Beitr.  7,  460)  :  konnte  aber  da  nun 
neben  diesem  chattischen  tt  nicht  auch  ein  chattisebes  p/>  be- 
stehu?  Braune  nimmt  ja  selbst  (aber  irrig,  s.  u.)  s.  343  oben 
an,  dass  neben  germ.  tt  zur  zeit  der  Chatti  ein  germ.  pp  be- 
standen habe,  nämlich  dasjenige,  das  später  'zu  dd-tt  geworden  ist'. 

Die  Chattuarii,    in   deren    namen   wir   'das  dritte  chattische 
tt'  haben,  waren  'ein  aus  den  Chatten  losgelöster  stamm'  :  'hier- 
nach werden  wir',  sagt  Braune  s.  350,  'auch  in  dem  namen  Chatti 
seihst  nichts  anderes  als  tt  sehen  dürfen',     richtig  ist,    dass  die 
Chattuarier   ebenso  wie  die  Bataver  den  Chatten  verwanl  waren, 
weil   alle  Franken    einmal    von    den  Chatti,    als    diese  noch  mit 
den  umfang  der  spätem  Hessen  beschränkt  waren,   au 
sein  werden  (in  gleicher  weise  wie  alle  Sueben  von  den  Semnooen, 
die   ursprünglich    auch   nur   ein   gauvolk  innerhalb   der  Central- 
sueben,    der   'Semnoues'   des  Tacitus   gewesen    sind,    vgl.  An/. 
xxii  1 4 0  fl ) ,  die  spätem  Wittelfranken  (die  Ubii,   Uripi,    Teneteri] 
nach  Südwesten  hin  ins  Lahngebiet  und  darauf  rheinal 
Niederlranken  der  linie  der  Ruhr  und  Lippe  folgend  direcl   oai  h 
westen  hin  au  den  Unterrhein;  und  zwar  wird  von  den  Nieder- 
franken, da  sie  wichtige  dinge  wie  namentlich  das  gleiche  s 
recht   mit   den   Chatten    gemein    haben    (s.   RSchrOdei 
deutsch,  gesch.  19,143)  gegenüber  der  lex  Ripua 
franken,  anzunehmen  seiu,    dass  sie  später  als  dies 
sehen  hauptstamm  sich  abgezweigt  haben,     aber, 
auch  Chattuarier  und  Chatten  einander  verwant  waren  i 


174  MÖLLER 

zb.  Markomannen  (=  Baiern)  und  Semnonen  (=  Schwaben),  so 
standen  doch  immer  die  Hessen,  die  nach  Braune  selbst  ein  teil 
der  Chatten  waren,  diesen  weit  näher,  als  die  bereits  vor  Caesar 
vom  stamme  abgetrennten  Chattuarier,  und  wenn  nach  Braune 
die  namen  der  Chatten  und  Hessen  nicht  identisch  gewesen  zu 
sein  brauchen ,  so  brauchen  die  Stammsilben  des  namens  der 
Chatten  und  des  ersten  bestandteils  des  namens  der  Chattuarii 
noch  weit  weniger  identisch  gewesen  zu  sein,  wenn  auch  die 
Römer,  wie  höchst  natürlich,  da  sie  beide  tt,  für  germ. pp  und 
tt,  gleich  sprachen,  die  namen  mit  einander  verbanden,  so  wenig 
es  um  der  Hessen  willen  notwendig  ist,  dass  die  Chattuarii  in 
ihrem  namen  ein  germ.  ss  aus  urspr.  tt  gehabt  haben,  ebenso- 
wenig ist  es  um  des  tt  im  namen  der  Chattuarii  willen  notwendig, 
dass  die  Chatti,  abweichend  von  den  Hessen,  ein  germ.  tt  gehabt 
haben,  geschieht  nach  Braune  s.  345  unten  'den  ethnographischen 
gründen',  die  für  die  Zusammengehörigkeit  der  Chatti  und  Hessen 
sprechen,  völlig  genüge,  wenn  man  erklärt,  dass  die  beiden  namen 
von  derselben  wurzel,  aber  mit  verschiedenen  suffixen  gebildet 
seien,  so  noch  weit  mehr  den  ethnographischen  gründen  für  die 
verwantschaft  der  Chatten  und  Chattuarier,  wenn  man  für  jenen 
namen  und  den  ersten  bestandteil  dieses  namens  das  gleiche  er- 
klärt, was  der  name  der  Chattuarier  bedeuten  mag,  ist  dabei 
eine  frage  für  sich,  die  derjenige,  für  den  es  feststeht,  dass  die 
beiden  namen,  da  wir  dort  ein  vorgerm.  tt,  urgerm.  pp,  woraus 
germ.  ss}  hier  ein  germ.  tt  haben,  nicht  unmittelbar  zusammen- 
gehören können ,  darum  noch  nicht  mit  völliger  Sicherheit  be- 
antworten zu  können  die  pflicht  hat1. 

1  der  name  Chattuarii  ist  der  plur.  des  i-stammes  germ.  Xattu-vari-, 
germ.  %attu-  ist  'hut'  :  Kluge  s.  v.  'hut'  deutet  den  namen  'eigtl.  'hutleute" 
('helmleute'?).  der  name  könnte  möglicherweise  ein  hieratischer  sein  von 
derselben  art  wie  Cyuuari  'Zioverehrer'  =  Schwaben  (über  welchen  zuletzt 
Much  Der  germ.  himmelsgott  4,  früher  ßeitr.  17,  84f)  :  der  erste  bestand- 
teil wäre  Xattu-z  (an.  Hottr)  =  Wodan,  der  ?'-stamm  würde  (wie  Hassi- 
von  Hassa-,  Angli-  von  Angla-  ua.)  eine  i-ableitung  von  älterem  a-stamme 
sein,  wenn  -vara-  in  Cyuuari  und  im  fem.  Frea-waru  aus  vorgerm.  -voro- 
(nach  Much  aao.).  die  *Xattu-varöz  ' Wodanverehrer'  wären  das  muttervolk 
der  Chatten,  oder  auch  Chatten  -f-  Niederfranken  gewesen,  die  Niederfranken 
werden  den  besondern  cult  des  Wodan  bereits  aus  ihrer  hessischen  Urheimat 
mitgebracht  haben,  dass  Wodan,  der  weise  lenker  der  schlacht,  und  nicht 
der  wilde  schlachtengott  Zio  der  kriegsgott  der  Chatten  war,  kann  dem  leser 
von  Germ.  30.  31  nicht  zweifelhaft  sein,  und  wird  aufserdem,  wie  bekannt, 


CHATTl  UND  HESSEN  170 

Nach  Braune  ist  es  'unzulässig',  das  tt  in  Chatti  als  pp  (oder 
mit  Müllenhoff  als  f/i,  mit  Kluge  als  pt)  aufzufassen,  'wenn 
schon',  erklärt  er  s.  350,  'für  diese  auffassung  darauf  hingewiesen 
werden  könnte,  dass  die  Römer  kein  zeichen  für  den  ß- laut 
hatten  und  dass  bekanntlich  oft,  besonders  später1,  lateinisch- 
romanisches  t  zur  bezeichnung  des  germ.  p  gebraucht  wird,  so 
fällt  doch  für  die  Griechen  dieses  auskunftsmittel  weg.  und 
der  Chattenname  ist  uns  am  frühesten  in  griechischer  form  bei 
Strabo  als  Xccttol  überliefert,  die  Griechen  hätten  ihn  doch 
gewis  Xdi9oi  geschrieben,  da  sie  in  ihrem  &  ein  zeichen  für 
den  ^-laut  besafsen.  es  darf  also  nicht  mehr  zweifelhalt  sein, 
dass  der  name  der  Chatten  ..  .  ah d.  Hazzä  gelautet  haben  würde', 
dies  argument  könnte  richtig  sein,  wenn  Strabo  selbst  oder  eine 
von  ihm  für  die  stellen,  wo  er  die  Chatten  nennt,  benutzte 
griechische  quelle  den  namen  unmittelbar  aus  germanischem 
munde  erkundet  hätte,  aber  da  Strabos  Xäxxoi  nichts  ist  als 
die  widergebung  der  namensform  Chatti  der  für  diese  stellen  EU 
gründe  liegenden  lateinischen  quelle,  so  beweist  das  argument 
nicht  das  geringste. 

Braune  sagt  —  dies  in  erster  linie  gegen  Kögels  frühere 
auffassung,  Beitr.  7,  197  f  — ,  der  name  der  Chatti  erscheine  von 
Strabo  an  bis  gegen  400  n.  Chr.;  etwa  von  720  an  erscheine 
der  name  der  Hassi,  Hessii,  Hessiones;  der  ganze  process  der 
entwicklung  zu  ss  werde  also  'in  die  zeit  von  etwa  400 — 700  n.  t  br. 
zusammengedrängt'  (s.  346),  bei  den  Goten  aber  seien  'ums  jähr 
400,   also  zu  der  zeit,  wo  in  Chatti  (dies  geg  noch  tt 

dagewesen  wäre,  schon  die  typen  wis-  und  rciss-  .  .  .  fest  aus- 
geprägt', er  übersieht  völlig,  dass  ein  lat.  Chatti  um  400  und 
übrigens  auch   schon   im    1  ,jli.  n.  Chr.    für   den    gleichzeitig  im 

für  die  mitte  des  1  jhs.  sicher  gestellt  durch  Annal.  13,57,  wo  Brmunduren 
und  Chatten  diversam  aciem  Marti  ac  Mereurio  taeravere  (die  Ennuodo 
dem  Irmin  =  Zio,  die  Chatten  dem  Wodan). 

Was  aber  das  %attu-  im  ersten  bestandteüe  des  namens  auch  1- 
haben  mag,  so  ist  es  ohne  zweifei  (wie  Braune  B.  345  ?om  i 
gegenüber  dem  der  Chatten  sagt)  'eine  nur  durch  ■""-  V 

•46-]    verschiedene   ableitung  aus   der  gleichen  wnrxeT    (« 

Chatten,  die  wol  die  'behelmten',  'nein Behauten'  h 

schon  zur  Römerzeit  in  der  form'  %att%ir  'neben 

1  [aber  doch  auch  schon  in  altej  ieil 
doch  nicht  gut  schreiben,  vgl.  Beitr.  7,  4G0.] 


176  MÖLLER 

germanischen  gesprochenen  laut  durchaus  nichts  mehr  beweist: 
einmal  im  letzten  dritteil  des  1  jhs.  v.  Chr.,  spätestens  unter 
Drusus,  von  den  Römern  und  nach  ihnen  von  den  Griechen  als 
Chatti,  Xärroi  erfasst,  ward  der  name  in  dieser  form  von  ihnen 
fortgeführt,  auch  wenn  in  germanischem  munde  inzwischen  längst 
das  ss  sich  eingestellt  hatte,  und  das  römische  U  beweist  fürs 
1  jh.  v.  Chr.  ein  pp  an  stelle  des  spätem  germ.  ss  natürlich  zu- 
nächst nur  für  den  dialekt  oder  die  dialekte  derjenigen  stamme, 
aus  deren  munde  der  name  in  der  form  Xappös  gehört  worden 
ist,  nicht  für  die  dialekte  der  nördlicheren  und  östlicheren  stamme 
wie  der  Goten  i. 

Gegen  mich  bemerkt  Rraune  s.  342f  noch,  'die  frühere  meinung 
Brugmanns  [MU.  in  133  anm.]  und  Möllers  (Beitr.  7,  460),  germ. 
ss  sei  aus  germ.  pp  hervorgegangen',  sei  'schon  aus  allgemeinen 
erwägungen  (über  diese  s.  u.)  zu  verwerfen,  selbst  wenn  nicht 
Kluge  gezeigt  hätte,  dass  germ.  pp  in  Wahrheit  zu  dd-tt  geworden 
ist',  er  geht  also  von  der,  von  seinem  standpuncte  aus  zu  der 
zeit,  wo  er  dies  niederschrieb  (1893),  mindestens  unbeweisbaren, 
für  mich  durch  Kauffmann  Beitr.  12,  530  ff  (1887)  zwingend  wider- 
legten annähme  aus,  dass  im  1  jh.  v.  Chr.  dasjenige  pp  bereits 
bestanden  habe,  welches  Kluge  Beitr.  9,  159  ff  behandelt  hat. 
Kluge  selbst  wagt  aao.  s.  177  die  von  ihm  behandelten  tonlosen 

1  Braune  bemerkt  noch  s.  347  in  einer  note,  niemand  habe  sich  'dar- 
über ausgesprochen,  welcher  laut  denn  in  der  Chattenzeit  dem  germ.  s  nach 
langem  vocal  (got.  weis  'weise'  usw.)  eigen  gewesen  sein  soll',  denn 
diese  Vereinfachung  müsse  doch  'nach  Übereinstimmung  des  got.  mit  allen 
andern  germ.  sprachen  auch  uralt  sein',  neben  urgerm.  %apji-  muss  natür- 
lich (in  den  dialekten,  die  diese  form  hatten)  noch  urgerm.  vipp-  gegolten 
haben,  woraus  germ.  viss-  >  vis-,  wenn  die  germ.  Verschiebung  der  tenues 
im  4  jh.  v.  Chr.  eingetreten  ist  (Kossinna  Zs.  d.  ver.  f.  volksk.  1896,  6. 
Beitr.  20,  297.  IF.  7,  295)  und  Verners  gesetz,  die  Klugeschen  assimilationen 
und  die  germ.  accentverschiebung  noch  später,  aber  vor  dem  anfang  unsrer 
Überlieferung,  dann  wird  es  nicht  wunderbar  erscheinen  können,  wenn  die 
gemeingerm.  Verkürzung  consonantischer  länge  nach  vocalischer  länge  oder 
cons.,  die  alle  jene  Vorgänge  voraussetzt,  um  den  anfang  unsrer  Zeitrechnung 
noch  nicht  eingetreten  war.  was  gemeingermanisch  der  ausdehnung  nach 
ist,  ist  darum  durchaus  noch  nicht  notwendig  'uralt'  oder  gemeingerm. 
(urgerm.)  der  zeit  nach. 

(Damit  mir  nicht,  was  die  von  Braune  geforderte  Verkürzung  des  pp 
nach  langer  silbe  betrifft,  meine  eigne  früher  gegebene  erklärung  von  kunjia 
Beitr.  7,  463  vorgehalten  werde,  will  ich  ausdrücklich  bemerken,  dass  ich 
diese  nicht  mehr  für  richtig  halte.) 


CHATTI  UND  HESSEN  177 

Spiranten  ff,  pp,  hh  nicht  als  urgermanisch  anzusetzen  ,  wie  sie 
denn  auch  als  urgermanisch  gar  nicht  in  sein  system  s.  173  ff 
hineinpassen  :  er  meint  seihst,  'da  die  beispiele  fast  nur  dem 
westgerm.  entnommen  sind',  so  wären  zu  ihrer  erkläruug  'noch 
allerlei  andre  möglichkeiten  [als  für  die  germ.  pp,  tt,  kk]  in  Be- 
tracht zu  ziehen,  wie  zb.  die  westgermanische  consonantendeh- 
nung'.  und  in  seiner  Vorgesch.,  Pauls  Grundr.2  i  382  sagt  Kluge  : 
ss  (beruhend  'auf  idg.  ts'  oder  'zumeist  auf  idg.  t  (d)  -f-  V)  'ist  die 
einzige  urgerm.  geminierte  spirans'.  nach  Kauffmanns  ausführungen 
hat  auch  Noreen  die  gedehnten  tonlosen  Spiranten  (aufser  germ. 
ss)  von  seiner  Urgerm.  laullehre  ausgeschlossen,  das  von  Braune 
ins  fehl  geführte  jüngere  pp  ist  als  weiter  verbreitetes  (aber  nicht 
urgerm.)  durch  jüngere  mechanische  zusammenrückung  and  assi- 
milation  (got.  aip-pau),  als  speciell  westgermanisches  durch  die 
westgerm.  consonantendehnung  vor  /,  w,  r,  l,  n,  m  (s.  Kauffmana 
aao.)  entstanden,  von  welcher  im  1  jh.  und  überhaupt  in  den 
ersten  jhh.  unsrer  Zeitrechnung  noch  durchaus  kein  beispiel  be- 
gegnet (von  der  art  wie  im  6  jh.  bei  Agalhias  uuter  Justiuian 
der  name  des  Warneu  Oväuyiagog  =  Wakkar1),  und  die  den  Ver- 
lust des  Stammesausgangs  -a-  zur  Voraussetzung  hat '-. 

Was  die  gegen  mich  ins  fehl  geführten  'allgemeinen  er- 
wäguugen'  betrifft,  sagt  Braune  s.  342  :  'wo  überhaupt  in  den 
älteren  germ.  sprachen  die/»  sich  gewandelt  haben,  sind  sie  m 
verschlusslaute  übergegangen,  und  in  modern  englischen  dialektea 
sehen  wir  den  Übergang  th  zu  d  vor  unsero  äugen3.  da( 
fehlt  der  Übergang  des  p  in  s  :  die  articulationen  beider  laute 
sind  zu  gegensätzlicher  uatur4.  nur  iu  ganz  nenn  teil  ist  im 
uordfriesischeu  der  insel  Amrum  —  im  gegensatz  /u  den  übrigen 
nurdfries.  mundarten  —  ein  solcher  wände!  eingetreten*,  dies«  - 
letzte  ist  nur  richtig  für  den  anlaut  :  im  in-  und  ausJaul  sind, 
einige  besondere  fälle  abgerechnet,  p  und  t^  iu  allen  oordfries. 
mundarten  aufser  denen  der  westlichsten  inaein  Sylt  und   II 

1  (Oidxxapoe  ö  Otapvoe  rd  yivos  Agnth.  1,21)  VU  westj  l 

gen.  ff'akkras  (und  -es). 

-  Tgl.  Streitberg  Beitr.  14,  18t.   15,  49ö  »  um!  | 
uns  beschäftigenden  aufsatz)  II  .  ■>,  88. 

3  [gemeint  wird  hier  sein  tönendes  ö  zu  <t.  da  loo 
mittelbar  in  tönendes  d  übergeht.] 

4  (der  folgende  satz  dazu  bei  Br.  als  fofsi 
Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  XXXI. 


178  MÖLLER 

land  in  s  und  f  übergegangen,  und  wenn  in  älterer  zeit  des 
germanischen  ein  einfaches  p,  wie  ein  solches  für  unsre  frage 
überhaupt  gar  nicht  in  betracht  kommt1,  nicht  in  s  übergeht, 
so  weifs  Braune  selbst  sehr  wol,  dass  einem  gedehnten  conso- 
nanten  und  vocal  manches  widerfahren  kann,  wovon  der  einfache 
(kurze)  verschont  bleibt.  Braune  erwähnt  gar  nicht  den  Übergang 
des  Jüngern  westgerm.  pp  im  mnl.  in  ss,  der  seinen  'allgemeinen 
erwägungen'  zum  trotz  eingetreten  ist2,  wie  westgerm.  smippjä 
'schmiede'  im  mnl.  zu  smisse,  ein  westgerm.3  dpm,  gen.  dppmes 
'atem'  im  mnl.  zu  dssem  (aessem,  dsem  neben  ddem  aus  ddem, 
dssmes),  das  verbum  fappmjan  von  westgerm.  fapm,  fappmes 
'faden'4  zu  mnl.  vessemen  (neben  vademen  von  vadem)  geworden 
ist,  genau  ebenso  ist  jhh.  früher  urgerm.  (oder  wenigstens  ur- 
fränk.)  pp  in  ss  übergegangen5  und  damit  yßpp-  in  hass-  im 
namen  der  Chatti  =  Hessen. 

1  von  der  Verbindung  />/  (aus  tk)  >  $%,  sk  abgesehen,  s.  die  anzeige 
von  Noreens   buch  s.  119f. 

2  ss  ist  als  einzige  lautgesetzliche  Vertretung  des  westgerm.  pp  im 
mnl.  zu  betrachten,  wo  statt  dessen  d  (aus  9  aus  p)  erscheint,  da  ist  dies 
natürlich  aus  dem  daneben  stehenden  einfachen  p  verallgemeinert;  wo  tt 
an  stelle  eines  vorausgesetzten  pp  steht,  da  ist  jenes  das  urgerm.  tt  nach 
Kauffmann  s.  531  ff. 

3  mit  dieser  und  andern  ansetzungen  meine  ich  natürlich  nicht,  dass 
die  formen,  wie  angesetzt,  auf  dem  ganzen  westgerm.  gebiete  die  einzig 
geltenden  gewesen  seien. 

4  wegen  des  westgerm.  pj)in  vgl.  zb.  ae.  maföum  neben  mädum  aus 
westgerm.  maipm,  gen.  maipjymas. 

5  damit  nicht  ein  umstand,  der  möglicherweise  für  unsre  frage  in  be- 
tracht kommen  könnte,  unerwähnt  bleibe,  muss  an  dieser  stelle  auf  das  DD 
hingewiesen  werden,  das  im  gallischen  für  und  neben  ss  aus  urspr.  tt  er- 
scheint (zahlreiche  il/eöö-,  s.  Holder  Acelt.  sprachsch.  n  493  f ,  wie  *i¥eööt- 
gnäto-s  [wovon  die  ableitung  Meföi-gnatius],  wzl.  med-;  Conefäns  CIR.  1450, 
Holder  i  1098  von  con-ed-:  CaraMouna  f.  Metz  neben  Cai-assouno-s  m. 
von  carad-  'lieben';  andre  beispiele  s.  Gr.  celt.2  66,  JBecker  KBeitr.  ni20Sff, 
JRhys  Lectures  on  welsh  phil.2  193ff,  der  aber  s.  423f,  gewis  unrichtig, 
das  55  neben  ss  aus  rip  aus  ns  erklären  will  :  alle  etymologisch  klaren  bei- 
spiele des  59  weisen  auf  urspr.  tt).  der  laut  ist  ohne  allen  zweifei  pj>  ge- 
wesen :  es  wird  dafür  lat.  Uli  geschrieben  in  g.  pl.  Catlharensium  oft  im 
CIR.,  s.  Holder  i  844  =  CaMarenshim  CIR.  1317,  und  0  in  Felioca&i, 
münzinschr.  der  Velio-cassi  =  V elio-casses  um  Rouen,  von  derselben  wzl. 
Brugmann  erklärte  in  der  1  aufl.  seines  Grundr.  §  516  'wegen  der  gallischen 
Schreibungen  mit  D'  es  für  'unsicher',  ob  das  ss  aus  urspr.  t-t  urkeltisch 
war.     war  das   gall.  99   älter  als  das  ss,    so  würde   auch  diesem  95  > 


CHATTI  UND  HESSEN  179 

Ich  habe  alle  gründe  Braunes  geprüft   und  keinen  ein 
derselben  stichhaltig  gefunden,      ich   finde  daher   für  meinen  teil 

gemeinkeit,  ss  eine  warnung  vor  'allgemeinen  erwägungen'  auf  lautgeschicht- 
lichem gebiete  zu  entnehmen  sein. 

In  der  2  aufl.  §  775  hat  Brugmann  indessen  die  angeführte  bemerkung 
gestrichen,  ob  wegen  der  auch  zuweilen  begegnenden  einfachen  gallischen 
3?  ich  glaube  nicht,  dass  diese  ernstliche  bedenken  gegen  die  ansetzung 
eines  urgall.  33  aus  tt  erregen  können,  denn  einfaches  3  zwischen  vocalen 
ist  blofs  einfache  Schreibung  für  33,  wie  das  0  in  Felio-cad-i,  so  in  Carafii- 
tonu,  dat.  von  -töno-s  (vgl.  oben  caraitö-  'geliebt'),  und  in  Epaft-ayto-rtx, 
Epaü-ateyto-rix  =  'seigneur  protecteur  (?)  de  la  cavalerie'  (nach  d'Arbois 
de  Jubainville)  von  *epadb-,  *epnss-  'equitatus'  aus  -t-l-.  Epa5  auf  münzen 
der  Arveroi  steht,  wie  angenommen  wird,  für  Epa<5-naytu-s  (=  Epasnactus 
Arvemus  Hirtius  Bell.  galt,  vm  44),  in  welchem  3  für  33  vor  cons.  würk- 
lich  für  einfaches  s  ist  3  nur  geschrieben  im  anlaut  zweimal  in  deae  Dirunae 
(s.  Holder  1  1286)  für  häufiges  deae  Sirönae,  in  welchem  das  3  umgekehrte 
Schreibung  sein  wird,  wie  sie  leicht  sich  einstellen  konnte,  wo,  in  der  Bchrifl 
zt.  fortgefühltes,  33  zu  ss  geworden  war,  und  ebenso  erscheint  für  Abudot 
(Holder  1  11,  auf  münzen  der  Bituiiges)  Abudod  wol  nur,  wie  Holder  ver- 
mutet, 'aus  misbrauch  von  Seiten  dfs  schreibeis',  der  umstand,  dass  germ. 
J>  im  yamipja  n.  'hemd'  in  gallischem  munde  durch  s  widergegeben  ward, 
camisia  (s.  Thurneysen  Keltorom.  52),  woraus  lat.  cajnlsia  Hieronym.  und 
arab.  qamT§,  erklärt  sich  sehr  einfach,  wenn  in  Gallien  ]>]>  vorher  in  im 
übergegangen  war  (oder  auch  noch  gleichzeitig  übergieng). 

Das  altgall.  pp  kann  natürlich  nicht  aus  tH,  sondern  nur  (wie  air.  tt 
aus  st)    zunächst  aus  Jjt  hervorgegangen   sein,    das  durch  tkt  in   di 
Kräuter  Zur  lautverschiebung  s.  88  anm.  gezeigten  weise  aus  urspr.  l-t  ent- 
standen ist,  parallel  dem  urkeltischen  Übergang   des  kt,  pt  in 

Die  möglichkeit,  dass  germ.  ya]i]>-  aus  keltischen)  capp-  (in  d\ 
Bodio-,  Tri-,  Vidu-,  Felio-casses,-caM,  Cassi'xn  Britannien,  Casri-vellaunu* 
ua.,  s.  Holden  82311)  entlehnt  sei,  ist  nicht  a  priori  ausgeschlossen,   det  ntme 
keltischer  *Cappi  (*Cassi)  müste  dann  vor  oder  gleichzeitig  mi«  der  Verschie- 
bung des  k  in  %  im  4  jh.  v.Chr.  den  Germanen  bekannt  geworden  Bein,  und  die 
germanischen  Chalti  müsten  später  im  3  jh.  mit  der  landschaft  den  nami 
erbt  haben,  die  setzung  Wodans  bei  den  Chatten  an  die  erste  Btelle  nach  dem 
vorbild  des  gallischen  Teutates  würde  sieh  bei  dieser  hj  pothese  leichl  •  1 
der  Chattenname  würde,  wenn  sein  pp  nicht  dun  h  Verschiebung  entstl 
sondern  herübergenommenes  gall.  pp  wäre,  nicht  mehr  beweisen  k 
dass  das  germ.  ss  für  urspr.  U  aus  Slterm  /</'  hervorgegangen; 
tität  der  namen  Chatli  und   Hessen  würde  aber  nichts 
namen  der  Hessen  könnte  auf  germ.  boden    aus   den 
könnte  aber  auch    das  jüngere  gall.  ss  sein,     (auch 
Verschiebung  könnte  germanisches  yujij'o-,  yaj>  pi- 
keltischem  cappo-  oder  eaj>jn-  aus  kat-to-,  kat-ti-  n 
die  bedeutung   des  germ.  hut,    hüten    und    des   laf. 


180  MÖLLER  CHATTI  UND  HESSEN 

durchaus  keinen  aolass,   die  gleichsetzung  der  namen  der  Chatti 
und  der  Hessen  aufzugeben. 

wörter,  die  ihrer  form  nach  jenen  wurzelverwant  sein  könnten,  nicht  nach- 
gewiesen.) 

Sollte  das  gall.  pp  nicht,  wie  ich  als  sicher  annehme,  älter  als  das 
ss,  dann  müste  es  vielmehr  jünger  und  secundär  aus  diesem  entstanden 
sein  (was  aber  erst  dann  als  bewiesen  gelten  könnte,  wenn  gezeigt  wäre, 
dass  auch  ein  solches  kelt.  ss,  das  nicht  älter  ein  pp  gewesen  sein  könnte, 
als  gall.  <5<J  erscheint,  ohne  dass  sich  dieses  als  jüngere  umgekehrte  Schrei- 
bung erklären  liefse).  wäre  dieses  so,  dann  wäre  weiter  denkbar,  dass  der 
lautübergang  ss  >  pp  über  die  westgrenze  des  gallischen  hinaus  in  den 
nächsten  germ.  grenzdialekt  hinübergegriffen  habe  und  lat.  Chatti  wider- 
gebung  eines  auf  diese  weise  entstandenen  Xapp-  aus  Xassös  wäre,  in 
diesem  falle  würde  germ.  ss  aus  tt,  wie  Braune  will,  älter  sein  als  die 
Chattenzeit  (nämlich  vermutlich  älter  als  die  lautverschiebung,  gemeinwest- 
europäisch, di.  italisch,  keltisch,  germanisch)  :  an  der  Identität  der  namen 
Chatten  und  Hessen  würde  aber  auch  dieses  nichts  ändern,  als  sehr  wahr- 
scheinlich betrachte  ich  indessen  dieses  hier  für  das  urfränkische  als  denk- 
bar hingestellte  keineswegs  (schon  darum,  weil  das  gall.  und  das  germ.  Jjp 
wenigstens  im  1  jh.  v.  Chr.  eine  verschiedene  articulalionsstelle  gehabt  haben 
weiden,  da  die  Römer  sie  verschieden  widergeben),  vielmehr  erscheint  die 
von  mir  gegebene  erklärung,  dass  P)p>,  woraus  germ.  ss ,  der  urgerm.  Ver- 
treter von  urspr.  tt  war,  mir  bei  weitem  als  die  wahrscheinlichste,  mag  es 
nun  um  das  gallische  pp  stehn,  wie  es  wolle. 

HERMANN  MÖLLER. 

HEINRICH  VON  HESLER. 

In  den  Beiträgen  24,85 — 187  hat  KHelm  'Untersuchungen 
über  Heinrich  Heslers  Evangelium  Nicodemi'  veröffentlicht,  die 
als  gute  prolegomena  für  eine  ausgäbe  erscheinen  und  hoffent- 
lich als  solche  betrachtet  weiden  dürfen  —  am  besten  wäre  frei- 
lich gleich  eine  gesamtausgabe,  zu  der  Helm  ja  durch  diese  arbeit 
gut  gerüstet  scheint,  ich  will  ihn  dafür  noch  auf  ein  in  der  fragmenten- 
sammlung  der  Kasseler  laudesbibliothek  verwahrtes  bruchstück 
des  Nicodemusevangeliums  in  niederdeutscher  färbung  hinweisen. 

In  die  gewis  nicht  einfachen  historiscben  und  litterargeschicht- 
lichen  fragen  hat  Helm  freilich  bisher  kein  rechtes  licht  gebracht, 
und  in  einem  puucte  bedeutet  seine  arbeit  einen  entschiedenen 
rückschrilt  :  in  der  benennung  des  autors  (s.  165  f).  warum  liefs 
es  nur  Behaghel,  der  zu  dieser  habilitationsschrift  pate  gestan- 
den hat,  geschehen,  dass  seinem  altern  Schützling  der  ehrliche 
name,  den  er  ihm  Zs.  22, 136  energisch  vindiciert  hatte,  wider  ent- 
rissen wurde?    denn  Heinrich  von  Hesler  heifst  unser  poet  nach 


SCHRÖDER  HEINRICEI  VON  HESLER  181 

seinem  eigenen  Zeugnis  —  ob  das  unbedingt  für  adliche  abkunlt 
spricht,  ist  erst  eine  zweite  frage,  in  dem  dritten  werke  des 
dichters,  von  dem  vHeinemann  (Zs.  32 ,  1 1 1  ff)  und  Steinmeyer 
(ebda  446 ff)  fragmente  aufgefunden  haben,  nennt  er  sich  v.  60t' 
(aao.  s.  112)  Heinrich  von  Hasiliere;  das  ie  dürfen  wir  sofort 
durch  e  ersetzen,  denn  der  Schreiber  hat  auch  liesen  für  lesen, 
Heren  für  leren,  und  was  heifst  denn  Apok.  154  f  Heinrich  heiz 
ich  mines  rehten  namen,  Hesler  ist  min  hus  genant  anders  als: 
'ich  heifse  Heinrich  von  Hesler"?  wer  so  bestimmt  wüste,  dass 
er  seinen  namen  von  einem  orte  führte,  der  nannte  sich  um 
1300  auch  noch  'von  Hesler'!  ich  gesteh,  dass  mir  die  aus- 
lührungen  Helms  s.  166  ff  ein  rätsei  bleiben,  das  ich  mir  nur  aus 
dem  streben  heraus  zu  erklären  vermag,  für  gewisse  demokratisch 
klingende  ausführungen  des  Ev.  Nie.  eine  unterläge  in  dem 
'bürgerlichen  stände'  des  dichters  zu  gewinnen  —  und  zum 
schluss  ein  paar  ganz  gleichgiltige  belege  für  den  bürgerlichen 
namen  Heseler  (ohne  'von')  aus  der  ungefähren  zeit  des  autors 
beizubringen,  jene  stellen  aber  (Helm  druckt  sie  s.  16S  ab)  besagen 
einmal,  dass  alle  menschen  von  abstammung  gleich  sind  und  im  tode 
wider  gleich  werden,  —  das  ist  ein  christlicher  gemeinplatz,  wie 
ihn  auch  ritterliche  poeten  sehr  oft  im  munde  führen;  dann 
aber  stellt  sich  der  dichter  allerdings  in  lebhafter  anrede  den 
herren  gegenüber  und  mahnt  sie,  die  iiber  uns  gestigen  sind,  zur 
demut.  der  gegensatz  von  'adlich'  und  'bürgerlich',  den  hier  Helm 
offenbar  als  den  natürlichen  und  einzig  möglichen  herauslist, 
zeigt  wider  jene  ungenügende  bekanntsebaft  mit  den  mittelalter- 
lichen standesverhältnissen,  die  trotz  Schuhes  —  ich  sollte  denken 
eindringlicher  —  rüge  für  die  deutschen  philologeo  charakteristisch 
bleiben  zu  wollen  scheint. 

Wo    Heinrich    von    Hesler    dichtete,    wissen    wir    Dicht :  ich 
folge  womöglich  noch  entschiedener  als  Helm  dem  alten  Pisan6ki, 
der  ihn  zuerst  für  die  preufsische  litteraTgeschichte   in  anspruch 
genommen  hat.    wie  aber  sein  heimatsort  hiefs,  >.i-t  er  uns  selbst 
Hesler.     also  einen  namen   auf -/er,  -lere  nennt  er  da,   und  'I 
mit  ist  das  colonisationsgebiet  im  Osten  ohne  weitei 
sen,    denn    derartige    namen  auf  ahd.  -fori  (heute    bald  - 
-ler)  gibt  es  nur  im  allerältesten  Siedlungsgebiete  dei 
sie  beginnen  am  nordraude  des  Thüringerwaldes  und  reic 
in    die  Niederlande,     dass    sie    geograpbisch    mit    den    bekannten 


182  SCHRÖDER 

fluss-  und  Ortsnamen  auf  -apa,  -affa  zusammenfallen,  und  wie 
man  sie  morphologisch  aufzufassen  hat,  das  denk  ich  ein  ander- 
mal zu  zeigen  :  für  heute  nur  soviel,  dass  es  mit  den  deutungen 
nichts  ist,  welche  von  länge  des  d  ausgehn  und  die  simplicia 
Lahr,  Lohr  uä.  in  engen  Zusammenhang  damit  hringen.  speciell 
der  *Hasalart,  *Hasilari  uä.  sind  mir  6  hekannt,  die  sich  auf 
vier  verschiedene  gegenden  verteilen,  zunächst  am  weitesten  öst- 
lich zwischen  Unstrut  und  Saale  die  heiden  orte  Burghess ler 
und  KIoster-Häseler,  mit  denen  KRoth  unsern  dichter  zu- 
sammengehracht  hat  :  ich  lehne  sie  mit  Helm  ab,  denn  an  einen 
Thüringer,  der  in  etwa  14000  versen1  nur  einmal  einen  infinitiv 
mit  n-abfall  aufweisen  soll,  kann  man  schon  nicht  gut  glauben, 
dann  am  südrande  des  gehietes  Hesslar  im  unlerfränk.  bezirksamt 
Karlstadt  (nördl.  dem  Main)  :  eine  familie,  die  sich  danach  nannte, 
kommt  in  Würzburger  Urkunden  und  acten  mehrfach  vor,  so  im 
ältesten  lehensbuch  (1303 — 1317)  :  Frowinus  de  Hesler  Arch.  d. 
bist.  ver.  f.  Unterfranken  24,  20  (ur  92)  und  113  (ur  811);  Mo- 
numenta  Boica  41 ,  266  (a.  1347)  Conradus  dictus  Wygant  de 
Heseler2.  weiter  im  eigenlichen  centrum  des  lar -bereichs,  in 
Hessen,  Hesslar  im  amtsgericht  Felsberg  :  a.  1295  Heskre,  a.  1352 
Heselere  (Arnold  Ansiedelungen  und  Wanderungen  s.  144)3.  schliefs- 
lich  zwei  westfälische  banerschaften,  über  die  ich  den  beamteu 
des  kgl.  Staatsarchivs  zu  Münster  gütige  auskunft  und  nachweise 
verdanke,  einmal  Hessler  im  kirchspiel  Vellern,  kr.  Beckum, 
das  zuerst  1282  in  der  form  West  Heslere  begegnet  (Westf.  Üb. 
in  1193),  in  der  zweiten  Hälfte  des  14  jhs.  einfach  als  Heslere 
und  Hesler  erscheint;  und  dann  das  gröfsere  Hessler  im  kr. 
Gelsenkirchen,  ältester  beleg  von  1322  Hesler  (Darpe  Gesch.  d. 
st.  Bochum  in,  Üb.  nr  4),  ebenso  1354  (Essener  urk.  in  abschritt 
von  Kindliugers  hand,  Msc.  n  117,174),  schon  1486  im  Märki- 
schen schatzbuch  Hessler. 

Auf  keinen  dieser  6  orte  passt  nun  aber  der  'dialekt' :  es  ligt 
eben  einer  jener  fälle  vor,  wo  wir  es  mit  einer  neutralen,  rein  litte- 
rarischen sprachform  zu  tun  haben,    das  suchen  und  tasten  nach 

1  ich  nehme  an,  dass  auch  Helms  kenntnis  der  Apokalypse  vorläufig 
nicht  über  die  8400  verse  (etwa  iß  des  ganzen)  hinausreicht,  die  Behaghel 
abgeschrieben  und  Amerbach  für  seine  zwecke  ausgeschöpft  hat. 

2  für  diesen  bleibt  die  adliche  herkunft  zweifelhaft. 

3  eine  familie  des  namens  ist  mir  hier  nicht  bekannt  und  auch  bei  den 
gleich  folgenden  westfälischen  orten  vorläufig  nicht  nachgewiesen. 


HEINRICH  VON  HESLER  183 

der  heimat  des  dichters  oder  auch,  wie  Helm  sich  vorsichtig  aus- 
zudrücken scheint,  'des  gedichtes'  hlofs  an  der  band  der  reime 
erscheint  mir  durchaus  verfehlt.  'Thüringen  ist  ausgeschlossen 
durch  diese,  Oslfranken  durch  jene  reimgruppe'  —  so  kommen 
wir  nicht  vorwärts,  es  ist  schwer  zu  verstehn,  dass  Beim  in 
dieser  heklemmten  Situation  gar  nicht  auf  den  gedanken  verfallen 
ist,  den  Wortschatz  zu  prüfen,  wir  andern  können  es  vorläufig  nicht. 
Aber  verrät  uns  jene  heimatsangabe  in  der  Apokalypse  nicht 
vielleicht  etwas  mehr  als  einen  blofsen  Ortsnamen?  Hesl er  ist 
min  hus  genant  —  wo  in  aller  weit  ist  denn  diese  ausdrucks- 
weise 'haus  Hessler'  im  brauch  aufser  in  Westfalen  und  am  Nie- 
derrhein, wo  'domus'  synonym  mit  'curia,  curtis,  castrum'  in  den 
Urkunden  als  bezeichnung  adlicher  sitze  urkundlich  vielfach  er- 
scheint, in  der  Übersetzung  meist  als  erve  widergegeben,  aber 
durch  zahlreiche  composita  wie  Grotenhus,  Borichus,  Waterhus 
auch  deutsch  früh  bezeugt. 

Freilich  :  Heinrich  von  Hesler  schreibt  mitteldeutsch,  und 
die  westfälischen  Hessler  liegen  auf  niederdeutschem  boden.  aber 
einmal  hat  der  dichter  ja  offenbar  im  Ordenslande  eine  zweite  hei- 
mat gefunden;  würde  dort  noch  eiu  ausgegangenes  dorf 'Hesler1 
nachgewiesen,  so  könnte  es  nur  durch  Übertragung  des  namens 
aus  dem  westen  erklärt  werden,  dann  aber  treffen  wir  auch  tat- 
sächlich in  den  reimen  allerlei  niederdeutsche  spuren,  dii 
nicht  besser  als  aus  niederdeutscher  abkunft  des  Verfassers  erkläj  i 
werden  können,  so  vor  allem  der  im  Ev.  Nie.  2  mal  bezeugte 
reim  haz  :  schätz,  mit  dem  sich  Helm  s.  159  abquält  :  es  isl  der- 
selbe reim,  den  Heinrich  von  Veldeke  auch  in  der  Eneide 
haghel  s.  lxxiii)  nicht  abgestreift  hat,  während  er  doch  hier  die 
reime  t  :  z  scharf  mied  und  überhaupt,  wie  uns  demnächst  CKraus 
eingehend  darlegen  wird,  ein  neutrales  hochdeutsch  zu  schreiben 
bestrebt  war.  an  solcheu  beobachtun^en  muss  die  Untersuchung 
aufs  neue  einsetzen,  und  sie  muss  vor  allein  auch  den  Wortschatz 
ins  äuge  fassen  :  was  davon  KAmerbacb  in  seinem  zweiten  Pro- 
gramm (Konstanz  18S4)  mitteilt,  dient  nur  dem  zwecke,  die  ein- 
heit  des  dichters  der  Apokalypse  und  des  Nicodemusevangeliuma 
zu  erhärten,  und  berücksichtigt  daher  gar  nicht  das  gerade  in 
solchen  fällen  so  wichtige  vereinzelte,  rudimentäre  vorkommen, 
immerhin  dürften  schon  Wörter  wie  klüter,  bekliUeren  i 
und  besonders  das  verhochdeutschte  wenta  'bis*  (s.  20),  das 
ohne  reimbeleg  ausreichend  gesichert  ist,  für  einen  Schriftsteller 
niederdeutscher  abkunft   sprechen. 

Gerade  gegenwärtig,  wo  die  auf  niederdeutschem  boden  i 
denen  dichtungeu  von  hochdeutschem  sprachcharakter  dui 
und  Roethe  energisch  in  neues  licht  gerückt  werden, 
nützlich,  auf  Heinrich    von   Hesler  als  ein  anzieht 
tungsobjeet  verwanter  art  hinzuweisen.      EDWARD  S(  BRODER. 


DAS  LIED  DES  MÖRINGERS. 

In  einer  abhandlung  der  Göttingischen  gelehrten  nacbrichten, 
phil.-hist.  cl.,  1899,  s.  49 — 71  hab  ich  mich  eingehend  mit  der 
Bern  er  hs.  260  (aus  der  Bongarsischen  Sammlung)  beschäftigt,  als 
deren  wichtigster  inhalt  die  chronik  des  Matthias  von  Neuenbürg 
gelten  muss.  ich  habe  den  beweis  geliefert,  dass  sie  in  Strafsburg 
und  teilweise  unter  den  äugen  jenes  geschichtschreibers  in  den 
Jahren  1350 — 1351  entstanden  ist  und  dass  ihr  die  bibliothek  des 
grafen  Albrecht  v  von  Hohenberg-Haigerloch  einen  teil  der  vorlagen 
geliefert  hat;  ich  habe  die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  ihr  be- 
steller  der  jüngere  bruder  Albrechts  war,  graf  Hugo  von  Hohen- 
berg,  der  in  den  jähren  1350 — 1353  zum  zweiten  male  das  amt 
eines  kaiserlichen  landvogts  im  Elsass  versah. 

Die  Berner  hs.  hat  aber  auch  für  den  germanisten  interesse: 
sie  enthält  aufser  ein  paar  erbaulichen  prosageschichtchen  (auf 
bl.  clxxi)  einmal  die  beste  fassung  von  Heinzeleins  von  Konstanz 
Streitgedicht  von  den  zwei  Johansen  (bl.  cxxxivv — cxxxvii,  Pfeiffers 
A),  die  einzige  zugleich,  aus  der  wir  die  lebensstellung  des  dichters 
als  küchenmeister  jenes  hohenbergischen  grafen  Albrecht  erfahren, 
und  dann,  lediglich  zur  raumfüllung  eingetragen  (aao.  s.  55),  eine 
kleine  Sammlung  von  liedern  und  einzelstrophen  aus  der  guten 
zeit  des  minnesangs,  von  Hausen  und  Beimar  bis  herab  auf  Had- 
laub  (bl.  ccxvir — ccxvn  schluss).  Lachmann  und  Haupt  (MFr.  s.vn) 
haben  diesem  teil  der  hs.  die  sigle  p  gegeben,  die  wir  beibehalten 
wollen. 

Es  sind  im  ganzen  36  Strophen,  die  letzte  unvollständig  :  da 
der  Schreiber  einsah,  dass  er  die  ganze  Strophe  (Friedrichs  von 
Hausen,  MFr.  54 ,  1  ff )  doch  nicht  mehr  auf  den  rest  der  seite 
bringen  werde,  brach  er  mit  behütet  ab,  wo  es  syntaktisch  mög- 
lich war,  und  liefs  lieber  die  letzten  beiden  Zeilen  der  spalte  frei, 
wir  können  den  gesamtbestand  nach  herkunft  und  einfuhrung 
folgendermafsen  einteilen: 
i)  namenlos  überliefert  sind  30  Strophen: 

a)  davon  sind  in  andern  hss.  überliefert  21,  und  zwar  als  das 
eigentum  t  Hausens  :  nr  36  (CF),  Morungens  :  nrr  17.  18 
(AC),  Beimars  :  nrr  33—35  (bE),  Walthers  :  nrr  30—32  (C), 

1  ich  scheide  hier  stillschweigend  aus,   was  die  kritik  als  falsche  an- 
gaben einzelner  hss.  bestimmt  erwiesen  hat. 


SCHRÖDER  DAS  LIED  DES  MÜRINGERS 

Leutolds  von  Seven  :  nrr  28.  29  (ARC),  Winlerstettens :  nr  4 
(C),  Neifens  :  nrr  23.  24.  26.  27  (C),  des  Maruers  :  nr  3  (C), 
Konrads  von  Würzburg  :  nrr  20—22  (C),  Hadlaubs  :  nr  10  (C). 

b)  2  mal  finden  sich  plusstrophen  gegenüber  anderweitiger 
Überlieferung  :  nr  19  ist  eine  von  Haupt  MFr.  137,  4  ff  mit 
starken  Veränderungen  aufgenommene  zusatzstrophe  zu  einem 
liede  Morungens  (AC),  die  als  unecht  jetzt  von  ELemcke 
Untersuchungen  zu  den  liedern  HvM.  (diss.  Jena  1897) 
s.  87  f  nachgewiesen  ist;  nr  25  hat  Haupt  wol  mit  recht 
als  echte  plusstrophe  (gegenüber  C)  in  seine  ausgäbe  des 
GvNeifen  29,  25  aufgenommen. 

c)  7  Strophen,  die  nur  hier  überliefert  sind,  bleiben  vorläufig 
herrenlos  :  nrr  2.  11  —  13.  14—16. 

ii)  mit  namen  eingeführt  sind  nur  6  Strophen: 

a)  auch  anderwärts  unter  gleichem  namen  überliefert  ist  (Ins 
lied  nrr  5  —  9  :  'Dis  ist  der  Rosenkrantz  hem  Mthartes 
(ebenso  im  inhaltsverzeichnis);  die  hss.  R  und  G  (Gries- 
habers  bruchstücke)  bieten  es  unter  den  gedienten  Neid- 
harts,  und  schon  Liliencron,  der  zuerst  die  unechtheit  be- 
tonte (Zs.  6,  92),  hat  darauf  hingewiesen,  dass  diesen  autor- 
namen  dafür  auch  Heinrich  vFreiberg  kennt;  bei  Haupt 
s.  xxvn  9  ff  unter  den  unechten  stücken. 

b)  die  Strophe  1,  in  text  und  register  mit  'her  Morung'  ein- 
geführt (MFr.  147,  17  ff,  die  letzte  strophe),  ist  anderwärts 
nicht  überliefert,  aber  an  ihre  echtheit  hat  sich  nicht  ein- 
mal der  stets  rege  zweifei  KSchützes  (s.  13)  herangewagt; 
sie  gilt  allgemein  für  authentisch,  so  zuletzt  noch  im 
Lemcke  s.  91  und  ORössuer  Unlersuchun^m  /u  HfM. 
(Rerlin  1898)  s.  38.  74.  ich  werde  unten  dir  gründe  für 
ihre  echtheit  aus  der  Überlieferung  vermehren. 

Es  ist  kein  zweifei,  dass  der  Schreiber  fon  p  aus  einer  bs. 
schöpfte,  die  mehr  enthielt  :  er  nahm  nur  eben  so  fielt 
zur  raumfüllung  brauchte,    charakteristisch  für  die  form  d<  r  Über- 
lieferung,   und  zwar  zu  ihren  Ungunsten,    ist    von    foro 
zweierlei,     einmal   die  zerStückelung   de:-  meisten  gediebte 
Überlieferung    erstreckt  sich   im  ganzen  auf    15   fei 
dichte,  und  von  6  ist  nur  jedesmal  eine  Strophe 

«  dabei  muss  man  freilich  Ihm  nr  1  mit  der  möglichen, 
liehen  einstroph.-keit,  bei  nr  36  mit  dem  ausgehn  J-  - 


186  SCHRÖDER 

andere  sind  anderwärts  vollständiger  und  in  besserer  Ordnung 
auf  uns  gekommen,  zum  andern  das  fehlen  der  autornamen  für 
fünf  sechstel  des  Strophenbestandes  :  nur  2  von  15  liedern  (und 
liedfragmenten)  tragen  den  dichternamen  an  der  spitze. 

Ist  an  diesen  mangeln  der  Überlieferung  unser  Schreiber 
schuld? 

Ich  glaube  darauf  mit  bestimmtheit  antworten  zu  können: 
nein,  was  er  überliefert,  hat  er  im  wesentlichen  so  in  seiner 
vorläge  gefunden,  wir  besitzen  nämlich,  wie  ich  glaube,  noch 
einen  zweiten  auszug  aus  dieser  vorläge,  die  Donaueschinger 
origiualhs.  des  Rappoltsteiner  Parzival  (MFr.  s.  vi  mit 
der  sigle  i  aufgeführt),  verwendet  am  Schlüsse  der  alten  dichtung 
zur  füllung  von  bl.  115v  (s.  Schorbach  s.  xiv)  7  minnestrophen, 
eine  achte  ist  am  schluss  des  ganzen  bl.320v  hinter  dem  schreiber- 
vers  angebracht,  diese  aber  wol  anderer,  jüngerer  herkunft  *. 
alle  8  sind  sie  mitgeteilt  von  Uhland  in  Schreibers  Taschenbuch 
für  Süddeutschland  2  (1840)  s.  261—263;  aus  der  römischen 
abschrift  stehn  1 — 7  in  Kellers  Romvart  und  HMS  m  468  a.  c.  o. 

Die  stücke  in  i  sind  sämtlich  namenlos  überliefert: 

a)  davon  treffen  wir  6  in  andern  hss.  überliefert,  und  zwar 
unter  dem  namen  Walthers  vdVogelweide  :  nr  1  (Cs),  Walther 
vMetze  :  nr  2  (C),  Neifen  :  nrr  3—5  (C),  Reimar  :  nr  6  (ACE). 

b)  nur  hier  überliefert  und  daher  herrenlos  sind  2  :  nr  7  [nr  8]. 
Also  dasselbe   nebeneinander  von    einzelstrophen  und  mehr- 

strophiger  Überlieferung,  dasselbe  fehlen  der  dichternamen,  und 
neben  anderweitig  überliefertem  auch  eigener  besitz,  der,  wenn 
auch  nr  8  aus  X  stammen  sollte,  in  annähernd  dem  gleichen  Ver- 
hältnis auftritt,  hier  2  :  6,  dort  10  :  26. 

Also  schon  ohne  dass  wir  in  eine  prüfung  der  lesarten  ein- 
treten, steht  fest :  keinesfalls  ist  eine  der  uns  überlieferten  hss.,  von 
denen  ohnedies  dem  alter  nach  nur  ABC  in  frage  kämen,  quelle 
von  i  und  p,  und  auch  eine  combination  reicht  dazu  nicht  aus. 
wol  aber  scheint  es  mir  ganz  unzweifelhaft,  dass  die  vorläge  X 
aus  denselben  quellen  wie  B  und  insbesondere  C  geschöpft  hat. 

Von  p,    das  26  (21  +  5)  Strophen    mit  andern  hss.  teilt2, 

1  ich  habe  sie  hier  gleichwol  mit  eingerechnet,  da  sie  das  gesamtbild 
nicht  stört,  und  ich  unterlass  es,  ihre  Sonderstellung  im  nachfolgenden  weiter 
hervorzuheben,  als  durch  eine  [  ].  2  das  genauere  ist  aus  der  Zusammen- 
stellung oben  s.  184 f  leicht  zu  ermitteln. 


DAS  LIED  DES  MÜRINGERS  187 

sind  18  Strophen  in  C,  davon  13  nur  hier  üherliefert.  mit  R 
teilt  es  10  Strophen,  die  freilich  sämtlich  auch  anderwärts  wider- 
kehren,  aber  zunächst  doch  in  der  Überlieferung  von  R,  dh. 
seinen  vorlagen,  für  uns  in  frage  kommen,  da  die  8  (von  jenen 
26)  Strophen,  die  sich  in  C  nicht  finden,  sämtlich  in  R  (resp.  b) 
vorhanden  sind,  so  würden  R  und  C  zusammengenommen,  dh. 
immer  ihre  quellen,  genügt  haben,  um  diesen  bestand  zu  decken. 

Für  i  lassen  sich  alle  6  Strophen,  die  es  mit  andern  hss. 
gemein  hat,  in  C  und  4  nur  hier  nachweisen. 

Das  gewicht  der  gründe,  welche  dafür  sprechen,  die  ent- 
stehung  von  X,  der  vorläge  von  ip,  in  der  nähe  von  RC  und 
besonders  von  C  zu  suchen,  lässt  sich  aber  noch  wesentlich  ver- 
stärken, die  lyrischen  gedichte  Konrads  vWürzburg  und  Ulrichs 
vWinterstetten  sind  nahezu  ausschliefslich,  die  gedichte  Neifens 
und  Hadlaubs  *  ganz  allein  in  C  überliefert  :  nur  in  ip  sind  bis- 
her versprengte  stücke  der  dichtung  Hadlaubs  und  Neifens  auf- 
gefunden, und  weiter,  X  schöpfte  schwerlich  aus  einer  ausgäbe 
Neidharts,  unter  den  sammelhss.  hat  aber  nur  R  den  unechten 
'Rosenkranz'  aufgenommen. 

Der  Donaueschinger  Parzival  (i)  ist  im  j.  1336  zu  Strafsburg 
geschrieben  und  zwar,  das  hat  Stosch  Anz.  xix  3031V  bewiesen 
(und  sein  beweis  liefse  sich  jetzt  aus  dem  Strafsb.  HR.  bd  v  noch 
verstärken),  für  den  Strafsburger  domherrn  Ulrich  von  Rappolt- 
stein.  ebendort  ist  im  j.  1351  die  Rerner  bs.  (p)  geschrieben: 
unter  nachweisbarer  starker  benutzun^  der  bibliothek  des 
Albrechtsv  von  Hohenberg,  der  neben  seinem  Konstanzer  canooikal 
wol  schon  vor  13302  ein  Strafsburgisches  innehatte,  aufserdem 
aber  seit  1336,  wo  sein  vatcr  starb,  nominell  und  seil  1338  auch 
würklich  landvogt  des  Elsass  war  (s.  GGN  aao.  8.  70).  er  musfi 
auch  der  besitzer  jener  liederbs.  X  gewesen  sein,  der  einzigen, 
welche  das  Elsass  zur  gesamten  Überlieferung  <\<'>  noinn« 
beizusteuern  scheint.    Albrecht  von  Hohenberg  mm  bal  seine  aus- 

1  der  den  Urhebern  der  hs.  C,  mag  man  >ie  In  Konstani  od 
suchen,  persönlich  nahestand. 

2  vgl.  die  (von  mir  früher  übersehenen  regestell)  AlbrechU 
Regesta  episc.  Const.  n  155  f,    A.   selbst   bei   Matthi 

Studer  s.  1S5,  5  :  Poslea  redien»  in  patriam  reeephu     ■' 
Argentinensem.     diese  rückkehr  aus  Paris  mnss  aber  iroi 
fallen,   wo  Albrecht   in  Rottenburg   als  zeuge  erschein«    (F 
nr  4367). 


188  SCHRÖDER 

bildung  im  zweiten  Jahrzehnt  des  14  jhs.  in  Konstanz  erhalten,  wo 
er  sehr  jung,  noch  vor  dem  nov.  1317,  domherr  wurde  und  sich 
wol  bis  in  den  anfang  der  20  er  jähre  aufhielt,  dort,  wo  er  nach 
seinem  eigenen  bekenntnis  lmultum  profecit  in  artibus',  wird  er 
auch  jenen  minneliedercodex  erworben  oder  selbst  zusammen- 
gestellt haben,  dessen  habitus  uns  die  hss.  ip  im  allgemeinen 
widerspiegeln,  die  entstehung  dieses  codex  fällt  in  die  zeit  um 
1320  :  nicht  viel  früher,  denn  nach  Cartellieri  Regg.  epp.  Const. 
nr  4359  scheint  das  geburtsjahr  Albrechts  1303  zu  sein,  aber 
auch  nicht  viel  später,  denn  schon  im  anfang  der  zwanziger  jähre 
muss  A.  nach  Paris  aufgebrochen  sein ,  ubi  stellt  pluribus  annis 
cum  magnis  sumptibus  et  profecit  in  magnum  clericum,  et  legebat 
jura  ad  tempus  multis  audientibus.    postea  licentiatus  fuit  in  de- 

cretis causa  vere  scientie  (Albrecht  bei  Matthias  vNeuenburg 

aao.);  das  alles  vor  13291  in  dieselbe  Konstanzer  zeit  fallen  auch  die 
beiden  gedichte  Heinzeleins.  —  waren  also  damals  in  Konstanz  die 
quellen  für  die  hss.  R  und  C,  die  sich  in  wesentlichen  teilen  mit  den 
quellen  von  ip  als  identisch  erwiesen  haben,  vorhanden,  so  dürfte 
das  ein  gewichtiges  moment  mehr  für  dielocalisierung  beider  hss.  in 
dieser  Stadt  sein,  welche  neuerdings  wider  mit  der  besten  aussieht 
auf  erfolg  von  dem  grafen  Eberhard  vZeppelin  verfochten  wird  l. 

Die  hs.  p  ihrerseits  ist,  wie  das  nach  der  anderweit  zu  con- 
trolierenden  stumpfen  gewissenhaftigkeit  des  Schreibers  so  gut 
wie  sicher  erscheint,  an  ihrem  teile  eine  genaue  abschrift  der  vor- 
läge X  :  insbesondere  hat  der  Schreiber  weder  dichternamen  eigen- 
mächtig fortgelassen  (wie  ja  auch  das  verwante  i  ergibt),  noch  etwa 
selbständig  die  beiden  einzigen,  die  er  bietet,  eingeschaltet. 

Die  unechtheit  des  'Rosenkranzes'  steht  durch  Liliencron  und 
Haupt  fest  —  dass  er  um  1300  unter  dem  namen  Neidharts  be- 
kannt war,  ist  anderseits  sicher,  für  die  echtheit  der  nur  hier 
überlieferten  Strophe  mit  Morungens  namen  haben  sich  alje  aus- 
gesprochen, die  diesem  dichter  eingehnderes  Studium  gewidmet 
haben,  ich  mochte  meinerseits  nur  aufzeigen,  dass  die  Über- 
lieferung noch  in  p,  wo  sie  doch  zum  allermindesten  zwei  obd. 
durchgangshss.  passiert  hat,  deutliche  spuren  der  mitteldeutschen 
herkunft  aufweist  :  das  part.  prät.  geweset,  das  Haupt  z.  st.  aus 
Morungen  134,31  belegte,  ist  der  spräche  der  hs.  fremd,  sie  bietet 

1  vgl.  das  referat  von  KBrunner  in  der  beilage  d.  Münchner  Allgem. 
zeitunar  vom  29  märz  1899. 


DAS  LIED  DES  MÖRINGERS  189 

zb.  im  ersten  prosastück  bl.  clxxi  gewesen,  den  im  reim  stehnden 
schwachen  dat.  sg.  minnen  hat  Lemcke  s.  31  (vgl.  s.  34  q.  1.  s.  50) 
mit  recht  gegen  Haupts  änderung  verteidigt  und  aus  Morungen 
gesichert;  unser  Schreiber  bietet  dagegen  zb.  Diut.  n  260  im  vers 
z.  5  uf  minne  (so  gegen  Graff!),  10  der  .  .  minne  (gen.),  von 
werdet  minne.  schliefslich  das  vom  Schreiber  misverstandene  en- 
binnen  (hs.  in  pinen)  ist  charakteristisch  mitteldeutsch  :  vgl.  die 
beispiele  im  Mhd.  \vb.  i750,  wo  aber  für  die  beiden  Er[ec]-stellen 
En[eit]  (ed.  Myller)  einzusetzen  ist.  wenn  das  wort  in  der  durch- 
weg oberdeutschen  Überlieferung  Morungens  nicht  weiter  begegnet, 
so  darf  das  um  so  weniger  wunder  nehmen,  als  es  sehr  leicht 
durch  darinnen,  drinne  (so  etwa  127,  5)  zu  ersetzen  war. 

Eine  weitere  frage  ist  die,  ob  uusre  Strophe  für  sich  ein 
lied  bilde,  oder  nur  den  eingang  eines  liedes  darstelle,  wie  denn 
die  hs.  tatsächlich  mit  nr  3  eine  erste  Strophe  des  Marners,  mit 
ur  4  eine  solche  Ulrichs  vWinterstetten,  mit  nr  10  eine  solche 
Hadlaubs  gibt,  und  seine  nr  2  gewis  auch  nur  einen  liedeingang 
bietet,  aber  die  erwägungen,  welche  Schütze  s.  13  anstellt,  sind 
für  mich  —  ausnahmsweise  einmal  —  überzeugend,  und  wenn  ich 
ihm  auch  nicht  in  allen  ausführungen  über  die  einzelstrophen 
(s.  13.  45 f.  52 lf)  zustimme,  so  scheint  er  mir  doch  das  Vorhanden- 
sein einstrophiger  lieder  unter  dem  überlieferten  bestand  Heinrichs 
vMorungen  unbedingt  gesichert  zu  haben;  für  ein  solches  wird 
auch  unser  stück  gelten  dürfen. 

Wir  konnten  von  38  in  ip  namenlos  überlieferten  Strophen 
28  auf  grund  anderer  hss.   elf  verschiedenen  dichten)  «weisen; 
eine  29  (p  nr  19)  gieng  gewis  in  der  vorläge  von  \  Doch  unter 
Morungens    namen.     warum    hat    nun    der  Schreiber    roo   X    alle 
diese  namen  unterdrückt,   und  dazu  vrol  nocfa  einige  mehr,  die  aul 
die  9  namenlos  bleibenden,  weil  nur  in  ip  überlieferten  Strophen 
entfallen  mögen?    und  warum  nennt  er  dann  doch  iwei  dichter, 
'liern  Morung'  und  'hern  Nithart'?     der  grond   hierfür  »1  Dich! 
schwer  zu  erraten  :  sehen  wir  von    der  meistersängertschen  tra- 
dition  ab,  die  eine  art  primitiver  litteraturgeschicbte  repi  bentiert, 
so  leben  für  das  spätmiitelallerliche  publicum  mm*  wenig« 
aus  dieser  reichen  poetenweit  fort,  und  /wir  diejenigen,  ' 
in    oder  mit  ihrer   eigenschaft  als   minnesSnger   zu    beiden    der 
sage  oder  des  Volksliedes  geworden  sind,  mag  an!. 
stufe    der    Überlieferun?    ihnen    den   nimhus    des  B  raubt 


190  SCHRÖDER 

oder  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt  haben  :  ich  meine  einerseits 
Neid  hart,  anderseits  den  Tannhäuser,  Reimar  vRrennenberg, 
Neifen  und  Morungen.  zwei  von  diesen  sind  es,  deren  namen 
der  Schreiber  von  X  der  bewahrung  für  würdig  erachtete,  dass 
dabei  der  eine  mit  dem  familiennamen,  der  andre  mit  dem  Vor- 
namen genannt  wird  ('her  Morung',  'her  Nithart'),  entspricht  der 
art,  wie  wir  heute  zu  citieren  pflegen,  und  diese  ist  schon  durch 
die  älteste  Überlieferung  vorbereitet  :  die  hs.  A  hat  'der  von  Mo- 
runge'  und  'Nithart'  (C  'her  Nithart').  gleichwol  scheint  es  mir 
nützlich,  die  Übereinstimmung  dieser  benennungsweise  mit  der 
volkstümlichen  tradition,  die  nur  noch  einen  'edelu  Möringer' 
und  einen  'herrn  Neidhart  [Fuchs]'  kennt,  hervorzuheben  :  diese 
tradition  geht  eben  nicht  neben  der  handschriftlichen  fortpflan- 
zung  des  minnesangs  her,  sondern  ist  aus  ihr  geschöpft,  und 
mit  unsrer  erschlossenen  hs.  X  kommen  wir  dicht  an  die  grofsen 
sammelhss.  B  und  C  heran. 

Der  Schreiber  von  X,  der  diese  beiden  namen  als  die  einzigen 
nennt,  verband  offenbar  nur  mit  ihnen  bestimmte  Vorstellungen, 
die  übrigen  waren  ihm  schall  und  rauch,  dass  Neidhart  schon 
bei  seinen  lebzeiten  eine  populäre  und  bald  genug  eine  von 
lustiger  sage  umwobene  und  getragene  persönlichkeit  war,  ist 
zweifellos,  aber  auch  Heinrich  von  Morungen  verdankt  seine 
rolle  als  held  einer  ballade  gewis  nicht  einer  litterarischen  aus- 
grabung  des  14  oder  gar  15  jhs.  freilich  kennt  man  jenes 
epische  Volkslied  vom  edlen  Möringer  erst  aus  jungen  hss.  (die 
älteste  scheint  die  Veesenmeyersche  vom  j.  1459),  und  mit  der 
erwähnung  beim  sog.  Seifried  Helbling  ist  nichts  anzufangen  :  sie 
nennt  Morungen  als  'minnedieb'  und  dichter  von  tageliedern, 
wozu  die  ballade  gewis  keinen  anlass  geben  konnte,  der  frühste, 
bei  dem  sich  bekanntschaft  mit  ihr  nachweisen  lässt,  ist  eben 
unser  Konstanzer  Schreiber  von  ca.  1320  :  er  kannte  sie  in  einer 
form,  die  mit  der  uns  überlieferten  jedesfalls  die  bekannte  lied- 
einlage  gemein  hatte,  das  lied,  mit  dem  sich  der  heimkehrende 
Möringer  einfuhrt  (str.  31  f  :  Ein  langes  schweigen  hob  ich  gedacht, 
so  teil  ich  aber  singen  als  e,  darzu  hant  mich  die  frawen  bracht : 
die  mugen  mir  wol  gebieten  me  usw.)  ist  bekanntlich  eigentum 
Walthers  vdVogelweide,  bei  dem  es  (71,  31  ff)  so  beginnt: 

Lange  swigen  des  hat  ich  gedäht: 

nü  muoz  ich  aber  singen  als  e. 


DAS  LIED  DES  MÖRINGERS  191 

dar  zuo  hdnt  mich  guote  Hute  brdht: 

die  mugen  mir  wol  gebieten  me  usw. 
es  ist  nun  eigentlich  merkwürdig,  dass  FVogt,  der  in  seiner 
schönen  abhandlung  über  den  'Edeln  Moringer'  (Reitr.  12)  die  ge- 
dichte  Morungens  vergeblich  auf  anhaltspuncte  in  inhalt  und 
Stimmung  durchmustert  hat,  an  dem  gleichklang  mit  der  in  der 
Rerner  hs.  unter  'her  Morung'  überlieferten  Strophe  1  (  =  Mir. 
147,  17  ff)  vorbeigegangen  ist: 

Lange  bin  ich  geiceset  verddht 

und  unfrö  von  rehter  minnen. 

nü  hdt  man  mir  mwre  brdht, 

der  ist  frö  min  herze  inbinnen. 
nirgends  im  ganzen  minnesang  oder  Volkslied  kenn  ich  ein  wei- 
teres beispiel,  dass  eine  Strophe,  nein  ein  lied  einsetzt  mit  diesem 
Lange  .  .  ich  ...  ddht  (:  brdht).  und  es  ist  doch  nicht  blofser 
klang,  sondern  diesem  anklang  der  worte  und  reime  entspricht 
auch  eine  gewisse,  wenn  auch  nur  vage,  verwantschaf't  der 
Stimmung  :  'Lang  ists  her,  dass  ich  in  trübe  gedanken  (in  schweigen) 
versunken  bin'  —  ich  weifs  wol,  dass  die  philologische  inter- 
pretation  schärfer  scheiden  muss  — ,  'aber  jetzt  ist  eine  Wendung 
zum  bessern  eingetreten',  dass  unser  Schreiber  die  Situation 
dieses  'herrn  Morung'  unwillkürlich  mit  der  des  'edeln  Möriogers' 
in  Verbindung  brachte,  scheint  mir  auch  die  halbmechanische 
correctur  zu  verraten,  die  v.  3  bringt  :  für  der  ist  frö  min  Itnzc 
inbinnen  schreibt  er  in  piüen  :  dh.  er  hat  unwillkürlich  in  pinen 
geschrieben,  wird  aber  durch  den  reimzwang,  ihn-  ihm  im  obre 
ligt,  auf  das  richtige  zurückgeführt '.  'froh  in  pein\  das  i>t  eben 
die  Stimmung  des  heimgekehrten,  der  die  gattin  widersehen  soll 
an  dem  tage,  wo  sie  sich  dem  freunde  vermählt. 

Mein  ergebnis  ist  demnach  :  der  Schreiber  der  vorläge  X 
unsrer  Rerner  hs.  p  kannte  die  ballade  vom  edeln  Moringer 
mit  der  liedeinlage  Lange  swigen  des  hdt  ich  geddht,  und  als  ihm 
ein  ahnlich  klingender,  von  ihm  für  identisch  gehaltener,  lied- 
eingang  Lange  bin  ich  geiceset  verddht  mit  dem  namen  des 
(Heinrich)  von  Morungen  unter  die  feiler  kam,  bewahrte 
dem  interesse,  das  er  au  dein  beiden  der  ballade  nahm, 
namen  des  dichters,  wahrend  er  die  übrigen  namen  bia  aal 

1  eine  rein  graphische  Variante  ist  es  durchaus  nicht, 
kennt    absolut  kein  p-  für  b-,  und  ebensowenig  ein  fit-  für 


192  SCHRÖDER  DAS  LIED  DES  MÖRINGERS 

des  gleichfalls  populären  Neidbart  fortliefs,  auch  den  namen  Mo- 
rungens    bei   den    ihm   teils    zugehörigen    teils    zugeschriebenen 
Strophen  17.  18.  19  (Mfr.  136,  25.  36;  137,  4)   nicht  widerholte. 
Ist  denn  aber  die  Übereinstimmung  des  Waltherischen  und  des 
Morungenschen  eingangs,    der  so    zum  dritten  male  gewis  nicht 
widerkehrt,   für  die  bailade  selbst  ganz  bedeutungslos?     schwer- 
lich!   dass  etwa  das  gedieht  Morungens  ursprünglich  als  einlage 
gedient  habe  und  erst  durch  ein  naheliegendes  lied  Walthers  ver- 
drängt sei,  ist  natürlich  ausgeschlossen  :  das  gedieht  des  Vogel- 
weiders  passt  wie  angegossen,   die  Strophe  Morungens  hätte  gar 
keinen  sinn,    so  bleibt  für  jeden,  der  sich  nicht  beim  reinen  Zu- 
fall beruhigen  will,  nur  der  eine  ausweg  :  das  gedieht  Walthers 
konnte   deshalb    so    leicht    dem   edeln   Möringer   untergeschoben 
werden,    weil   es   tatsächlich    ein    ähnlich    einsetzendes    liedchen 
Heinrichs  von  Morungen  gab.    diese  erklärung  scheint  mir  an  sich 
plausibler,    als  der  hinweis  Vogts  (s.  451)   auf  die  Weingartner 
hs.  (R),  wo  das  Walthersche  gedieht  'den  schluss  [!]  einer  lieder- 
gruppe  bildet,  welche  ohne  neue  Überschrift  auf  die  unter  HvMo- 
rungen  stehuden  lieder  folgt',    hierzu  ist  zu  bemerken,  dass  zwar 
keine  neue  Überschrift,   aber  doch  ein  sehr  deutlicher  absatz  (s. 
Pfeiffer  s.  95.  96)  diese  gruppe  scheidet,  die  im  ganzen  87  Strophen 
umfasst    und    in    der  hauptsache   ein  zweites   liederbuch  Reimars 
darstellt,     nur  jemand,  der  hastig  blätterte  wie  ein  moderner  leser, 
hätte   auf  den    gedanken    verfallen    können ,    dass   das   durch    84 
Strophen  von   dem  scharf  markierten    Schlüsse   der  gedichte  Mo- 
rungens getrennte  lied  noch  dem  thüringischen  Sänger  angehöre. 
Ich    scheue   mich   nicht,    am   Schlüsse   noch   einmal   zu  re- 
capitulieren,  dass  ich  allerdings  eine  zweimalige  irreleitung  durch 
denselben  gleichklang  oder  anklang  annehme,    die  ähnlichkeit  der 
liedeingänge  Walther  71,  31   und  Morungen  147,  17  war  zunächst 
schuld,   dass  der  Verfasser  der  ballade  vom  edeln  Möringer  seinem 
helden  ein   Walthersches  lied  in   den  mund  legte,     und    dieselbe 
ähnlichkeit  ruft,  vielleicht  einige  generationen  später,  in  dem  Schreiber 
der  Rerner  hs.    beim   anblick    und   der   niederschrift   des   echten 
Morungenschen  liedes  die  erinnerung  an  die  ballade  mit  der  ein- 
lage aus  Wallher  wach,    und  indem  er  um  ihretwillen    hier  aus- 
nahmsweise den  diebternamen  'her  Morung'  festhält,   gibt  er  uns 
die  möglichkeit,  jene  dichtung  wenigstens  bis  in  den  anfang  des 
14  jhs.  zurückzudatieren.  EDWARD  SCHRÖDER. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT. 

Aus  dem  stoffkreise  der  Dietrichssage  besitzen  wir  über  die 
ersten  abenteuer  des  Berners  drei  gedichte  :  die  'Virginal',  heraus- 
gegeben von  Julius  Zupitza  in  Müllenhoffs  Deutschem  heldenbuchv, 
s.  1 — 200;  'Dietrich  und  seine  gesellen',  den  130  Strophen  um- 
fassenden auszug  einer  altern  dichtung,  der  im  Dresdner  helden- 
buch  erhalten  und  von  FHvdHagen  und  APrimisser  (Der  helden 
buch  in  der  Ursprache,  2  teil,  Berlin  1825,  s.  143 — 159)  ver- 
öffentlicht ist,  und  endlich  'Dietrichs  erste  ausfahrt',  herausgegeben 
von  Franz  Stark  Bibl.  d.  litter.  Vereins  in  Stuttgart  bd  52. 

Einen  vergleich  dieser  drei  fassungen  hat  schon  FStark  durch 
die  an  den  rand  gesetzten  Strophenzahlen  der  Virginal  und  der 
entsprechenden  verse  des  Dresdner  auszugs  wesentlich  erleichtert; 
das  hauptverdienst  um  die  klärung  ihres  Verhältnisses  hat  sich 
aber  WWilmanns  erworben  mit  seiner  Untersuchung  'Über  Wr- 
ginal'  usw.  (Zs.  15,  294  ff),  es  empfiehlt  sich,  die  für  unsre  zwecke 
in  betracht  kommenden  ergebnisse  dieser  abhandlung  hier  zu- 
nächst kurz  zu  widerholen: 

Bezeichnen  wir  einstweilen  die  Virginal  mit  dem  buchstaben 
h,  den  auszug  des  Dresdner  heldenbuchs  mit  d,  Dietrichs  erste 
ausfahrt  mit  w,  so  ist  w  eine  mischung  aus  der  quelle  von  d 
mit  h;  d  und  h  ferner  stimmen  zu  anfang  völlig  überein,  gehe 
aber  dann  ganz  auseinander,  folgender  überblick  über  den  iu- 
halt  möge  dies  —  wider  im  anschluss  an  Wilmanns  —  deut- 
lich machen : 

(1   und    li : 

1.  Dietrich  und  Ilildebrand  tüten  den  beiden  Or- 
kise  und  seine  genossen,  welche  die  königm  Vir- 
ginal hart  bedrängen. 

2.  Hildebrand  und  Dietrich  kämpfen  mit  drachen, 
Reniwin,  der  söhn  des  benogs  Hetterich,  wird  von 
Ilildebrand  aus  den  zahnen  eines  solchen  DOgeheuea 
befreit  und  zieht  mit  seinem  retter  und  Dietrich  in 
Arone,  der  bürg  seines  vaters,  ein.  dorthin  über- 
bringt der  zwerg  Bibung  von  Virginal  eine  einlad 

an  die  helden.    diese  versprechen  dir  folge  zu  leisl 

d  I' 

3.    Bald    darauf  kommt    Liber-  3.  Sie  machen  sich  auf  deu 

tein  aus  Palermo,   um  mit  Dietrich  nach  Jeraspunt  zur  Vif 

zu  kämpfen.      Dietrich   überwindet  rieh  verirrt  sieh  und  wi 

Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  XXXI. 


194 


LUINZER 


riesenWicram  gefangen  nach  Muter 
geführt,  in  die  bürg  des  herzogs 
Nitger.  durch  die  liebe  der  Ihelm 
gelingt  es  ihm,  Hildebrand  zu  he- 
nachrichtigen.  dieser  zieht  mit  den 
Wülfingen,  Witege  und  Heime, 
Dietleip  von  Steier  und  dem  könige 
Imian  von  Ungarn  herbei,  die  riesen 
Nitgers  werden  erschlagen  und  Diet- 
rich befreit. 


ihn  und  nimmt  ihn  zu  seinem  ge- 
nossen an.  alsdann  treten  Helfe- 
rich, Dietrich,  Hildebrand  und  Li- 
bertein  die  reise  zur  königin  an. 
unterwegs  entfernt  sich  Dietrich 
von  seinen  gesellen,  diese  werden 
durch  einen  boten  des  beiden 
Janibus  verführt,  dessen  bürg  Or- 
teneck zu  besuchen.  Janibus  sucht 
die  beiden  zu  verderben,  um  seinen 
valer  Orkise  zu  rächen,  sie  be- 
stehn  aber  alle  gefahren  glücklich 
und  befreien  drei  mädchen,  die 
Orkise  seiner  zeit  gefangen  hatte, 
dann  finden  sie  Dietrich,  der  eben 
einen  riesen  besiegt  und  gefangen 
nimmt. 

4.   Zug    zur    königin.     Dietrich  4.  Zug  zur  Virgiual.   nach  man- 

vermählt  sich  mit  ihr  und  führt  cherlei  kämpfen  mit  drachen  und 
sie  schließlich  in  seine  hauptstadt  riesen  werden  sie  in  Jeraspunt 
Bern.  festlich  empfangen,     ein  böte  aus 

Bern  veranlasst  Dietrich  zur  heim- 
kehr  in  sein  reich. 
w  bietet  nun  zuerst  den  beiden  fassungen  gemeinsamen  iuhalt 
(in  der  obigen  inhaltsangabe  die  abschnitte  1  und  2),  bringt  dann 
den  abschnitt  3  aus  d,  hierauf  den  abschnitt  3  aus  h  und  schliefst 
mit  dem  abschnitte  4  aus  d.  es  erscheint  also  der  aus  h  ge- 
nommene abschnitt  3  als  fremder  einschub,  und  dies  hat  Wil- 
manns  auch  besonders  hervorgehoben. 

Urheber  der  mischung  war  der  Schreiber  der  uns  erhaltenen 
hs.  w.  er  hatte  zwei  vorlagen  1  vor  sich,  von  denen  die  eine  mit 
der  quelle  von  d,  die  andre  mit  h  verwant  war.  aus  der  letztern 
stammt  einmal,  was  w  aus  der  Strophenreihe  h  308 — 921  bietet2, 
di.  aus  dem  3  abschnitte  von  h.  was  noch  sonst,  ist  erst  zu 
untersuchen,  da  sich  im  anfange  die  beiden  fassungen  zwar  in- 
haltlich im  wesentlichen  entsprechen,  aber  doch  keineswegs  iden- 

1  es  ist  sicher  an  schriftliche  vorlagen  zu  denken,  hätte  der 
redactor  beide  gediente  oder  wenigstens  eins  mit  dem  gedächtnis  beherscht, 
so  wäre  die  Verbindung  der  zwei  fassungen  eben  vermöge  dieser  herschaft 
über  den  stoff  viel  mehr  von  verstand  und  Überlegung  geleitet  und  viel  or- 
ganischer geworden,  als  es  tatsächlich  der  fall  ist.  aufserdem  begegnen  ver- 
sehen von  unzweifelhaft  graphischer  natur. 

2  nicht  wenig  davon  ist  in  w  ausgelassen. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  105 

tisch  sind,  vorläufig  sei  festgestellt :  h  1 — 233  sind  mit  wenigen  aus- 
nahmen in  w  1 — 352  enthalten,  h  234 — 239  sind  mit  w  369 — 371 
zu  vergleichen1,  ferner  ist,  was  Stark  übersehen  hat,  h  241  in 
w  492  widergegeben,  h  242—307  fehlen  in  w,  h  308—959  liegen 
dann  wider  mit  einigen  auslassungen  in  w  vor.  Stark  gegenüber 
ist  nachzutragen,  dass  auch  h  961  =  w  800  ist.  der  rest  von  h 
(962 — 1097)  ist  in  w  nicht  mehr  berücksichtigt. 

Da  nun  aber  w  aufser  den  durch  h  oder  d  gestützten  Strophen 
auch  eine  erhebliche  auzahl  sonst  nirgendher  bekannter  Strophen 
besitzt,  da  es  ferner  in  den  aus  h  stammenden  einiges  vermissen 
lässt  und  endlich  auch  in  manchen  einzelheiten  der  handlung, 
in  namen  usw.  eine  eigene  Stellung  einnimmt,  so  ist  es  nötig, 
bevor  man  auf  die  vorlagen  schliefst,  von  dem  Schreiber  von  w 
selber  ein  bild  zu  gewinnen. 

Der    SCHREIBER. 

Der  wichtigste  schritt  dieses  compilators  war  ohne  Zweifel, 
dass  er  den  dritten  abschnitt  von  h  in  das  gedieht  aufnahm,    auf 
den   ersten   blick  mag   gegen  dieses  vorgehn   vielleicht  nicht  all- 
zuviel eingewendet  werden,     der  abschnitt  3   ist  sowol   in  d  als 
auch  in  h  im  wesentlichen  ein  retardierender  :  in  d  wird  Dietrichs 
Zusammenkunft  mit  der  künigiu  durch  die  abenteuer  in  und  bei 
Orteneck,  in  h  durch  des  Berners  gefangenschaft  in  Mauter  aul- 
gehalten,   die  Verbindung  beider  motive  in  der  ort,  dass  das  eine 
auf  das  andre  folgt  und  so  zwei  hemmnisse  entstehn,  enthält  nichts 
widersinniges  und  müste  auch  vom  standpuuet  der  dichtung  aus 
nicht  unbedingt  getadelt  werden,  wenn  sie  auch  eine  häufung  mit 
sich   bringt,      es   kommt   viel   darauf  an,    wie   der  urbeber    der 
mischung    die   verschiedenen    bestandteile   verwob.     aber   gerade 
wenn  man  dies  näher  betrachtet,  zeigt  sich  die  saehe  als  schlimmer: 
sowol  d   als   auch  h   lassen   in  ihreu   abschnitten  3  und    1   neue 
personen  auftreten,  und  schon  VVilmauns  hat  daraul  hingewiesen, 
dass  in  w,  so  lange  dieses  h  3  erzählt,  die  der  Fassung  d  i 
tümlichen  personen  verschwinden,  wählend  der  leser  /um  Bchlussi 
von  w,  wo  dieses  sich  wider  an  d  anschliefst,  die  besondi 
stallen  von  h  ganz  und  für  immer  aus   den  äugen  verliert. 
partie  w  495— 766  =  h  30S— 921    ist  also    'in  w   ein 
ganz  roh  eingeschobener  beslandleil'. 

1  Stark  s.  332. 


196  LÜNZER 

Gehn  wir  nun  auf  das  einzelne  ein,  fassen  wir  die  schon 
erwähnte  Strophe  w  492  =  h  241  ins  äuge  und  betrachten  wir 
die  in  w  ausgelassenen  Strophenreihen  von  h.  dabei  werden  sich 
die  gründe  des  ausfalls  herausstellen ,  und  es  wird  sich  zeigen, 
ob  und  wie  der  Schreiber  die  durch  seine  auslassungen  entstan- 
denen lücken  ausgefüllt  oder  verkleidet  hat,  ferner  welche  folgen 
sein  verfahren  für  das  gedieht  mit  sich  brachte. 

Nachdem  der  Schreiber  von  w  die  abschnitte  1  und  2,  deren 
inhalt  beiden  fassungen  gemeinsam  ist,  und  den  3  abschnitt  von 
d  erzählt  hat,  will  er  mit  h  da  beginnen,  wo  dessen  neuer  in- 
halt anfängt;  er  vermutet,  dies  sei  bei  h  241  der  fall,  das  ist 
jedoch  unrichtig,  denn  die  ganze  partie  h  242 — 307  enthält  teils 
dinge,  die  w  schon  nach  der  andern  fassung  erzählt  hatte,  teils 
widerholungen,  wie  sie  für  h  speciell  charakteristisch  sind,  fol- 
gendes ist  der  inhalt  :  h  242 — 254  :  Bibung  wird  von  Dietrich 
und  Hildebrand  mit  einem  brief  an  Virginal  entsant.  255 — 269: 
er  richtet  seine  botschaft  aus.  270 — 280  :  er  erzählt 
von  seiner  fahrt  nach  Arone  und  wie  er  dort  aufge- 
nommen wurde,  ferner  281 — 300  :  die  abenteuer  Rent- 
wins,  Dietrichs  und  Hildebrands.  301 — 307  :  Vorberei- 
tungen der  Virginal,  ihren  gasten  entgegenzuziehen,  h  255 — 300 
sind  also  reine  widerholungen  von  dingen,  die  der  leser  ohne- 
hin schon  weifs,  der  rest  der  partie  aber,  h  242  —  254  und 
h  301 — 307,  also  anfang  und  ende,  berichten  etwas,  was  w  schon 
einmal,  wenngleich  nach  d  und  nicht  nach  h,  erzählt  hatte,  näm- 
lich wie  Bibung  mit  der  botschaft  Dietrichs  und  Hildebrands  von 
Arone  zu  Virginal  heimkehrt  und  wie  diese  sich  auf  die  gaste 
freut  (vgl.  w  362,  11 — 368,  13).  hätte  sich  unser  Schreiber  dies 
nur  einigermafsen  angesehen,  so  hätte  er  garnicht  versucht,  mit 
h  241  anzufangen,  er  zeigt  hier  also  grofse  Voreiligkeit,  cha- 
rakteristisch ist  auch,  wie  er  mit  h  241  (=  w  492)  umspringt, 
im  original  enthält  diese  Strophe  worte,  die  Bibung  in  Arone  an 
Dietrich  und  Hildebrand  richtet,  in  w  ist  Bibung  aber  garnicht 
mehr  bei  diesen,  daher  legt  der  Schreiber  diese  worte  mit  ent- 
sprechenden änderungen  teils  Hildebrand ,  teils  Dietrich  in  den 
mund  (v.  2 — 7  und  v.  8 — 13).  da  nun  aber  der  weitere  verlauf, 
h  242 ff,  darauf  beruht,  dass  Bibung  jene  worte  gesprochen  hat, 
muss  w  sein  vorhaben  aufgeben  und  überspringt  h  242 — 307. 
er  hatte  also   nicht   einmal  h  242  gelesen,    ehe  er  h  241  über- 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  197 

setzte,  zunächst  kehrt  der  Schreiber  wider  zu  seiner  andern,  mit 
d  verwanten  vorläge  zurück  —  denn  w  493  stammt  wol  aus  dieser; 
dann  bereitet  er  durch  eine  'selbstgedichtete'  Strophe,  w  494,  auf 
die  nun  folgende,  aus  h  geschöpfte  partie  vor.  w  494  ist  aber 
inhaltlich  aus  den  von  w  übersprungenen  Strophen  h  304 — 309 
genommen,  diese  hatte  er  also  in  seiner  vorläge,  ebenso  aber 
nach  w  530,  8  auch  h  242  ff.  258  ff  (brief  an  Virginal)  K 

Im  folgenden  fehlen  nun  zunächst2  wider  h  399 — 460.  da- 
für hat  w  nur  zwei  Strophen  w  585.  586.  inhaltlich  bieten 
h  399—460  zu  anfang  (h  400—430)  und  am  ende  (h  456—460) 
widerholungen  bereits  bekannter  ereignisse  :  h  400 — 430  Dietrich 
erzählt  der  Ibelin  (in  vv  heifst  sie  Lorina)  die  ganze  geschichte 
von  seinem  aufbruche  aus  Bern  an,  die  befrei  ung 
der  Gamazitus  (in  w  Madius)  und  der  Virginal,  Rent- 
wins  rettung,  den  aufenthalt  auf  Arone,  dieankunft 
Bibungs,  Dietrichs  gefangennähme  auf  dem  wege  zu 
Virginal,  was  alles  in  h  1—338  und  in  w  1—368  und  49511' 
schon  berichtet  worden  war.  —  in  h  456 — 460  enthält  eiu  briet 
die  nachricht,  wie  es  Dietrich  auf  Mauter  gehe,  w;is  wir 
schon  aus  h  369 — 394  =  w  555 — 580  wissen,  alle  diese  wider- 
holungen  hat  w  ausgelassen.  —  für  die  handlung  wichtig  ist  nur 
das  mittelstück  h  431 — 455  :  Dietrich  sendet  mit  hilfe  der  Ibelin 
(Lorina)  einen  boten  an  Hildebraud  mit  der  bitte  um  hilfe.  dieses 
mittelstück  wird  auch  von  w  auszugsweise  in  den  Strophen  w  585. 
586  widergegeben,  nur  bringt  der  böte  nicht  wie  in  h  einen 
brief,  sondern  richtet  seinen  auf  trag  mündlich  aus. 

Ursache  der  auslassung  waren  also  für  den  Schreiber  hier 
die  widerholungen.  — 

Schon  nach  wenigen   aus  h  beibehaltenen  Strophen  lehlt  in 
w  abermals  ein  grofser  complex,  h  468—586  ,  »wischen  * 
und  594.     die  übergangene  partie    beginnt   gleichfalls   mit  einei 
widerholung  :  h  468—470  :  der  böte  berichtet  über  Diet- 
richs läge  auf  Mauter.     dann  aber   folgen,   wenn  auch  mil 

1  vgl.  Stark  s.  vf. 

2  abgesehen  von  h  341.  342,  die  der  Schreiber  wol  übersprangen 
um  rascher  die  wichtigere  begrüfsung  Hildebrands  zu  en 

3  467  ist  nur  umgestellt :  es  ist  =  w  589.    offenbar  hat  i 
zuerst  h  453— 46G  übersprungen,    trägt  sie  aber  dann    doch  n 
unentschlossenheit,    von  der  wir  noch  mehrere  beispiele  rinden  werden. 


198  LUNZER 

eingeschalteten  widerholungen,  nur  inhaltlich  wichtige  teile  :  h 
471 — 484  Bibung  wird  von  Hildebrand  an  könig  Imian  um  hilfe 
für  Dietrich  geschickt,  h  485 — 531  Dietrichs  böte  kehrt  nach 
Mauter  zurück  und  bestellt  zwei  b riefe.  Ibelin  warnt  ihren 
bruder.  die  riesen.  Hülle  will  Dietrich  töten,  kommt  aber  da- 
bei selbst  ums  leben,  h  532 — 585  Bibung  bei  Imian.  auch 
Dietleib  wird  zur  hilfeleistung  entboten.  Bibung  erzählt  bei- 
den Virginais  be  freiung  (560 — 564).  er  kehrt  uach  Jeras- 
punt  zurück,  dort  werden  Vorbereitungen  für  den  empfang 
Imiaus  und  Dietleibs  getroffen.  Hildebrand  will  nach  Bern,  um 
die  Wulfinge  zu  holen,  anlass  zu  dem  verfahren  des  Schreibers 
von  w  war  auch  hier  die  zu  beginn  vorgebrachte  widerholung.  wir 
können  hier  jedoch  noch  tiefer  eindringen  :  schon  h463=w590 
hatte  Hildebrand  seine  absieht,  nach  Bern  zu  reiten  und  die  Wül- 
finge  aufzubieten,  ausgesprochen,  bei  str.  468  nun,  mit  welcher 
die  widerholung  beginnt,  merkt  der  Schreiber,  dass  die  erzählung 
wider  stocke,  nach  dem  eingange  vermutet  er  wider  eine  jener 
langen  recapitulationen,  wie  er  solche  schon  früher  teils  über- 
sprungen, teils  auch  —  gewis  mit  geringem  vergnügen  —  ab- 
geschrieben hatte  (vgl.  zb.  w  302 — 305).  ungeduldig,  vielleicht 
in  seiner  ansieht  beim  durchblättern  auch  noch  durch  die  oben 
hervorgehobenen  anderen  widerholungen  bestärkt,  überschlägt  er 
nun  alles,  bis  ihn  der  beginn  von  h  586  (v.  3  ich  wil  da  hin 
gen  Berne)  vermuten  lässt,  jetzt  werde  Hildebrand  endlich  auf- 
brechen, allerdings  irrt  er  sich  darin  ein  wenig,  denn  das  ge- 
schieht erst  h  592  (=  w  600),  er  hat  aber  wenigstens  einen 
halbwegs  annehmbaren  anschluss  an  die  letzte  von  ihm  abge- 
schriebene Strophe  h  466  (=  w  593)  erreicht1.  —  hier  hat  der 
Schreiber  nicht  den  mindesten  versuch  gemacht,  die  lücke  aus- 
zufüllen, die  folge  davon  ist,  dass  es  im  weiteren  verlaufe  ganz 
unverständlich  ist,  wieso  Imian  (in  w  Morilean  genannt)  und 
Dietleib  im  lager  vor  Mauter  erscheinen  2. 

h  604 — 620  sind  in  w  zwischen  611  und  612  ausgelassen, 
ihr  inhalt   ist   folgender  :  Hildebrand    beendet   vor  Ute   und  den 

1  besser  wäre  es  freilich  gewesen,  etwa  h  587  (=  w  595)  gleich  an 
h  463  (=  w  590)  anzufügen. 

2  allerdings  tritt  Imian  nicht  erst,  wie  Stark  s.  vi  angibt,  in  w  651 
auf,  sondern  wird  schon  in  w  650,  4 :  ohne  namen  als  'ein  kunig'  eingeführt, 
aber  viel  besser  wird  dadurch  die  sache  nicht. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  199 

Wülfingen  seinen  bericht  über  seine  und  Dietrichs  erlebnisse  und 
fordert  seine  gemahlin  und  die  beiden  auf,  mit  ihm  nach  Jeras- 
punt  zu  ziehen.  Wolfhart  reitet  nach  Raben,  um  auch  Witege  und 
Heime  zu  laden  und  kehrt  wider  zurück,  er  und  andere  recken 
äufsern  ihre  kampflust.  —  der  anlass,  die  partie  zu  übergehen, 
lag  für  unsern  Schreiber  wider  in  ihrer  ersten  Strophe  h  604. 
schon  h  601 — 603,  die  w  durch  609 — 611  widergegeben  hatte, 
waren  eine  blofse  widerholung.  nun  beginnt  h  604  :  ein  böte 
wart  nach  uns  gesant :  z  Aröne  kom  er  uf  gerant.  der  Schreiber 
merkt  also,  dass  die  widerholung  weiter  geht,  die  in  h  so 
häufigen  botenseudungen,  die  ihm  beim  abschreiben  mühe  machten, 
den  gang  der  haudlung  aber  mehr  hemmten  als  förderten,  waren 
ihm  wol  ganz  besonders  verhasst.  er  lässt  also  eine  partie  aus. 
dass  er  gerade  mit  h  621  (=  w  612)  wider  anhebt  abzuschreiben, 
erklärt  sich  daraus,  dass  er  aus  den  anfangsworten  dieser  Strophe 
'Ir  helde,  gehabent  iuch  gar  woV  die  hoffnung  schöpft,  Hildebrand 
breche  nun  auf,  und  es  werde  also  endlich  etwas  geschehen, 
er  irrt  sich  jedoch  abermals,  denn  erst  in  h  629  (=  w  620) 
reitet  Wolf  hart  und  zwar  allein  ab,  und  erst  h  709  (=w641) 
erfolgt  der  allgemeine  aufbruch.  —  auch  hier  hat  es  der  Schreiber 
nicht  für  notwendig  erachtet,  die  lücke  auszufüllen,  und  auch 
hier  ist  die  folge  davon,  dass  später  (w  619,  646  ff)  das  auftreten 
zweier  personen,  Wiltichs  und  Heimes,  unmotiviert  bleibt. 

Es  fehlen  ferner1  h  651 — 710,  an  deren  stelle  in  w  nur 
641  steht,  die  ich  nicht  mit  Stark  geradezu  =  h  7<»0  seUeo 
möchte,  inhalt  der  ausgefallenen  partie  :  Wolfhart  verlangt, 
Hildebrand  möge  den  weg  nach  Mauter  weisen.  Witege  und 
Heime  treffen  in  Bern  ein.  'iiit  ihnen  ziehen  dir  Wülfiage  nach 
Jeraspunt,  werden  empfangen  und  drei  tage  bewirtet.  Imian  und 
Dietleib  kommen  in  Jeraspunt  an  und  werden  begrQfst.  aufbruch 
gegen  Mauter.  —  wir  haben  es  hier  nicht  mit  widerholu 
zu  tun,  wol  aber  mit  einer  Umständlichkeit,  die  dem  schj 
überflüssig    schien2.      warum    sollten    die    beiden    lueral    nach 

1  der   verlust    von  h  638  ist  wol  graphisch    zu  erklären. 
hat  dieselben  endreime  wie  die  vorhergehnde. 

-  vielleicht  machten  ihn  auch   h  652,  1.  2  kopfscheu   : 
aheftant  dö  kam  ein  böte  dar  gerant     solche    boten  mo< 
arbeiter  gewöhnt   haben    als   ungünstige  Vorzeichen    weitl 
zu  fürchten. 


200  LUNZER 

Jeraspunt  und  erst  von  da  nach  Mauter  ziehen?  der  bearbeiter 
hält  sich  an  die  von  ihm  eben  übersetzten  worte  Hildebrands 
h  650,  1.  2  Dar  umbe  riten  wir  da  hin  :  gen  Mut  er  stet  mir 
ie  der  sin,  und  springt  sofort  zur  ausführung  dieses  Vorhabens 
über,  di.  auf  h  711  :  Niht  langer  dö  gebiten  wart,  si  Uten  balde 
uf  die  vart.  zur  Überleitung  schiebt  er  eine  Strophe,  w  641, 
ein,  deren  anfang  (v.  1 — 11)  sich  inhaltlich  mit  der  vorletzten 
Strophe  der  ausgefallenen  partie  deckt,  nämlich  mit  h  709,  wäh- 
rend sich  ihr  schluss  an  die  erste  Strophe  desselben  abschnittes 
anlehnt  (s.  12.  13  vgl.  h  651,  1.  2).  —  das  ausbleiben  der  eben 
besprochenen  partie  hat  die  folge,  dass  Hildebrands  versprechen, 
die  Wülfinge  in  Virginais  gezelt  nach  Jeraspunt  zu  bringen  (w 
594  =  h  587,  7.  8)  für  jetzt  unerfüllt  bleibt,  da  sie  geradewegs 
gegen  Mauter  ziehen. 

Aus  ähnlichem  gründe  scheint  h  768 — 774  in  w  durch  699 
ersetzt  zu  sein1,  das  bestreben  des  Schreibers,  die  handlung 
rascher  zum  ziele  zu  führen,  zeigt  sich  schon  in  w  698  (=h  767). 
er  hat  wol  schon,  eh  er  diese  Strophe  zu  ende  schrieb,  die  ab- 
sieht gehabt,  h  768 — 774,  die  Dietrichs  empfang  und  bewirtung 
im  lager  der  Wülfinge  ausführlich  erzählen,  zu  überspringen,  und 
zu  diesem  zwecke  die  Strophen  mit  einem  blicke  überflogen,  die 
letzte  der  zur  ausscheidung  bestimmten  Strophen,  h  774,  enthält 
in  v.  2  die  ankündigung  ich  viiere  iueh  zuo  der  künegin  (=  zu 
Virginal).  nach  dieser  Zusammenkunft  zwischen  Dietrich  und 
Virginal,  die  das  ende  des  gedichtes  herbeiführen  muss,  drängt 
der  bearbeiter  hin.  daher  ändert  er  h  767,  10.  11  entsprechend 
um.  in  der  vorläge  lauteten  die  verse  :  si  vuorten  den  Bernare 
rilich  in  des  küneges  zeit  (=  in  das  zeit  Imians).  w  aber 
sagt  (698,  10.  11)  :  da  fürt  man  den  Fernere  frolichen  zu  der 
kunigin  zeit  (=  in  das  zeit  der  Virginal).  nun  kann  der 
Schreiber  aber  diese  änderung  doch  nicht  aufrecht  erhalten,  denn 
h  775,  mit  der  in  h  ein  neuer  inhalt  beginnt  und  mit  der  w 
daher  wider  einsetzen  will,  hebt  mit  den  Worten  an  :  Dö  sprach 
der  vürste  Nitger  ze  siner  schauen  swester  her  ....  Nitger  und 
seine  Schwester  aber  befinden  sich  in  Mauter,  nicht  bei  Virginal. 

1  die  in  w  fehlende  einzelne  Strophe  h  744  ist  oben  nicht  erwähnt, 
sie  hat  in  der  vorläge  gestanden,  denn  w  nimmt  aus  ihr  den  namen  Ger- 
wart nach  w  675,  1  hinüber,  die  kürzung  entsprang  wol  der  Ungeduld  des 
Schreibers. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  201 

deshalb  fängt  der  bearbeiter  die  Strophe  699,  mit  der  er  seine 
auslassung  verdecken  will,  mit  der  angäbe  an  Er  (=  Dietrich) 
reit  gen  Maut  er  wider  ein  und  lässt  empfang  und  Bewirtung 
Dietrichs,  die  er  nun  stark  kürzend  im  anschlusse  an  die  von 
ihm  ausgelassenen  Strophen  h  768.  770 — 772  berichtet,  in  Mauter 
vor  sich  gehn.  —  eine  heillose  Verwirrung  ist  die  folge  dieser 
unüberlegten  änderungen  :  nach  w  698,  11  wird  Dietrich  zur 
königin  Virginal,  also  nach  Jeraspunt  geführt,  nach  w  699,  1 
reitet  er  aber  nach  Mauter  zu  Kitger  und  Ibelin  (Lorina),  nach 
w  700ff  ist  er  jedoch  in  Übereinstimmung  mit  h  trotzdem  noch 
im  lager  der  Wülfinge  vor  Mauter. 

Sodann  fehlen  in  w  die  Strophen  h  779 — 858.  der  Schreiber 
will  rascher  h  859  erreichen  (v.  2.  3  si  zogeten  durch  den  grüe- 
nen  walt  hin  gegen  des  hrunnen  vluzze  =  nach  Jeraspunt  zu 
Virginal).  das  übersprungene  ist  ein  inhaltlich  wenig  bietendes, 
an  widerholungen  reiches  stück  :  Kitgers  gemahlin  und  Schwester 
werden  im  lager  empfangen,  streit  zwischen  Wollhart  und  Bilde- 
brand.  aufbruch  nach  Jeraspunt,  wohin  der  eintreffende  Bibung 
alle  einladet.  Dietrich  erzählt  ihm  seine  (dem  leser  be- 
reits bekannten)  erlebnisse  (804— 826).  Bibung  wird  mit 
einem  briefe  entlassen  und  kehrt  heim  (827 — 837).  er  wird 
empfangen  und  erstattet  be rieht  (838—847).  aufbruch  aus 
dem  lager.  gespräch  zwischen  Dietrich  und  Hildebrand.  —  da- 
von dünkt  den  Schreiber  nur  einiges  aus  dem  anfing  iiüHl;.  in 
den  Strophen  w  704.  705,  die  er  an  stelle  der  übergangenen 
einfügt,  gibt  er  ungefähr  den  inhalt  von  h  779.  781.  782  und 
(durch  w  705,  10.  11)  den  inhalt  einer  in  unserem  lexle  ron  ■ 
fehlenden1  Strophe  wider.  —  der  umstand,  das*  der  bearbeiter 
hier  einen  besseren  text  von  h  vor  äugen  gehabt  bat  ab  beut« 
wir,  bewürkt,  dass  auch  in  seinem  auszage  die  aache  beaaei 
stimmt  als  in  der  uns  vorliegenden  gestalt  von  h.  das  ist  aber 
kein  verdienst  unseres  Schreibers,  und  das  bestrebte,  wider 
sprüche  zu  beseitigen  und  lücken  auszulüllen,  war  keift 
die   Ursache   seines  vorgehns.     seine  vorläge  war  eben  hier  »oi 

1  dass  hier  in  h  eine  strophe  fehlt,  die  w  vor  Bich  gehabt 
später   gezeigt   werden,     einstweilen   genöge  da  Maweifl  ■« 
merkungen   zu   h  770ff  (Deutsches  heldenbw*  *  28 
schlechte  beschaflenheit,  die  der  text  von  h  hier  aal 
auch  von  der  annähme  von  Kicken  kein  befriedigend«  rlet- 


202  LUNZER 

diesen  mangeln  frei,  zuzugeben  ist  nur,  dass  er  bei  dieser  aus- 
lassung  —  ausnahmsweise  —  nicht  selber  Verwirrungen  ange- 
richtet hat. 

Schliefslich  hat  vv  noch  die  drei  Strophen  h  916 — 918 
zwischen  w  763  und  764  übersprungen,  der  Schreiber  drängt 
wider  vorwärts,  er  will  h  919  erreichen  (v.  4  nu  zogen  über 
den  brunnen  kalt  =  zu  Virginal).  die  übersprungenen  Strophen 
enthalten  die  fortsetzung  eines  in  h  915  begonnenen  Wortwechsels 
zwischen  Dietrich  und  Hildebrand,  dort  hatte  der  Berner  seine 
worte  mit  der  aufforderung  beendet  :  lant  viirbaz  iuwer  strafen 
sin.  dass  nun  Hildebrand  doch  antwortet,  scheint  dem  schreiber 
zwecklos,  er  nimmt  aus  dem  folgenden  gespräche  der  beiden 
beiden  nur  h  917,  6  (wir  suln  dirre  rede  versteigen),  legt  diese 
worte,  die  in  h  wider  Dietrich  spricht,  dem  Hildebrand  in  den 
mund  (Nun  schweiget,  sprach  her  Hildeprant),  so  dass  nun  beide 
helden  in  dem  wünsche,  die  Unterredung  abzubrechen,  überein- 
stimmen, die  unzukömmlichkeit,  dass  nun  das  gespräch  nur  ein- 
geleitet zu  sein  scheint,  um  sogleich  wider  beendet  zu  werden, 
dass  ferner  Hildebrand  den  Vorwurf  der  'Verzagtheit'  (h  915,  9 
=  w  763,  7.  10)  ohne  entgegnung  hinnimmt,  dass  endlich  mit 
h  918  auch  der  bericht  von  dem  ende  des  kurz  vorher  h  895 
=  w  742)  begonnenen  drachenkampfes  ausfällt,  —  das  alles 
bekümmert  unsern  schreiber  nicht. 

Mit  w  766  (=  h  921)  verlässt  der  bearbeiter  die  mit  h  ver- 
wante  vorläge,  um  nur  noch  einmal  zu  ihr  zurückzukehren,  in 
h  920,  8.  9  hatte  die  vorläge  angekündigt  :  wir  sullen  schiere 
bevinden  die  küneginne  Virginal.  in  seiner  von  uns  schon  mehr- 
mals beobachteten  Ungeduld  nach  dieser  Zusammenkunft  über- 
setzt der  schreiber,  der  auch  einige  ausdrücke  nicht  versteht, 
diese  ankündigung  so,  als  ob  nun  das  ereignis  selbst  schon 
vor  sich  gienge.  erst  am  ende  von  h  921  (=  w  766)  merkt 
er,  dass  er  sich  dabei  durch  die  andeutungen  des  originales  vor- 
eilig habe  zu  irrtümern  hinreifsen  lassen,  uud  geht  nun  von  h 
ab.  man  vergleiche  die  vorläge,  h  920.  921  mit  der  Übersetzung 
w  765.  766. 

Il  w 

Do  sprach  meister  Hildebrant  Nun  wol  auf,  edler  herre  mein! 

'herre,  entgerwent  iueh  zehant.  wir  wollen  zu  der  kunigein1, 

wir  ligen  sicherliche.  vil  edler  Ditereiche, 

1  entsre?nvent  versteht  der  schreiber  nicht. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 


203 


und  ir,  edelen  ritter  guot, 
wesent  alle  höchgemuot 
und  sint  ouch  vröuden  riche. 
lant  uns  ruowen  üf  der  wal. 
wir  sullen  schiere  bevinden 
die  küneginne  Virginal: 
under  der  grüenen  linden 
sullen  wir  gemaches  pflegen, 
tragent  her  vleisch,  win  unde  bröt'. 
des  vröut  sich  manec  zierer  degen. 

Ez  was  allez  wol  bestalt, 
e  si  körnen  durch  den  walt, 
swaz  man  erdenken  künde 
spise  reine  und  da  bi  guot, 
vor  allem  valsche  wol  behuot. 
si  wurden  an  der  stunde 
von  äventiure  alda  sagen 
biz  daz  man  ezzen  gienge. 
dö  wart  ouch  her  Wolfhart  klagen 
wie  in  der  wurm  gevienge. 
si  sprachen  Huo  die  rede  hin. 
wir  hän  alle  geliten  not, 
biz  daz  wir  her  bekomen  sin', 
tla    der    Schreiber   nun  sieht, 


mit  unser  werden  rilterschaft, 

so  kumen  wir  mit  heres  kraft 

hin  zu  der  künigin  reiche; 

wirwollen  reiten  perg   und  tal1, 

pis  wir  die  frawen  finden. 

es  wart  die  kunigin  Virginal 

unser  bei  einer  linden, 

da  wurt  man  unser  aller  pflegn 

in  er  und  hoher  wirdikeit, 

des  frewet  euch,  ir  kuner  degn. 

Die  kunigin  het  vor  bestalt, 
ee  das  si  kamen  für  den  walt, 
was  man   erdenken  künde 
von  reiner  edler  speise  gut, 
als  mangen  werden  gesten  tut. 
si  wurden  zu  der  stunde 
von  hubscher  abenteüre  sagen, 
und  wie  es  in  erginge. 
Wolfhart  der  ward  den  frawen2  clagen, 
wie  in  ein  wurm  dort  finge, 
da   er  kam  zu   der  kunigein3. 
si  richten  sich  gen  dem  gezelt 
Hilprant  und  manger  ritter  fein. 


dass  er  sich  mit  seiner  eile  nicht 
in  Übereinstimmung  mit  seiner  vorläge  befinde  und  dass  diese 
immer  noch  keine  miene  mache,  die  hehlen  bei  Virginal  ein- 
treffen zu  lassen  ( —  in  h  wird  erst  noch  Beldelin  mit  einem 
briete  an  Virginal  und  von  dieser  mit  der  antwort  von  Dietrich 
zurückgesant,  und  aufserdem  reitet  noch  Bibuug  den  gaeten 
entgegen  — ),  wird  er  der  sache  überdrüssig  und  beginnt  aus 
der  andern  vorläge  sofort  da  abzuschreiben,  wo  die  ankunft  DieW 
richs  erzählt  wird,  w  767  :  Si  zugen  über  walt  uud  feit  und 
warnten  sich  gen  dem  gezelt  ....  hin  da  die  edel  kunigein  trauet 
mit  iren  megetein  usw. 

Unglücklicherweise  hat  es  aber  der  Schreiber  da  od  doch  noch 
einmal  —  und  zwar  an  ganz  unpassender  stelle  —  mit  h  »er- 
sucht und  mitten  in  eine  aus  der  andern  bs.  genommene  partie 
einige  Strophen  aus  h  gestellt  :  es  sind  nämlich  li  923.  924. 

1  wal  versteht  der  Schreiber  nicht. 

2  gemeint  sein  können  nur  Virginal  und  ihre  frauen,  denn  bdn 
befinden  sich  in  w  keine  frauen. 

3  der  Schreiber  merkt  seinen  fehler,  darum  fiiit  er  bei  :  'nämlich  erst 
später  tat  Wolfhart  das,  da  er  kam  w  der  kuni^ehi. 


204  LUNZER 

955—959  =  w  790—797  und  h  961  ==  w  800.  der  compi- 
lator  erzählt  also  mit  weglassung  alles  dessen,  was  ihm  über- 
flüssig scheint,  die  Zusammenkunft  Dietrichs  mit  Virginal  nach 
h.  da  er  aber  dieses  ereignis  unmittelbar  vorher  (w  767 — 789) 
schon  einmal  nach  d  berichtet  hatte,  werden  nun  Dietrich  und 
die  seinen  von  Virginal  zweimal  empfangen.  Stark  merkt  zwar 
den  schaden  auch,  aber  nicht  seine  Ursache,  er  meint  (s.  ix): 
'die  begrüfsung  Dietrichs  durch  Virginal  in  den  Strophen  793 — 797 
(h  955 — 959)  zeigt,  dass  die  königin  den  Berner  früher  noch 
nicht  gesehen  haben  kann,  jene  Strophen  [nämlich  w  767 — 789] 
demnach  hier  ungehörig  sind,  der  grund  dieser  Verwirrung  scheint 
in  der  weglassuog  der  in  h  stehnden  Strophen  651  —  679  zu 
liegen',  dem  kann  ich  nicht  zustimmen,  nicht  w  767 — 789, 
sondern  die  aus  h  stammenden  w  790 — 797  sind  hier  ungehörig, 
und  der  grund  der  Verwirrung  ligt  nur  darin,  dass  sie  hier  ein- 
geschaltet sind,  würde  man  mit  Stark  h  651 — 679  ergänzen,  so 
wäre  damit  gar  nicht  geholfen;  scheidet  man  aber  w  790 — 797 
aus,  so  verläuft  alles  in  schönster  Ordnung,  denn  w  789  und  798 
schliefsen  ohne  weiteres  an  einander  an. 

Die  art,  wie  unser  redactor  h  verlässt,  ist  also  um  nichts 
geschickter  als  das  verfahren ,  mit  dem  er  seinen  grofsen  ein- 
schub  aus  dieser  fassung  des  gedichtes  beginnt,  damals  war  er 
nahe  daran  gewesen,  denselben  Vorgang  zweimal,  zuerst  nach  d, 
dann  nach  h,  zu  erzählen,  jetzt  tut  er  es  würklich.  damals  ist 
er  nach  dem  ersten  mislungeoen  versuch,  nach  h  zu  gelangen 
(w  492  =  h  241),  für  einen  augenblick  wider  auf  d  zurückge- 
fallen (w  493),  um  erst  mit  einem  zweiten  anlauf  (durch  w  494) 
den  Übergang  zu  h  zu  gewinnen  (w  495  =  h  308),  —  und  auch 
zum  Schlüsse  kehrt  er  zu  h,  das  er  mit  w  766  (=  h921)  schon 
verlassen  hatte,  mit  w  790  (=  h  923)  abermals  zurück  und  macht 
nach  dieser  letzten  einschaltung  noch  einen  allerletzten  versuch, 
indem  er  auf  die  schon  wider  aus  d  geschöpften  Strophen  w  798. 
799  noch  eine  aus  h  abgeschriebene  (w  800  =  h  961)  folgen 
lässt.  sein  unentschlossenes  tasten,  die  art,  wie  er  einerseits 
zwei  verschiedene  vorlagen  verbinden  will,  sich  dann  aber  doch 
von  der  gerade  benutzten  nicht  trennen  kann,  verrät  denselben 
mangel  an  überblick  und  beherschung  selbst  des  unmittelbar 
folgenden,  den  auch  im  innern  der  grofsen  einschaltuüg  w495 — 766 
seine  auslassungen  zeigen,    diese  haben  alle  ihren  grund  in  dem 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  205 

Widerwillen  des  Schreibers  gegen  arbeit,  die  ihm  überflüssig  dünkt, 
er  will  zwar  aus  h  alles  in  seinen  text  aufnehmen,  was  h  an  in- 
haltlich neuem  vor  d  voraus  hat,  aber  nicht  mehr,  da  er  sich 
aber  nicht  die  mühe  nimmt,  voraus  zu  lesen,  weifs  er  nur  sehr 
selten  zur  rechten  zeit  anzufangen  oder  aufzuhören,  es  ist  richtig, 
was  Wilmanns  (Zs.  15,  306)  sagt,  dass  durch  sein,  verfahren 
'manche  lästige  widerholung  in  Wegfall  gekommen  ist',  ja  mehr- 
mals waren  solche  widerholungen  der  anlass  seines  vorgehns, 
aber  er  hat  doch  durchaus  nicht  alle  vermieden  und  sogar  neue 
hineingebracht,  und  die  Unklarheiten  und  Widersprüche,  die  er 
verschuldet,  würden  das  ende  seines  gedientes  im  einzelnen  ge- 
radezu unverständlich  machen,  wenn  wir  nicht  h  und  d  zum 
vergleiche  besäfsen. 

Wir  haben  aber  noch  ein  mittel,  den  Schreiber  von  w  kennen 
zu  lernen,  bisher  betrachteten  wir  sein  verfahren  im  grofsen, 
nun  soll  seine  'kunst'  als  dichter  im  einzelnen  aufgezeigt  werden. 
material  dazu  bieten  die  Strophen,  die  nach  dem  vorhergegangenen 
als  eigentum  des  Schreibers  von  w  erkannt  wurden,  nämlich 
w  494.  585.  586.  699.  704.  705.  diese  sind,  uzw.  grofsenteils 
wörtlich,  aus  Strophen  der  vorläge,  die  w  übersprungen  hat,  zu- 
sammengetragen, zeigen  also  völligen  mangel  au  Selbständigkeit 
und  grofse  unlust  zu  eigner  tätigkeit.  ich  setze  die  betreffenden 
stellen  hierher. 

w  494  benutzt  aus  der  von  w  übergangenen  partie  h  234— -240. 
242 — 307  vornehmlich  die  Strophen  h  304— o<>7,  aber  Eur  Her- 
beiführung der  Übergänge  auch  die  in  w  beibehaltenen  Strophen 
h  229  und  h  308  f. 

w  494,  1  —  13:  •'  307, 

Manch  kuner  helt  verwapnet  wart,         Diu  ritterschafl  schön  uf  die  vart 
die  fursten  da  die  herefart  ze  v.M.-  da  bttchonwel  wart, 

nit  lenger  wolten  sparen.  ir  ros  und  ii  gereite. 

D  305,  11  : 
BÖwil  ii'li(=  BlbUDC)  v.imi  ftf  dii 
da  kam  Bibung  gefaren  her, 

herBlbunc  ...  kam  in  den 

und  wie  es  umb  die  fursten  wer1 

h  30  I 

die  mer  wolt  er  erfaren.  Diu  ler  b 

1  vgl.  h  140,  13  wiez  umb  die  beide  ergangen  st,  h  141 
die  vürslen  si  getan. 


206 


LUNZER 


aufs  dem  gezelt  het  in  gesant 
die  edel  kunisinne 


h  307,  11: 
gezelt  zuletzt  erwähnt,     h  304,  11 
wir  senden  in  ein  boten  e. 


daz  si 


dar  kamen  zu  der  frawen  schar: 


si  warten  alle  tegeleich, 

und  wann  die  fürsten  kernen  dar. 


h  308, 11: 
die  wolden  zuo  den  vrouwen  komen. 

305,4: 
der  vrouwen  schar. 

h229,  12.  13: 
si  wartent  iur  ein  ganzez  jär: 
ir  müezent  ir  ze  hüse  komen  *. 


ganz  ähnlich  lehnen  sich  w  585.  586  an  verse  der  übersprungenen 
partie  h  399 — 460  an,  die  unser  Schreiber  vorher  offenbar  rasch 
durchgesehen  hat: 


w  585,  1—13: 
Da  sprach  von  Pern  her  Ditereich : 
'ir  edle  maget  minigleich, 


ein  rat  solt  ir  mir  geben, 

wie  ich  mocht  einen  poten  han 
nach  manchem  wunderkunen  man, 


das  sie  dort  westen,  wie  es  gat 
wie  ich  lig  hie  gefangen 

zu  Mauter  gar  in  grofser  not, 
wie  es  mir  ist  ergangen. 


'ir  seit  gewert,  ir  werder  man', 
so  sprach  die  maget  miniglich. 

w  586,  1—10: 
Ein  schneller  pot  ward  hin  gesant 


der  kunigin  und  her  Hildeprant, 


h  400,  1.  2: 
Do  sprach  von  Berne  er  Dieterich 
Sil  kiusche  maget  wunnenclich. 

h  397,  7  : 
gip  mir  ein  getriuwen  rät. 

h  436,  2—4: 
.     .     .     .     so  gebent  rät 
waz  botschaft  wein  wir  senden 
den  vrouwen  unde  Hildebrant?2 

h  430,  11.  12: 
wisten  si  den  kumber  min, 
daz  ich  hie  gevangen  bin3 

h  436,  7.  8: 
ir  ligent  ze  Müter  sunder  danc 
swaer  üf  den  lip  gevangen 

h  398,  1.2: 
D6  sprach  diu  wunnencliche  magt 
'min  helfe  si  iu  un versagt4. 

h433,  12.  13: 
den  vrouwen  wirt  .  .  . 
ein  böte  snel  .  .  .  gesant. 

h436,  3.  4: 
waz  botschaft  wein  wir  senden 
den  vrouwen  unde  Hildebrant? 


1  vgl.  auch  h  232,  10-13.  2  vgl.  auch  h  433,  12.  13. 

3  vgl.  auch  h  446,  11.  12   und  h  435,  13.  4  vgl.  inhaltlich  auch 

h  433,  10—13.  434,  9.  10  und  zur  anrede  h  436,  2. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 


20" 


der  sagt  in  pald  die  mere 
wol  von  der  jungen  herzogein, 

auch  sagt  der  pot  der  kunigein 

wol  von  dem  Perner  here, 


h  455,  13: 
diu  maere. 

h  445,  12: 
ein   herzogin.     h  457,  5:    diu    her- 
zoginne. 

h  453,  7 :  worte  des  boten : 
'got  grüeze  dich,  edeliu  künigin'- 
h  456,  3.  4:    Worte  des  brief'es: 
'man  grüezet  hie  .  .  . 
ein  gelobeten  künigin'. 
h  457,  6: 
des  dankte  der  von  Berne. 


h  457,  l.  3: 
wie  daz  sein  pfleg  ein  schone  magt      .  .  ein  juncfrou   fin   :  si  pfliget  des 

heldes  {des  von  Berne)  gerne. 
w  586,  11  —  13  nimmt  dann  den  inhalt  der  in  h  (und  w)  folgen- 
den antwort  Hildebrands  vorweg1,  w  699  schöpft  aus  den  öber- 
gangenen  Strophen  h  768 — 774,  aber  mit  inhaltlicher  Änderung, 
die  schon  w  698,  11  beginnt  (zu  der  künigin  zeit  statt  in  des 
küneges  zeit)  und  im  früheren  (s.200)  schon  besprochen  worden  ist. 


w  699,  2—13: 
da  in  enpfing  das  megetein 


und  vil  der  schonen  frawen. 

vi]  edler  speis  bracht  man  im  dar 
und  auch  den  külen  wein  so  klar: 

sein   unmut  was  verhawen. 


was  man  ie  hoher  wirdikeit 
auf  erden  kund  erdenken, 

das  was  im  williglich  bereit 


geleid  er  ie  kein  ungemach, 
des  ward  er  wol  ergezet  seit-. 


h  76S,  1: 
Die   enpfiengen    in    (juncfrou   [belli) 
genannt  770,  9). 

h  768,  7: 
die  vrouwen  alle  gar.  vgl  auch  7'. 

h  770,  5.  7: 
brot  unde  win  .  .  . 
daz  buten  riter  und  kneble  <l;ir. 
Ii  772 

machte  den  vürsten  wol  gen i  | 

auch  h  76s,  13.  770,  2). 
h  771,  2.  3: 
duz  man  vür  kflo  truoe. 

die  nieisi.T  des  erdihten. 

h  770,  1: 
die  taveln  schöne  Binl  ben 

b  772,  12. 

hat  iuwer  sorge   ein  ende  - 

iur  leit  und   inw.r  DI 


1  vgl.  übrigens  zu  w  586,  11.  12  auch  h  430,  9—13. 

2  auch  im  reimklange  erinnert  manches  an 

so  w  699,  3.  6  frawen  :  verhawen  —  h  769,  3.  6.  774, 
wen;  w  699,  4.  5  dar  :  klar  —  h  770,  7.  9  dar  :  war;  w 
bereit  —   h  770,  4.  5  bereit  :  geleit. 


208 


LUNZER 


w  704.  705  stehen  an  stelle  von  h  779 — 858,  von  denen  in  w 
aber  nur  das  wichtigste,  nämlich  der  inhalt  von  h  779.  781.  782 
ausführlicher  vvidergegeben,  anderes  nur  gestreift  wird,  h  ist 
aber  hier  im  einzelnen  arg  zerrüttet,  manches,  was  w  vor  sich 
gehabt  zu  haben  scheint,  findet  sich  in  h  nicht  mehr,  der  ver- 
gleich ist  also,  namentlich  was  wörtliche  entlehnungen  betrifft, 
hier  erschwert,  w  704 — 705  entsprechen  ungefähr  h  779,  1 — 9. 
w  704,  6  ist  ein  blofser  flickvers,  7 — 10  :  manch  tiplich  red  und 
süsse  wort  aufs  rotem  mund  erginge,  das  der  fürst  gerne  von  ir 
hört,  den  Wikram  feischlich  finge  bezieht  sich  wol  auf  die  lange 
widerholung  von  Dietrichs  Schicksalen  h  804 — 826  (vgl.  besonders 
h  805,  1.  2  :  Er  was  geheizen  Wicram,  mit  valschen  reden  er  üf 
mich  kam.  819,  11  roter  munt  u.  dgl.).  im  folgenden  vergleiche 
man  wider: 

h  781,  9ff: 

'ich  (=  diu  herzogin) 

bite  iuch  durch  den  willen  min 

und  durch  die  maget  reine 


w  704,  11—13: 
:r',  sprach  die  edel  herzogein, 
olt  ir  uns  einer  pet  gewern, 
ch  und  die  schone  maget  fein 


h  775,  6ff: 
bite  in  sunder  eine, 


w  705,  1—9: 
s  ir  durch  frawen  hochgeert ' 
:  burk  wolt  lassen  unversert. 

r  umb,  ir  hochgelopter  man2 

»11  wir  euch  dienen  gerne 

d  allzeit  wesen  undertan'. 


daz  ir 


diz  lant  uns  wellet  län 


enpfän  von  iu  ze  lehen: 


daz  er  dise  vesten  guot 
uns  läze  unzerstceret. 

wir  wellenz  gerne  ze  16! 

hän 
von   ime  die    wile   daz 

leben 
und  solan  sinen  handen  st 


daz  sol  an  iuwern  gnaden  stän 
w  705,  10.  11,  wo  Dietrich  die  entscheidung  der  bitte  Hildebrand 
überlässt,  bezieht  sich  wol  auf  eine  in  h  ausgefallene  Strophe, 
w  705,  12.  13  geben  den  inhalt  von  h  782  wider. 

Anhangsweise  wäre  hier  noch  w  641  zu  besprechen ,  die 
Stark  =  h  709  setzt,  in  Wahrheit  verhält  sich  die  sache  folgen- 
dermafsen  :  mit  w  640  hatte  der  Schreiber  die  partie  bis  h  650 
übertragen,  mit  w  642  setzt  er  bei  h  711  wider  ein.  an  stelle 
der  ausgelassenen  Strophen  h  651 — 710  steht  in  w  nur  w  611, 
die  zuerst  den  inhalt  der  letzten  beiden  Strophen  des  übergangenen 
teiles,  nämlich  von  h  708.  709  in  engerem  anschlusse  an  709 
widergibt,  in  den  beiden  schlussversen  aber  den  anfang  jenes 
teiles,  nämlich  h  651,  1.  2.     man  vergleiche  w  641,  12.  13  dar 

1  vgl.  h  776,  7  daz  erz  durch  vrouwen  gerne  luot. 

2  vgl.  h  776,  13  des  muoz  er  (=  Dietrich)  sin  ein  biderber  man'. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  209 

zu  gab  in  gar  weisen  rat  in  trewen  meisler  Hildeprant  mit  li  651, 
1.2:  Her  Hildebrant,  nu  gebeut  rät,  als  iuwern  eren  wol  an  stdt. 
demnach  ist  also  auch  das  ende  von  w  641,  das  zunächst  —  im 
vergleiche  mit  h  709  —  eigentum  des  Schreibers  von  w  zu  sein 
scheint,  aus  der  vorläge  genommen,  das  verfahren  des  Schreibers 
ist  also  auch  hier  ganz  so  wie  anderwärts '. 

Die  früher  unternommene  Charakterisierung  des  compilators 
von  w  erhält  durch  diese  betrachtung  der  einzelnen  von  ihm 
selber  verfassten  Strophen  nur  eine  bestätigung  :  er  hat  solche 
nur  notgedrungen  'gedichtet'  und  zeigt  sich  auch  in  ihnen  nicht 
schöpferisch,  sondern  bis  auf  den  Wortlaut  herab  von  seiner 
quelle  abhängig2. 

Wir  haben  damit  für  das  folgende  festeren  boden  gewonnen : 
das  bild  des  Überarbeiters  ist  eindeutig,  das,  was  ihm  zugetraut 
werden  kann,  ziemlich  eng  umgrenzt,  und  namentlich  gezeigt, 
dass  ihm  erstens  gröfsere  Strophenreihen  überhaupt  nicht  und 
auch  einzelne  Strophen  dann  nicht  zuzuweisen  sind,  wenn  sie 
selbständiges  verhalten  dem  Stoffe  gegenüber,  motivierung  kommen- 
der partien  udgl.  aufweisen,  wo  sich  solche  in  w  tinden,  müssen 
sie  —  einerlei  ob  sie  durch  andere  fassungen  des  gedichtes  von 
Dietrichs  ersten  taten  bestätigt  sind  oder  nicht  —  jedeslälls  auf 
die  vorläge  oder  besser  gesagt  auf  eine  der  beiden  vorlagen  von 
w  zurückgeschoben  werden. 

Abgreiszumü  der  vorlagen. 
Schwierigkeiten  macht  besonders  der  anfang.  hier  Dämlich 
wechseln  mit  einander  ab  Strophen,  die  allen  drei  dichlUAgeo 
gemeinsam  sind,  solche,  die  w  nur  mit  h  oder  nur  mit  d  t*'ilt, 
und  endlich  solche,  die  ausschliefslidirs  etgeotutp  \<>n  w  uod« 
da  wir  ein  compliciertes  verfahren  schon  im  aUgenetaen  eineso 
compilator  jener  zeit  nicht  zutrauen  werden,  gan*  besonder!  »ber 
nicht  dem  manne,  von  dessen  täligkeit  bisher  gesprochen  wurde, 
muss  es  sache  einer  eingehenderen  prdfung  >«'m,  die  auf  dm 
ersten  blick  verworren  scheinenden  verhAllttisM  MJ   w '• 

1  auf  die  formale  seile  der  'eigenen'  slroplwn   roo   *    i  B    ' "' 
lieh  nicht  eingegangen   :   sie  unterscheiden    sieh  in  du  • 

alten    nicht   erheblich,    da   der  Überarbeiter  ja  auch  d 
und  sprachliche  gewand  seiner  zeit  gehüllt  hat 

2  sein    würkliches    eigentum    sind    fast   nur  fliefcw 
merket  mich  gar  eben,  704,  6  nu  mügt  ir  hören  gerne  udifl. 

Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  XXXI. 


210  LUNZER 

Die  Strophen  w  1,2  sind  nur  noch  iu  d  bezeugt,  also  wol 
aus  der  vorläge  genommen,  die  mit  der  quelle  von  d  verwant 
war.    sie  handeln  vom  vater  und  von  der  erziehung  des  heiden. 

Dagegen  weist  die  ganze  partie  w  3 — 37  aufser  zahlreichen 
plusstrophen  von  w  nur  solche  auf,  die  sich  entweder  in  d  und 
h  oder,  und  deren  sind  mehr,  nur  in  h  finden,  uzw.  als  h  1  — 12. 
man  darf  also  annehmen,  dass  w  3 — 37  auf  grundlage  von  h 
1 — 12  entstanden  ist1,  inhalt  dieser  partie  ist  die  weitere  Vor- 
geschichte des  heiden,  die  der  Virginal  und  Hildebrands  erfolg- 
reiche bemühungen,  seinen  herrn  zum  bestehn  des  abenteuers 
anzutreiben,  die  letzte  Strophe  erzählt,  wie  bürg,  Stadt  und  land 
einem  biirger  anvertraut  werden. 

Es  folgt  nun  der  abschnitt  w  38 — 130.  er  berichtet  vom 
aufbruch  und  von  der  fahrt  Dietrichs  und  Hildebrands  und  von 
dem  zusammentreffen  des  letzteren  mit  Madius  bis  zur  ankunft 
des  heiden.  nur  h  und  nicht  auch  d  kennt  nach  Stark  die 
Strophen  w  45.  48.  72.  85.  94.  96  (w  68  hat  mit  h  24  nur  den 
ersten  vers  gemein),  von  diesen  ist  aber  sogleich  94  auszu- 
scheiden, denn  die  Strophe  ist  tatsächlich  in  d  bezeugt  (vgl. 
w  94,7.8.12  und  d  17,5.6);  w  72  ist  inhaltlich  nicht  zu 
entbehren  und  scheint  mir  auch  durch  d  13,  9 — 11  gestützt 
zu  sein  2. 

Aber  auch  die  andern  nur  in  h  und  w  vorhandenen  Strophen 
haben  sicher  auch  in  der  vorläge  von  d  gestanden,  die  uns  ja 
nur  durch  den  stark  und  rücksichtslos  kürzenden  auszug  ver- 
treten ist  :  w  85  (==  h  31)  und  w  96  (=  h  37)  sprechen  von 
brünne,  sarwat,  ross  und  schwert  des  heiden,  und  diese  wich- 
tigen teile  der  ausrüstung  werden  wol  auch  in  den  'wäpenliet' 
der  quelle  von  d  nicht  unerwähnt  gebliehen  sein,  die  sogar 
schuhe,  zäum  und  pferdedecke  beschrieben  haben  (d  14,  11.  15, 
7.  15,  5.)  auch  die  Strophe  w  48  (=  h  17)  ist  erst  beim  an- 
fertigen des  auszuges  weggefallen,  sie  schliefst  :  ir  vüert  mich 
mit  iu  uf  den  pldn  (:  lan),  vers  1 1  der  unmittelbar  vorangehen- 
den Strophe  lautet  ebenso  (reim  :  hdri).  ähnlich  steht  es  mit 
w  45  (=  h  14),  nur  dass  hier  der  anfang  schuld  war  :  Ez  reit 
uz  Berne,  also  manz  seit,  .  .  .  her  Dieterich  von  Berne,  vgl.  w  46 
(=  h  15)  :  Eins  morgens  vrüeje  daz  geschach,  daz  mans  üz  Berne 

1  die  plusstrophen  von  w  hat  unser  Schreiber  in  seiner  vorläge  gefunden. 

2  ich  halte  d  13,  11  für  ein  misverständnis  aus  h  25   (=  w  72),  7.  8- 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  211 

riten  sach.  der  ausfall  in  d  erklärt  sich  also  graphisch  durch 
abgleiten  des  auges  von  einer  stelle  zu  einer  formell  und  inhalt- 
lich ähnlichen,  als  entscheidend  bleiben  also  nur  die  atroph  d 
übrig,  in  deren  besitz  w  mit  d  gegen  h  zusammenstimmt,  es 
sind  dies  w  38.  39.  42.  50.  56—60.  62—65.  70.  71.  76.  8  1  86. 
87.  91.  93—95.  99—102.  104.  106.  123.  124.  127.  129',  von 
denen  Stark  allerdings  nicht  alle  verzeichnet  (die  nötigen  hin- 
weise s.  u.  s.  220  f).  demnach  beruht  die  partie  w  38—130  auf 
der  mit  d  zusammengehörigen  vorläge 2. 

In  w  131  — 185  wird  Hildebrands  kämpf  mit  dem  beiden 
erzählt,  nach  Stark  sind  nur  von  h  bezeugt  w  136.  138.  14(1. 
150.  164.  168.  174.  175.  185  (von  w  134  sehe  ich  hier  ab,  da 
es  in  h  an  ganz  anderer  stelle  erscheint),  es  ist  aber  nachzu- 
tragen,  dass  von  diesen  zwei  doch  auch  in  d  belegt  sind  :  140 
(vers  5—13  durch  d  22,5.6)  und  164  (durch  d  25,7-13). 
die  andern  Strophen  sind  nicht  beweisend  :  w  136.  138  =  b  12. 
45  standen  auch  in  der  vorläge  von  d  und  sind  erst  in  dem 
auszuge  übersprungen  worden,  indem  der  Verfasser  desselben 
von  dem  ende  der  Strophe  w  135  auf  den  anfang  von  w  139 
hiuüberglitt.  vgl.  w  135  (=  h  44)  12.  13  :  der  wise  (=  Hilde- 
brant)  balde  ansihtec  wart  den  starken  hei  denischen  man  und 
w  139  (=  h  46)  1.  2  :  Der  hei  den  zorneclichen  sprach. 
hern  Hildebranden  sach.  auf  ähnliche  weise  sind  erst  beim 
abfassen  des  auszuges  verloren  gegangen  w  168.  174.  175.  der 
Schreiber,  der  ebeu  (in  d  26,  10 — 13)  das  ende  von  \\  167 
widergegeben  hatte,  glaubte,  er  sei  schon  bis  w  171'»  gekommen, 
und  fuhr  daher  mit  dieser  strophe  fort  (in  d  27,  1 — '.V).  später 
merkte  er  sein  versehen  wol,  trug  aber  nur  w  169.  170  (=  h  63- 
64)  mit  d  27,  4 — 13  nach,  zum  Verständnis  j-'iir.s  rehlers  muss 
auf  die  in  h  erhaltene  ursprüngliche  fassung  von  w  167  und 
175  zurückgegangen  werden  :  h  61,  8  (:  10)  lautet  OÜrwär  da» 
ist  ein  wunder  (:  bevunder),  h  65,  8  (:  1»»)  daz  nimt  muh 
wunder  (:  kunder),  in  beiden  Strophen  i>i  ferner  Hildebrand  der 
redende  :  h  61,  1  In  zorne  sprach  her  Hildebrant  und  h 
Der  wise  (=  Hildebrant)  sprach.  —  weiter  musa  auch  «  I 
(=  h  7i)  in  der  vorläge  von  d  gestanden  haben,  da  sich 

1  w  82  und  128  scheinen  mir  nielit  durch  <l  gestallt  l 

2  auch  diese  partie  enthält  plusstmphcn  von  w,   ffl 
gilt  wie  für  die  des  frühem  abschnittes. 


212  LÜNZER 

und  186  weder  in  der  fassung  von  w  noch  in  der  alten  (h  70 
und  72)  aneinander  fügen.  —  w  150  ist  nur  zum  teile  =  h  52. 
auch  diese  Strophe,  über  die  unten  noch  gesprochen  werden 
soll  (s.  s.  234),  ist  dem  original  von  d  zuzuweisen  (uzw.  in  der 
gestalt,  wie  sie  h  bietet)  :  das  zücken  der  Schwerter  nach  dem 
zerbrechen  der  Speere  und  nach  dem  absitzen  ist  in  einem  ritter- 
lichen Zweikampfe  ein  zu  wichtiger  Vorgang,  als  dass  er  über- 
gangen werden  konnte,  wenn  der  Zweikampf  nur  einigermalsen 
ausführlich  erzählt  wurde,  zudem  passen  w  149  und  152  ohne 
Übergang  nicht  zusammen. 

Es  erübrigen  also  nur  die  Strophen ,  die  w  und  d  gemein- 
sam haben  :  141—144.  155.  166  K  170.  176.  180.  schon  w  176 
genügt  zum  beweise,  dass  w  in  dieser  partie  zu  d  gehört,  denn 
abgesehen  von  der  wörtlichen  Übereinstimmung  zwischen  w  176, 
1.  2  und  d  27,  1  enthalten  nur  d  und  w  die  inhaltlich  wichtige 
angäbe,  dass  der  beide  sich  Hildebrand  gefangen  geben  will. 

Darnach  stammen  also  auch  w  130 — 185  aus  der  mit  d 
verwanten  vorläge,  wie  der  vorige  abschnitt. 

Die  nun  folgende  partie  w  186—222  berichtet  von  Diet- 
richs kämpf  mit  den  80  mannen  des  heiden  bis  zum  eingreifen 
Hildebrands,  hier  sind  alle  Strophen,  die  w  mit  h  teilt,  zugleich 
in  d  gestützt,  auch  w  193  und  216,  zu  denen  Stark  keine 
parallele  aus  d  notiert,  es  sind  nämlich  w  193,  4 — 13  durch 
d  31,5 — 7  wenn  auch  ungeschickt  widergegeben  (man  beachte 
besonders  das  wort  kunst  in  w  193,  7  und  12,  das  sich  auch 
im  auszuge  noch  erhalten  hat  in  d  31,  7),  von  w  216  endlich 
wird  vers  4  durch  d  36,  5  bestätigt,  dem  gegenüber  aber  be- 
sitzen d  und  w  im  vergleiche  mit  h  ein  gemeinsames  mehr  wich- 
tiger Strophen,  (besonders  von  bedeutung  sind  hier  w  197 ff.) 
es  bedarf  keines  weiteren  beweises,  dass  auch  diese  strophen- 
reihe  mit  d  verwant  ist. 

Es  schliefsen  sich  nun  an  w  223 — 338,  Hildebrands  und 
Dietrichs  gemeinsame  abenteuer  bis  zum  eintreffen  Bibungs  in 
Arone.    von  den  Strophen,  die  d  bestätigt,  fehlt  in  h  nur  w  268, 

1  diese  sind  von  Stark  nicht  vermerkt,  vgl.  über  sie  s.  220  f.  dagegen 
sehe  ich  von  w  148  und  162  ab  :  d  23,  7  gehört  nicht  zu  w  148,  3,  sondern 
stimmt  viel  besser  zu  der  fassung,  die  wl47, 11. 12  im  original  (==  h  50, 11.12) 
hatten;  d  25,  5  gehört  zu  w  161  (=  h  58),  8.  10. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 

7 — 269,6'.  dagegen  haben  h  und  vv  nach  Stark  folgend 
d  nicht  bezeugte  Strophen  :  w  224.  227.  246.  248.  249. 
253.  256—258.  261.  272.  282.  283.  305.  319.  320.  von  ihnen 
entfallen  aber  einige,  die  trotz  Stark  in  d  eine  stütze  finden,  nämlich 
224  (vgl.  d  37,  6).  253  (2. 3  =  d  45,  5).  261  (3.  4  =  d  46, 7  >,  272 
(5  =  d  49,  8).  282  (2—4  —  d  52,  13).  283  (2  =  53, 1).  305  (2.  3 
=  d  60,2).  bei  andern  erklärt  sich  der  auslall  in  d  graphisch: 
w  245  (=  h  122)  beginnt  :  Si  (=  diu  maget)  kerte  von  in  in 
den  tan,  dd  manec  kalter  brunne  ran,  w  247  (=  h  124)  :  Do 
sach  diu  maget  wol  getan  bi  eime  wazzer,  daz  dd  ran.  zwischen 
beiden  ist  in  d  die  Strophe  vv  246  (=  h  123)  verloren  gegangen. 
—  von  vv  248,  1  Ez  was  gieng  d  über  auf  vv  250  =  h  127,  1 
Ez  was  und  liefs  so  vv  248.  249  aus.  —  der  anfang  vv  256  (== 
h  133)  und  vv  259  (=  h  134),  1—4  ist  ganz  ähnlich: 

256:  259: 

Diu  künegin  zühteclichen  sprach,  'Swaz  si  (=  diu  künegin)  des  inge- 

sindes  sach, 
'so  liebe  geste  ich  nie  gesach:  dö  gebot  si  unde  sprach 

des  vröuwent  iuch,  ir  meide.  'legt  an  iur  beste  kleider: 

legent  an  keiserliche  wät.  uns  koment  liebe  geste  her. 

es  ist  kein  wunder,  dass  dazwischen  vv  256 — 258  ausgefallen  sind. 
Man    vergleiche    weiter   w    319,1.2    und    321,1.2    iu    der 
alten  gestalt  (h  196  und   198): 
Als  si   (=  Portalaphe)    Helferich  er-       Si    (=   Portalaphe)    gie    da    e 

sach,  vürsten  (=  Helferich)  sach. 

wider  die  vürsten  er  du  sprach.  Portalaphe:  diu  reine  sprach. 

so  erklärt  sich  der  verlust  von  w  319.  320.  —  w  252  ist  lin- 
den Zusammenhang  unentbehrlich,  also  erst  in  dem  gewalttätigen 
auszuge  weggeblieben  :  die  worte  in  vröuden  w  253  =  h  130,  1 
knüpfen  an  au  vröude  und  sich  vröuwen,  wunne  und  höchgemüete 
der  in  frage  stehnden  Strophe.  —  es  bleibt  ncch  übrig  w  227  = 
h  106.  die  verse  1 — 5  dieser  Strophe  lauten  fasl  wörtlich  gleich 
mit  dem  anfang  von  vv  33  in  einer  partie,  <n<-  aus  der  mil  h 
verwanten  vorläge  geflossen  ist.  diese  hat  also  —  um  gegensatze 
zu  h  —  die  fraglichen  verse  schon  an  früherem  orte  verwendet. 
das  spricht,  scheint  mir,  eher  dafür,  dass  w  an  unsrei 
andern  texte  folgt. 

1  bei  einigen  Strophen  von  w  hat  Stark,  offe 
nuinmern  der  in  h  entsprechenden  nicht  beigesetzt;  i 
280.  285.  2S7.  295.  308  =  h  150.   152.   156.    161.   163     174 


214  LUNZER 

Darauf  würde  auch  der  d  und  w  gegen  h  gemeinsame  be- 
sitz von  w  268,  7 — 269,  6  hindeuten,  sowie  der  umstand,  dass 
h  166  — 169  und  h  212  in  d  und  w  fehlen,  allerdings  sind  diese 
anzeiehen  nicht  sehr  sicher1,  es  scheinen  eben  in  diesem  ab- 
schnitte h  und  die  vorläge  von  d  nicht  erheblich  verschieden  ge- 
wesen zu  sein,  und  deshalb  findet  sich  auch  kein  recht  deutlicher 
hinweis  darauf,  welcher  von  beiden  w  näher  steht,  da  w  jedoch 
in  den  vorausgehnden  Strophenreihen  zu  d  stimmt  und  ebenso, 
wie  gleich  gezeigt  werden  wird,  im  folgenden,  so  ist  die  ein- 
fachere annähme,  dass  auch  das  dazwischenliegende,  also  eben 
w  223 — 338  aus  der  mit  d  übereinstimmenden  quelle  geschöpft 
ist,  umsomehr,  als  für  den  Schreiber  von  w  gar  kein  grund  vor- 
handen war,  mit  seiner  Strophe  223  die  eine  vorläge  zu  verlassen 
und  zu  der  andern  überzugehn,  die  sich  von  der  früher  benutzten 
gerade  hier  kaum  unterschied. 

Der  nächste  abschnitt  beruht  auf  d.  er  umfasst  w  339 — 491 
und  erzählt  von  der  durch  Bibung  nach  Arone  überbrachten  ein- 
ladung  Virginais,  von  den  abenteuern  auf  Orteueck  und  der  rück- 
kehr  der  beiden  nach  Arone.  der  gröste  teil  dieser  partie  hat 
in  h  überhaupt  keinen  beleg,  nämlich  w  353  —  491;  nur  die 
Strophen  w  369  —  371  sind,  wie  schon  Stark  anmerkt,  mit 
h  234 — 239  zu  vergleichen,  stehn  aber  d  viel  näher,  der  anfang 
des  abschnittes,  w  339 — 352,  war  in  h  und  der  vorläge  von  d 
wahrscheinlich  identisch,  wenn  auch  der  auszug  ein  paar  Strophen 
übersprungen  hat.  nach  Stark  sind  in  d  nicht  bezeugt  w  342. 
343.  348.  351.  ich  glaube  aber  eine  spur  von  w  342  (vers  9) 
in  d  70,  12  und  von  w  343  (vers  4.  5)  in  d  70,  13  zu  erkennen, 
w  348  ist  unentbehrlich,  und  w  351  durch  ein  versehen  ausge- 
fallen :  w  350  =  h  229  beginnt  Er  sprach  ir  vürsten  bedesant, 
w  351  =  h  230  :  Ir  vürsten  beide.  —  h  231.  232  fehlen  in  w 
und   d. 

Das  ergebnis  ist  also,  dass  in  dem  ersten  teile  von  w 
(1 — 491)  nur  die  Strophen  3 — 37  ein  aus  h  genommener  ein- 
schub  sind,   während  alles  übrige  aus  der  mit  d  verwanten  vor- 

1  es  könnten  nämlich  w  268,  7 — 269,  6  in  h,  die  andern  Strophen  in 
d  und  w  durch  abgleiten  des  auges  verloren  gegangen  sein  :  w  268,  7  lautet 
der  große  wurm  her  gen  im  kroch,  w  269,  7  in  h  (145)  er  vor  dem  wil- 
den wurme  gie.  h  166,  1  ist  fast  identisch  mit  h  170,3,  und  h  210,  1  sehr 
ähnlich  mit  h  212,  1. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  215 

läge    abgeschrieben   ist.      die  Verhältnisse  liegen   also   tatsächlich 
einfacher,  als  sie  nach  dem  ersten  eindrucke  erscheinen. 

Der  grund,  warum  der  compilator  die  partie  3—37  aus  h 
abschrieb,  ligt  darin,  dass  h  hier  inhaltlich  mehr  bot,  was  schon 
ein  flüchtiger  vergleich  lehren  muste,  während  in  den  folgenden 
abschnitten  bis  vv  491   die  fassung  d  stofflich  reicher  war. 

Fast  man  alles  zusammen,  so  ergibt  sich  (abgesehen  von  den 
selbstgedichteten  iibergangsstrophen   des  Schreibers)  folgendes: 
es  stammen  aus  d:  aus  li: 

w  1.  2  w  3—37 

w  3S— 491  w  492 

w  493  w  495—766 

w  767—789  w  790—797 

vv  798.  799  w  800 

w  801—866. 
die  vom  compilator  selbst  verfassten  Strophen  w  494.  585.  586. 
699.  704.  705  lassen  auch  noch   ihre  quelle  erkennen  :  sie  be- 
ruhen, wie  oben  gezeigt  wurde,  gleich  ihrer  Umgebung  auf  h. 

Die  mit  h  verwaiste  vorläge. 

Aufser  den  eben  aufgezählten  Strophen  haben  jedoch  die  mit 
h  verwanten  partien  von  vv  noch  einige,  die  sich  in  der  'Virginal' 
nicht  finden,  die  aber  auch  nicht  vom  Schreiber  von  w  herrühren 
können,  da  sie  kenntnis  des  weitern  Verlaufs  zeigen,  auf  diesen 
vorbereiten  oder  ihn  im  voraus  motivieren  sollen,  es  sind  dies 
w  8—15.  17—24.  26.  28.  32.  34.  502,12—503,11.  0S5.  753. 
sie  müssen  bereits  in   der  vorläge  von  vv  gestanden  haben. 

Von  diesen  Strophen  sind  zunächst  zusammen  zu  betrachten 
w  502,  12— 503,  11  und  685.  die  erstere  soll  etwas  erklären, 
was  später  erzählt  wird,  nämlich  dass  Dietrich  ohue  briinne  reitet 
und  daher  dem  riesen  Wicram  wehrlos  in  die  bände  lallt,  das 
fehlen  der  rüstung  wird  später  (in  h321,4ff=w  509, 4ff)  von 
Dietrich  beklagt,  der  interpolator  der  vorläge  hält  es  nun  tili 
nötig,  schon  vorher  zu  berichten  w  503,  1  ff  :  Her  Diterirh  mi 
hamasch  reit,  kein  waffen  fürt  der  helt  gemeit,  dun  gult  und 
licht  gesteine  das  fürt  an  im  der  kun  iceigant.  aufserdem  be- 
richtet die  Strophe  noch,  dass  Mauter  von  zwölf  riesen  bewacht 
werde,  die  in  der  näbe  in  einer  höhle  liegen.  in  li  folgl  dies 
erst  später,  zuerst  359,  7  =  w  545,7,  bez.  365,  :">  ff  «—  55 1 .  :i  ff.  — 


216  LUNZER 

als  dann  Dietrich  in  der  gefaugenschaft  die  erlaubnis  erhält,  gegen 
Wicram  zu  kämpfen,  und  gewappnet  wird,  erinnert  sich  der  in- 
terpolator,  dass  sein  held  ja  ohne  waffenrüstung  in  die  gefangen- 
schaft  geraten  war.  er  schiebt  also  die  Strophe  685  ein,  in  der 
berichtet  wird,  wie  man  diese  von  Hildebrand  habe  holen  lassen, 
auch  den  letzten  vers  der  vorhergehnden  und  die  beiden  ersten 
verse  der  folgenden  Strophe  hat  er  im  zusammenhange  damit  ge- 
ändert. 

w  753  ist  eingeschoben,  um  das  er  in  h  906,  1  (=  w  754,  1, 
aber  dort  umgestaltet)  deutlich  zu  machen,  dass  damit  Helferich 
und  nicht  Rentwin  gemeint  sei,  tritt  in  h  erst  in  v.  3  hervor. 

Interessanter  sind  w  8—15.  17—24.  26 — 28.  32.  34.  diese 
Strophen  nennen  zum  erstenmal  den  namen  der  weiblichen  Haupt- 
person, Virginal  (9,  7),  und  erzählen  von  ihr  und  ihrem  berge  in 
Tirol  (9 — 11);  sie  motivieren  den  zug  des  heiden  gegen  Virginal 
(12 — 15  :  er  wird  auf  die  klage  des  von  ihr  verbannten  zwerges 
Elegast  unternommen)  und  berichten  von  dem  siegreichen  kämpfe 
des  heiden  und  seiner  mannen  mit  den  riesen  der  königin 
(17 — 24).  sie  zeigen  ferner  mit  gröfserer  deutlichkeil  Hildebrands 
bemühungen,  Dietrich  zur  hilfe  für  Virginal  zu  bewegen,  und  ar- 
beiten das  motiv,  das  für  letztern  schliefslich  entscheidend  ist, 
mehr  heraus  (26 — 28.  32.  34.  in  letzterer  hinsieht  vgl.  beson- 
ders 28,  9.  10  :  schon  frawen  brachten  in  darzue  mit  irer  süssen 
minne).  zweck  dieser  einschallung  war  also  :  angäbe  eines  wich- 
tigen namens,  Vorgeschichte  einer  hauptperson,  motivierung  von 
Orkises  zug  und  von  Dietrichs  aufbrueb. 

Es  ist  nun  auffallend,  dass  fast  ganz  demselben  zwecke  die 
Strophen  h  79 — 92  dienen,  die  Wilmanns  völlig  überzeugend 
gleichfalls  als  eine  interpolation  nachgewiesen  hat l.  auch  in 
diesen  wird  zum  erslenmale  der  uame  Virginal  genannt  (87,  8, 
nicht  37,  wie  das  'namenverzeichnis'  irrtümlich  angibt),  aber 
aufserdem  auch  noch  zum  erstenmale  der  ihres  Wohnorts,  Jera- 
spunt  (87,  7.  88,  9),  und  der  ihres  feindes,  des  heiden  Orkise 
(82,  12.  83,  3.  84,  11.  85,  3.  11,  also  nicht  weniger  als  fünfmal); 
es  wird  ferner  von  Virginal  und  ihrem  berge  berichtet  (87,6 — 88,3) 
und  der  zug  der  heiden  gegen  sie  motiviert  (88,7 — 13),  wenn 
auch  anders,  kürzer  und  geschickter  als  in  der  einschaltung  von 
w.     über  die  gründe,    die  Dietrich   zur  hilfe  bewegen,    bringen 

1  Zs.  15,  298  ff. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  217 

diese  Strophen  von  h  zwar  nichts,  dafür  aher  erklären  sie,  warum 
der  heide  allein  (ohne  seine  mannen)  gegen  Hildebrand  gekämpft 
habe  (83,  2 — 13),  und  warum  sich  seine  mannen  spater  geteilt 
hätten  (81,3.  85,5 — 13).  die  frage,  über  die  Zupitza  und  Wil- 
manns  uneins  waren,  was  der  vierte  heide  in  Orkises  gefolge 
—  und  er  ist  die  hauptperson  in  dieser  einscbaltung  —  hier 
zu  tun  habe,  ist  also  dahin  zu  beantworten  :  er  soll  Virginais 
und  seines  herrn  namen,  den  wohnort  der  kOnigin  nennen,  den 
zug  des  Orkise  usw.  erklären. 

Die  vergleichung  der  eben  besprochenen  interpolationen,  von 
denen  sich  die  eine  in  h,  die  andre  in  der  mit  h  verwanten 
partie  von  w  findet,   eröffnet  aber  noch  weitere  ausblicke: 

Der  Schreiber  von  h  und  der  der  vorläge  von  w  müssen 
eine  gemeinsame  quelle  gehabt  haben,  der  jede  dieser  einscbal- 
tungen  fremd  war.  diese  quelle  braucht  aber  nicht  erschlossen 
zu  werden,  sie  ist  für  uns  vertreten  durch  die  bruchslUcke  der 
'prachtvollen  pergamenths.  aus  dem  ende  des  13  oder  anfang  des 
14  jhs.',  die  Zupitza  R  nennt  und  welche  in  der  tat  h  79 — 92 
ebensowenig  enthält  wie  w8 — 15  usw.  (Zupitza  Deutsches  beiden- 
buch  v  s.  vm,  Wilmanns  Zs.  15,  298  ff). 

Nun  hat  Wilmanns  nachgewiesen,  dass  h  aus  zwei  teilen  be- 
steht, einem  altern,  der  bis  h  254  l  reiche,  und  einer  fortsetzung. 
schalten  wir  nun  aus  dem  altern  teile  mit  Wilmanns  h  79 — 92 
als  spätem  einschub  aus,  so  ergibt  sich  :  in  diesem  alten  stücke 
fehlten  nicht  nur  mehrere  motivierungen,  deren  notwendigkeil 
sich  schon  daraus  erkennen  lässt,  dass  zwei  bearbeiter  unabhängig 
von  einander  das  bedürfnis  fühlten,  sie  nachzutragen,  sondern  es 
war  auch,  was  noch  auffallender  ist,  die  weibliche  hauptpersou 
namenlos,  erst  der  Verfasser  der  fortsetzung  nennt  sie  Virginal, 
denn  abgesehen  von  der  einscbaltung  h  79 — 92  erschein!  der 
name  erst  h260,4,  bezeichnenderweise  in  einem  briefe,  der 
nicht  wol  namenlos  sein  konnte,  dann  b  532  uö.  auch  den  berg 
Jeraspunt  nennt  erst  der  fortsetzer  (von  b  s7  wider  abgesehen 
zuerst  h  441).  den  namen  Orkise  kennt  allerdings  sei 
älteste  teil,  bringt  ihn  aber  nur  einmal,  h  132,  was  dem 
interpolator  zu  wenig  schien. 

1  nach  meiner  ansieht  nur  bis  h  239,   9. 
kommt  es  hier  nicht  an. 


218  LUNZER 

Dass  die  namen  Virginal  und  Jeraspunt  eigentum  des  Ver- 
fassers der  in  h  255 — 1097  erhaltenen  fortsetzung  sind ,  ergibt 
sich  aber  aufserdem  noch  daraus,  dass  auch  in  d  beide  fehlen, 
während  andre,  weit  unbedeutendere  zwar  meist  verunstaltet,  aber 
doch  erhalten  sind;  ebenso  fehlen  beide  in  den  mit  d  verwanten 
partien  von  w,  in  denen  nur  der  name  Virginal  einmal  774,9 
(aufserhalb  des  reims)  vorkommt,  offenbar  erst  von  dem  Schreiber 
unseres  textes  hereingebracht,  der  ihn  bis  dorthin  oft  genug  in 
den  aus  h  geschöpften  Strophen  gefunden  hatte. 

Die  sache  ligt  also  bis  jetzt  so  :  der  älteste  teil  der  dichtuug, 
für  uns  vertreten  durch  B,  wurde  fortgesetzt,  aber  zunächst  noch 
nicht  interpoliert,  diese  fortsetzung,  der  erst  der  name  'Virginal' 
mit  recht  zukommen  würde,  wurde  zweimal  in  ihrem  anfange 
interpoliert,  die  eine  bearbeitung  ligt  vor  in  h,  die  andre  ist  die 
vorläge  der  mit  h  verwanten  partien  von  w  gewesen,  beide  be- 
arbeiter  sind  von  einander  unabhängig,  denn  aufser  dem  ihnen 
gemeinsamen  namen  der  heldin,  den  eben  jeder  von  ihnen  aus 
der  fortsetzung  schöpfte,  und  gewissen  bestrebungen,  die  durch 
die  mängel  des  ältesten  Stückes  hervorgerufen  wurden,  haben  sie 
mit  einander  keinerlei  berührung. 

Die  mit  d  verwante  vorläge. 

Aus  einer  mit  d  verwanten  quelle  flössen  w  1.  2.  38 — 491. 
493.  767—789.  798.  799.  801—866.  von  w  352  au,  wo  der  ver- 
gleich mit  h  aufhört,  ist  die  Untersuchung  über  die  plusslrophen  von 
w  dadurch  beträchtlich  erschwert,  dass  w  nur  mit  dem  im  Dres- 
dener heldenbuch  erhaltenen  auszuge  verglichen  werden  kann, 
dennoch  darf  als  sicher  vorausgeschickt  werden  :  alle  Strophen, 
die  hier  w  gegen  d  voraushat,  stammen  aus  der  vor- 
läge von  w.  für  den  Schreiber  von  w  fehlte  hier  jeder  grund, 
Strophen  eigener  production  einzufügen,  insbesondre  die  in  h  so 
zahlreichen  langen  widerholungen.  auch  lehrt  selbst  der  auszug 
d,  dass  w  hier  nirgends  gröfsere  Strophenreihen  zusammengezogen 
hat,  und  endlich  führt  auch  in  den  Strophen ,  wie  sie  w  bietet, 
weder  ein  formales  noch  ein  inhaltliches  merkmal  zu  der  an- 
nähme, unser  Schreiber  von  w  sei  der  Verfasser. 

Noch  etwas  zweites  lässt  sich  mit  bestimmtheit  behaupten: 
dievorlage  von  w  und  die  von  d  waren  nicht  mitein- 
ander  identisch,    obschon   nahe   verwaut.      wie  schon   Stark 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  219 

(s.  x)  bemerkt,  weichen  beide  in  der  Schilderung  der  hoch 
nacht  (w  851— 854,  d  125 — 128)  vollständig  von  einander  ab; 
bezeichnen  wir  ferner  mit  W  das  original  von  w,  mit  D  die  quelle 
von  d,  so  hatte  sowol  D  mehrfach  ein  plus  gegen  W,  wie  Vi 
gegen  D.  so  beweisen  die  in  w  nicht  bezeugten  verse  d  117,  1 — S 
für  D  das  Vorhandensein  von  mindestens  einer  in  W  fehlenden 
Strophe  ('empfang  des  riesen  bei  der  königin').  desgleichen 
d  120,  1 — 3  ('Hildebrand  als  vermittler  zwischen  der  königin  and 
Dietrich'),  d  121,  9 — 13  ('Hildebrand  als  vermittler  zwischen  Diet- 
rich und  den  fürsten;  die  Jungfrauen  der  königin  stimmen  deren 
Vermählung  zu'),  d  124,  1 — 3.  5 — 7.  11 — 13  ('kirchgang,  kleino- 
dien  auf  den  gewändern  der  hochzeitsgäste,  gastmahl')  *,  d  129, 
5 — 9  ('die  königin  will  bis  zur  ankunft  in  Rem  Jungfrau  bleiben'), 
d  130,  3—8  (vgl.  d  129,  2—4)  ('zweite  ^od&tjeit  in  Bern')2.  — 
anderseits  sind  in  W  nicht  wenige  in  w  überlieferte  atrophen 
vorgekommen,  die  in  D  fehlten;  näheres  wird  später  ausgeführt 
werden;  hier  seien  nur  beispielsweise  genannt  :  w  76 — 83  ('Vor- 
geschichte der  Madius;  ihr  Christenglaube;  antrag,  Hildebrands 
gemahlin  zu  werden;  dessen  antwort  darauf;  klagen')  ;;  w  2'.iv 
299  (erweiterung  von  Dietrichs  kämpf  mit  einem  drachen)  und 
viele  Strophen  am  Schlüsse  von  w.  —  in  den  ersten  abschnitten 
der  dichtung,  in  denen  auch  h  zum  vergleiche  herangezogen 
werden  kann,  zeigt  sich  aufserdem  gelegentlich,  dass  D  mit  h 
noch  mehr  zusammengestimmt  hat,  als  W  dies  tat.  so  hat  W 
die  Strophe  h  76  (vgl.  Starks  randnotizen)  zwischen  w  193  und 
194  übersprungen  und  brachte  sie  später  (in  w212),  d  ahn  be- 
zeugt in  str.  31  für  D  dieselbe  ursprüngliche  Strophenstellung, 
wie  sie  h  bietet. 

Wäre  W  nur  eine  erweiterung  von  D,   su  liefsen    sich  wol 
diese    zusätze    ausscheiden    und    im    übrigen,     wie    Stark 
vorschlägt,    die   Strophen   'aus   dem  zusammenhange  nachweisen, 
die  bei  der  verkürzenden  bearbeitung  (=  in  d)   ganz  unberück- 
sichtigt geblieben  sind',     damit  wäre  der  Strophenbestand  »on  1' 

1  d  sagt :  „toaS  guter  ftei8  man  bc  gega«,  nit  man  bafl 

c8  ronrb  ",11  tanet".    das  deutet  wol   auf  einen   langem  befiehl     • 
w849,  2— 6  bietet. 

2  nichts  berechtigt  dazu,  dieses  plus  von  d  der  v 
und  dem  Verfasser  des  auszugs  zuzuschreiben,  der  widern 
er  kürze. 

3  d  14,  5  stell  ich  nicht  wie  Stnrk  zu  w  - 


220  LUNZER 

reconstruiert,  welches  nach  der  aDgabe  von  d  130,  11  die  zahl 
von  408  Strophen  besessen  hat.  da  aber,  wie  oben  gezeigt  wurde, 
W  auch  ausgelassen  und  geändert  hat,  so  ist  dies  nicht  durch- 
führbar; aber  auch  abgesehen  von  dieser  Unmöglichkeit  würde 
ich  es  nicht  für  richtig  halten,  dem  bestreben,  gerade  die  zahl 
408  herauszubekommeo,  einen  mafsgebenden  einfluss  bei  der  Un- 
tersuchung des  Strophenbestandes  von  D  einzuräumen,  wir  haben 
für  diese  zahl  keine  andre  gewähr  als  die  angäbe  des  späten 
Schreibers  von  d,  von  der  sich  nicht  sagen  lässt,  ob  er  sie  aus 
seiner  vorläge  abgeschrieben  oder  durch  eine  vielleicht  irrige 
Zählung  selber  gewonnen  hat.  auch  im  ersten  falle  wäre  ein  ver- 
lesen möglich,  und  im  zweiten  steht  nicht  fest,  ob  seine  vorläge 
nicht  etwa  lücken  hatte,  ich  halte  mich  daher  im  folgenden  zu- 
nächst unbekümmert  um  jene  zahl  an  das,  was  ein  vergleich  von 
d  und  w  ergibt. 

Indem  ich  die  durch  d  bezeugten  Strophen  von  w  zusammen- 
stelle, ergänz  ich  im  einzelnen  die  randnotizen  von  Stark  durch 
verweise  in  den  anmerkungen.  dabei  zieh  ich  als  belege  auch 
stellen  von  d  heran,  die  zu  w  nicht  wörtlich  stimmen,  sondern 
nur  inhaltlich,  dass  man  sich  mit  derlei  entsprechungen  begnügen 
muss,  ligt  in  der  natur  von  d  und  w,  die  beide  von  ihren  vor- 
lagen sich  erheblich  entfernt  haben,  es  braucht  wol  kaum  ge- 
sagt zu  werden,  dass  der  nun  folgende  teil  der  Untersuchung 
nicht  auf  so  festem  boden  ruht  und  daher  auch  nicht  dieselbe 
Sicherheit  in  anspruch  nehmen  kann,  wie  die  früher  gewonnenen 
ergebnisse.  was  insbesondre  das  vorliegende  Strophenverzeichnis 
betrifft,  so  werden  viele  der  von  mir  mit  d  verglicheneu  Strophen 
auch  durch  ihre  unentbehrlichkeit  im  zusammenhange  geschützt. 
in  manchen  andern  fällen  freilich  bin  ich  im  zweifei  geblieben, 
auch  wo  ich  einen  solchen  nicht  angedeutet  habe. 

Bis  w  352  bietet  sich  auch  h  zum  vergleiche  an.  es  wird 
daher  für  den  genannten  abschnitt  auch  diese  fassung  herange- 
zogen werden. 

d  bestätigt  folgende  Strophen: 

w  1.  2.  3.  h  2.  w  31  i.  35  2.  38.  39.  41.  42.  46.  47.  49. 
50.  h  19.  21 3.  w  56-60.  62— 67 4.  69— 76 5.  84 6.  86— 88. 
91  — 957.  97  —  102.  104—1078.  110.  111.  121 —125 9.  127. 
129— 131 10.  135.  139— 147  11. -149 12.  152.  155  13.  156.  158— 
161.  164".  165  —  167  1'.  169.  170.  176 — 184 16.  186.  187. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  221 

191 — 195  17.  197.  199—204.  206— 209  >s.  211—2161».  219— 
224*'.  226.  228—237.  240—245.247.  250.  251.  253—2 
259—292  22.  294—297.  300—318  23.  321—347  2  1.  34925. 
352—357.  359  26.  361—3712".  375— 404 2\  406—408.  li- 
419—447  29.  449—485  30.  487—  490 31.  492  32.  770  ™.  773— 
775  *K  77935.  817.  819.  821  3e.  823—827^.  832— 842:i\  855— 
859 39.  862.  864.  866 40. 

1  w31  =d4,5— 11.         -  d  35  =  d4,  12. 13.  3  hier  ist  in  w  ein 

blatt  ausgefallen.  4  w  62  vgl.  d  12,2.  5  w  72,7.8  vgl.  d  13,9—11; 
w  76,1.8  vgl.  d  13,12.  6  d  14,  5  stell  ich  nicht  wie  Stark  zu  w  82,2, 

sondern  zu  w  73,  6.  "'  w  94,  7.  8.  12  =  d  17,  5.  6.  8w  105,1  vgl. 

dl8,7;    w  107,  1  =d  18,11.  9  w  122  vgl.  d  20,  3.  10  d  21,  2  zu 

w  129, 1—3,   nicht  zu  w  128, 11.  "  w  140—144  vgl.  d  22,  3—6. 

12  d  23,  7    nicht   zu   w  148,  3,    sondern   zu    w  147  (=  h  50),  11.  12. 

13  w  155,  1.  2  =  d  26,  5.  6.  u  d  25,  5  zu  w  161,  8. 10,  nicht  zu  w  162,  1 ; 
w  164, 1—13  =  d  25,7— 13.  15  w  166  vgl.  d  26,  4.  lü  d  27,  2  zu 
w  177,  3,  nicht  zu  w  176,  8.  1T  w  193,  7  =  d  31,  7.  ,8  w  207,  3.  4  = 
d  34,  10.     zugleich  bewahrt  d  34,  10   das  endwort  von  w  208,  12. 

19  w  216,4  =d  36,5.         20  w  224  =  d  37,  6.         -l  w  253,  2.  3  =  d  45,5. 
22  w261,  3.  4  =  d  46,7;    w  272,  5  =  d  49,  8;    w  282,  2— 4  =  d  52  ,  13; 
w  283,2  =  w  53,  1.  23  w  305,  2  =  d  60,  2.  24  w  342,  9  =  d  70.  12; 

w  343,4.5  =  d  70,13.  25  d  72,9—11  zu  w  349,7.8—13,  nicht  zu  w  353, 
7.13.  26  w359,  3  =  d  75,4.  -'■  w  363,  7—13  =  d  75,  11.  12. 

28  w  387,1— 4  =  d  82,3— 5;  w  389,  4ff  =  d  82,  10;  w389,10  =  d82, 
11—13;  w  392,1  =  d  83,  4.  -■'  d  90,7  zu  w  421,4,  nicht  zu  w  418,  13. 
30  w  474  vgl.  d  111,8.  112,8;  w  479,  6— S  =  d  113,8.9;  w481, 11— 13  = 
d  114,4;    w482  =  d  114,  5.  6:   w  483 ,  2.  4  =  d  114,  7.  3l  w  4^7. 

1.11—13  =  d  115,  1—3.  32  w492  (=  h  241)  vgl.  d  115,  6  ff. 

33  w  770,1—5  =  d  116,1.2.4.5.         34  w  773,3.  5  =  d  116,3;  w  774,  4  = 
d  115, 13;    w  775,8  =  d  116,  7;    w  775,  10— 13  vgl.  d  116,  S— 10. 
35  w  779, 1— 4  =  d  116,6.        36  w  821, 12. 13  vgl.  d  118,  5.         n  V  623,4 
=  d  118,7;  w  824,4.5  =  d  118,  10;  w  826,  1  =  d  119,4;  w  826,4—13  = 
d  119,3.  38  w  834,1— 13  =  d  121,8;    w  834,  2— 5   vgl.    dl21.:>. 

d  122,5.  6  zu  w  837,2— 4,  nicht  zu  836,  10 ir;  w  838,1.3.7  vgl.  .1  122, 
7—13;  w  841.  10.  11  =  d  123,6;  w  842,  1  =d  123,4.  "  d  123,  10  zu 

w  856,  1,  nicht  zu  w  S39,9;  w  857,  1.4—8  =  d  123,7.5;  w  8i>\  1 
d  123,  11.  12.  40  w  866,  8. 12  vgl.  d  130,  10. 

Das   sind    390    direct  bezeugte  Strophen  '.     wäre  nur  l>.-nl»- 
sichtigt,  die  handschrift,  auf  der  d  beruht  und  die  aigeblich 

1  vorausgesetzt  ist  dabei  ntürlkfa,   dass   die  betreffend« 
w  (oder  h),  auch  wenn  d  nur  einen  ihrer  verae  stitxt,  w  D 

in  w  sind  zb.  das  pferd  des  heiden,   die  pferdedeck«-   and 
einer  Strophe   besprochen    (w  99  — 101).      von   diesen  wird  in 
vers    (99,  1.  100,  1.  101,  1)    bezeugt    (d  15.4.5.7); 


222  LUNZER 

408  Strophen  zählte,  zu  reconstruieren,  so  wäre  diese  aufgahe 
angesichts  dessen,  dass  d,  wie  oben,:gezeigt  wurde,  noch  eiue  an- 
zahl  Strophen  bezeugt,  die  in  w  fehlen,  als  gelöst  zu  betrachten 
—  die  zahl  der  Strophen,  die  noch  aus  dem  zusammenhange  er- 
schlossen werden  dürften,  könnte  nur  sehr  klein  sein,  in  der 
tat  aber  braucht  man,  um  ein  zusammenhangendes  gedieht  zu 
erhalten,  zu  den  direct  bestätigten  Strophen  noch  ziemlich  viele 
andre,  —  mit  andern  worten,  die  vorläge  von  d  muss,  wenn  sie 
würklich  nur  408  Strophen  besafs,  sehr  lückenhaft  gewesen  sein, 
und  es  lassen  sich  auch  selbst  aus  d  noch  einige  Strophenreihen 
oder  Strophen  belegen,  die  dem  gedichte  angehört,  aber  in  der  hs. 
wol  schon  gefehlt  haben,  dh.  mit  ihrem  blatte  ausgefallen  waren. 

Hierher  gehören  zunächst  die  8  Strophen  w  411 — 418.  sie 
berichten  von  der  jagd,  auf  der  Dietrich,  einen  eber  verfolgend, 
seine  gefährten  verliert,  die  einem  hirsche  nachjagen,  und  wie 
sich  dabei  der  eine  und  die  andern  verirren,  diese  Strophen  sind 
nicht  nur  unentbehrlich,  sondern  sie  werden  auch  von  d  selbst 
später  vorausgesetzt,  in  str.  106,1.2  :  2)er  ferner  toa§  b  e  m 
tmlben  froein  geloffen  noefy  in  ben  werft  ein.  hier  hat  also  d  den 
bestimmten  artikel  aus  seiner  vorläge  (vgl.  w  459,  1)  beibehalten, 
obwol  er  vorher  nie  von  dem  tiere  gesprochen  hat.  es  hat  also 
in  D  entweder  ein  blatt  mit  jenen  8  Strophen  gefehlt  oder  d  hat 
die  partie  übersprungen. 

Ferner  haben  in  D  einmal  gestanden  w  491.  (492).  493 
_j_  ?  4_  w  767.  768.  769  S  also  7  oder  8  Strophen,  w  491  und 
493  erzählen,  wie  Dietrich  und  seine  gesellen  von  der  eben  er- 
wähnten jagd  nach  Arone  zurückkehren  und  von  dort  zum  zweiten 

dass  D  hier  kürzer  war  als  W,  vielleicht  alles  das  in  etwa  nur  einer  Strophe 
behandelte,  ich  halte  das  aber  hier  wie  in  den  meisten  andern  fällen  nicht 
für  wahrscheinlich  :  es  sind  uns  in  d  mehrere  Strophen  von  w  vollständig 
erhalten,  nicht  nur  im  anfang'  (d  1  =  w  1 ,  d  2  =  w  3),  sondern  auch  viel 
später  (d96  =  w433,  d  94  vgl.  w  430);  ferner  fallen  oft  Strophenanfang 
oder  ende  von  d  mit  Strophenanfang  oder  ende  von  w  zusammen  :  in  den 
130  Strophen  von  d  66 mal,  wenn  auch  bei  der  arbeitsweise  von  d  nicht 
immer  gleich  überzeugend,  das  scheint  wol  darauf  hinzudeuten,  dass  D  mit 
W  in  dieser  hinsieht  meist  übereinstimmte  und  dass  also  das  unzweifelhafte 
plus  von  W  meist  aus  ganzen  Strophen  bestand. 

1  w  494  ist,  wie  oben  gezeigt  wurde,  eigentum  des  Schreibers  von  w, 
495_766  sind  aus  H  eingeschoben;  w  770  ist  wider  (vgl.  s.  221,  anm.  33) 
in  d  bezeugt. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 

mal  aufbrechen,  um  die  königin  zu  besuchen,  w  492  enthält 
Hikiebrands  aufforderung  zum  aufbruch,  w  767 — 769  den 
zur  königin  und  deren  Vorbereitungen  zum  empfange,  w  492  ist 
nun  zwar  aus  h  abgeschrieben  (=  h241),  es  muss  aber  auch  in 
D  zwischen  w  491  und  493  eine  entsprechende  Strophe  gestan- 
den haben,  vorausgesetzt  nur,  dass  in  D  eben  w  491  und  193 
vorkamen,  das  aber  ergibt  sich  würklich  aus  d.  in  il  ziehen 
zwar  die  neiden  nicht  zuerst  nach  Arone  und  von  dort  erst  zur 
königin,  sondern  sogleich  und  ohne  diesen  Zwischenaufenthalt. 
dass  dies  nicht  das  ursprüngliche  ist,  lehrt  d  115,6 — S  :  £>etff=> 
reta?  ber  fprctd?  gar  fdjone  :  „f>er  Dtetridj,  feret  mit  mir  betn, 
in§  jelt  ju  ber  fungtne".  in  Helferichs  munde  enthalten 
diese  worte  einen  Widerspruch  :  er  ist  zu  Arone  daheim,  es  lehrt 
also  schon  d,  dass  hier  in  der  rede  Helferichs  eine  lücke  klafft. 
Helferich  gehört  nur  v.  7,  die  aufforderung  zur  heimkehr  (nach 
Arone,  vgl.  w  489,  7),  die  folgenden  verse  entstammen  einer  an- 
dern aufforderung,  von  Arone  nach  dem  zelte  der  königin  auf- 
zubrechen, diese  ist  uns  zwar  auch  in  w  nicht  aufbewahrt,  da 
w  mit  492  aus  h  schöpft,  wir  wissen  also  auch  nicht,  welchem 
der  beiden  sie  ursprünglich  in  den  mund  gelegt  war.  vermutlich 
aber  war  Hildebrand  der  Sprecher,  denn  wühlend  in  h  241  Bi- 
bung  redet,  den  unser  Schreiber  von  w  hier  nicht  brauchen  k;iim  '. 
führt  w  hier,  vielleicht  nach  einem  blick  auf  die  eben  verlassene 
vorläge  D  Hildebrand  ein,  dem  dies  ja  auch  zukam,  da  er  Bchon 
w  398,11— 13  zu  demselben  unternehmen  gedrängt  halte.  — 
w  493  und  w  767  schliefsen  nicht  gut  aneinander  :  in  \\  193 
erklären  sich  die  ritter  (Helferichs)  bereit  zum  aufbruche,  in 
w  767  v.  2  'wenden  sie  sich'  bereits  'gegen  das  gezell'.  es  war 
dazwischen  wol  der  aufbruch  selbst  und  der  beginn  der  reise  in 
einer  oder  zwei  Strophen  erzählt  worden,  die  freilich  in  w 
des  grofsen  einschubs  aus  h  ausgelassen  worden  Bind,  der  Ver- 
lust der  7  oder  8  Strophen  in  d  kann  wider  dem  Schreiber  *on 
d  oder  dem  ausfalle  eines  bl altes  in  D  zugeschrieben  werden. 

Von   andrer  art  ist  eine   dritte  stelle,    in  w  fehlt  das  blatt, 
auf  dem  die  Strophen  51—55  und  der  anfanj 
haben,     wie  Stark  (s.  32011)   zeigt,    entspricht  einem 
lücke  h  19  —  21,    von  denen  «I    die  erste  und   d 
vereinigt,    d  10,  1—3  enthalten  ein  plus  gegen 

1  s.  s.  196  z.  7  II   v.  ii. 


224  LUNZER 

in  w  zwei  stropheu  mehr  vorhanden  gewesen  sind,  so  wird  man 
mit  Stark  nicht  anstehn,  d  10,  1 — 3  einer  dieser  zwei  Strophen 
zuzuweisen. 

Erst  jetzt  kann  ich  daran  gehn,  aus  w  diejenigen  Strophen 
herauszusuchen,  die  d  nicht  bezeugt,  die  aber  für  den  Zu- 
sammenhang so  nötig  sind,  dass  man  sie  D  zuweisen  muss, 
und  anderseits  die  plusstropheu  von  W  herauszuheben. 

Dabei  ist  zweierlei  zu  betonen  :  1)  ein  blick  auf  die  in  d 
würklich  bestätigten  Strophen  von  w  (es  sind  mehrmals  ununter- 
brochene und  lange  ketten,  s.  die  frühere  Zusammenstellung)  lehrt, 
dass  D  kein  unzusammenhängendes,  sprunghaftes  machwerk  war. 
wenn  es  also  auch  kaum  ein  meisterstück  gewesen  ist,  so  werden 
wir  im  gegebenen  falle  gewis  lieber  dem  Schreiber  von  d  eine 
gewalttätige  kürzung  oder  ein  übersehen  zumuten,  als  «ine  in- 
haltlich nötige  und  in  w  erhaltene  Strophe  der  vorläge  D  ab- 
sprechen, dazu  führt  ferner  die  erwägung,  dass  D  im  anfange 
des  gedichts  nach  dem  übereinstimmenden  Zeugnisse  von  d  und 
w  erweiterungen  zu  dem  ursprünglichen  kerne  vorgenommen  hat, 
den  h  überliefert,  wenn  auch  nicht  so  viele  wie  W.  es  war  also 
ein  bedürfnis  nach  motivierungen  udgl.  bei  D  vorhanden,  womit 
freilich  nicht  gesagt  ist,  dass  D  darin  schon  alles  wünschenswerte 
oder  mögliche  geleistet  habe. 

2)  Wenn  in  einer  mit  D  verwanten  partie  gleichwol  w 
und  h  im  besitze  einer  Strophe  gegen  den  kürzenden  auszug 
d  zusammenstimmen,  so  wird  man  sich  kaum  entschliefsen  können, 
eine  solche  Strophe  ohne  zwingende  gründe  aus  dem  besitze  von 
D  auszuscheiden. 

Ferner  sei  ein  für  allemal  vorausgeschickt,  dass  das  abgleiten 
des  auges  von  wörtlich  gleichlautenden  Strophenanfängen ,  ein- 
gangsreimen udgl.  natürlich  sowol  D  wie  d  begegnet  sein  kann. 

Im  folgenden  geh  ich  nach  inhaltlichen  abschnitten  vor. 

Zuerst  möge  die  partie  w  1—58  (bis  zur  ankunft  der  helden 
im  lande  der  königiu)  betrachtet  werden,  sieht  man  dabei  vor- 
läufig von  der  aus  H  stammenden  gruppe  w  3 — 37  ab,  so  ergibt 
ein  vergleich  von  d  und  w,  dass  w  40.  43.  44.  45.  48  in  d  nicht 
bezeugt  sind;  ferner  scheint  die  reihenfoige  der  Strophen  in  der 
vorläge  von  d  nicht  durchgängig  dieselbe  gewesen  zu  sein  wie 
in  der  von  w.  von  den  eben  genannten  stropheu  nun  stehn  45 
und  48  auch  in  h  (als  14  und   17)  und  sind,    wie  oben  gezeigt 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  225 

wurde,  erst  von  d  ausgelassen  worden,  während  sie  dem  gemeinsamen 
original  angehört  haben  (s.  s.210f).  es  erübrigen  also  als  eigentum  von 
VV  höchstens  w  40.  43.  44.  diese  sind  auch  für  den  zusammenbang 
nicht  unentbehrlich  :  w  40  erzählt  nur,  dass  Dietrichs  befehl,  ihm 
sein  ross  und  seine  waffen  zu  bringen,  ausgeführt  worden  sei, 
was  selbstverständlich  ist  und  besonders  im  hinblick  auf  w  41, 1.2 
nicht  eigens  gesagt  werden  muste.  in  vv  43.  44  erhält  zunächst 
Ute  eine  antwort  auf  ihre  besorgte  bitte,  Hildebraud  möge  seinen 
jungen  herrn  behüten;  auch  diese  antwort  scheint  mir  entbehr- 
lich; dann  wird  berichtet,  die  beiden  helden  hätten  sant  Johannes 
minne  getrunken  und  seien  daher  behut  vor  schaden  und  vor  leide. 
das  steht  mit  dem  folgenden,  wo  es  beiden  zuerst  recht  übel  er- 
geht, geradezu  in  Widerspruch,  allerdings  schliefst  sich  w  45 
nicht  ganz  glatt  an  w  42  an,  aber  es  scheint  eben,  dass  in  D 
eine  andre  Strophenfolge  vorlag,  die  sich  freilich  aus  d  nicht 
sicher  erkennen  lässt.  auch  sonst  waren  D  und  W  hier  vermut- 
lich nicht  identisch  :  Dietrichs  äufserung  d  6,  7f  :  ,,e§  gintpt  etjm 
jungen  leeren  rool,  ba§  er  fein  lant  Bereite"  hat  am  entsprechenden 
orte  weder  in  w  noch  in  h  eine  vollkommene  parallele,  denn  die 
worte  w  33  Ach  got,  was  sol  zur  weite  der,  und  dem  sein  schilt 
und  auch  sein  sper  doch  nimmer  bruch  gewünne,  der  doch  tregt 
eines  herren  nam!  des  mugen  sich  die  sein  wol  schäm  usw.  klingeu 
zwar  an,  stehn  aber  in  anderm  zusammenhange  und  gehören  hier 
wie  in  w  227 ,  1  ff  (=  h  106,  1  ff )  Hildebraud  und  nicht  dem 
Berner.  vielleicht  bildete  in  D  diese  Strophe,  die  etwa  zu  aufang 
noch  kurz  angab,  wer  der  sprechende  sei,  die  antwort  auf  Uteus 
bitte  w  42.  dann  würde  auch  das  eben  erhobene  bedenken  weg- 
fallen, dass  zwei  Strophen  sich  nicht  völlig  aneinander  fügen. 

w  3 — 37  stammen  aus  einer  stark  erweiterten  fassung  von 
H.  w  3  ist  allerdings  allen  drei  dichtungeu  gemeinsam  (=  h  1, 
d  2),  gehörte  also  auch  D  an;  von  da  ab  jedoch  war  D  hier 
offenbar  nicht  nur  kürzer  als  w,  sondern  auch  als  h.  vor  allem 
fehlte  in  D  an  dieser  stelle  l  die  Schilderung  von  ross  und  wallen 
des  beiden  (h  3 — 6  ==  w  4 — 7),  ferner  braucht  es  der  schoenen 
vrouwen  nicht,  um  Dietrich  zum  anfbruche  zu  bestimmen  (n  7.  8 
=  w  29.  30);  endlich  treten  in  h  zwei  barger  auf:  den  einen 

1  eine  Schilderung   dieser  dinge  ist  nämlich   i;i  li  zweimal    tu  Bndeo, 
in  h  3— 6  und  31—37;  D  bietet  sie  nur  einmal,  li  31—37  eo 
dort,  wie  bald  gezeigt  werden  wird,  ausführlicher. 

Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  XXXI.  1J 


226  LUNZER 

lässt  Hildebrand  mit  Zustimmung  Dietrichs  holen,  um  ihm  Stadt, 
bürgen  und  land  anzuvertrauen  (h  11.  12),  der  andre  erbietet  sich 
beim  aufbruche  der  beiden,  sie  zu  begleiten,  worauf  Hildebrand 
nicht  eingeht  (h  15 — 18);  D  aber  kennt  nur  diesen  letztern,  und 
er  ist  es,  der  als  hüter  zurückgelassen  wird  (d  7,  7 — 8,  13  = 
w  46 — 50).  D  scheint  also  von  h  1 — 10  nur  1.  2.  9.  10  vor 
sich  gehabt  zu  haben,  denen  w  3.  16  (erweitert).  31.  35  ent- 
sprechen. 

Fasst  man  zusammen,  was  sich  über  den  anfang  von  D 
herausbringen  und  vermuten  lässt,  so  stellt  sich  dieser  folgender- 
mafsen  dar  :  w  1.  3.  2.  h  2.  9.  10.  w  39.  38.  41.  42.  33.  45—50. 
h  19.  21.  nimmt  man  nur  für  w  33  einen  etwas  andern  anfang 
an,  als  ihn  w  bietet,  so  schliefsen  sich  diese  Strophen  unge- 
zwungen aneinander  und  ergeben  eine  einfache  und  völlig  ver- 
ständliche erzählung. 

w  59 — 137  handeln  von  Hildebrand  und  Madius  bis  zum 
zusammentreffen  des  erstem  mit  dem  heiden.  zuerst  sollen  die 
wenigstens  räumlich  das  mittelstück  bildenden  und  in  w  durch 
über-  und  nachschrift  herausgehobenen  wapenlieder  (=  w  84 — 103) 
besprochen  werden,  sie  haben  in  dw  verglichen  mit  h  nicht  nur 
eine  gewisse  Selbständigkeit,  sondern  auch  rundung  gewonnen; 
sie  sind  ein  in  sich  geschlossenes  und  doch  mit  dem  übrigen 
gedichte  verbundenes  ganzes  mit  geordneter  disposition  l  gewor- 
den, die  betrachtung  dieser  eigenschaften  ist  auch  für  das  wei- 
tere nützlich. 

In  h  schliefst  sich  die  beschreibung  von  waffenrüstung  und 
ross  des  heiden  (h  31 — 37)  unvermittelt  an  eine  klage  der  Jung- 
frau an  und  wird  von  Hildebrand  gar  nicht  beantwortet,  nachdem 
zuerst  kürzer  von  brünne  und  sarwdt  und  von  des  heiden  pferde 
die  rede  gewesen  ist  (31,  1 — 3.  4 — 7),  folgt  eine  ausführliche 
beschreibung  des  Speeres  (31,9 — 33,  13);  dann  wird  dem  wdpen- 
roc,  dem  Schilde,  dem  helme  und  dem  Schwerte  je  eine  Strophe 
(34.  35.  36.  37)  gewidmet,  rechte  Ordnung  ist  also  nicht  vor- 
handen und  zu  einer  gleichmäfsigen  Verteilung  nur  erst  ansätze 
(in  den  letzten  4  Strophen). 

Dem  gegenüber  sind   in  dw   die  wapenlieder  eingeleitet  und 

1  diese  ist  allerdings  hier  nur  aus  w  erkennbar,  d  hat  wider  alles 
durcheinandergeworfen  und  wichtiges  ausgelassen,  man  muss  sich  hier  aber 
eben,  um  auf  D  zurückzuschliefsen,  an  w  halten. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 

begründet  durch  eine  ausdrückliche  frage  Hildebrands  (w  84, 1—3 
=  d  14,9.10),  der  die  antvvort  der  Madius  ebenso  ausdrücklich  zur 
kenntnis  nimmt  (w  104  =  d  18,  1 — 5).  die  antwort  nennt  nach 
allgemeinem  lobe  zuerst  kurz  die  einzelnen  teile  der  rüstung 
des  beiden,  wenn  auch  anfangs  im  anschlusse  an  eine  alle 
Strophe  (h  31)1  und  daher  so  weit  auch  ohne  Ordnung,  dann  aber, 
selbständig  werdend,  doch  schon  mit  paarender  Zusammenfassung 
der  trutz-  und  schutzwaffen  (harnasch,  sarebat,  ross;  schwert, 
sper ;  schilt,  heim);  von  da  ab  wird  alles  nach  deutlich  wahrnehm- 
barer Stoffgliederung2  besprochen,  uzw.  so,  dass  jedes  stück  eiüe 
oder  zwei  ganze  Strophen  erhält,  also  in  einer  gewissen  Symmetrie: 
zuerst  die  bekleidung  der  beine  (86  :  paingewant,  schlich,  sporen), 
dann  des  rumpfes  : prünn  (87),  loapenrock  (88),  hörn  (91),  hierauf 
schilt  und  heim  (92.  93  und  94.  95),  schwert  und  sper  (96 3  und 
97.98),  zuletzt  das  pfert  (99)  und  dessen  decke(\00),  zawm  (101) 
und  satel  (102). 

In  w  allein  vorhanden,  also  wol  erst  in  VV  —  als  dritte  er- 
weiterung  —  hinzugekommen  sind  w  89  (gürtet),  90  (hentschuch, 
fingerlein)  und  103  (herkuuft  des  satteis),  alle  an  passender  stelle 
eingeschoben. 

Dadurch,  dass  die  wapenlieder  in  D  eine  selbständige  gestalt 
gewonnen  hatten  und  mehrere  Strophen  umgestellt  wurden,  ist 
auch  die  Umgebung  einigermafsen  in  mitleidenschaft  gezogen  wur- 
den, so  weit  nun  einschiebungen  mit  jener  neugestaltun..  der 
wapenlieder  zusammenhängen,  wird  man  sie  wol  auch  D  zuweisen 
müssen,  auch  wenn  sie  d  nicht  bezeugt. 

Zu  diesen  einschaltungen  gehört  zunächst  w  77  —  83,  von 
denen  auch  d  nichts  weifs,  nicht  :  von  w  75  (=  h  28)  zu  w  84 
wäre  der  Übergang  nicht  schwerer  gewesen  als  zu  h  29,  da  n  8  1 
und  h  29  so  ziemlich  mit  dem  nämlichen  gedanken  beginnen. 

Dagegen  hat  offenbar  (und  auch  nach  dem  Zeugnisse  ?oo  d) 

1  diese  Strophe  ist  zwar  in  d  nicht  bezeugt,  das  hat  aber  bei  der  Un- 
ordnung,  die  hier  im  auszug  herscht,    gegen   das  gemeinsame  Beugt) 

hw  nichts  zu  sagen. 

2  ich  will  diese  damit  keineswegs  als  die  bestmögliche  hinstellen; 
einzelnen  teile  der  ausrüstung  werden   gruppenweise  angen 

ihrer  Wichtigkeit. 

3  w96  ist  in  d  nicht  belegt,   gehörte  aber  gewis    d< 
s.  210.    sie  kann  aus  graphischer  veranlass! 

Strophen  beginnen  hier  mit  er  fürt  oder  der  haiden  , 


228  LÜNZER 

schon  D  die  sirophen  h  29.  30  (=  w  110.  111)  hinter  seine 
wapenlieder  gestellt,  in  welchen  es  h  31 — 37  schon  verwendet 
hatte,  es  bilden  nun  w  112  — 120  den  Übergang  zu  h  39  (= 
w  121),  sie  gehörten  also  bereits  D  an,  obwol  sie  in  d  fehlen  (viel- 
leicht weil  in  der  vorläge  von  d  das  betreffende  blatt  ausgefallen 
war).  —  das  gespräch  zwischen  Hildebrand  und  Madius  war  in 
D  viel  länger  geworden;  dass  der  beide  ihnen  dazu  zeit  gelassen 
hatte,  muste  motiviert  werden,  und  dies  geschah  durch  die  auch 
von  d  bestätigten  Strophen  w  123.  124  (der  heide  hatte  unter- 
dessen einen  wurm  gefangen,  erfahren,  dass  die  Jungfrau  nicht 
mehr  im  berge  sei,  und  sie  durch  seine  hunde  aufsuchen  lassen). 
nun  erst  hört  man  sein  hörn  (w  125  =  h  38  =  d  20,  12.  13). 
da  h  39.  40  schon  verbraucht  waren,  muste  ein  andrer  Übergang 
zu  h  41  gefunden  werden  :  er  wird  gegeben  durch  w  126 — 129, 
von  denen  d  wenigstens  127.  129 l  belegt,  da  w  126  und  128 
entbehrlich  sind,  so  mögen  in  D  würklich  nur  die  beiden  erst- 
genannten gestanden  haben  und  126.  128  erst  in  W  hinzuge- 
kommen sein,  dass  D  dann  nicht  h  41.  42.  43  in  dieser  folge 
belässt,  sondern  zunächst  h  42  überspringt,  hat  eben  in  der  ein- 
schallung  von  127.  129  seinen  gruud  :  hier  war  von  dem  er- 
neuten Jammer  der  Madius  berichtet  worden ,  der  selbst  dem 
wunderherten  Hildebrand  thräneu  entlockt  hatte,  nun  konnte  nicht 
eine  Strophe  später  (h  42,  1)  fortgefahren  werden  :  diu  maget  was 
von  herzen  vrö,  nachdem  Hildebrand  nur  seine  Sehnsucht  nach 
dem  Berner  ausgesprochen  hatte,  der  fern  ist.  D  liefs  also  auf 
w  130  =  h41  zunächst  folgen  w  131.  134  2.  135  :  Hildebraud 
springt  in  den  sattel,  ergreift  den  speer  und  verspricht  der  Jung- 
frau, für  sie  zu  kämpfen,  nun  erst  folgt  —  ganz  entsprechend  — 
h  42  =  w  136.  (w  132.  133  sind  wol  erst  erweiterungen  von  W.) 
nun  hätte  sich  h  45  anschliefsen  müssen;  das  war  ohne  Über- 
leitung unmöglich  :  das  Der  von  h  45,  1  hätte  keine  beziehung 
gehabt;  D  schob  also  w  137  ein,  von  dem  in  d  allerdings  eine 
spur  vermisst  wird. 

In  der  partie  vor  den  wapenliedem  sind  nur  noch  w  61 
und  68,  3  —  69,  2  ohne  stütze  aus  d  oder  w;  die  stropheu  wer- 

1  nicht  123,  s.  o. 

2  w  134  fehlt  zwar  in  d,  gehörte  aber  nach  dem  ausweise  von  h,  der 
sich  allerdings  an  andrer  stelle  rindet  (vgl.  h  103),  zum  alten  bestände  der 
dichlung.    ebenso  w  136  (=  h  42). 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 

den  auch  durch  den  Zusammenhang  nicht  gefordert,   mi  . 
eigentum  von  W  sein,    dasselbe  gilt  im  folgenden  von  w  108 
in    dem  abschnitte  w  59  — 137    nehm    ich   also    als   plusslrophen 
von  W  an  :  w  61.  68,  3—69,  2.  77  —  83.  89.  90.  103.  108.  109. 
126.  128.  132.   133;    der  ausfall  von  w  112— 120   erklärt  ßich 
für  d  vermutlich  durch  Verlust  eines  blatles  der  vorläge. 

Hervorzuheben  ist  noch,  dass  durch  die  erweiterungen  von 
D  mehrere  contraste  noch  stärker  hervortreten  als  im  ursprüng- 
lichen gedichte  :  das  äufsere  des  beiden  kann  nicht  glänzend 
genug  geschildert  werden,  daher  werden  neue  Strophen  in  die 
wapenlieder  eingefügt  und  seine  leiblichen  eigenschaften  eigens 
gerühmt  (w  105).  um  so  schwärzer  soll  dagegen  seine  innere 
Verworfenheit  erscheinen  :  man  vergleiche  besonders  sein  vorgehen 
gegen  Madius  w  65,  7.  8.  12.  123 f  und  Hildebrands  urleil  über 
ihn  104.  115  f.  demselben  zwecke  dient  es  wol ,  dass  das  Un- 
glück der  Jungfrau,  der  Jammer  ihrer  gespielinnen ,  ihre  Schön- 
heit uud  edle  abkuüft  noch  ausführlicher  besprochen  werden.  — 
zugleich  tritt  der  beide  in  gegeusatz  zu  Hildebrand  :  auch  dea 
letztern  ross  und  schwert  werden  gepriesen  (113.  112);  während 
Orkise  sich  auf  Zauberkünste  (99,  7)  und  die  hilfe  seiner  abgütter 
verlässt  (93.95)  und  vom  teufel  beschützt  wird  (115,4),  stellt 
Hildebrand  alles  Gott  anheim  und  sagt  von  seinem  rosse,  i 
aller  krefte  vol  an  alles  Zaubers  panden  (113,  5.  6). 

Die  plusstrophen  von  W  verfolgen  meist  dieselbe  ricliiiin^' 
weiter  :  89.  90.  103  ergänzen  die  wapenlieder,  neue  klagen  der 
Madius  enthält  68,3—69,2,  von  ihrer  königlichen  abstammung, 
von  dem  schmerze  ihrer  herrin  und  ihrer  freundinnen  um  sie  und 
von  ihrem  Christentum  handeln  79.  83.  77  und  78,  von  Hildebrands 
gottvertrauen  108,9.  109.  126,9.  132.  133;  eine  anrufung  Marias 
ist  128.  wie  es  93,13  geheifsen  hatte,  des  beiden  gölter  die 
fechten  all  aufs  seiner  haut,  wird  nun  von  Hildebrands  beim  g< 
sagt:  dar  aufs  so  fecht  des  himels  xoirt  132,  12;  zu  Orkises  Un- 
geduld, der  die  ausliefer ung  der  Jungfrau  kaum  erwarten  konnte 
(123, 4  ff),  und  zu  seinem  Übermut  bildet  einen  neuen 
Hildebrands  besonnenheit  und  rechtes  mafs  (133,  10). 

In  w  138—186  wird  der  kämpf  Hildebrands  mit  dem  1 
Orkise  erzählt,   was  in  h  nur  die  Strophen  45—7 
nimmt,     die  erweiterungen   in   w  betreffen  bowoI  den 
die  kampfschilderung.     gewis  ist,  dass  auch  D  aus  <   w« 


230  LÜNZER 

als  h  :  für  einige  plusstrophen  von  w  hat  schon  Stark  belege 
auch  in  d  gefunden,  nämlich  für  w  170.  176.  178.  180  ^  andres 
hab  ich  s.  220  f  hinzugefügt,  so  hat  d  sicher  schon  w  141 — 144 
(erweiteruug  der  trotzreden  zwischen  dem  neiden  und  Hildebrand) 
vor  sich  gehabt.  Stark  stellt  d  22,  1.2  zu  w  139,  d  22,  7—10 
zu  w  145;  d  22,  3  —  6  übergeht  er  :  es  ist  offenbar,  dass  sie 
w  140 — 144  widergeben  sollen,  sie  lehnen  sich  zwar  nicht  wört- 
lich an  eine  von  ihnen  an  (deshalb  hat  Stark  auch  keine  parallel- 
stelle für  sie  gefunden),  wol  aber  inhaltlich;  im  besondern  äst 
d  22,  5.6  mit  w  142  zu  vergleichen.  —  vorher  heifst  es  in  d 
(22,  3.4)  :  S)o  tyrad)  §tfyrant  §tn  ttnber:  ....  $ttytattt  forad); 
d  hat  also  liier  zwei  entgegnungen  Hildebrands  vorsieh  gehabt, 
wenn  die  letztere,  wie  der  vergleich  lehrt,  w  142  war,  so  muss 
die  erste  w  140  gewesen  sein,  und  zwischen  beide  muste  natür- 
lich eine  äufserung  des  heiden  fallen,  die  zwar  d  übersprungen 
hat,  aber  w  141  bietet.  —  mit  der  auch  durch  d  gestützten 
strophe  w  142  hängt  aber  w  143  als  erwiderung  notwendig  zu- 
sammen :  Hildebrand  hatte  gesagt,  der  heide  müsse  sich  schämen, 
dass  er  eine  Jungfrau  bedränge  und  sich  trotz  seines  königlichen 
Standes  wie  ein  strafsenräuber  betrage;  er  müsse  mit  ihm  um  die 
maid  kämpfen,  der  heide  weist  zuerst  die  drohungen  Hildebrands 
zurück  (143,  1  ff);  auf  die  Jungfrau  habe  er  rechtlichen  an- 
spruch,  —  'es  ist  mein  zol  und  ist  mein  recht'  (143,  11).  an  diesen 
letzten  worten  hängt  wider  w  144  (vers  4  das  ist  gar  ein  engst- 
licher  zol,  vers  7  den  zol  hast  noch  nit  hin  gefürt),  die  über- 
dies sehr  gut  zu  der  folgenden,  in  allen  drei  fassungen  bezeugten 
und  demnach  gewis  alten  str.  145  überleitet,  indem  sie  (ebenso 
wie  w  140,  10  =  h  47,  10  got)  in  vers  12  des  himels  wirt  nennt, 
den  dann  der  heide  145,  12  =  h  48,  12  vgl.  d  22,  9  schmäht.  — 
dass  d  hier  mehrere  Strophen  überspringt,  erklärt  sich  leicht  aus 
den  Strophenanfängen   :  w  139   Der  haiden   zorniglichen   sprach, 

141  Der  haiden  sprach  den  weisen  an,  143  Da  sprach  der  haiden 
zarniglich.  —  140  Des  antwort  im  der  weise  (=  Hildebrant)  da, 

142  Da   antwort   im   her  Hildeprant,    144  Da  sprach   zu  im  her 
Hildebrant. 

Auch  w  170 — 175  gehörten  schon  D  an  :  w  174.  175  werden 
durch  h  als  ursprünglich  gehalten ;  w  170  ist  in  d  bestätigt,  an 
diese   kann    sich    unmöglich    w  174  =  h  64    oder   w  176    ange- 

1  über  w  162  vgl.  meine  anm.  14  s.  221.  w  148  entfällt,  s.  ebenda  anm.  12. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  231 

schlössen  haben;  vielmehr  sind  die  nur  in  w  überlieferten  Strophen 
171 — 173  für  den  Zusammenhang  unentbehrlich,  anlass  für  d, 
die  partie  zu  überspringen,  boten  wol  auch  hier  ähnliclikeiteo 
im  beginn  einzelner  Strophen  :  w  169,  1  IT  :  Der  haiden  rufte: 
Machamet  und  det  ich  ie  durch  deine  pet,  des  lafs  mich  heilt 
yeniessen!  Apoll  und  auch  her  Terfiant,  der  fird  was  Ju- 
piter genant,  es  möcht  euch  wol  verdriessen,  das  mich  ein  einig 
cristenman  usw.  —  w  173,  lff:Z>a  ruft  der  haidenische 
her  :  'mein  got,  Machmet  und  Jupiter,  wie  lafst  ir  mich 
in  nötenl  Apoll  und  auch  her  Terfiant  .  .  .  wolt  ir  mich 
lassen  töten  ein  cristenman'  usw.  auch  inhaltliche  berüh- 
rungen  zwischen  Hildebrands  hohnworten  über  die  heidnischen 
götter  in  w  172  und  175  mit  den  von  d  schon  widergegebenen 
in  w  170  mochten  in  dem  Schreiber  von  d  den  eindruck  ,,bn= 
nütjer  Wort"  l  hervorrufen. 

Stammen,  wie  wir  gesehen  haben,  w  170 — 175  aus  D,  so 
folgt  daraus  derselbe  Ursprung  mehrerer  andrer  'plusstrophen' 
von  w.  es  heilst  nämlich  w  172,  1  :  Her  üilprant  schlug  in 
aber  wunt  und  9.  10  :  du  hast  von  mir  genumen  vil  manche 
tiefe  wunden,  wären  nur  die  in  hd  erhaltenen  Strophen  voran- 
gegangen, so  wären  diese  behauptungen  unmöglich,  denn  in  jenen 
war  von  einer  Verwundung  des  beiden  nichts  gesagt  worden. 
es  müssen  also  aus  D  auch  die  Strophen  von  w  stammen,  die 
von  wunden  des  beiden  berichten;  dies  sind  w  157  (3).  106(7)'-. 
da  aber  der  heide  in  w  157,8  klagt,  dass  ihm  sein  schild  zer- 
hauen worden  sei,  so  ist  auch  die  Strophe,  die  dies  erzählt,  all, 
nämlich  w  155.  dieser  erfolg  Hildebrands,  dem  es  nach  w  [52 
=  h  53  =  d  24,  1—5  eben  noch  so  schlecht  gegangen  war,  dass 
von  seinem  schild  vil  lützel  ganz  beleip,  muste  vorbereitet  wer- 
den, dies  geschieht  durch  w  l."):1..  154  (gebet  Sildebrands  und 
der  Jungfrau),    auch  diese  sind  also  notwendig. 

Was  w  177  anlangt,    so  scheint  mir    diese  in  d    bezeugt  zu 
sein  durch  27,2  „td?  ergib  micb  (an)  bia?",  vgl  w  177,  :i  II  so  wil 
ich  euch  aufgeben  purg  unde  stet  usw.,  wahrend  Stark  den 
wie  mich  dünkt,  minder  passend  zu   w  1 7<".,  S  stellt. 

Zu  w  162— 164  ist  zunächst  Stark  gegenüber  zu  »erbe 

1  (1  130,  13.  -  vgl.  auch  w  163,  12.    dagegeu  rflhi 

tung,  die  h  62,  7ff  in  w  168,  Tu'  erlitten  hat,   erst  von  dem  sc 
w  her,  der  die  vorläge  nicht  verstand. 


232  LUNZER 

dass  (1  25,  5  nicht  zu  162,  1,  sondern  zu  161,  8.  10  zu  stellen  ist, 
ferner  nachzutragen,  dass  d  25,  7 — 13  die  Strophe  vv  164  vvider- 
geben.  von  w  162,  1  (Da  fraget  in  die  kunigein  :  sein)  ist  d  auf 
164,  1  (Da  sprach  die  edel  kunigein  :  gesein)  abgeglitten,  sodass 
w  162.  163  verloren   giengen. 

Aus  graphischem  anlass  fehlt  wol  auch  w  185  =  h  71  in  d: 
vers  1  hat  dasselbe  reim  wort  wie  186,  1.  die  Strophe  ist,  ab- 
gesehen von  ihrer  beglaubigung  durch  h,  auch  im  zusammen- 
hange nicht  entbehrlich,  das  letztere  gilt  auch  von  der  gleich- 
falls von  h  mitbezeugten  Strophe  w  168. 

Es  verlohnt  sich  auch  hier,  nun  nach  dem  innern  wesen  der 
Umarbeitung  zu  fragen,  welche  D  offenbar  im  vergleiche  mit  h  bietet. 

In  h  ist  der  hergang  ziemlich  einfach  und  ganz  nach  der 
herkömmlichen  art  solcher  kämpfe  :  die  gegner  'grüfsen'  einander 
(45,10  — 13);  es  folgen  wechselreden  in  zwei  Strophenpaaren 
(46 — 49),  die  'tjoste'  (50)  und  nach  dem  absitzen  (51)  der  schwert- 
kampf  (52 — 54).  dieser  ist  zunächst  für  Hildebrand  ungünstig: 
er  wird  verwundet  (52,  11 — 13)  und  sein  schild  zerhauen  (53), 
doch  sind  die  beiden  kämpfer  einander  gewachsen,  und  es  kommt 
noch  zu  keiner  entscheidung  (54,  10 — 13).  die  Strophen  55 — 59 
unterbrechen  die  kampfschilderung  :  durch  einen  zwerg  erhält 
die  königin  und  ihre  Jungfrauen  die  frohe  künde,  dass  Hilde- 
brand für  ihre  gespielin  kämpfe,  nun  drängt  Hildebrand  den 
beiden  zurück  (60);  zornige  schäm  erfasst  ihn  beim  gedanken 
an  seinen  herrn  (61),  in  einem  zweiten  zusammenstofse  zerhaut 
er  die  brünne  des  beiden  (62);  dieser  ruft  seine  götter  an  (63), 
hofft  auf  die  hilfe  seiner  gesellen  (64)  und  wird  von  Hildebrand 
getötet  (65);  der  schlägt  ihm  das  haupt  ab  und  verwünscht  den 
gefallenen  (66). 

Eine  gewisse  Symmetrie  und  ansätze  zu  contrastierung  sind 
also  nicht  zu  verkennen  :  der  kämpf  wird  durch  wechselreden 
eingeleitet  und  durch  einen  'nachruf  beschlossen;  mitten  in  der 
schwebe  wird  der  bericht  über  ihn  unterbrochen  :  im  ersten  teile, 
der  eben  bis  zu  dieser  einschaltung  reicht,  ist  der  beide  im  vor- 
teil, dann  tritt,  allerdings  durch  das  eingeschobene  nicht  moti- 
viert, der  Umschwung  ein  und  Hildebrand  siegt,  man  mag  auch 
im  einzelnen  gegenüberstellungen  finden  :  der  heide  zerhaut  Hilde- 
brands schild,  Hildebrand  des  gegners  brünne;  der  eine  gedenkt 
seines  herrn,    der  andre   seiner  gefährten,    der  christliche  ritter 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 

widersagt  dem  feinde  um  der  mutter  goltes  willen  (49,  10 — 50,  1), 
der  heide  ruft  seine  gütter  an;  Orkise  verwundet  Bildebrand  (52), 
wird  aber  von  ihm  getötet  (65). 

Das  streben  nach  parallelismus  zeigt  sich  in  D  noch  deut- 
licher, die  gegenüberstellungen  sind  vermehrt,  die  contraste  rer- 
schärft,  und  motivierungen  treten  neu  hinzu,  sowol  die  ge- 
sprochenen partien  wie  die  kampfschilderung  sind  erweitert. 

Verdoppelt  sind  in  D  einerseits  die  den  kämpf  einleitenden 
trotzreden  (w  139 — 147,2,  also  4  Strophenpaare),  anderseits  die 
abschliefsenden  reden  (179  :  'nachruf,  180  :  Hildebrand  dankt 
Gott,  die  Jungfrau  ihrem  kämpfer).  auch  die  einschaltuug  ist  um 
2  Strophen  vergröfsert  (162  :  die  königin  fragt  nach  namen  und 
wappen  ihres  helfers,  163  :  antwort  des  zwerges).  aber  den  ent- 
scheidenden wendepunct  bezeichnet  in  D  nicht  mehr  diese  strophen- 
gruppe,  sondern  die  neue  Strophe  154  :  das  gebet  der  Jungfrau 
für  Hildebrand,  diese  neuerung  ist  in  zweifacher  hinsieht  ein 
fortschritt  :  einmal  ist  nunmehr  der  Umschwung  motiviert  durch 
den  beistand  Gottes,  anderseits  ist  ein  anstofs  beseitigt,  den  man 
in  h  empfinden  kann  :  dort  war  der  zwerg  auf  den  kampfplatz 
gekommen  in  einem  augenblick,  wo  die  sache  unentschieden  war, 
bis  zu  dem  es  Hildebrand  sogar  übel  ergieng;  dennoch  hatte  er 
der  königin  frohe  botschaft  gebracht,  in  D  aber  tritt  er  erst  auf, 
nachdem  sich  das  glück  gewant  und  Hildebrand  schon  schild  und 
heim  des  feindes  zerhauen  und  diesen  verwundet  hatte,  somil 
ist  auch  seine  freudige  nachricht  besser  begründet,  und  er  kann 
in  einer  der  Strophen,  um  die  sein  gespräch  mit  der  königin  ge- 
wachsen ist,  sagen  :  sein  (=  Bildebrands)  schwere  von  plut  ijeit 
trüben  schein  (163,12),  dh.  der  heide  blutet,  endlich  i^i  nun 
Gott  nicht  nur  zu  anfang,  in  der  altern  Unterbrechung  (h  59)  und 
zum  Schlüsse,  sondern  auch  in  der  wichtigen  Btropbe  w  154 
uannt,  und  Orkises  gebete  wiihrend  des  kampfes  entspricht  ein 
gebet  Hildebrands  (155,  3). 

Die  gegenüberstellungen  der  ursprünglichen  rassung  Bind  in 
D  bewahrt,  neue  kommen  hinzu  :  ror  dein  kämpfe  hatte  Bich  der 
heide  geweigert,    die  Jungfrau  durch  aller  frax 
und   sich    der  zarten  Hellten    mündlein    rot    zu    erbarm« 
zum   Schlüsse  antwortet   die  Jungfrau    auf  Hildebrands  hra 
er  dem  heiden  das  leben  schenken  solle  :  'nein,  er  bi 
in  not  mich    und   die  könipin    und   ml  der  /< 


234  LUNZER 

(177).  Orkise  fordert  Hildebrand  auf,  sich  zu  ergeben  (153), 
muss  sich  aber  dann  selber  zu  diesem  anerbieten  verstehn  (176- 
177).  er  hatte  gedroht,  seinem  gegner  das  haupt  abzuschlagen 
(143,  3),  das  geschieht  schliefslich  ihm;  Hildebrand  hofft  auf 
Christus  und  dessen  mutter  auch  in  gefährlicher  läge  (153),  der 
heide  verzweifelt  an  der  hilfe  seiner  götter  (174).  andre  cou- 
trastieruugen  sind  in  der  art  auf  der  einen  seile  gehäuft,  dass 
die  Sympathie  des  Verfassers  für  das  Christentum  und  für  Hilde- 
brand zu  tage  tritt  :  der  heide  spricht  ohne  acbtung  von  Christus 
(145,  12),  Hildebrand  spottet  über  die  abgütter  (168.  170.  172); 
den  gebeten  zu  diesen  (169.  171.  173)  stehn  noch  zahlreichere 
anrufungen  Gottes  und  Marias  gegenüber  (144.  146.  153.  154. 
155);  Orkise  zerschlägt  Hildebrands  schild  (152),  dieser  den  Schild 
des  heiden  (155),  dann  dessen  helmschmuck  :  kröne,  zimier  und 
götter  (155),  den  heim  selbst  (157)  uud  die  brünne. 

Nur  an  einer  stelle  erscheint  in  D,  wie  es  uns  durch  w  ver- 
treten wird,  ein  gegensatz  verwischt  :  die  Strophe  h  52  ist  in  w 
zu  zweien  auseinandergezogen  (150.  151),  jedoch  so,  dass  nun 
Hildebraud  nicht  verwundet  wird,  diese  neuerung,  die  dem 
ganzen  sonstigen  verfahren  von  D  widerspricht,  gehört  demnach 
erst  W  an,  während  D  an  dieser  stelle  nichts  änderte,  wol  aber 
der  einen  Verwundung  Hildebrands  —  im  sinne  der  letzten  bei- 
spiele  —  mehrere  gegenüberstellt  :  157.  166.  172.  176.  178. 

Dann  aber  haben  wir  in  D  ein  so  planmäfsiges  vorgehn  zu 
erkennen,  dass  wir  es  als  das  eines  mannes  erkennen  müssen, 
dass  wir  also  die  in  d  nicht  bezeugten  'plusstrophen'  von  w 
(aufser  150  und  148,  vgl.  s.  212  anm.)  nicht  als  erzeugnis  von 
W,  sondern  auch  schon  als  eigentum  von  D,  der  gemeinsamen 
quelle  von  d  und  W,  anzusehen  haben,  —  eine  neue  stütze  unsrer 
früher  ausgesprochenen  annahmen  für  diese  partie. 

Erwähnung  verdient  noch,  dass  in  dem  behandelten  ab- 
schnitte die  alten,  auch  in  h  überlieferten  Strophen  trotz  der 
vielen  einschöbe  in  derselben  reihenfolge  stehn  wie  in  h;  das 
zusammenstimmen  von  hw  beweist  hier  wider  die  gröfsere  ur- 
sprünglichkeit von  w  im  vergleich  zu  d,  wo  auch  hier  wider 
vieles  durcheinander  geworfen  ist  K 

1  im  besondern  erscheint,  wenn  die  spuren  in  d  zu  einem  Schlüsse 
berechtigen,  dort  die  strophenfolge  h  46 — 53.  55 — 60.  54.  61,  es  wäre  also 
h  54  an  andre  —  allerdings  nicht  unmögliche  stelle  gerückt. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 


Es  fehlt  auch  nicht  an  fäden,  welche  die  partie  mit  früherem 
verbinden  :  einleitung  und  abschluss,  erweiternde  abrundung, 
ordnete  disposition  wurden  schon  hei  den  wapenliedem  bemerkt 
wie  in  diesen  die  einzelnen  teile  der  rüstung  des  beiden  be- 
sehrieben worden  sind,  so  wird  sie  hier  stück  für  stück  zerhauen; 
ja  die  ähnlichkeilen  gehn  ins  einzelne  :  w  102.  103,  in  denen  die 
königin  nach  Hildebrand  fragt  und  von  dem  zwerge  auskunft  er- 
hält, sind  im  kleinen  eine  teilweise  wörtlich  anklingende  parallele 
zu  den  wapenliedern.     man  vergleiche: 

84, 1  '.  .  .  wie  ist  er  ein  man? 


w  162,  2  'wer  mag  der  werde  ritter  sein? 
3  was  fürt  er  an  dem  Schilde?' 
7  'wie  ist  der  helt  ein  man? 
9  fürt  er  auch  reichen  harnasch  an 
10  gewapnet  kunigleiche? 
163,  2  sein  harnasch  der  ist  licht  und  klar 
3  sein  heim  leücht  von  gesteine 


4  er  ist  ein  zirlich  helt 

5  gar  adellich  und  wol  gestelt 

6  in  seinem  harnasch  reine 

7  er  part  eim  hohen  fürsten  gleich 

8  und  streit  gar  ritterleichen 

13  er  ist  von  hohem  adel  zwar. 


2  wie  fürt    der  haiden  harnascli  an? 

3  ist  er  icht  wapens  reiche?' 
s.oben  'wie  ist  er  ein  man?  (vert  1) 

7  er  ist  gewapnet  also  fein 
10  nach  kaiserlichem  solde. 
87, 1  Der  haiden  fürt  ein  lichte  prünn. 
84,  8,  9  und  leücht  in  clarem  golde  rom  beim 
pis    auf   die    füesse    sein.    vgl. 
noch  94. 
84,5  kein  schöner  helt  ward  nie  geporn, 
vgl.  noch  105,  1  //! 
105,  11  sein  pain  sein  hoch  und  wol  ti' 
S4,  II  sein  harnasch  der  ist  wol  getan. 
93,  3  von  kuniglicher   wirde. 
106,1  Im  müssen  all  des  siges  jenen 

3  in  stürmen  und  in  streiten. 
104,  7  .  .  .  seins  adels  kraft 

9  dar  zu  sein  werde  rilterschali. 
zu  einem  vergleiche  beider  darstellungen  lädt  der  dichter  selbst 
ein,  indem  er  (162,  S)  die'königin  fragen  lässt  :  ist  er  (=  Hilde- 
brand) dem  heiden  gleiche?  Steigerungen  der  contraste  wurden 
auch  schon  im  frühern  abschnitte  wahrgenommen,  das  endergebnis 
der  betrachtung  von  w  138—186  ist  als.»,  dass  nur  w  148  die 
zerdehnung  von  h  52  zu  w  150.  151  der  vorläge  W  zozuwi 
ist,  alles  andre  aber  schon  D  angehört. 

Ein   neuer  abschnitt   ist  w  187—230  :  der  kampl  mit  den 
80  mannen  des  heiden,  den  Dietrich  zuerst  allein  besteht,  dann 
mit  hilfe  seines  meistere  beendet,    in  den  andern  fassuu 
sprechen  h  72—109  und  d  30—38. 

Zu  Starks  randverweisungen  ist  nachzutragen1 
h  75),  7  vgl.  d  31,  7.    w  207,  3.  1  werden  inhaltlich  wi 

1  vgl.  o.  s.  221  f. 


236 


LUNZER 


durch  d  34,10,  dessen  reimwort  (jutrcmte)  anderseits  aus  w  208, 12 
(zertrant)  genommen  ist,  sodass  hier  also  ein  vers  von  d  spuren 
zweier  Strophen  enthält;  endlich  w  216  (==  h  97),  4  vgl.  d  36,  5 
und  w  224  (=  h  104)  vgl.  d  37,  6. 

Graphisch  erklärt  sich,  dass  w  205  in  d  fehlt  :  man  vergleiche 
w  205,  1  :  Si  ritten  durch  den  grünen  tan  und  w  206,  1  :  Si  füren 
furbas  durch  den  tan;  ähnlich  steht  es  mit  w  225.  die  Strophe 
beginnt  :  Her  Hildeprant  der  kam  al  dar,  die  folgende  fängt 
in  h  (105)  an  :  Her  Hiltbrant  den  strit  ane  sach.  für  den  Zu- 
sammenhang unentbehrlich  ist  w  198  :  die  vorhergehnde  Strophe 
hatte  berichtet,  wie  sechs  heiden  mit  ihren  Schwertern  auf  Dietrich 
einhieben,  nun  kann  nicht  unvermittelt  folgen  (w  199,  1)  :  Daz 
plut  da  von  den  haiden  ran. 

Dagegen  ist  die  zerdehnung  von  h  78,  wie  sie  in  w  195. 196 
vorligt,  erst  von  W  vorgenommen  worden,  in  ursprünglicher 
form  erscheint  diese  Strophe  in  B,  wo  der  letzte  vers  überein- 
stimmend mit  w  196,  13  lautet  :  daz  viere  lagen  vor  im  tot  (nicht 
drige,  wie  h  angibt) '.  —  auch  h  72  ist  erst  in  W  zu  zwei  Strophen 
(w  186.  187)  geworden  2. 

Wenn  nochmals  daran  erinnert  wird,  dass  h  79  —  92  als 
spätere  interpolation  von  der  vergleichung  auszuschalten  sind,  so 
ergibt  sich  folgendes  bild: 


w  188—190: 

die    heiden    finden    den 

leichnam    ihres    herrn. 

graf  Adel,     beschluss, 
getrennt  Orkises  gegner 
aufzusuchen. 

h  72—78: 

d  30,1—32,  6: 

w  191  —  195/6: 

vier  heiden  finden  Diet- 

rich 73,2. 

30,4. 

191,2. 

einer  fällt  77,9—13. 

32, 1—3. 

194,9—13. 

die  drei   andern   werden 

getötet  B  78,  7—13. 

32,  4—5. 

195,7—196,13. 

1  vgl.  Wilmanns  Zs.  15,  298. 

2  dies  beweist  d  30,  2  :  2)er  ferner  lang  atf  §ifyrcmt  pett  =  h  72, 
7 — 9  :  licet  er  (==  der  Berner)  sms  meisters  niht  gebiten  (des  warte  er  vil 
gerne),  von  dannen  so  wcer  er  geriten.  w  187,7 — 9  behält  zwar  diese 
verse  bei,  vorher  aber  (186,  8.  9)  heilst  es  :  der  (=  Dietrich)  was  von  dan 
gescheiden  .  .  .  fer  in  den  tan.  er  hat  also  nur  insofern  gebiten,  dass  er 
nicht  nach  Bern  heimgekehrt  war  (187,  9.  10). 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 


d32,  7— 34,  12: 

w  r.  17—209: 

sechs  heiden  greifen  Diet- 

rich an  32,  7. 

197,1. 

fünf    von     ihnen    fallen 

32,  10. 

199,  12. 

der  sechste   entrinnt  32, 

11.  13. 
zehn    (d    irrtümlich    11) 
reiten    gegen  ihn    aus 

199,13. 

34,3. 

2U4,  7. 

sie    werden    getötet   34, 

neun  von  ihnen  werden 

11.  12.    (wol  erst  kür- 

getötet   209,  13,    der 

zung  von  d,  vgl.  w.) 

zehnteentfliebt209, 12. 

w  210: 

— 

— 

der    Berner     ruht    aus 
und  macht  sich  wider 
kampfbereit. 

b  93—97: 

d  34,13—36,5. 

w  211—216: 

zwölf     beiden     rennen 

(zwanzig  heiden) 

(zwanzig  heiden  i 

Dietrich  an  93,4. 

34,  13. 

211,4. 

mcmeger  fällt  96, 11— 13. 

36,4. 

215,11—13. 

der  heiden  schar  (offen- 

bar alle  überlebenden) 

(irrtümlich    ein    anbere 

greift  ihn  an  97,4. 

fd)ar  36, 5.) 

wie  h:  216,4. 

— 

— 

w  217.  218: 

Terlepeins  rat. 

b  98—109: 

d  36,6—37,  13: 

u  219—230: 

besonders    einer    dringt 

auf  ihn  ein  99, 1. 

36,  ü. 

220,  1. 

Hildebr.  hört  das  getöse 

und  kommt  100  — 106. 

36,10—37,  13. 

221     227.  (225  nm  Inw.) 

Triureiz    bringt  Dietrich 

in  not  107. 

(SigaS)  38,  1.  2. 

(Senereis] 

24  heiden  schlägt  Hilde- 

brand tot  109,7. 

38,12. 

1,  7. 

die  andern    bringt  Dietr. 

in  not  109,9—13. 

»6,  I 

.    1,9—13. 

dieser  vergleich  lehrt  :  die  einfachste  und  ursprüngliche 
hietetH;  D  ist  um  die  Strophen  w  L97 — 209  erweitert,  dh.  n 

die  gruppen  von  vier  und  zwölf  (zwanzig)  heiden, 
aufallen,  ist  noch  eint-  von  Bechs  und  eine  eon 


238  LÜNZER 

als  eigentum  von  W  lösen  sich  leicht  ab  vv  188 — 190.  195/6. 
210.  217.  218.  225.  das  wesentliche  an  diesem  neuen  ist,  dass 
zwei  personen  (graf  Adel  und  Terlepein)  und  drei  motivierungen 
hinzukommen,  davon  ist  die  eine  in  w  188 — 190  enthalten  :  in 
h  72,  12  hatte  es  nur  geheifsen  :  den  (=  den  mannen  des  Or- 
kise)  wart  kunt  ir  herren  tot,  w  188,  1  ff  fügt  hinzu,  wie  dies 
geschah  :  Die  heiden  kamen  dar  gerant,  da  si  im  herren  tode  fant 
dort  ligen  in  dem  walde,  es  war  ihnen  also  durch  den  augen- 
schein  kund  geworden  l.  aus  welchem  gründe  die  heiden  sich 
geteilt  hatten,  ist  in  h  gar  nicht  angegeben  worden;  in  w  190, 
11.  12  erteilt  Terlepein,  der  auch  217,  1.2  als  befehlshaber  auf- 
tritt, diesen  rat  :  die  heiden  trennen  sich,  um  den  argen  man  zu 
suchen2,  die  zweite  motivierung  bringt  w  210.  sie  soll  erklären, 
wie  sich  Dietrich  nach  so  schweren  kämpfen  von  neuem  gegen 
noch  gröfsere  Übermacht  zu  wehren  vermag  :  er  war  abgesessen, 
hatte  den  heim  abgelegt,  sich  gelüftet  und  gekillt,  dann  sein  ross 
wider  besser  gegürtet,  den  heim  aufgesetzt  und  Schamung  be- 
stiegen, von  diesen  motivierungen  ist  allerdings  die  erste  sach- 
lich unmöglich  :  die  heiden  können  ihren  toten  herrn  erst  ge- 
funden haben,  nachdem  Hildebrand  den  leichnam  verlassen  hatte. 
Hildebrand  war  aber  erst  ein  halbe  rast  (186,4  =  h  72,3)  weit 
geritten,  Dietrich  zwar  fer  in  den  tan  (186,  9),  aber  doch  nur  so 
weit,  dass  sein  meister  den  lärm  seines  kampfes  hören  kann 
(w  221,  1  =  h  100,  1).  dieser  findet  seinen  herrn,  der  in- 
zwischen schon  vier,  dann  sechs,  hierauf  zehn,  endlich  zwanzig 
heiden  besiegt  hat  und  sich  eben  mit  dem  rest  herumschlägt, 
so  viel  kann  sich  nun  aber  in  der  Zwischenzeit  doch  nicht  er- 
eignet haben,  immerhin  sieht  man,  warum  W  die  Strophe  h  72 
geändert  hat  :  in  h  war  Dietrich,  getreu  dem  auftrage  seines 
meisters  (h  23,  1),  geblieben,  wo  dieser  ihn  verlassen  halte;  in 
W  entfernt  er  sich,  es  ist  also  doch  das  bestreben  zu  erkennen, 
die  zeit  bis  zu  ihrer  widervereinigung  als  länger  erscheinen  zu 
lassen. 

1  man  beachte,  dass  auch  dem  interpolator  von  h  79—92  die  kurze 
andeutung  h72,12  nicht  genügte,  vgl.  den  bericht  des  sterbenden  heiden 
h  84,  3  ff :  uns  seile  ein  wildenaere  usw. 

2  warum  sich  die  heiden  trennen ,  wird  ebenfalls  von  h  79  —  92  be- 
gründet 85,  6 — 11.  eine  dritte  Übereinstimmung  besteht  zwischen  h  89  und 
w  189 IT  :  in  h  misbilligt  des  heiden  vrouwe  Orkises  vorgehn,  in  w  einer 
seiner  mannen,  graf  Adel. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  239 

w  225   soll   auf  das   folgende   loh  Hildebrands    vorbereiten: 
dieser  sieht  225,  10 — 13  wie  er  (=  Dieterich)  nmb  treib  d\ 
den  usw.     w  224  (=  h  104),  10.  11    hatte  es   im  gegenteil  ge- 
heißen, dass  si  in  gunden  treiben. 

Noch  eine  andre  änderung,  die  erst  aus  W  stammt,  i-i  zu 
erkennen  :  in  w  steht  die  h  70  entsprechende  Strophe  nicht 
zwischen  w  193  =  h  75  und  w  194  =  h  77,  sondern  erst  Bpätei 
in  w  212.  dagegen  bezeugt  d  —  man  vergleiche  nur  die  Ver- 
weisungen Starks  —  die  Strophe  an  ihrem  ursprünglichen  platze, 
in  D  war  also  die  Strophenfolge  trotz  der  einschallungen  nicht 
geändert,  sondern  so  wie  in  h  (natürlich  wider  abgesehen  von 
h  79 — 92),  —  eine  eigenschaft  von  D,  die  wir  auch  im  frühem 
abschnitte,  dort  allerdings  aus  dem  zusammenstimmen  von  h  mit 
w  erschlossen,  die  aber  freilich  nicht  für  alle  partien  gilt  (vgl. 
die  Umgebung  der  wapenlieder,  s.  o.  s.  227  f). 

In  w  231 — 338  werden  Dietrichs  und  Hildebrands  erlebnisse 
und  taten  bis  zum  eintreffen  des  zwerges  Bibung  in  Arone  er- 
zählt, in  w  allein  bezeugt  sind  die  Strophen  w  238.  239.  293. 
298.  299.  dass  die  beiden  erstgenannten  in  d  fehlen,  ligt  an 
dem  anfangsverse  von  w  238  und  w  240.  jener  heifst  :  Von  dan 
fürt  er  den  helt  zu  stund,  dieser  in  h  (117,  Ij  :  Vanmdn  ruort  er 
den  helt  gemeit.  inhaltlich  sind  die  zwei  Strophen  nötig  :  b  L16, 
2.3  (=  w  237,  2.  3  vgl.  d  41,  4ff)  hat  Hildebrand  seinem  berro 
versprochen  :  swaz  ich  sit  erliten  hau,  diu  wunder  sulnt  ir 
schouwen.  er  zeigt  ihm  aber  den  erschlagenen  beiden  nur  in 
w  238.  239,  während  in  h  und  d,  wo  beide  atrophen  fehlen,  das 
versprechen  unerfüllt  bleibt,  sie  gehörten  also  nicht  nur  1»  an, 
sondern  sogar  schon  dem  ältesten  bestände  des  gediente,  auch 
über  die  scherzende  selbstironie  seines  meisten  li  113,  Hfl 
(=  w  234,  11  ff  vgl.  d  40,  711)  :  ich  <jie  vor  imumjen  Kimmen  tanz 
wird  Dietrich  nur  in  w  239,  5.  6  aufgeklärt  :  da*  ist  </-•/  Umx,  dar 
an  ich  sprank  usw. 

Dagegen  sind  w  293.  298.  2(.i'.t  (erweiterungeu  »on  Dietrichs 
kämpf   mit    einem  dracheu)   wol  als  einschob  von   \\    anzt 

Die    nächste  partie    ist  die  letzte,    in   der  h  noch  tum  rer 
gleiche  herangezogen  werden   kann;  sie   reicht   »on   "> 
von  Bibungs  eintreffen  Ins  zur  ankunfl  Uberteins.    idenlis 
h  sind  nur  w  330  — 352,    ferner   zeigen 
schalt  mit  b  234—239,   und  ebenso 
3  —  6. 


240  LÜNZER 

Aufser  den  von  Stark  schon  angemerkten  Strophen  scheinen 
mir  noch  w  359  (3  vgl.  d  75,4)  und  363  (7  ff  vgl.  d  75.  12.  13) 
in  d  bestätigt  zu  sein,  dann  hleiben  als  solche,  die  wir  aus- 
schliefslich  aus  w  kennen,  nur  übrig  w  358.  360.  372  —  374. 
die  beiden  ersten  sind  im  zusammenhange  nicht  zu  entbehren, 
w  360  konnte  aufserdem  leicht  verloren  gehn.  man  vgl.  die 
ersten  verse  :  Dar  mit  der  red  geschwigen  wart,  .  .  .  in  hoher  art 

mit  361,  1.  2  :  Nit  lang  dar  nach  gepitten  wart nach  hofe- 

licher  art. 

w  372  —  374  mögen  erst  in  W  eingefügt  worden  sein,  sie 
sind  inhaltlich  einigermafseu  selbständig  und  können  immerhin 
entbehrt  werden,  erzählt  wird,  dass  Dietrich  dreifsig  tage  in 
Arone  weilt;  inzwischen  heilen  seine  wunden,  die  frauen  ver- 
fertigen ihm  ein  kostbares  kleid  und  zieren  seinen  heim,  in 
w  352,  2  hatte  Dietrich  verheifsen ,  die  köuigin  zu  besuchen: 
wan  ich  nu  pas  gehailet  pin,  was  Bibung  368,  10 — 12  dieser  auch 
gemeldet  hatte,  nun  folgt  375  IT  der  kämpf  des  Berners  mit 
Libertein.  es  schien  nötig,  ausdrücklich  zu  sagen,  dass  seine 
wunden  vorher  geheilt  haben,  eine  Zeitangabe  ('vierzehn  tage') 
enthält  auch  h  241, 1. 

Genaueste  betrachtung  verdienen  w  369—371  im  vergleiche 
mit  h  234  —  239.  es  kann  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  h 
hier  wider  das  ursprüngliche  erhalten  hat  :  h  234  —  239  hangen 
mit  h  233  organisch  zusammen.  233,  12  überlässt  Helferich  dem 
Bibung  seineu  platz,  234,  1.  2  sucht  er  selbst  den  Berner  und 
Hildebrand  auf.  das  gespräch,  das  er  mit  ihnen  beginnt  und  das 
den  inhalt  der  kleinen  Strophenreihe  bildet,  ist  motiviert  durch 
■die  eben  von  Bibung  überbrachte  einladung  der  königin  (h  229 
— 232)  :  Helferich  beglückwünscht  die  beiden  fürsten  zu  der  gunst, 
in  der  sie  bei  einer  so  schönen  frau  stehn.  —  in  dw  dagegen 
sind  die  entsprechenden  Strophen  (h  369 — 371)  von  den  frühern 
durch  einen  einschub  (w  353 — 368)  getrennt,  wohin  sich  Helfe- 
rich, der  seinen  sitz  verlassen  hat,  begibt,  erfährt  man  nicht,  das 
gespräch  wird  recht  eigentlich  vom  zäune  gebrochen,  und  schon 
aus  der  verteiluug  der  rollen  erkennt  man,  dass  mau  nicht  das 
ursprüngliche  vor  sich  hat  :  hier  beginnt  Hildebrand  das  gespräch, 
indem  er  den  Berner  lobt;  Hellerich  aber  warnt  den  alten  vor 
verfrühtem  lobe  und  ermahnt  ihn,  seinen  Zögling  durch  scharfe 
vvorte   immer  von    neuem    anzutreiben,     diese  warnung  hat  aber 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  211 

Hildebrand  Dach  allem  frühem  gar  nicht  nötig,  das  alle  bietel 
vielmehr  h,  wo  Helferich  den  Berner  in  der  tonn  jenes  glttck* 
vvunschs  rühmt  (uzw.  ganz  der  Situation  angemessen);  wegen 
dieses  voreiligen  lohes  tadelt  ihn  Hildebrand,  was  dessen  bis- 
herigem  benelimen  völlig  entspricht,  die  mangelhafte  Verteilung 
des  dialogs  kommt  eben  daher,  dass  das  gespräch  in  dw  durch 
jenen  einschub  seine  ursprüngliche  stelle  verloren  hat. 

Nun  ist  es  gevvis  keine  unwahrscheinliche  annahm«',  dass  difl 
änderungen  dieser  wechselrede  von  demselben  dichter  herrühre*, 
der  die  trennenden    Strophen    eingeschaltet  hat.     dieser   ab* 
wider  identisch  mit  dem  Verfasser  von  D;  das  ergibt  sich  aus  der 
Übereinstimmung  von  d  und  w. 

Wir  fahren  fort  in  der  vergleichung  von  d  und  w  (h  l;i>st 
von  hier  an  aus),  die  Strophen  w  375  —  409  (Dietrichs  kämpf 
mit  Liberteiu;  aufbruch  der  beiden  aus  Arone)  werden  fast  durch" 
gängig  auch  durch  d  beglaubigt,  auch  387.  389.  392  (s.  0.  s.  221> 
es  erübrigen  nur  405  und  409.  da  im  folgenden  von  einer  ja^'d 
die  rede  ist,  erwähnt  405  ausdrücklich,  es  seien  heim  aufbruchc 
auch  bunde  und  falken  mitgenommen  worden.  409  ist  eine  1  Um- 
gestaltung der  abschiedsscene.  die  strophe  konnte  zwar  durch 
abgleiten  des  auges  leicht  übersehen  werden  :  40S,  1.  2  Feimen 
sprach  :  gemach,  409,1.2  sach  :  wigemach.  entbehrlich  sind  »her 
beide  Strophen,  müssen  also  nicht  D  angehört  toben. 

w  410 — 490  :  abenteuer  auf  Orteneck,  Dietrichs  kämpf  mit 
einem  riesen,  rückkehr  nach  Arone.  da  ttbef  411  —  418  und 
474.479.481—483.487  schon  gesprochen  i>(  (s.  in  und  s.221), 
bleibt  auch  hier  nur  wenig  zu  sagen  :  480  wird  /.war  durch  d 
nicht  gehalten,  ist  aber  in  der  aufeinanderfolge  ron  red«  und 
gegenrede  nötig  und  in  d  oder  seiner  vorläge  mir  zufällig  »er« 
lorcn  gegangen  :  480,  1  :  Der  Verner  sprach  M  Hildeprant, 
487,1  :  Mit  züchten  sprach  her  Hildeprant.  dagegen  wird  448, 
eine  überflüssige  lobpreisung  der  vier  recken,  susati  reo  W  sein. 

Nun  folgen  w  491—495.  767—789.  798.  799.  801 
zug  der  beiden  zur  königin,  ankauft,  empfang   und   festlicbkeitett, 
Dietrichs  Werbung,  Vermählung,  beimkehr  nach  Bern. 

Dassw491 — 193  und  767— 769  uebsl  einem  zwischen  I 
den  strophengruppen  liegenden  stflck  in  «in 
gefallen   waren   (ein   blatl    im!    7   «'der  S   Strophen),    WUI 
oben  (s.  222)  angenommen. 

Z.  F.   I).  A.  XI.I1I.     N.  V.   XXXI. 


242  LUNZER 

Wir  vergleichen  nun  zuvörderst  die  darstellung  des  empfanges 
in  beiden  fassungen  :  d  116, 1  —  117,  8  und  w  770—789. 

d  berichtet  :  die  königin  mit  ihren  Jungfrauen,  herlich  ge- 
schmückt, geht  den  helden  entgegen  (116,  1 — 5),  sie  empfängt 
die  degen  (116,6)  und  die  von  diesen  in  Orteneck  befreiten 
mädchen,  zuletzt  den  riesen,  den  der  Berner  überwunden  hat, 
und  der  dessen  Jagdbeute,  ein  wildes  schwein,  trägt,  die  königin 
scherzt  darüber,  dass  sich  die  gaste  ihre  speise  selbst  mit- 
bringen; sie  könne  ihnen  selber  genug  geben,  über  diese  worte 
lachen  alle. 

In  w  empfiehlt  es  sich  zunächst,  779  hinter  780  zu  stellen, 
wie  sich  aus  dem  folgenden  ergeben  wird,  dann  ist  der  hergang 
dieser: 

Die  Jungfrauen  und  die  zwerge  schmücken  sich  zum  em- 
pfang der  gaste  (770  und  771.  772),  die  königin  mit  ihren 
maiden  zieht  den  kommenden  entgegen  (773),  die  fürsten  treten 
aus  dem  walde,  die  drei  von  ihnen  befreiten  Jungfrauen  eilen 
ihnen  voraus  auf  die  königin  zu  (774),  diese  empfängt  sie  (775, 
\  —  8),  sie  erzählen,  wie  es  ihnen  inzwischen  ergangen  war 
(775,9 — 776,6).  die  fürsten  kommen  nun  auch  näher  (776, 
7 — 13).  das  gefolge  der  königin  entfaltet  sich1,  die  gaste  ziehen 
heran  (777.  778)  und  halten  an  der  gegenfart  (780).  sie  werden 
bewillkommt  (779),  die  königin  begrüfst  sie,  besonders  den  Berner 
(781),  die  herren  werden  geküsst,  Dietrich  von  der  königin,  und 
treten  ins  zeit  (782),  dort  empfängt  sie  das  hofgesinde  (783), 
man  heifst  sie  ruhen,  fuhrt  sie  dann  in  eiue  kemenate,  die  Jung- 
frauen nehmen  ihnen  die  sarwdt  ab  (784),  herliche  kleider, 
die  die  königin  bringen  lässt,  werden  ihnen  angelegt  (785),  sie 
kehren  ins  zeit  zurück  und  nehmen  platz  (786),  die  zwerge  tragen 
edle  weine,  met  und  andres  getränk  auf  (787),  die  königin  selbst 
bietet  dem  Berner  den  wein,  ihre  mädchen  den  andern  (788), 
nun  erst  setzt  sich  die  königin  selbst  (789). 

d  kürzt  mitunter  recht  ausgiebig,  es  kommt,  wenn  auch  sehr 
vereinzelt  vor,  dass  es  7  Strophen  der  vorläge  in  einer  einzigen 
streift2,   allein  ein  zweites  beispiel,    dass  wie  hier  20  Strophen 

1  sie  Hessen  schawen  sich,  sich  beginiden  scharn  (777,  4.  9). 

2  d  15  =  w  86.  87.  92.  99.  100-102;  d  34  =  w  204.  203.  206—209. 
211;  d  60  =  w  304.  305.  307-311;  d  123  =  w  839.  842.  841.  840.  857. 
856.  858. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  243 

zu  l'/2  zusammengepresst  waren,  find  ich  nirgends,  zudem 
macht  hier  d  garnicht  den  eindruck  des  zusammengepressten: 
d  116,  9 — 13  ist  eine  völlig  überflüssige  widerholuog  dei 
schichte  von  dem  heiden  Orkfse  und  seinem  valer  (d  sagt  irr- 
tümlich Jon)  Teriufas,  zu  der  die  erzählung  der  drei  befreiten 
miidchen  von  ihren  Schicksalen  in  Orteneck  (w  77."),  '.) — 776,  6) 
vielleicht,  einen  anlass,  aher  gewis  keine  nötigung  gegeben  bat; 
d  117,  1 — 8  (empfang  des  riesen,  Scherzworte  der  königin)  haben 
in  w  überhaupt  keine  parallele;  es  würden  also  den  20  Strophen 
von  w  inhaltlich  nur  8  verse  (d  116,  1 — 8),  höchstens  dir  eine 
Strophe  116  entsprechen,  die  darstellung  in  w  ist  ferner  —  wenn 
man  die  oben  vorgeschlagene  Umstellung  einer  strophe  vornimmt, 
so  wolgeordnet  und  zusammenhängend,  das  ceremoniell  so  ge- 
wahrt, dass  man  sich  auch  schwer  zur  annähme  von  Interpola- 
tionen entschliefsen  wird;  vielmehr  scheint  hier  in  \Y  eine  völlige 
und  planmäfsige  Umarbeitung  vorzuliegen,  die  allerdings  noch  in- 
haltliche berühruugen  mit  dem  alten  aufweist  (s.  die  zum  ver- 
gleiche herangezogenen  stellen  s.  221),  aus  der  man  aber  den 
ursprünglichen  Strophenbestand  nicht  mehr  herausschälen  kann, 
um  so  weniger  als  sie  auch  sachliche  äuderungen  eingeführt  hat 
und  gegen  d  nicht  nur  ein  mehr,  sondern  auch  ein  weniger  auf- 
weist  :  so  scheinen  nach  d  in  dessen  vorläge  zuerst  die  beiden 
und  dann  die  befreiten  mädcheu  empfangen  worden  zu  sein 
(116,6.7),  in  w  geschah  dies  in  umgekehrter  folge  iTTl—  781), 
der  empfang  des  riesen  aber  ist  samt  dem  scherze  der  königin 
unterdrückt. 

Während  in  d  auf  den  empfang  sofort  ein  mahl  folgt 
(117,  9  fT) ,  ist  in  w  noch  einiges  eingeschoben,  zunächst  ein 
kurzes  gesprach  798.  799  :  eine  Jungfrau  preist  die  gaste  und 
dankt  ihnen  für  ihre  heiden  taten;  die  herren  weisen  alles  ver- 
dienst Dietrich  zu  und  danken  ihrerseits  für  die  ihnen  erwiesenen 
ehren.  801—804  bringen  ein  komisches  intermeuo  zwischen 
Dietrichs  riesen  und  einem  zwerge  der  königin  namens  Lodaber. 
805  wird  der  riese  ausgeschickt,  um  wild  zu  rangen,  von  all  dem 
fehlt  in  d  jede  spur.    805  steht  sogar  in  Widerspruch  zu  d. 

w  806—825  band. 'In  von  dem  festmable.    dieses  isl  in  d  mit 
den  5  versen   117,9—1:'.  abgetan,  jedoch  wird  in  d  118,  I 
eine  episode,  die  sich  während  des  speisens  ereignet,  io 
breite  nachgetragen. 


244  LUNZER 

In  dem  bericht  über  das  gastmabl  ist  w  wider  sehr  genau 
und  ausführlich  :  die  speisen  werden  bereitet  806,  truchsess  und 
küchenmeister  melden  der  königin,  es  sei  essenszeil  807,  unter 
den  tönen  fröhlicher  musik  wird  wasser  mit  handtüchern  ge- 
bracht 808,  den  forsten  werden  sitze  neben  den  mädchen  ange- 
wiesen 809,  die  gerichte  werden  aufgetragen,  wobei  wider  musik 
ertönt  810,  die  königin  ladet  zum  speisen  ein  811;  812 — 815 
enthalten  ein  gespräch  des  bereits  von  liebe  gequälten  Dietrich 
mit  seinem  meister,  der  ihn  ermuntert,  auch  die  andern  gaste 
bleiben  von  der  minne  nicht  unherührt  816,  man  sieht  tanze  und 
spiele,  die  zwerge  bedienen  die  gesellschaft  817,  des  lichten  maien 
kleid  und  zugleich  die  gaben  des  herbstes  erfreuen  die  gaste  818, 
zwei  fremde  zwerge  stechen  mit  Bibung  und  Lodaber  819 — 823, 
das  mahl  ist  zu  ende  824,  vor  dem  zelte  ertönt  musik,  man 
wäscht  sich  die  hände,  das  wasser  wird  fortgetragen,  herren  und 
frauen  gehn  von  tische  825. 

Auch  hier  war  die  vorläge  von  d,  aufser  was  d  118  anlangt 
(==  w  819 — 825),  worüber  gleich  gesprochen  werden  soll,  gewis 
kürzer  als  W,  ohne  dass  sich  aber,  wie  ich  meine,  D  aus  W 
durch  blofse  annähme  von  einschaltungen  gewinnen  Iiefse;  auch 
hier  stellt  sich  W  als  eine  planmäfsige  neubearbeitung  dar;  nur 
w  819 — 825  haben,  wie  ein  vergleich  mit  d  lehrt,  das  alte  ziem- 
lich gut  bewahrt,  zum  Verständnis  ist  nur  vorauszuschicken,  dass 
der  Verfasser  des  auszugs  d  6inem  grofsen  irrtum  zum  opfer 
gefallen  ist,  der  sich  durch  den  grösten  teil  seiner  Strophe  118 
hindurchzieht  :  in  w  819 — 823  wird  erzählt,  wie  Bibung  und  Lo- 
daber gegen  zwei  fremde  zwerge  tjostieren,  d  aber  fasst  das  falsch 
auf  und  lässt  Bibung  und  Lodaber  gegen  einander  stechen,  sonst 
aber  werden  die  einzelnen  momente  des  ritterspiels  fast  vollzählig 
auch  in  d  bestätigt  und  damit,  wie  s.  221  schon  angedeutet  ist, 
die  Strophen  w  819.  821.  823—825.  der  ausfall  von  w  820  er- 
klärt sich  wie  schon  so  oft  :  man  vgl.  w  820,  1.  2  :  Sie  kamen 
schnell  da  her  gerittn  zu  dinst  nach  ritterlichem  sittn  und  821,  1.2: 
Die  zwerg  gar  ritterlichen  rittn  zu  dinst  nach  lobelichem  sittn. 
w  822  ist  inhaltlich  unentbehrlich  :  w  823,  4  erzählt,  dass  dem 
Lodaber  sein  heim  aufgebunden  wird,  er  hat  ihn  also  verloren, 
und  das  steht  in  822,  13;  sie  ranten  aber  faste  in  823,  6  setzt 
voraus,  dass  sie  schon  einmal  gegen  einander  geritten  sind  :  das 
wird  in  822,  8 ff  berichtet,    und  auf  eben  dies    bezieht  sich  die 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  245 

äufserung  der  künigiu  823,  1 — 3.    hier  sind  wir  also  widei   ein- 
mal in  der  läge,    ein  Stückchen  der  gemeinsamen  vorläge  von  d 
und  w  aus  dem  zusammenstimmen  heider  fassungen  zu  erkennen 
w  819 — 825  hahen  ihr  augehört. 

Auf  das  mahl  folgt  in  d  und  in  w  ein  gemeinsamer  Bpazier* 
gang  der  fürsten  mit  der  künigin  und  ihren  Jungfrauen  ""/  ein 
anger  weit  (w  826,  1)  oder,  wie  d  sagt  (119,  1)  für  benn  percf. 
w  826  und  d  119,  1  —  4  stimmen  wenigstens  der  Bache  nach 
überein.  dafür  hat  wider  d  119,5 — 8  in  w  nichts  entsprechen- 
des, die  verse  enthalten  eine  reminiscenz  der  zweigt:  an  die 
frühere  not.  dass  die  zwerge  an  dem  Spaziergang  teilgenommen 
hätten,  erzählt  w  nicht,  auch  ein  rückhlick  auf  die  Vergangenheit 
fehlt  hier  in  w. 

Stark  auseinander  gehn  beide  fassungen  von  da  ab  in  dem 
berichte  über  Dietrichs  Werbung  :  in  d  fragt  die  köuigio  Bilde- 
brand nach  der  Ursache  von  Dietrichs  trauer  (120,  1 — 3j.  Hilde- 
brand erfährt  von  seinem  herrn  dessen  liebe  zur  kr-mum  (120, 
4 — io),  berichtet  ihr  dies  (120,  11 — 13),  erhält  ihre  Zustimmung 
zur  ehe  (121,  1.2),  meldet  dies  wider  dem  Beruer  (121,  3j,  ritt 
ihm,  sich  an  den  rat  der  fürsten  zu  wenden  (121,4—6),  trägt 
dort  die  sache  vor  (121,7)  und  findet  billigung  (121,  8).  ebenso 
teilt  die  künigin  ihren  juugfraueu  ihr  vorhaben  mit  (121,9.  10), 
und  auch  diese  stimmen  zu  (121,11—13).  nun  überbringen  die 
fürsten  der  künigin  Dietrichs  Werbung  (122,  1 — 3);  sie  nimmt 
sie  an  (122,4 — 6).  der  Beruer  und  die  künigin  werden  zusammen- 
geführt (122,  7.  8).  sie  gibt  nach  bescheidenem  sträuben  ihre 
eiuwilligung  (122,  9—11)  und  Dietrich  antwortet  dir  (122, 12. 13 

Ohne  so  viele  förmlichkeiten  kommt  dasselbe  ergebnia  in  « 
zu  stände  :  die  künigin  fragt  den  Beruer  nach  seinem  ungemach 
(827),  dann  forscht  —  ohne  ihr  zutun  —  Hildebrand  darnach 
(832)  und  verweist  ihn  an  der  Fürsten  i  -■•  Btimmen 

zu  und  treten  vor  die  künigin  (834),  Helferich  trägl  die  Werbung 
vor  (835Q  und  findet  geneigtes  gehör  (837),  Dietrich  wird 
und  empfängt  das  Jawort  der  künigin  (838). 

Dass  in   d   Hildebrand   so   in   .Im  Vordergrund   tu". 
scheint  mir   etwas   ursprüngliches   erhalten   :   der   I 
ganzen    verlaufe    der   dichtuog    als   kint   cbarakteri 
Übergewicht  seines  meisters   so  oft  hervorgehoben  woi 
es  begreiflich  erscheint,    wenn   er   äich  auch  In" 


246  LUNZER 

gebieters  annehmen  muss.  anderseits  mochte  gerade  die  Ver- 
mittlerrolle Hildebrands  und  die  behandlung  der  liebe  als  einer 
Staatsangelegenheit,  die  an  die  Zustimmung  zunächst  unbeteiligter 
geknüpft  ist,  einem  dichter  nicht  zusagen,  der  etwa  den  stand- 
punct  der  minnepoesie  einnahm,  dieser  —  seine  Umarbeitung 
ligt  in  w  vor  —  lässt  die  königin  ihre  erste  frage  an  den  Berner 
selbst  richten,  drängt  Hildebrand  auch  sonst  einigermafsen  zurück, 
übergeht  von  den  Verhandlungen  wenigstens  die  eine,  die  der 
königin  mit  ihren  gespielinnen,  und  schiebt  lieber  eine  zt.  theo- 
retische erörterung  über  die  minne  ein  (828 — 832).  kürzer  als 
die  vorläge  von  d  ist  also  w  auch  an  dieser  stelle  nicht. 

Was  die  Schilderung  der  vermählungsfeier  betrifft,  so  wurde 
schon  oben  (s.  219  f)  erwähnt,  dass  von  dem  in  d  124,  1 — 3  aus- 
drücklich hervorgehobenen  Itrdjgcmgf  in  w  keine  rede  ist,  und 
dass  in  der  beschreibung  des  hochzeitsmahls  die  vorläge  von  d 
ausführlicher  gewesen  zu  sein  scheint;  dafür  weifs  d  nichts  von 
den  Amelungen,  von  den  fünfhundert  bürgern  aus  Bern  und  von 
könig  Floris  von  Dänemark,  die  in  w  zum  feste  kommen,  em- 
pfangen und  herlich  bewirtet  werden  (843 — 850). 

Die  brautnacht  verläuft  ebenfalls  in  beiden  fassungen  ganz 
verschieden  :  conventioneller  und  wider  ganz  im  sinne  der  minne- 
poesie gehalten  ist  w  851 — 854,  charakteristischer  und  sogar  sehr 
realistisch1  d  125 — 128.  mir  scheint  wider  d  älter  :  dass  Diet- 
rich nicht  zum  ziele  gelangt  und  sich  von  Hildebrand  verspotten 
lassen  muss,  passt  ganz  zu  manchen  frühern  stellen  des  gedichts. 
die  scene  hat  aber  bei  einem  Überarbeiter  anstofs  erregt  und 
wurde  darum  geändert. 

Die  erklärung  der  königin  d  129,  2—6,  sie  wolle  nach  Bern, 
um  dort  auch  etjnn  ^odjfcett  zu  halten  —  so  lange  werde  sie 
Jungfrau  bleiben  — ,  hängt  mit  dem  eben  besprochenen  zusammen 
und  hat  sowie  d  130,  3 — 8,  wo  diese  zweite  'hochzeit'  samt  der 
auf  sie  folgenden  nacht  geschildert  wird,  in  w  keine  parallele, 
wird  aber,  wenn  d  125 — 128  das  ursprüngliche  vertreten,  auch 
alt  sein  :  wider  ist  es  Hildebrand,  an  den  sich  die  königin  wendet 
(129,  1),  der  dann  ihren  wünsch  dem  Berner  mitteilt  und  zum 
auf bruche  auffordert  (129,  7 — 9).    er  behält  also  in  D  consequent 

1  manches  davon  mag  allerdings  auf  die  rechnung  der  auch  anderwärts 
nicht  sehr  feinen  ausdrucksweise  unsers  auszugs  zu  setzen  sein. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  247 

die  rolle  des  meisters  bis  zum  ende  des  gedichts,  bis  zur  heim- 
kunft  nach  Bern.   — 

Der  leichtem  übersieht  halber  stelle  ich  das  gewonnene  zu- 
sammen, dabei  sind  in  klammern  jene  Strophen  verzeichnet,  die 
in  d  nicht  belegt  sind,    es  gehörten  zum  bestand  von  D: 

w  1.  3.  2.  h  2.  9.  10.  w  39.  38.  41.  42.  33.  (45).  40.  17. 
(48).  49.  50.  h  19.  21.  w  56—60.  62—67.  h  24.  w  70— 7»i. 
84.(85).  86—88.  91—95.(96).  97—102.  104—107.  110.  111. 
(112—120).  121—125.  127.  129—131.  (134).  135.  (136—138  , 
139—146.  h50.  wl49.  h  52.  w  152.(153. 154).  155.156.1 
158—161.  (162.  163).  164—167.  (168).  169.  170.  (171—175). 
176  —  184.  (185).  186.  187.  191  —  194.  h  78.  w  197.  (198). 
199—204.  (205).  206—209.  211—216.  219—221.  226.  (227). 
228—237.  (238.  239).  240—245.  (246).  247.  (248.  249).  250. 
251.  (252).  253— 255.  (256— 258).  259— 292.  294-207.  :inu  — 
318.  (319.  320).  321—347.  (348).  349.  350.  (351).  352— \\:>1. 
(358).  359.  (360).  361  —  371.  375—404.  406  — 40S.  HO. 
(411_418).  419—447.  449—485.  (486).  487—100.  (491ff). 

Der  Strophenbestand  des  Schlusses  lasst  sich  bis  auf  kleine 
partien  (zb.  w  819 — 825)  nicht  mehr  eruieren. 

Einschöbe  von  W,  bez.  erweiterungen  einzelner  Strophen  EU 
je  zweien,   sind  :  w  40.   43.   44.  61.  68.   69.  77—83.   89. 
103.  108.  109.  126.  128.  132.  133.  148.  150.  151.  188—190. 
195.  196.  210.  217.  218.  225.  293.  298.  299.372—374.    105. 
409.  448. 

Das  ende  des  gedichts  war  stark  erweitert    und   umgestaltet 

Das  ursprüngliche  gedicht. 
Nach   Wilmanns  hätten    wir   in   D    das   alte    gedichl    tu  er- 
kennen, von  dem  sich  in  h  nur  der  anfang  erbalten  hatte,  wah- 
rend der  groTsere  teil  von  h,   wie  Wilmanns  unzweifelhaft  nach- 
gewiesen hat,  eine  spatere  fortsetz ung  ist.    wenn  h  254  —  oder 
wie  ich  meine  h  240 —  bis  1097   nicht  von  demselben  vei 
herrührt  wie  der  anfang,  so  ist  allerdings  die  nächstliegende 
rung  die,  dass  das  ende  des  ursprünglichen  gedichts  dui 
die  mit  d  verwanten   abschnitte  von  w    vertreten  wird, 
die  nächstliegende  möglichkeit,   aber  es  ist  nicht  di< 
ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  dichter  von  h  1 
Überhaupt  nicht  vollendet   bat 


248  LUNZER 

Wenn  nun  auch  ein  stricler  beweis  dafür,  dass  auch  fort- 
setzung und  schluss  von  D  einem  andern  Verfasser  angehören, 
sehr  schwer  zu  führen  ist,  da  wir  diese  partien  nur  aus  einer 
späten  bearbeitung  und  einem  noch  spätem  auszuge  kennen,  die 
beide  die  sprachliche  und  metrische  gestalt  ihrer  vorlagen  völlig 
verwischt  haben,  so  scheint  es  mir  doch  nicht  überflüssig,  hier 
zusammenzustellen,  was  dazu  führt,  diese  zweite  möglichkeit  ins 
äuge  zu  fassen. 

Zunächst  ist  im  anfange,  so  weit  sich  D  inhaltlich  mit  der 
andern  fassung  so  ziemlich  deckt,  di.  bis  w  352  =  h  233,  D 
ganz  gewis  nicht  das  ursprüngliche  gedieht,  sondern  eine  viel 
ausgiebiger  umgestaltende  und  erweiternde  bearbeitung  als  h. 

Das  stück  w  353  —  371,  welches  zu  den  nur  aus  dw  be- 
kannten abschnitten  hinüberleitet,  ist  gleichfalls  gewis  minder 
ursprünglich  als  h  234— 239  (s.  s.  240  f)- 

Wie  ferner  in  der  fortsetzung  h  340  ff  neue  personen  auf- 
treten, alte  vergessen  werden  und  der  Schauplatz  sich  ändert,  so 
geschieht  es  auch  in  D  von  w  372  an  :  der  heide  Orkise,  dessen 
vater  von  D  schon  zu  anfang  erfunden  worden  war,  hat  nun  auch 
eine  gemahlin  *  (w  450)  und  einen  erwachsenen  söhn,  Janapas, 
der  in  Orteneck  wohnt,  einer  bürg,  von  der  wir  bis  dahin  eben 
so  wenig  etwas  gehört  haben  wie  von  Janapas  selbst  und  seineu 
50  mannen,  ganz  neu  und  unerwartet  sind  die  drei  von  Hilde- 
brand und  seinen  gesellen  befreiten  Jungfrauen,  neu  sind  Liber- 
tein,  der  riese,  der  zwerg  Lodaber  usw.  unter  den  heidnischen 
göttern  erscheint  der  früher  nie  genannte  Mercurius2  (440,12), 
während  Machemet  und  Terviant  nun  fehlen,  auch  die  anwen- 
dung  eines  heidnischen  kauderwälsch  kommt  erst  jetzt  auf: 
433,  4.  442,  1  (die  'Übersetzung'  wird  beidemal  beigefügt)  :  löwen 
(428 ff.  470,5)  waren  früher  nie  zu  bekämpfen,  dagegen  fehlen 
nun  die  wurme.  —  von  den  personen  des  anfangs  verschwindet 
bald  Helferichs  gemahlin  Portalaphe  (mit  dem  aufbruche  von 
Arone  407),  und,  was  das  auffallendste  ist,  von  Madius  ist  in 
der  ganzen  fortsetzung  D  nicht  mit  einem  worte  mehr  die  rede. 

Ein  kleiner,  aber  charakteristischer  unterschied  zwischen  dem 
anfange  des  alten  gedichts  und  der  fortsetzung  D  ligt  in  folgen- 

1  auch  die  Interpolation  h  79 — 92  weist  ihm  eine  vrouwen  zu  h  88,  5  ff. 

2  h  79  —  92  bringt  einen  sonst  unbekannten  götzen  Medelbolt  herein 
91,  12. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  249 

dem  :  dort  war  regelmäfsig,  wenn  einer  der  beiden  rotn 
stieg,  gesagt  worden,  was  mit  diesem  geschah  :  als  Bildebraod 
absitzt,  um  seinem  herrn  gegen  einen  wurm  beizustehn,  gibt  er 
sein  pferd  Rentwin  zum  halten  h  171,  2.  3.  Dietrich  hat  das  Beine 
an  einen  ast  gebunden;  der  wurm  will  es  forttragen,  aber  der 
Berner  rettet  es  h  146,7 — 12.  spater  holt  es  Hildebrand  von 
dort  und  führt  es  seinem  herrn  zu  h  185.  vor  Arone  sitzt  Diet- 
rich ab,  Helferich  nimmt  das  ross  in  empfang  und  bindet  es  an 
einen  zäun  h  190,  8  ff;  von  Rentwins  ross  erfahren  wir,  das« 
wilde  wurme  es  fortgetragen  haben,  während  sein  herr  schlief 
h  163,4.5.  180,  11;  Bibung  bindet  sein  pferd  an,  ehe  er  ein- 
lass  in  Arone  erbittet  223,  6.  die  fortsetzung  D  aber  kümmert 
sich  um  dergleichen  nie  :  Dietrich  und  seine  gelahrten  reiten  auf 
die  jagd  :  der  Berner  muss  mit  dem  riesen  kämpfen ,  die  an- 
dern geraten  in  Orteneck  in  not,  —  was  indessen  mit  ihren 
rossen  geschieht  und  wie  sie  sie  widerfiuden,  davon  böreo 
wir  nichts. 

Dagegen  zeigt  die  erzählung  von  den  abenteuern  auf  Orteneck 
und    von  Dietrichs    Vermählung    ganz   dieselbe  geistesart  wie    die 
Umarbeitung  des  anfangs,    die  uns  in  D  vorligt  :  es  ist  gani 
besonders    auf  contrastwürkung  abgesehen,   und  die   fortsetzung 
bringt  fast  nur  gegenstücke  zu  den  einzelnen  teilen  der  frühern 
partie  :  wie  vorher  Hildebrand  einen  eiuzelkampf  mit  dem  Über- 
menschlich starken  heiden,   Dietrich  aber   ein  gefecht   gegen  die 
Übermacht   der   80  mannen  Orkises   zu    bestehn    gehabt  hat.    so 
muss  nun  der  Berner  mit  einem  gegner  kämpfen,  der  ein  riese 
ist  (46011),  Hildebrand  mit  seinen  drei  gesellen  aber  bal  aich  mil 
den  50  mannen  des  heidnischen  Janapas  herumzuschlagen  i  133  ff); 
früher  hatten  Dietrich    und   sein  meister   mil    drachen  gekämpft, 
nun    werden   löwen  auf   den   alten    und    die    seinen    loc 
(428ff),  und  der  Berner  wird  von  dem  riesen  ror  eine  hflhli 
trieben,  die  voll  löwen  ist  (470).     zu  beginn  der  abenteuer  war 
Madius  aus  der  gewalt  Orkises  befreit  werden,  nun  werden  drei 
Jungfrauen  aus  der   gefangenschaft  Beines  Bobnes    erlöst     auch 
innerhalb  der  fortsetzung  whrd  das  mittel  der  contrastierui 
gewendet :  Dietrich  besiegt  in  dreimaligem  rennen  d<  d 
Libertein  (37511),    die  zwerge  Bibung    und  Lodabei 
zwei  fremde  zwerge  (819 ff),    wohn    es  auch   im 
zusammenstöTsen  kommt. 


250  LUNZER 

Wie  im  grofseD,  so  zeigen  sich  beziehungeo  zum  erweiterten 
ersten  teile  und  ähnlichkeiten  in  der  arbeitsweise  auch  in  einzei- 
heiten.  den  wapenliedern  uzw.  in  der  neuen  gestalt  entspricht 
die  beschreibung  des  riesen ,  seines  gewandes  und  seiner  waffen 
461,  1—464,3  :  sein  leib  461,1 — 462,6  (äugen,  brauen,  ange- 
sicht,  rücken,  bauch,  länge  und  stärke  —  vgl.  Orkises  beschrei- 
bung  in  den  nur  D1  angehörenden  Strophen  w  105.  106:  antlitz, 
kehle,  haar,  gröfse,  brüst,  Seiten,  beine,  stärke),  bekleiduug  des 
leibes  462,8 — 10,  drachenhaut  (anstatt  des  hämisches)  462,  11.  12, 
heim  463,  2.  3,  schild  463,  4.  5,  kolben  464,  1—3. 

Der  kämpf  Dietrichs  mit  dem  riesen  ist  zu  vergleichen  mit 
Hildebrands  kämpf  gegen  Orkise  :  er  wird  gleich  diesem  einge- 
leitet durch  einen  streit  um  das  recht  465,  4ff  (vgl.  143,  11  ff) 
und  die  drohung  des  riesen,  seinen  gegner  zu  töten  465,  10 
(vgl.  143,  3),  beschlossen  durch  das  widerholte  anerbieten  des 
riesen,  sich  zu  ergeben  und  seinem  überwinder  zu  dienen  477,  7  ff. 
478,  4ff.  479,  1  ff  (vgl.  176,  7  ff.  177,  1  CT),  während  des  kampfes 
ruft  der  Berner  Gott  und  Maria  an  466,  6ff.  471,  12.13.  474,8, 
wie  damals  Hildebrand,  er  denkt  an  seinen  meister  474,  wie  da- 
mals dieser  an  ihn  gedacht  hatte,  zuerst  zerhaut  der  riese  den 
waffenrock  Dietrichs  466,  12,  aber  dieser  spaltet  ihm  den  schild, 
469,7.8,  dann  wird  des  Berners  brünne  und  die  drachenhaut 
des  riesen  zerhauen  472,  3.  8;  lange  ist  der  kämpf  unentschieden: 
die  gegner  verwunden  einander  abwechselnd  :  Dietrich  den  riesen 
469,  11  ff.  472,  6 ff.  476,  7  ff  und  dieser  ihn  472,  3 ff.  473,  9  ff. 
zum  Schlüsse  geht  es  ans  verbinden  der  wunden  479,  6  ff.  484,  8  ff, 
die  befreiten  Jungfrauen  umarmen  und  küssen  ihre  retter  484 
(vgl.  180,  7  ff). 

Das  gespräch  Dietrichs  mit  seinem  meister  485  —  488  er- 
innert an  231  —  237  (=  h  110  —  116)  :  der  junge  beklagt  sich 
über  den  erzieher  und  die  frauen,  um  derentwillen  man  abenteuer 
bestehen  müsse,  Hildebrand  gibt  ihm  gute  lehren. 

Wie  in  Dietrichs  kämpf  gegen  die  80  mannen  des  beiden 
die  zahl  der  jedesmal  gefallenen  angegeben  wird  (D  hat  an  den 
angaben  der  vorläge  nicht  genug  und  vermehrt  sie) 2,  so  geschieht 
es    auch    in    dem   berichte   über    den   streit   Janapas   und   seine 

1  auch  im  folgenden  sind  die  zum  vergleich  herangezogenen  slrophen 
des  anfangs  eigentum  von  D.  -  vgl.  die  Zerlegung   der  zahl  80  in 

4  +  6  +  10-J-20  +  40  in  w  188—230. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  251 

50  mannen  :  zwölf  dringen  auf  Hildebrand  ein  435,  G;  elf  liegen 
tot  da  438,  3;  mit  einem  schlage  tötet  Liberlein  drei  43S,  12; 
bald  sind  dreifsig  erschlagen  440,5;  Janapas  selbst  füllt  445,3, 
und  nun  müssen  alle  ihr  leben  lassen  445,  7.  12.  unter  den 
beiden  ragt  hier  wie  dort  ein  namentlich  genannter  hervor  436,4; 
Hildebrand  erinnert  sich  im  getümmel  seines  herrn  442,  12.  13, 
die  beiden  rufen  ihre  götter  an  440, 7  ff,  die  Christen  Gott  und  die 
Jungfrau  441,  — alles  parallelen,  die  sich  noch  vermehreu  liefsen. 

Gemeinsam  ist  ferner  den  iuterpolationen,  die  D  im  beginne 
des  gedichts  einfügt,  und  der  fortsetzung  eine  vergröberte  auf- 
fassung  der  beiden  :  in  der  alten  dichtung  erscheint  Orkise  nur 
als  erbarmungsloser  feind,  D  aber  häuft  auf  ihn  und  sein  ge- 
schlecht alle  erdenkliche  schmach  :  sein  vater  sei  ein  menschen- 
fresser  gewesen  w  1,  4  ff,  der  in  teüfels  weise  gelebt  habe  1,  10; 
der  söhn  habe  die  art  des  alten  angenommen  1 ,  13.  die  ihm 
ausgelieferten  Jungfrauen  tötet  er  nicht  nur,  er  nimmt  ihnen  vor- 
her die  ehre  65,7—13.  117,7.8.  120,  7ff;  der  teufel  hat  ihn 
bisher  am  leben  erhalten  115,  4,  besiegt,  fleht  er  um  gnade. 
ganz  in  diesam  sinne  meldet  die  fortsetzung  von  der  pofsheit 
seines  sohnes  Janapas  418,  9  ff :  er  was  aller  eren  frei  und  aller 
schänden  schätz,  sein  herz  ivas  aller  trewe  los,  keins  mordes  in 
auch  nie  verdrofs,  unkeüschheit  in  behaicset,  auch  das  er  stets 
mainaides  pflag,  wie  sein  vater,  dem  auch  vor  eren  grawset.  ?on 
seinem  boten  heifst  es,  dass  er  die  herren  da  betrog,  sein  falscher 
munt  den  fürsten  log  427,  1.2,  und  so  sind  alle  seine  mannen, 
die  in  selbs  schände  merten  so  gar  mit  mördiglicher  tat.  der 
dichter  verflucht  ihren  falschen  rat,  der  ere  kan  vergiften,  wäh- 
rend Orkise  nach  dem  alten  gedichte  in  ritterlichem  kamp 
fallen  war,  greift  Janapas  zu  hinterlist  und  verrat,  wie  D  im 
anfang  den  gegensatz  zwischen  der  glänzenden  erscbeinui. 
beiden  und  seinem  schwarzen  innern  so  recht  herausgearbeitet 
hatte,  so  würkt  hier  der  contrast  zwischen  der  prachl  und  festigkeil 
der  heidenburg 4171'.  447,8  ff.  449  und  der  verworfenheil  ihres  Wirtes. 

Dies  alles  legt  den  gedanken  nahe,  dass  die  fortsetzung  D 
von  demselben  Verfasser  herrühre,  wie  die  Umgestaltungen,  di« 
D  im  anlange  aufweist. 

Formelle  kriterien  können  in  unserm  falle  naturj 
schwach  sein,     nichsdestoweniger  will  ich  hier  anfügen,  was 
mir  darüber  angemerkt  habe. 


252  LUNZER 

Wie  Zupitza  zu  Virginal  224,  4  constatiert,  kommt  das  wort 
recke  (im  ältesten  teile)  nur  an  dieser  stelle  vor,  und  zwar  'in 
etwas  humoristischer  anwendung'  :  der  kleine  recke  =  Bibung. 
die  Fortsetzung  h,  so  lang  sie  ist,  bietet  keinen  einzigen  sichern 
beleg  für  das  wort,  dagegen  ist  es  in  D  ganz  gebräuchlich,  uzw. 
ohne  humoristische  färbung;  meist  erscheint  es  in  w  im  reime, 
gelegentlich  wird  es  auch  durch  d  bestätigt  :  w  208,  6R.  420,  3  R 
(=  d  90,  3).  436,  3R  (vgl.  d  97,  4R.  99,  4).  480,  8R.  481,  3. 
auch  im  umgearbeiteten  Schlüsse1  erscheint  es  :  w  789,  3R. 
843,  3R.  845,  10  R.  in  d  kommt  es  noch  an  einigen  stellen  vor, 
wo  unsre  hs.  w2  ein  andres  wort  aufweist,  ihre  vorläge  aber  viel- 
leicht wie  d  recke  gehabt  hat  :  d  93,  9  (w  428,  9  herren,  429,  l 
fursten).  100,  4  (w  441 ,  1  cristen).  100,  13  (w  443,  9  degenl). 
101,  12  (w  447,  2  fursten).  102,  4  (w  449,  1  fursten).  119,  3 
(w  826,  3  herren,  826,  7.  11  fursten). 

Auffallend  ist  ferner,  dass  der  ausdruck  vrech,  den  der  äl- 
teste teil  gar  nicht,  die  fortsetzung  h  nur  einmal  (711,  3)  gebraucht, 
ein  lieblingswort  von  D  war  :  w  105,  13.  112,4.  141,  3  R.  141,12. 
143,  6.  371,  9.  376,  1.  391,  10R.  412,  8.  434,  1  R.  438,  8R. 
469,  9 R.  471,7.  486,10.  der  umgearbeitete  schluss  wendet 
dies  wort  nicht  an;  von  d  wird  es  nicht  bezeugt,  offenbar,  weil 
es  für  den  späten  Verfasser  des  auszugs  schon  die  nhd.  tadelnde 
bedeutung  angenommen  hatte,  unser  Schreiber  von  w  hat  es, 
so  weit  w  mit  h  verglichen  werden  kann,   nicht  hereingebracht. 

Andre  worte,  durch  deren  gebrauch  sich  D  von  dem  alten 
anfange  und  h  unterscheidet,  sind  (stahel)zein  86,  4  R.  97,  10  R. 
137,  4R.  148,  1R.  380,  4R.  435,  12.  774,  5R;  wedel  269,  1R. 
463,  1R;  vruot  71,  1R.  451,  4R.  789,  13R3;  geblüemet  (in  über- 
tragener bedeutung)  376,  10 R.  482,  12  4;  (über)krcenen  (gleich- 
falls in  übertragener  bedeutung)  366,  2.  369,  5R.  456,  13. 
839,  8R.  856,  6 R  (vgl.  482,  8)5;  der  sorgen  stric  400,  13 R. 
814,  9R6. 

Was  die  metrik  betrifft,  so  hat  Wilmauns  die  spätere  ab- 
fassung  von   h  250 ff  aus   dem    gebrauche  klingender  reime,    die 

1  einmal  auch  in  einer  plusstrophe  von  W  :  w  448,  8R. 

2  einigemal  hat  allerdings  erst  unser  Schreiber  von  w  das  wort  ein- 
geführt :  w  595,  3R  (h  riehen).  663,  12.  706,  2.  3  374,  9R  plusstrophe 
von  W,              4  448,  13  ebenfalls.     783,  11  in  der  eigentlichen  bedeutung. 

5  448,  10  plusstrophe  von  W.  6  409,  5R  plusstrophe  von  W. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 

mbd.    die   gestalt  1,^  haben  würden,   erkannt,     solche  reime  bat 
nun  allerdings  auch  unser  Schreiber  von  w  hereingebracht,  aber 

in  den  208  Strophen,  die  w  aus  dem  ursprünglichen,  von  dieser 
metrischen  neuerung  noch  freien  stücke  des  gedichts  erhalten 
hat,  nur  5  (w  98,  8.  191,  3.  6.  265,  8.  10) '.  dagegen  erscheinen 
in  den  80  Strophen,  die  D  in  diesen  kern  eingeschoben  hat, 
29  derartige  reime  (w  56,  6.  58,8.10.  65,8.10.  71,8.10. 
114,  3.  6.  120,  8.  10.  142,  3.  6.  157,  8.  10.  177,  3.  6.  197,  :;.  & 
S.  10.  200,3.6.  208,8.10.209,8.10.  239,3.6)  und  in  den 
138  Strophen  von  D  bis  w  770  28  fälle  dieser  art  (355,  8.  10. 
375,  8.  10.  384,  3.  6.  3S8,  8.  10.  397,  3.  6.  399,  3.  6.  423, 
443,  3.  6.  446,  8.  10.  464,  8,  10.  479,  3.  6.  482,  3.  6.  768,  3.  6), 
in  den  88  Strophen  des  umgearbeiteten  Schlusses  5  :  Sil ,  8. 
844,  3.6.  857,  3.6.  das  erlaubt  wol  die  folgerung,  dass  auch 
die  interpolationen  und  die  fortsetzung  D  bereits  worte  von  der 
gestalt  mhd.  ~L^  als  klingende  reime  verwendet  hat,  also  nicht 
von  dem  dichter  jener  partie  herstammen,  der  dieser  gebrauch 
noch  fremd  war. 

Fragt  man  :  warum  sollte  der  Verfasser  des  anfangs  sein  ge- 
dieht unvollendet  gelassen  haben?  so  lässt  sich,  abgesehen  von 
der  möglichkeit  eines  aufsein  hindernisses,  leicht  eine  innre  Ur- 
sache angeben,  die  ihn  bewogen  haben  kann,  gerade  mit  h  2:\'j 
abzubrechen  :  die  handlung  war  bis  zu  einem  entscheidenden 
punete  gediehen  :  zu  beginn  hatte  der  dichter  angekündigt,  was 
für  taten  seine  beiden  würden  zu  verrichten  haben  :  es  gelte,  die 
königin  von  ihrem  heidnischen  bedränger  zu  befreien  li  2,  8 — 13. 
w  25.  d  4,  6  ff.  dabei  sollte  Dietrich  aueb  mit  wurmen  utrUmn 
h  18,6.  w  49,6.  d  8,  6  (d  irrtümlich  mit  Reiben,  weil  bisher  nur 
von  dem  beiden  [Orkise]  die  rede  gewesen  war-),  ferner  h  !9,  12. 
d  9,3  und  h  21,6.  d  9,  10  (in  w  fehlt  das  betreffende  blau),  die 
absieht  Hildebrands  dabei  i>t ,  dass  sein  berr,  der  Ins  dahin  da- 
heim gelegen  ist  und  gemaches  gepflegen  hat  (h  18,  I.  5.  »i    1'.'.  1-  5. 

1  von  der  fortsetzung  li  hat  w  2(>5  Btrophen  übernommen;  in 
hat  er  20  reime  der  neuen  art  seihst  gemacht,  5  (zoflHKg)  bese  I 
gibt  sich  also  auch  liier  nur  ein  plus  von  15  reimen. 

2  auch  Znpitza  (anm.  zu   Virg.    18,6)  meint  : 'stall 

man  heideri  und  wirft  dem  dichter  'gedankenlestgkett'  ror  : 

aber,  dass  der  Verfasser  hier   den  zweiten   pum 

Dietrich  soll  eben  nicht  nur  mit  Heiden,  Bonden  auch  mit  wurmt 


254  LUNZER 

(1  8,  4.  5),  nun  äventiure  kennen  lerne  (h  2,13.  18,  3.  13. 
w  49,  3.  13.  d  8,  3)  :  dieses  ganze  programm  ist  bis  h  239  aus- 
geführt :  die  königin  ist  befreit1,  der  Berner  hat  mit  neiden 
(h  72—109.  w  187—230.  d  30—38)  und  mit  drachen  gekämpft 
(h  143—146.  168.  169.  171—176.  w  266— 270.  291—298.  d  48. 
56,  1 — 58,4).  mit  diesen  abenteuern  war  also  geschehen,  was 
der  dichter  verheifsen  hatte*;  nur  die  Zusammenkunft  der  königin 
mit  ihren  rettern,  deren  notwendigkeit  sich  im  verlaufe  der  er- 
zählung  ergeben  hat,  steht  noch  aus,  und  hier  beginnt  die 
Schwierigkeit,  —  hier  bricht  auch  das  alte  gedieht  ab  :  wie  soll 
sich  die  sache  weiter  entwickeln?  wenn  ein  ritter  eine  Jungfrau 
vor  einem  ungeheuer  befreit  hat,  so  schliefst  sage  oder  märchen 
naturgemäfs  mit  ihrer  Vermahlung,  in  unserm  gedichte  hat  Hilde- 
brand die  Madius  gerettet;  ein  interpolator  denkt  denn  auch  einen 
augenblick  daran,  aus  beiden  ein  paar  zu  machen  :  w  79,  4  ff,  — 
es  ist  aber  untunlich,  da  Hildebrand  schon  eine  gemahlin,  Ute, 
besitzt.  Dietrich  würde  seinem  ränge  nach  zu  der  königin  passen, 
allein  auch  von  dieser  Verbindung  weifs  die  echte  sage  nichts, 
die  ihm  Herrat  zugedacht  hat.  der  Verfasser  des  anfangs  wollte 
nun  einerseits  nicht  gegen  die  tradition  verstofsend  ihm  die  be- 
freite königin  vermählen,  anderseits  widerstrebte  es  ihm  vom  poe- 
tischen standpunete,  das  gedieht  mit  einem  kühlen  auseinander- 
gehn  schliefsen  zu  lassen,  und  so  blieb  es  unvollendet,  von  den 
beiden  fortsetzern  aber  hat  jeder  eine  der  beiden  möglichkeiten 
durchgeführt  :  D  schliefst  mit  der  heirat,  h  mit  dem  abschiede 
Dietrichs2,  im  alten  kerne  aber  weist  nichts  darauf  hin,  dass 
dem  dichter  eine  Verbindung  des  Berners  mit  der  königin  als  ziel 
vorgeschwebt  habe3,  die  königin  hat  nicht  einmal  einen  namen. 
Dietrich  wird  bei  jeder  gelegenheit  als  sehr  jung,  unerfahren  und 
der  schule  des  lebens  bedürftig  hingestellt;  nicht  er  erwirbt  sich 
um  die  befreiung  der  königin  das  gröste  verdienst,  sondern 
Hildebrand,  der  ihren  bedränger  Orkise  tötet,  während  sich  der 

1  die  worte  Bibungs  Nun  sin  wir  noch  niht  erlöst  usw.  (h  232,  1  ff) 
stehn  in  einer  Strophe,  die  dw  nicht  kennen,  aufserdem  ist  das  nur  eine 
höflichkeit,  die  die  einladung  dringender  machen  soll. 

2  allerdings  auch  nicht,  ohne  das  minnemotiv  mehrmals  anzuschlagen, 
am  deutlichsten  h  972—974. 

3  stellen  wie  h  239,  7  ff  sind  ganz  allgemein  gehalten  und  widersprechen 
eher  einer  solchen  Vermutung. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT  255 

Berner  nur  mit  dessen  mannen  herumschlägt  und  auch  diesen 
kämpf  nur  mit  hilfe  seines  meisters  beendet l. 

Nach  all  dem  scheint  mir,  dass  das  alte  gedieht  sich  nur  bis 
zu  der  stelle  reconstruieren  lasse,  wo  das  gemeinsame  Zeugnis 
der  drei  fassungen  aufhört,  das  ist  bis  h  239.  weiter  reicht  der 
älteste  teil  auch  in  h  nicht;  zwar  finden  sich  die  ersten  klingen- 
den reime  vom  typus  mhd.  i^  erst  h  258,  3.6,  allein  schon  211 
wird  die  abfassung  eines  jener  briefe  angeregt,  die  für  h  cha- 
rakteristisch sind,  und  in  240  erscheint  ein  neuer  name  —  Fa- 
lentrins  —  für  das  tüchterlein  Helferichs,  das  bis  dahin  naineu- 
los  gewesen  war. 

Als  sichrer  bestand  des  kerns  lassen  sich  erkennen  die 
Strophen  h  1.  2.  9.  10.  13—78.  93—165.  170—211.  213—215. 
217—230.  233—239. 

Dieser  kern  enthielt  schon  die  keime,  die  dann  jede  der 
beiden  fortsetzungen  nach  ihrer  art  weiter  entwickelt  hat  :  die 
wichtigsten  personen  und  ihre  Charaktere;  die  art,  die  beiden 
beiden  ihre  abenteuer  gesondert  bestehn  zu  lassen  und  sie  dann 
zusammenzuführen;  eine  bequeme  technik,  die  die  interpolatoren 
und  fortsetzer  keineswegs  durch  strenges  beispiel  bindet,  indem 
weder  widerholungen'2  noch  Widersprüche3  vermieden  werden; 
beispiele  für  kampfschilderungen  und  höfische  empfange  und  vor 
allem  einen  charakteristischen  landschaftlichen    Hintergrund  :  das 

1  dass  der  interpolator  und  fortsetzer  D  auch  nicht  anders  verfährt  als 
der  dichter  des  kernes,  ist  doch  wol  anders  zu  beurteilen  :  er  hatte  eine  ge- 
gebene Sachlage  vor  sich,  und  wenn  er  auch  motiviernngen  udgl.  einschob 
und  in  manchem  über  die  andeutungen  seines  Originals  hinausgieng,  so  konnte 
er  sich  doch  in  anderm  an  das  beispiel  der  vorläge  hallen,  und  Beine  \"i 
sorge  für  kommendes  erstreckte  sich  nicht  allzuweit  voraus. 

2  schon  Zupitza  vergleicht  h  16,  11  =  17,  13.  52,  8  —  95,  8.  120,  10. 12 
=  123,10.12.  178,6-9=192,6-9.  183,7  —  194,13.  202,11  =22:..  H. 
201ff  und  225,  7  fT.    man  füge  etwa  hinzu  57,  5— 11  und  133. 135 f;  110—115 
vgl.  175,7  fr.  204f.  235  f.     dinge,  die  der  leser  schon  erfuhren  hat,    •• 
durch  personen  des  gedichts  wider  erzählt:  116  vgl.  5U— 55.  tiu— 71.   I"i> 
132  vgl.  50-55.  60—78.  93—109;  180  vgl.  154;  1811  vgl.  141 

vgl.  124ff.     die  art,   in  der  die  lortsetzum;  h  das  gedieht  durch  hl 

botengänge  verlängert,  ist  bereits  durch  die  rolle  Bibnngs  vor( 

3  das  gedieht  behandelt  Dietrichs  erste  ausfahrt  und  stellt  den 
immer  wider  als  ganz  jung  und  anerfahren  bin;  gleicl 

und  breit  berühmt  :  69,  1.2.  162,6-11.    auch  II.  2. 
wenitc. 


256  LUNZER 

richtig  angeschaute  und  mit  lebhafter  empfindung  widergegebene 
bild  der  sommerlichen  gebirgsnatur  mit  ihren  schroffen  gegen- 
sätzen  von  Wildheit  und  anmut1. 

Von  den  beiden  fortsetzungen  heftet  sich  h  mit  Strophe  240 
unmittelbar  an  das  alte  gedieht,  D  gestaltet  die  letzten  Strophen 
(h  234  —  239)  um  und  fährt  erst  dann  mit  eigenem  fort,  die 
fortsetzung  h  scheint  mir  die  ältere  zu  sein,  das  ergibt  sich  ein- 
mal aus  der  ungeänderten  fassung,  in  der  sie  diese  letzten  Strophen 
bietet,  dann  daraus,  dass  die  interpolationen  des  anfangs  von  D 
den  namen  Madius2  Kennen;  dieser  ist  aber  von  dem  Verfasser 
der  fortsetzung  h  erfunden,  in  der  er  zuerst  in  Strophe  260,  7 
—  in  einem  briefe  —  erscheint,  auch  sonst  erklärt  sich  die  ent- 
stehung  von  D  leichter,  wenn  die  fortsetzung  von  h  bereits  vor- 
lag, als  das  umgekehrte  :  der  ältere  dichter  liefs  das  gedieht,  der 
echten  sage  zu  liebe,  ohne  Vermählung  Dietrichs  enden;  dies  ge- 
fiel dem  Jüngern  nicht;  wollte  er  aber  den  Berner  mit  der  Kö- 
nigin verbinden,  so  war  die  episode  auf  Mauter  wegen  der  be- 
ziehungen,  in  die  dort  Dietrich  zu  der  Jungfrau  Ibelin  (in  w  Lo- 
rina) tritt,  störend  und  wurde  deshalb  durch  die  abenteuer  auf 
Orteneck  ersetzt,  auch  die  vielen  briefe  mit  ihren  endlosen  wider- 
holungen  konnten  dem  Verfasser  von  D  zuwider  gewesen  sein.  — 
wäre  dagegen  D  das  ältere  gedieht,  so  müste  man  annehmen,  der 
spätere   fortsetzer    habe    mehr   rücksicht  auf  die   heldensage    ge- 

1  rauhe  steige,  eng  und  schmal,  führen  über  hohe  berge,  wilde  tobel 
und  tiefe  täler;  der  kalte  brunnen  bricht  aus  harten  felsen,  er  nimmt  manchen 
fall  und  rinnt  durch  den  grünen  tann  mit  seinem  vogelsang  und  seinen 
Schrecknissen  hinab  in  die  blühende  aue,  die  sich  vor  des  Steines  wand  hin- 
zieht; dort  lachen  blumen  durch  den  klee ,  von  kühlem  taue  nass,  und  die 
töne  von  galander  und  nachtigall  hallen  durcheinander;  eine  hohe  feste  zieht 
sich  auf  gegen  die  lüfte,  zu  ihren  türmen  reicht  keine  Schleuder  mit  ihrem 
wurf,  der  graben  ist  wol  hundert  klafter  tief  in  ganzen  fels  gehauen,  ein 
schnelles  wasser  läuft  hindurch;  vor  der  bürg  ligt  ein  anger  mit  blumen 
und  gras,  auf  ihm  steht  eine  linde,  die  gibt  schatten  für  tausend  mann  und 
tost  vom  winde,  und  über  alles  breitet  sich  der  wolkenlose  sonnenglanz 
des  leuchtenden  sommertages,  oder  es  fahren  gewitterschläge  hin,  von  denen 
der  wald  entbrennt. 

2  den  namen  Virginal  konnte  D  nicht  brauchen,  da  seine  bedeutung 
(virgo)  dem  Schlüsse  widersprach,  den  er  dem  gedichte  zu  geben  beabsich- 
tigte. —  vielleicht  hängt  Gamazitus,  wie  der  name  der  von  Hildebrand  be- 
freiten Jungfrau  in  h  zuerst  lautet,  mit  ital.  gamoscio  (gemse),  der  ihres  be- 
drängers  Orkise  mit  ital.  orco  (Werwolf)  zusammen  :  an  deutsch- welscher 
Sprachgrenze  spielt  sich  ja  die  ganze  handlung  ab. 


ÜBER  DIETRICHS  ERSTE  AUSFAHRT 


nommen  als  sein  Vorgänger;  auch  wüste  man  eicht,  warum  er 
die  Ortenecker  episode  durch  Dietrichs  gefahgensebaft  au!  Mauter 
ersetzt  hätte;  das  Verhältnis  zu  lhelin  führt  ja  auch  in  h  zu  nichts; 
sagte  dem  Verfasser  von  h  Dietrichs  beirat  nicht  zu,  so  hätte  ei 
nur  nötig  gehaht,  den  schluss  von  D  zu  ändern. 

Dass  dann  noch  heide  fortsetzungen  oder  bearbeitungen,  uzw. 
jede  mehrmals  und  von  verschiedenen  männern,  ioterpolierl  wor- 
den sind,  und  die  art,  wie  sie  schliefslich  in  w  zu  ei  Dem  ganzen 
zusammengeschweifst  wurden,  hahe  ich  im  frühem  zu  zeigen 
gesucht. 

Weitere  aufschlösse  haben  wir  zu  erwarten,  wenn  Schönbach 
seinen  plan  ausführt  und  sich  nach  den  dichtungen,  die  er  in  Beinern 
werke  Das  Christentum  in  der  altdeutschen  heldendichtung  schon 
untersucht  hat,  auch  der  Virginalgruppe  (aao.  s.  vj  zuwendet. 
Feldkirch  in  Vorarlberg.  JUSTÜS  LUNZER. 

ZU  MORIZ  VON  CRAON. 

1)  Cassaisdra  die  Stickerin,  die  zeitliche  aiiselzung  uVs  'Moriz 
von  Craon',  den  ich  (Zwei  altdeutsche  rittermaeren  s.  xlV)  im 
gegensatz  zu  Haupt  und  Scherer  ins  zweite  Jahrzehnt  d*'s  13  |hs 
hinabgerückt  habe,  hat  im  allgemeinen,  in  der  kritik  wie  in  pri- 
vaten Zuschriften,  beifall  gefunden  :  der  Widerspruch  RMMeyera 
(Zs.  39,  324  ff)  stand  in  zu  engem  zusammenhange  mit  seiner  mir 
unannehmbaren  bypothese  von  der  Zugehörigkeit  des  werkchens 
zu  Bliggers  verlorenem  'Umbehanc',  als  dass  er  mich  hätte  um- 
stimmen können,  die  zweifei  freilich,  die  Meyer  speciell  - 
eine  benutzung  von  Gottfrieds  Tristan  durch  den  dichter  des 
MvC.  geäufsert  hat,  sind  mir  öffentlich  (von  Schönbach  Österreich. 
litieraturbl.  1S95  nr  2)  und  in  zuschritten  der  freunde  widerholt 
entgegengehalten  worden  —  und  heute  hm  ich  selbst  in  der 
läge,  die  wichtigste  stütze  dieses  Zusammenhangs  bedenklich  cu 
erschüttern,  wo  nicht  gar  umzustofsen. 

Es   handelt   sich  um   die  merkwürdige  stelle   v.  1135 ff,    "" 
es  von   dem  kostbaren  bette    dessen    unverbrennbares 
Vulcanus1  (v.  1122)  war,  weiter  heifst: 

1  die  hs.  hat  bulcanut,  und  gerade  durch  dies« 
Vulcanus  für  ihre  dem  original   sein    oaJx 
kann  mich  darum  auch  jetzt  oichl  enlsch  ii 
folgt)  eine  Verderbnis  von  ebanut  (odei    / 
Z.  F.  D.  A.  XLIII.     N.  F.  WM 


258  SCHRÖDER 

dar  obe  lac  ein  golter  da, 

ich  wcene,  frou  Cassandrd 

ie  bezzer  werc  gemehte 

oder  dehein  ir  geslehte. 
für  die  meisterschaft  der  Cassandra  in  weiblicher  handarbeit  fand 
ich  früher  in  der  mittelalterlicben  litteratur  so  wenig  einen  an- 
hält wie  in  der  antiken  :  mit  alleiniger  ausnähme  einer  stelle 
des  Tristan,  wo  einigermafsen  auffällig  der  göttliche  schmied 
Vulkan  (4930)  und  min  frou  Cassander  (4948)  in  einem  atem 
genannt  und  nachher  geradezu  zu  einem  künstlerpaar  Vulkan 
und  Cassander  (4970)  zusammengeschlossen  werden,  jetzt  aber 
hat  mir  das  Studium  des  Roman  d'Eneas  und  seine  vergleichung 
mit  Veldekes  Eneide,  die  zu  einer  fortwährenden  rücksichtnahme 
auf  die  lesarten  nötigte,  die  bekanntschaft  einer  stelle  verschallt, 
die  zu  beweisen  scheint,  dass  das  mittelalter  schon  vor  Gottfried 
von  Strafsburg  der  Cassandra  eine  hervorragende  begabung  in 
der  vornehmsten  weiblichen  handarbeit,  in  der  stick kunst  zu- 
schrieb —  und  gerade  davon  ist  im  MvC.,  nicht  aber  im  Tristan 
die  rede!  bei  der  eingehnden  beschreibung  der  totenbahre  der 
Camilla  heifst  es  in  der  ausgäbe  des  Roman  d'Eneas  von  Salverda 
de  Grave  (Halle  1891): 

7451  coste  de  paile  ot  en  la  biere 

ki  kovri  tote  la  litiere 


7457  la  coste  esteit*  et  longue  et  lee,  *fu  EFG 
de  cafe  enbafe  (1)  esteit  brosdee. 
hierzu  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass,  wie  ich  schon  bei  Kraus 
Veldeke  und  die  mhd.  dichlerspracbe  s.  185  ausgesprochen  habe 
und  wie  mir  inzwischen  Herrn.  Suchier  bestätigt  und  erläutert 
hat,  für  coste  das  colte  der  hss.  H1AD  l  einzusetzen  ist  :  'coste 
7451.  7457  [uö.]  ist  eine  späte,  also  hier  schlechte  form  für 
colte  (in  Jüngern  hss.  auch  coute,  couste)  mit  stummem  s,  und  o 
für  ou'.  —  'de  cafe  enbafe'  7458  ist  dem  herausgeber  selbst 
(Glossaire  p.  419\  428b)  kauderwälsch,  das  er,  der  hs.  A  folgend, 
nur  darum  im  text  belassen  hat,  weil  ihm,  wie  er  mir  freundlichst 
schreibt,  'wegen  der  partiellen  Übereinstimmung  mit  D  in  diesem 

1  der  apparat  schreibt  die  la.  colte  nicht  nur  7451,  sondern  auch  7457 
diesen  vier  hss.  zu,  aber  nach  der  (richtigen)  angäbe  zu  7455  fallen  die 
hss.  HI  für  v.  7455—7459  aus. 


ZU  M0R1Z  VON  CK  AON 

unverständlichen  ausdruck  doch  wol  das  rechte  zu  stecken  Bchien'. 
in  betraclit  kommen,  da  III  hier  ein«  Ittcke  aufweisen  (s.  laa.  zu 
7455),  die  hss.  I)  :  de  catalafe,  C  :  doer  en  autre,  und  Bchliefslich 
die  zur  gruppe  y'  (Salverda  de  Grave  p.  xn)  gehörigen  mss.  EFG 
deren  lesung  ich  hier,  aufs  liebenswürdigste  unterstütz!  von 
Suchier  und  dem  herausgebet*  selbst1,  buchstäblich  genau  an- 
führen kann: 

E  :  a  .1.  cass andre  estoit  brosdee 
V  :  a  .1.  c  aus  andre  estoit  brosdee 
G  :  od  ./.  cassand'  estoit  orlee1. 
ein  appellativum  cassandre  (causandre)  gibt  es  nicht  :  dir  schreibet 
haben  mit  dem  hier  vorliegenden  eigennamen  sämtlich  nichts  an- 
zufangen gewust;  Suchier  vermutet  zweifelnd  für  du'  gruppe  EFG 
(a  un  cassandre)  eine  muttetiesart  a  ues  Cassandr?,'' ,  für  dir 
hss.  ACD,  die  den  vers  sämtlich  mit  de  beginnen,  aber  das  fol- 
gende wort  total  zerstört  haben,  de  Cassandra.  in  jedem  falle 
steht  soviel  fest,  dass  im  Roman  d'Eneas  bei  der  beschreibung 
einer  kostbar  ausgestatteten  bahre  die  gestickte  'colte'  mii  dei 
persou  der  Trojanerin  Cassandra  zusammengebracht ,  wahr- 
scheinlich ihrer  kunstfertigkeit  zugeschrieben  wurde,  da  Camilla. 
die  auf  dieser  bahre  beigesetzt  wird,  eine  Zeitgenossin  der  Cas- 
sandra war,  so  erscheint  die  sache  nicht  ohne  weiteres  sinnlos. 
im  'Moriz  von  Craon'  handelt  es  sich  um  ein  prunkbett,  Ar^^n 
golter  so  kunstreich  war,  dass  Miau  Cassandra'  Kein  bes 
werk  geschaffen  haben  könne,  neben  der  deutlichen  Überein- 
stimmung dieser  beiden  stellen  tritt  die  Tristanpartie  durchaus  zu- 
rück: zu  ihr  hab  ich  ja  meine  Zuflucht  überhau pl  nur  genommen,  weil 
ich  die  rolle  der  Cassandra  als  meisterin  in  weiblicher  hand- 
arbeit  für  eine  erfindung  Gottfrieds  hielt,  mochte  min  .'in,-  trü- 
bung  seines  gedäcbtnisses  vorliegen,  oder  mochte  '•<  im  Beben 
die  wise  Trojerinne  (4949)  ans  der  prophetie  an  die  Bufg 
des  frauengemachs  zurückverweisen,  im  Tristan  heifsl  es  ron 
der  ausrüstung  des  beiden,  'Vulkan  nml  Cassandra'  bätten  dir 
einzelnen  teile,  jener  die  waffen,   diese  die  gewänder  oichl  kos 

1  den  mein  briel  gerade  in  Frankreich  erreicht 
war,  die  hss.  selbst  in  l';ms  aufs  neue  eu  vergleichen. 

-   orlee    (nfz.   ourlee)    ist    eine   bedeutung« 
(nfz.  brodee). 

3  a  ues  (-ad  opus')  im  Binne  unseres  'für*. 


260  SCHRÖDER 

barer  herstellen  können,  und  mit  anscheinend  humoristischer  lob- 
preisung  der  schneiderkünste  Cassandras  wird  hinzugefügt  :  der 
geist  ze  himele,  als  ich  ez  las,  von  den  goten  gefeinet  was. 

Nun  hab  ich  RitterniBeren  s.  xn  gezeigt,  dass  der  dichter 
des  MvC. ,  der,  wie  ich  unten  nochmals  erhärten  werde,  eine 
französische  vorläge  benutzte,  aufserdem  des  Benoit  de  SMore 
Roman  de  Troie  im  original  gekannt  hat;  durch  Martin  Zs. 
36,  203  f  wissen  wir  ferner,  dass  der  prolog,  welcher  die  Über- 
tragung des  rittertums  von  Griechenland  über  Rom  nach  Frank- 
reich darlegt,  dem  Cliges  des  Chrestien  nachgebildet  ist.  es  steht 
nichts  im  wege,  in  seine  kenntnis  der  französischen  lilteratur 
auch  den  Roman  d'En6as  einzuschliefsen  und  in  der  erwähnung 
von  Cassandras  stickkunst  eine  reminiscenz  aus  ihm  zu  erblicken. 

Geb  ich  also  meine  frühere  auffassung,  unser  poet  habe  sein 
wissen  von  Cassaudra  als  meisterin  im  frauenwerk  aus  Gottfried 
von  Strafsburg  geschöpft,  preis,  so  ist  damit  keineswegs  gesagt, 
dass  nunmehr  die  von  Meyer  aao.  325  empfohlene  umgekehrte 
ausdeutung  des  Verhältnisses  am  platze  sei.  denn  nachdem  wir 
in  der  französischen  litteratur  die  Cassandra  würklich  als  Stickerin 
eines  'golters'  gefunden  haben,  hat  die  ähnlichkeit  der  stellen  des 
Tristan  uud  des  MvC.  ihr  auffälliges  eingebüfst.  wir  werden  also 
derjenigen  deutung  den  Vorzug  geben,  welche  die  beste  Inter- 
pretation Gottfrieds  liefert,  ich  habe  aao.  s.  xv  hervorgehoben, 
dass  der  ganze  abschnitt  des  Tristan  'von  liebenswürdiger  ironie 
gegen  meister  Veldeke  .  .  .  durchtränkt'  sei,  und  Meyer  Zs.  39,325 
stimmt  mir  darin  ausdrücklich  bei.  Gottfrieds  scherz  ist  etwa 
der  :  'ja,  wenn  ich  es  machen  wollte  wie  HvVeldeke  in  seinem 
Aeneas-romau,  dann  müst  ich  jetzt  für  Tristans  waffen  den  götter- 
schmied  Vulcan  und  für  seine  kleider  die  fürstliche  Schneiderin 
Cassandra  bemühen',  wie  kam  er  zu  dieser  Verknüpfung?  schwer- 
lich wie  Meyer  meint,  indem  seine  erinnerung  von  jener  stelle 
der  Eneide,  die  von  dem  smedegode  Vulcan  handelt  (En.  5602 ff), 
auf  das  holz  von  Vulcdnus,  das  un verbrennbare  holz  von  einem 
feuerspeienden  berge  MvC.  1122  f,  überglitt,  und  er  nun  auch  die 
kunstverständige  Cassandra  von  ebendort  1136  ff  heranholte,  viel- 
mehr combinierte  er  die  Eneide,  in  der  nur  von  den  künsten  des 
Vulcan  die  rede  ist,  unwillkürlich  oder  in  übermütiger  laune  mit 
dem  Roman  d'Eneas,  wo  auch  die  kuustfertigkeit  der  Cassandra 
gerühmt  wird,  aber  ohue  dass  davon  etwas  in  Veldekes  bearbei- 


ZU  MORIZ  VON  CRAON  261 

tung  übergegangen  wäre  :   denn  Veldeke  beschreibt   das  im  R 
man  7451  ff  geschilderte  kolter  v.  9300  ff  mit  eigenen  färben,  ohne 
die  Cassandra  zu  erwähnen. 

Also  Gottfried  soll  ebenso  wie  der  dichter  <\r>  MvC.  (der  ja 
auch  kenntnis  Veldekes  verrät)  neben  der  Eneide  den  Roman 
d'Eneas  gekannt  haben?  heifst  das  nicht,  der  litteraturkenntnis 
der  poeten  um  1200  etwas  viel  zugemutet?  ich  glaube  nicht, 
vielmehr  bin  ich  der  meinung,  dass  wir  im  allgemeinen  die  be- 
kanntschaft  der  litteraturfreunde  und  der  dichter  jener  ta^i-  mit 
französischen  originalwerken  leicht  unterschätzen,  es  ist  damals 
nicht  anders  gewesen  wie  heute,  wo  wir  uns  zwar  für  Zola  un  I 
Paul  Bourget  mit  dem  original  —  oder  mit  der  Übersetzung  be- 
gnügen, aber  wenn  Ludwig  Fulda  den  Cyrano  de  Bergerac  über- 
setzt, das  geistreiche  werk  Edm.  Rostands  in  doppelter  gestalt  ge- 
niefsen.  speciell  für  Gottfried  mücht  ich  hier  recht  nachdrück- 
lich auf  ein  Zeugnis  hinweisen,  das  mir  lange  nicht  genügend 
gewürdigt  scheint,  es  handelt  sich  um  die  berühmte  kritik, 
welche  der  Strafsburger  im  Tristan  4663 ff  an  dem  deutschen 
Parzival,  dh.  an  dessen  sechs  ersten  büchern  übt.  die  worte,  mit 
denen  seine  Charakteristik  des  ungenannten  Wolfram  einsetzt  i 
vindeere  wilder  meere,  der  moere  wildenwre  haben  nur  im  munde 
dessen  sinn  und  berechligung,  der  sich  in  der  läge  sah,  den 
'phantastischen  roman'  seines  deutschen  kunstgenossen  mit  der 
quelle  zu  vergleichen  —  und  diese  erblickte  er  wol  mit  recht 
in  dem  werke  Chrestiens  von  Troyes,  dem  die  beiden  ersten 
bücher  Wolframs  fehlen. 

2)  Die  quelle  des  deutschen  Gedichtes,     ich  darl  die« 
legenheit   nicht   vorübergeh n   lassen,    ohne   noch  einmal  auf  die 
frage  nach  der  unmittelbaren  vorläge  unseres  werkehena  lurück- 
zukommeu.    Gastou  Paris  hat  in  einer  anzeige  der  Riltermaeren  in 
der  Romania  23,46611',    durch    welche   er   Beine  landsleute    mit 
dem  interessanten  deutschen  poem  bekannt  machte,  gleicbseil 
abgelehnt,    in   der   quelle  desselben   eine   bereieberung   der  alt- 
französischen  litteratur  zu  erblicken,  und  mit  grofser  entacl 
heit  betont  (s.  472),  dass  die  gereimte  abfassung  und  ▼erbreiti 
eines  derartigen  scandalgeschichtchens  mit  ungescheuter  i    nnuu« 
der  hauptpersonen,    die   der  besten   ariatokratiachen 
angehörten  —  und  min  gar  bei  lebzeiten  de«  einen  odei 
beteiligten!  —  etwas  unerhörtes  und  undenkbares 


262  SCHRÖDER 

inilieu  courtois  et  galant  du  xnc  siecle,  on  sait  que  la  premiere 
condition  imposee  ä  l'expression  poetique  de  l'amour  [!]  6tait  le  se- 
cret  le  plus  absolu  sur  la  dame  mise  en  cause',  nun,  zunächst 
gilt  dies  verschweigen  des  namens  der  dame  doch  nur  für  die 
lyrische  poesie  und  für  den  liebhaher  seihst  —  und  soweit  wird 
es  ja  in  Deutschland  ganz  ähnlich  gehalten  wie  in  Frankreich, 
möglich  auch  und  begreiflich,  dass  die  höfische  gesellschaft  trotz 
allen  klatschsüchtigen  elementen,  die  sie  gewis  barg,  in  der  Wah- 
rung dieses  brauches  vor  der  öffentlichkeit  ein  stillschweigendes 
einverständnis  zeigte,  aber  ich  bin  auch  ganz  und  gar  nicht  der 
meinung,  dass  das  französische  gedieht,  das  ich  als  vorläge  an- 
nehme, aus  dieser  gesellschalt  selbst  hervorgegangen  sei,  dh. 
einen  ritterlichen  herrn  zum  Verfasser  habe,  warum  es  jedoch  ein 
anglonormannischer  Jongleur  etwa  nicht  gewagt  haben  sollte,  von 
den  angevinischen  liebesabenteuern  Morizens  am  englischen  königs- 
hofe  auszuplaudern  und  ihm  dabei  eine  bisher  herrenlose  pikante 
anekdote  anzuhängen  —  das  seh  ich  in  der  tat  nicht  ein.  wir  ge- 
winnen doch  wahrlich  nicht  viel,  wenn  wir  nach  dem  vorschlage 
von  GParis  (s.  473)  eine  lateinische  version  an  die  stelle  setzen: 
auch  der  geistliche  anekdotensammler,  dem  wir  diese  wol  zu 
verdanken  hätten,  müste  doch  ein  Zeitgenosse  der  hauptbeteiligten 
gewesen  sein  und  in  einer  gegend  und  für  ein  publicum  ge- 
schrieben haben ,  für  das  die  geschichte  mit  eben  diesen  namen 
erhöhten  reiz  erhielt,  ich  kann  also  diese  allgemeinen  bedenken 
nicht  anerkennen  und  verdanke  dem  vielseitigsten  kenner  der 
mittelalterlichen  poesie  für  diesmal  nur  eben  die  belehrung,  dass 
das  verlorene  gedieht  in  der  altfranzösischen  litteratur  genau 
ebenso  isoliert  dastehu  würde,  wie  das  uns  durch  eine  günstige 
fügung  erhaltene  in  der  deutschen. 

Wenn  GParis  weiterhin  (s.  473)  meint,  die  namensform 
Mauricms  lasse  gar  keine  andre  erklärung  zu  als  die  aus  einer 
lateinischen  quelle,  so  irrt  er  aus  entschuldbarer  Unkenntnis  der 
deutschen  namenkunde.  namen  wie  Mauritius,  Laurentius  waren 
damals  in  Deutschland  teils  noch  garnicht  im  brauch,  teils  entbehrten 
sie  der  nationalen  Umbildung  :  die  kürzung  zu  Moriz  ist  ganz 
jung,  die  einzig  mögliche  form  für  einen  autor  um  1200  wäre 
Maurizie  gewesen  (wie  Egidie,  Gregorie)  :  es  ligt  auf  der  band,  dass 
ein  reimender  dichter  mit  dieser  form  nicht  viel  anfangen  konnte 
(vgl.  aber  im  vers  608  hern  Mauricien).    anderseits  aber  war  ihm 


ZU  MOHIZ  VON  CRAON 

die  namensform  Mauritius  doch  zu  bekannt,  als  dass  er  Bich  zur 
beibehaltung  der  französischen  form  Maurice  (Mormes)  . 
«leren  Umformung  (etwa  zu  Morls)  hätte  enlschliefsen  m 
hat  doch  auch  Hartmann  von  Aue  in  seinem  'Guten  Sünder*,  für 
den  er  eine  französische  quelle  benutzte,  die  form  Gregorim 
(llectieri  Gregorio,  Gregorium)  für  reim  und  versinneres  absolut 
festgehalten!  dem  gegenüber  sind  die  durch  den  renn  gesicherten 
formen  Craün  (621.  825,  dazu  im  vers  272)  und  Beamunt  (268) 
entscheidende  beweise  gegen  eine  lateinische  quelle,  in  der  unsei 
autor  doch  wol  nur  das  V/e  Credone'  der  Urkunden  und  bistorikei 
und  ganz  gewis  nur  'de  Bellomonte'  gefunden  haben  könnte. 

Wenn  ich  den  Widerspruch  von  GParis,  wie  ich  vermute, 
durch  meinen  ersten  —  und  einzigen!  —  versuch,  deutsche  verw 
ins  allfranzösische  zu  retrovertieren,  nocli  verstärkt  haben  sollte 
(aao.  473),  so  geh  ich  das  Ungeschick,  mit  dem  ich  dem  einen 
eine  silhe  zuviel  aufgebürdet  hahe,  gern  zu,  ohne  dass  an  dei 
sache  etwas  geändert  wird,  eine  lateinische  quelle,  welche  ritter- 
liche angelegenheiteu  und  zustände  mit  einer  derartigen  liebe  für 
das  detail  schildert,  ganz  so  wie  wir  es  sonst  nur  in  der  dicb- 
tung  jener  zeit  gewohnt  sind,  erscheint  mir  auch,  ganz  allgemein 
genommen,  höchst  fremdartig  und  unglaublich  :  unglaublicher  Mi- 
die indiscretion,  die  GParis  keinem  seiner  dichtenden  landsleute 
zutrauen  möchte. 

Ich  halte  heute  noch  entschiedener  als  früher  an  der  fran- 
zösischen quelle  fest  und  bin  darin  nicht  zum  wenigsten  bestärkt 
worden  durch  eine  Untersuchung,  die  einer  meiner  frühem  Zu- 
hörer, herr  dr  HWilhelmi,  schon  vor  jähren  angestellt  hat,  ohne 
sie  zum  druck  zu  bringen,  wahrend  ich  (Rittermseren  s.  \wu 
in  dem  von  EMartin  (QF.  42,  28*.  Zs.  36,203)  nachgewiesenen 
altl'ranz.  fableau  'Le  revenant'  oder  'Du  Chevalier  qui  rei 
l'amor  de  sa  dame'  (zuletzt  bei  Montaiglon  el  Raynaud  Rei 
general  des  fahliaux  vi  138—146)  nur  eine  selbständige  ausge- 
staltung  der  gleichen  namenlosen  anekdote  erblickte,  welche  auch 
der  quelle  unseres  MvC.  zu  gründe  gelegen  hahe.  hat  mich 
dr  Wilhelmi  belehrt,  dass  zwischen  heulen  ein  directer  iitl 

rischer  Zusammenhang  bestehn  >>.    es  linden  siel 

Verschiedenheit   anklänge,    die    bei  mündlicher    iraditioi     i 
unwahrscheinlich  sind,  wie  bei  dem  von  GParis 
gang  des  MvC.  durch  eine  lateinische  fass 


264  SCHRÖDER  ZU  MORIZ  VON  CRAON 

zwei  hervorheben,  die  mir  jetzt  wider  bei  eigener  durchmusteruug 
aufgestofsen  sind,  die  eigentliche  erzählung  setzt  im  deutschen 
gedieht  ganz  ähnlich  ein  wie  in  dem  fableau : 

fableau  v.  2.  5.  MvG.  v.  263. 

m'estuet  conler  d'un  Chevalier       Da    was  ein    ritter,    deist    niht 

[lanc. 

n'a  pas  lonc  tans,  en  Normandie. 

als  der  held  in  die  kammer  des  ehepaars  eindringt  (in  MvC.  noch 
eh  er  es  tut)  heilst  es: 

fableau  v.  190  f.  MvC.  v.  1510 f. 

une  lampe  avoit  en  la  chanbre ,  JSü  bran  ein  Hehl  in  einem  glas, 
et  par  costume  ardoir  i  siaut.    daz  alle  naht  da  was. 

dieser  zug  ist  für  die  handlung  an  sich  bedeutungslos,  aber 
er  veranschaulicht  im  französischen  gedieht  im  rechten  moment 
die  Situation  :  beim  spärlichen  lichte  dieser  lampe  erblickt  der 
ehemann  den  'faux  revenant'l  bei  dem  deutschen  dichter  hin- 
gegen wird  diese  würkung  dadurch  zerstört,  dass  das  nachtlicht 
erwähnt  wird,  noch  ehe  Moriz  sich  entschliefst,  die  kammertür 
zu  öffnen,  ja  dass  hier  noch  ein  monolog  von  6  versen  einge- 
schaltet ist1. 

Das  uns  verlorene  französische  gedieht,  welches  die  nameu 
des  Maurice  de  Craon  und  der  vicomtesse  de  Reaumont  nannte, 
war  entweder  aus  der  gleichen  quelle  mit  dem  fableau  oder  gar 
aus  diesem  selbst  geschöpft,  es  besafs  gewis  nicht  das  hohe 
litterarhistorische  interesse,  welches  unser  'Moriz  von  Craon'  für 
die  deutsche  und  indirect,  als  beredter  zeuge  für  den  mächtigen 
eindruck  der  überlegenen  französischen  eultur,  auch  für  die  ro- 
manische philologie  besitzt,  aber  es  war  der  deutscheu,  stark  er- 
weiternden nachbildung  zweifellos  überlegen  durch  eine  straffe 
composition  und  durch  die  klarheit  der  Situationsschilderung, 
unsere  nachbarn  dürfen  das  fehlen  des  werkchens  gewis  beklagen 
—  und  ich  würde  mich  herzlich  freuen,  wenn  sich  GParis  nach- 
träglich doch  entschlösse,  diesen  Verlust  anzuerkennen  und  den 
verlorenen  oder  doch  deutsch  verkleideten  sprössling  altfranzösi- 
scher novellistik  nicht  noch  obendrein  zu  verstofsen. 

Marburg  i.  H.  EDWARD  SCHRÖDER. 

['  eine  mir  von  Roethe  unter  der  correctur  vorgelegte  ältere  Göttinger 
seminararbeit  (von  WBortfeldt)  kommt  zu  ganz  ähnlichen  ergebnissen  wie 
die  Untersuchung  von  dr  Wilhelmi.] 


EREK  UND  LANZELET. 

Seit  Lachmann  in  seiner  Iweinausgabe  die  frage  aufgeworfen 
hat,  ob  der  Lanzelel  Ulrichs  von  Zatzikhoven  von  Hartmanns 
poesie  beeinflusst  sei,  hat  sich  die  litterarische  forschung  wider- 
holt mit  diesem  gegenstände  beschäftigt,  trotzdem  ist  man  bis 
jetzt  noch  zu  keiner  allseitig  befriedigenden  antwort  gekommen. 
die  eine  gruppe  der  litterarhistoriker,  uzw.  die  stärkere,  betrachte! 
Ulrich  als  den  uachfolger  und  gleichzeitig  auch  als  den  ersten 
nachahmer  Hartmanns,  zu  ihr  geboren  neben  vielen  andern: 
Gervinus,  der  den  Lanzelet  'um  die  scheide  des  12  und  13  jhs., 
später  als  Hartmanus  Erec,  noch  ganz  in  dem  trocknen  tone  der 
meisten  gedichte  des  12  jhs.  geschrieben'  sein  lässt  (Gesch.  d.  d. 
dichtung  i5  442.  43);  Koberstein,  der  von  Ulrichs  'bekanntschali 
mit  Hartmanns  Erec'  spricht  und  den  Lanzelet  um  1195  setzt 
(Gesch.  d.  d.  natl.  i5  172);  ferner  WScherer,  der  gleichfalls  Ulrichs 
'anschluss  an  Hartmanns  Erec'  behauptet  (Gesch.  d.  d.  litt.5  186); 
endlich  FVogt,  der  von  Hartmanns  'bescheidnem  einflusse'  auf 
Ulrichs  Lanzelet  redet  (Pauls  Grundr.  u  1,  275). 

Der  andern  gruppe  zufolge  ist  Ulrich  der  Vorgänger  Hart- 
manns, sie  hat  nur  wenige,  aber  durchweg  sehr  beachtenswerte 
Vertreter;  zunächst  VVWackernagel,  in  dessen  Geschichte  d.  d.  litt. 
(i2  244)  Ulrichs  Lanzelet  an  der  spitze  der  höfischen  epik  steht: 
'der  zeit,  aber  nicht  dem  werte  nach,  noch  halb  altertümlich  und 
ungeschickt  als  in  den  anfangen  einer  neuen  rieh  tu  ng^.  als 
zweiter  ist  KGoedeke  zu  nennen,  bei  dem  es  heifst  :  'es  schein! 
nicht,  dass  Ulrich  sich  einen  deutschen  dichter  zum  muster  ge- 
nommen habe,  die  vermeinten  anklänge  an  Hartmanns  Erec  sind 
nicht  überzeugend'  (Grundr.  i2  84).  der  dritte  schließlich  ist 
Jßaechtold,  der  sich  am  rückhaltslosesten  ausspricht  :  'der  älteste 
hötische  epiker  unsers  landes,  überhaupt  neben  'lern  Niederrhein- 
länder  (!)  Eilhart  vOber»e  und  dem  mastrichter  Heinrich  vVeldeke 
der  früheste   bearbeiter   höfischer  Stoffe  in  Oberdeutschland,   isl 

Ulrich  vZatzikhoven,    der  dichter  des  Lanzelet Ulrich  be- 

einflusste  offenbar   einen    gröfsern,    Hartmann    fAue,    and   wies 
diesem  die  bahn  usw.'  (Gesch.  d.  d.  litt,  in  d.  Schweiz  s.  v~ 
diese  anfahrungen  zeigen  zur  genüge,  welche  unsicherheil  in  dei 
chronologischen   einorduung   Ulrichs   vZatzikhoven    berschl      der 
eiuzelforschung  ligt  es  oh,  hier  den  boden  zur  versUlndiguD 
ebnen. 


266  GRUHN 

DeD  reigen  derer,  die  in  Ulrich  einen  nachfolger  Hartmanns 
sehen,  eröffnet  RLachmann.  die  oft  citierte  stelle  in  den  anmer- 
kungen  zum  Iwein  v.  5426  lautet  (4  ausg.  s.  496)  :  'was  will  also 
die  erdichtete  jahrzahl  (1192)  gegen  Rudolf  vEms,  der  den 
vZetzinchoven  im  Alexander  zwischen  Gravenberc  und  Rliker  stellt, 
und  im  Wilhelm  vOrlens  zwischen  Rlikker  und  Gravenberc?  dass 
er  altertümlich  reich  in  der  spräche  und  ärmlich  in  der  dar- 
stellung  ist,  kann  nicht  beweisen,  dass  er  vor  dem  Erec  oder, 
wie  gar  behauptet  ist,  vor  der  Eneide  gedichtet  habe,  höchstens 
kann  man  daran  denken,  dass  der  Erec  und  der  Lanzelet  vielleicht 
mögen  gleichzeitig  sein  :  der  herausgeber  des  Lanzelets  hat  zu 
untersuchen,  ob  sich  der  einfluss  Hartmannischer  poesie  nach- 
weisen lasse',  in  dieser  bemerkung  sind  folgende  puncte  wichtig: 
1)  für  die  Chronologie  beruft  sich  Lachmann  auf  das  zeugnis 
Rudolfs  vEms;  2)  die  abhängigkeit  des  Lanzelet  vom  Erek  wird 
nicht  behauptet,  sondern  nur  als  möglich  angedeutet;  3)  es  wird 
nicht  bestritten,  dass  Erek  und  Lanzelet  gleichzeitig  sein  könnten, 
dieses  letzte  Zugeständnis  ist  besonders  beachtenswert,  da  es  der 
unter  1)  angerufenen  autorität  Rudolfs  widerspricht,  es  lässt  aber 
auch  sonst  noch  die  ganze  Unsicherheit  der  Lachmanuschen  anmer- 
kung  erkennen,  wenn  nämlich  Ulrich  einerseits  ein  Zeilgenosse 
von  Wirnt  und  Rligger,  andrerseits  ein  solcher  von  Hartmann 
sein  soll,  so  muss  er  auch  mit  Gottfried  vStrafsburg  und  Wolfram 
vEschenbach  gleichzeitig  sein,  und  man  braucht  dann  nur  noch  den 
einen  schritt  bis  zu  Heinrich  vVeldeke  zu  tun,  um  sämtliche  sieben, 
beziehungsweise  (mit  Konrad  vHeimesfurt)  acht  dichter,  welche  die 
verzeichnisse-bei  Rudolf  beginnen,  als  Zeitgenossen  erscheinen  zu 
lassen,  zu  dieser  inconsequenz  ist  Lachmann  lediglich  durch  das 
altertümliche  element  im  Lanzelet  verleitet  worden,  das  ihm  nicht 
gestattete,  Ulrich  einfach  an  den  platz  zu  setzen,  den  ihm  Rudolf 
anweist. 

Lachmanns  ansieht  ist  auch  von  Renecke,  wie  die  anm.  z. 
Iw.  v.  6943  zeigt,  geteilt  worden;  doch  hat  sich  R.  nicht  ein- 
gehender darüber  geäufsert. 

Um  so  eifriger  ist  MHaupt  dafür  eingetreten,  jüngere  forscher 
berufen  sich  gewöhnlich  auf  das,  was  er  in  der  eiuleitung  zu 
Hartmanns  liedern  und  büchlein  (1842)  s.  12  mit  bezug  auf  die 
dichterlisten  des  RvEms  sagt  :  'man  sieht,  Rudolf  nennt  nicht  in 
beiden  gedichten  durchaus  dieselben,  und  er  ordnet  gleichzeitige 


EREK  UM)  LANZELET 

dichter  nicht  das  eine  mal  ganz  so  wie  das  andre  (und  warum 
oder  nach  welcher  regel  hätte  er  es  denn  tun  können?),  aber  es 
ist  deutlich,  dass  er  im  ganzen  die  Zeitfolge,  in  welcher  diese 
dichter  bekannt  wurden,  beobachtet,  und  dass  wir  berechtigt  Bind, 
einen  dichter,  den  er  zwischen  Wirnt  vGrafenberg  (oder  Ulrich 
vZatzighofen  oder  Blicker  vSteinach,  denn  diese  drei  sind  gleich- 
zeitig) und  Freidank  aufzählt,  um  das  jähr  1220  zu  setzen'. 

Diese  Hauptsche  Schlussfolgerung  ist  in  die  lul't  gebaut,  um 
die  verschiedene  anordnuug  der  dichter  in  den  beiden  Verzeich- 
nissen Rudolfs  zu  erklären,  griff  mau  zu  der  annähme,  dass  sie 
gleichzeitig  seien;  Haupt  dreht  nun  die  sache  um  uud  fragt,  was 
daran  verwunderlich  sei,  wenn  Rudolf  gleichzeitige  dichter  einmal 
so  uud  das  andre  mal  so  aufführe,  ein  ähnlicher  fehlschluss  ligt 
in  den  Worten  :  'es  ist  deutlich,  dass  er  im  ganzen  die  Zeitfolge, 
in  welcher  diese  dichter  bekannt  wurden,  beobachtet',  woran  ist 
das  deutlich?  würden  wir  von  anderwärts  her  diese  Zeitfolge 
kennen,  dann  wäre  des  Streites  ja  sofort  ein  ende.  —  was  soll 
man  aber  unter  einer  'Zeitfolge  im  ganzen'  verstehn?  meint 
Haupt,  dass  Rudolf  den  einen  oder  andern  dichter  an  einen 
falschen  platz  gestellt  habe?  wenn  dem  so  ist,  dann  hat  das 
ganze  Verzeichnis  keinen  wert  für  uns,  wenn  wir  nicht  wissen, 
welche  dichter  das  sind,  oder  meint  er,  dass  Rudolf  sich  um 
den  unterschied  von  ein  paar  jähren,  sagen  wir  drei,  vier  oder 
iünf,  nicht  gekümmert  habe?  wolan,  auch  dann  sind  die  Ver- 
zeichnisse für  Untersuchungen,  wo  es  sich  um  so  geringe  /«ii- 
differenzen  handelt,  unbrauchbar. 

Spätere  forscher  haben  sich  vielfach  auf  Haupts  autoritär  be- 
rufen, und  ich  kann  nicht  finden,  dass  JSchinidt  (PBBeitr.  3, 
140—181),  KRartsch  (Germ.  24,  1—9)  und  andre  die  beiden 
litterarhistorischen  stellen  bei  Rudolf  vEms  erschöpfend  behandelt 
hätten,  ich  selbst  will  darauf  nur  soweit  eingeh n,  *\>  es  fül 
meinen  nächsten  zweck  erforderlich   ist. 

Die  gründe  gegen  die  chronologische  deutung  der  genannten 
stellen  lassen  sich   drei  gesicbtspuncteo  unterordnen. 

Es  sind  erstens  gründe  der  Wahrscheinlichkeit,    ich   sehe  da- 
von ab,   wie  unpoetisch   der  blofse  gedanke  chronol  an- 
ordnungin einem  zusammenhange,  wie  er  sali  bei  Rudoll 
wäre,     für  mich  ist  das  princip  der  anordnung  da« 
nicht  oach  dem  geburtsjahr,  Dicht  Dach  dem  t<     -                tudoll 


268  GHUHN 

seine  Verzeichnisse  angelegt  haben  —  denn  die  kenntnis  jener 
daten  traut  mau  ihm  nicht  zu  — ,  sondern  nach  der  Zeitfolge,  in 
der  die  dichter  bekannt  wurden,  bekannt  wurden?  da  fragt  man 
doch  :  wo  bekannt  wurden?  wem  bekannt  wurden?  soll  ein  sinn 
in  den  worten  liegen,  so  müssen  sie  sich  auf  Rudolf  selbst  be- 
ziehen; es  muss  also  eigentlich  heifsen  :  nach  der  ansieht  Rudolfs 
bekannt  wurden,  nun  repräsentiert  Rudolf  nicht  ganz  Deutsch- 
land, sondern  allenfalls  nur  den  litterarisch  hochstehenden  Süd- 
westen, dem,  wie  ich  zugeben  muss,  ja  auch  die  mehrzahl  der 
von  ihm  genannten  poeten  entstammt,  ihm  fehlt  die  unmittelbare 
kenntnis  dessen,  was  in  den  landesteilen,  die  ihm  ferner  lagen, 
vorgieng.  davon  erfuhr  er  erst,  wenn  die  nachricht  davon  zu 
ihm  drang,  nehmen  wir  einmal  an,  dass  es  im  mittelalter  ganz 
anders  gewesen  sei  als  heute,  dass  jeder  poet  sofort  die  gröste 
auerkennung  gefunden  habe,  dass  alle  weit  begierig  gewesen 
sei,  seine  geistesproduete  zu  lesen  :  wie  langsam  muste  dennoch 
sein  ruf  sich  verbreiten,  da  die  abscbrilten  mühsam  und  kost- 
spielig waren  und  das  werk  wol  durch  günstige  Verbindungen 
gelegentlich  früh  weithin  geführt  werden,  ebenso  gut  aber  selbst 
in  der  nächsten  nähe  unzugänglich  bleiben  konnte,  wann  durfte 
nun  so  ein  dichter  als  bekannt  gelten?  jetzt  hatte  der  eine  von 
ihm  gehört;  von  dem  erfuhr  es  ein  andrer;  dieser  sagte  es  einem 
dritten,  und  ein  vierter  oder  fünfter  erzählte  es  endlich  Rudolf 
vEms.  ob  der  letzte  berichterstatter  wol  wüste,  wann  der  dichter 
sein  werk  abgeschlossen  und  zuerst  einem  gönner  eingehändigt 
hatte?  denn  von  einer  Veröffentlichung  im  modernen  sinne  darf 
man  für  jene  zeit  doch  nur  mit  vorbehält  reden,  ein  moderner 
litteraturfreund  ersteht  alle  neuigkeiten  aus  der  ersten  aufläge  des 
buchhandels  :  Rudolf  vEms  war  wol  nur  selten  in  der  läge,  die 
werke  seiner  alten  Zeitgenossen  aus  den  dedicationsexemplaren 
oder  deren  nächsten  abschriften  kennen  zu  lernen,  man  denke 
auch  an  die  eigentümliche  entstehung  derEneidel  war  nicht  ein 
grofser  teil  davon  schon  ein  Jahrzehnt  vorher  vollendet  und  rhei- 
nischen wie  thüringischen  hofkreisen  zugänglich,  ehe  das  ganze, 
hier  darf  man  wol  sagen  :  veröffentlicht  wurde?  im  übrigen  be- 
ruf ich  mich  auf  die  tatsachen  der  gegenwart. 

Ich  zweifle,  dass  irgend  ein  moderner  dichter,  ohne  Zuhilfe- 
nahme einschlägiger  lexika,  von  16  oder  18  kunstgenossen  der 
letzten  vierzig  oder  fünfzig  jähre    die  reihenfolge    angeben  kann, 


EREK  UND  LANZELET 

in  der  sie  bekannt  wurden;  und  trügen  unsre  heutigen  di uck- 
werke die  Jahreszahl  ihres  erscheinens  nicht  auf  der  Mim,  so 
dürften  selbst  unsre  besten  litteraturkenner  in  Verlegenheit  ge- 
raten. 

Der   zweite    grund    gegen   die  chronologische    auslegung   ist 
ein  formeller  oder  auch  methodologischer,     die  beiden  Verzeich- 
nisse Rudolfs  stimmen  nämlich  nur  ungefähr  mit  einander  (lber- 
ein.    ich  setze  sie,  soweit  sie  für  uns  iu  betracht  kommen,  hierher, 
im  Alexander:  im   Wilhelm  vOrlens: 

1)  Veldeke,  Veldeke, 

2)  Hartmanu,  Hartmann, 

3)  Wolfram,  Wolfram, 

4)  Gottfried,  Gottfried, 

5)  Konrad  vHeimesfurt,  Bligger, 

6)  Wirnt,  UvZatzikhoven, 

7)  UvZatzikhoven,  Wirnt, 

8)  Bligger.  Freidank. 

Es  ist  für  meinen  zweck  ganz  gleich,  welches  der  Verzeich- 
nisse man  als  das  ältere  bezeichnet,  in  dem  einen  ist  Bligger 
nr  5,  also  unmittelbarer  nachfolger  oder  Zeitgenosse  Gottfrieds, 
in  dem  andern  ist  er  nr  8,  und  drei  Vorgänger  trennen  ihu  von 
Gottfried,  der  ihm  doch  im  Tristan  4690  ff  bereits  die  eingehndste 
Würdigung  zu  teil  werden  lässt.  um  dies  zu  erklären,  sind  min- 
destens drei  hypothesen  nötig: 

1)  Wirnt,  Bligger  und  Zatzikhoven  müssen  zu  Zeitgenossen 
gestempelt  werden;  2)  Konrad  vHeimesfurt  muss,  wenn  der  Wil- 
helm später  ist,  als  vom  dichter  vergessen  betrachtet  werden; 
denn  sein  tod  wäre  kein  grund  zur  auslassung  gewesen,  lebten 
doch  auch  Veldeke  und  Hartmann  zur  zeit  der  Abfassung  nicht 
mehr;  3)  ist  aber  der  Alexander  später,  dann  muss  man  an- 
nehmen, dass  Rudolf  bis  dahin  von  Konrad  noch  nichts 
hört  hatte. 

Alle  diese  hypothesen  sind  höchst  willkürlich  und  als  grund- 
lage  für  weitere  Schlüsse  unbrauchbar. 

Drittens   aber  liegen  tatsächliche  gründe  gegen  dii       itliche 
auffassung  vor.     da  ich  Bartschs  behauptung,  Konrad  vB 
gehöre  dem  zweiten  Jahrzehnt  des   13  jhs.  an  (Germa 
nicht   eingehend    nachprüfen    kann,    leg    ich   hiei 
dem    nachdruck   darauf,     dagegen  wissen  wij     ius  .Mir.  11 


270  GRUHN 

dass  Bligger  wenigstens  als  lyriker  schon  vor  1193  gedichtet  hat, 
also  mindestens  als  ein  Zeitgenosse  Hartmanns  betrachtet  werden 
muss.  das  hat  auch  MHaupt  in  der  anordnung  von  Minnesangs 
Frühling  anerkannt,  wo  er  den  dichter  vor  Hartmann  gestellt 
hat  :  freilich  wagt  er  es  nicht,  zwischen  den  verschiednen  trägem 
des  gleichen  namens,  die  sich  in  Urkunden  finden,  eine  entschei- 
dung  zu  treffen  und  hat  darum  absichtlich  hier  die  urkundlichen 
Zeugnisse  fortgelassen. 

Man  darf  also  Rudolfs  Zeugnis  nicht  mit  in  rechnung  setzen, 
wenn  man  beweisen  will,  dass  Ulrich  der  nachfolger  Hartmanns  sei. 

Man  hat  denn  auch  zeitig  nach  andern  anhaltspuncten  gesucht 
und  sprachliche  und  inhaltliche  Übereinstimmungen  zwischen  dem 
Erek  und  dem  Lanzelet  für  Hartmanns  priorität  geltend  gemacht. 

Hahn,  der  herausgeber  des  Lanzelet,  der  als  erster  seine 
aufmerksamkeit  auf  eine  etwaige  stilistische  und  phraseologische 
verwan tschaft.  Ulrichs  und  Hartmanns  richtete,  ist  zu  keinem  be- 
stimmten resultate  gekommen,  es  schien  ihm,  als  hätte  'der 
Erec  in  mancher  stelle  unserm  dichter  vorgeschwebt'  (einl.  s.  xiv). 
was  Hahn  nicht  zu  leisten  vermochte,  haben  andre  in  reichem 
mafse  nachgeliefert  :  Schilling  De  usu  dicendi  Ulrici  de  Zatzik- 
hoven.  Halle  1866;  Jacob  Raechtolds  dissertation  Der  Lanzelet 
des  Ulrich  vZatzikhoven.  Frauenfeld  1870  1;  Alex.  Neumaier  Der 
Lanzelet  des  Ulrich  vZatzikhoven.  zwei  programme  von  Trop- 
pau  1883/84. 

Das  ergebnis  dieser  drei  eiuzelforschungen  ist  übereinstim- 
mend dieses,  dass  Ulrichs  Lanzelet  sprachlich  und  inhaltlich  auf 
Harlmanns  Erek  beruhe. 

Alle  drei  arbeiten  sind  einseitig,  sie  stellen  einfach  ähnlich 
lautende  stellen  aus  dem  Erek  und  Lanzelet  nebeneinander  und 
erklären  dann  kurzer  hand,  dass  der  Erek  dem  Lanzelet  als 
muster  gedient  habe,  hierbei  wird  die  frage ,  ob  diese  ähnlich- 
keiten  nicht  noch  aus  andern  Ursachen  herzuleiten  seien,  ganz 
unberücksichtigt    gelassen,      und    doch    sind    verschiedene   andre 

1  Baechtold  hat  die  auffassung  seiner  erstlingsarbeit  später  überwunden, 
indem  er  in  s.  Gesch.  d.  d.  litt,  in  d.  Schweiz  (s.  o.)  den  Lanzelet  vor  den 
Erek  stellte,  und  so  ist  unsre  kritik  seiner  person  gegenüber  hinfällig,  da 
aber  das,  was  er  1870  zu  stützen  glaubte,  noch  heute  überwiegend  als  das 
richtige  gilt,  hab  ich  auf  eine  polemik  gegen  seine  damaligen  gründe  unten 
nicht  verzichten  mögen. 


EREK  UND  LANZELET  271 

quellen  bei  einer  solchen  Untersuchung  wol  zu  beachten,  ich 
stelle  hier  deren  fünf  zusammen,  die  anklänge  und  Überein- 
stimmungen im  Lanzelet  und  Erek  konnten  noch  zurückzu- 
führen sein: 

1)  auf  die  französische  epik.  Hartmann  sowol  wie  Ulrich 
haben  französische  vorlagen  benutzt  (über  Ulrich  s.  Märtena  in 
Boehmers  Romanischen  Studien  5, 557  ff.  bes.  689;  GParis  Romania 
10,  4ü5ff)  und  sind  im  grofsen  und  ganzen  nur  Übersetzer.  Über- 
tragung und  original  decken  sich  meist  sehr  genau  .  fast  wört- 
lich t.  9)  auf  die  deutsche  epik  vor  Hartmann  und  Ulrich,  selbst 
ein  so  talentvoller  dichter,  wie  Hartmann  ist  nicht  als  ausgebil- 
deter künstler  vom  himmel  gefallen,  sondern  hat  von  mit-  und 
vorweit  gelernt  und  ist  aus  der  spräche  seiner  zeit  herausge- 
wachsen. Hartmann  hat  zweifellos  die  Eneide  und  Eilharts  Tristrant 
und  Isalde  gekannt  (vgl.  Behaghel,  Lichtenstein,  Kinzel).  3)  auf 
die  gleiche  alemannische  mundart  der  vff.  gerade  bei  Hartmann 
lässt  sich  beobachten,  wie  er  allmählich  gewisse  dialektische  eigen- 
tümlichkeiten  abstreift,  die  er  im  Erek  noch  reicher  und  un- 
genierter zeigt.  4)  auf  das  formelhafte  der  poesie  überhaupt  und 
der  epischen  insbesondere,  die  tradition  der  reimpoesie  und  ihre 
natürliche  technik  übermittelt  dem  anfänger  eine  fülle  von  ty- 
pischen Wendungen,  solche  braucht  durchaus  nicht  ein  dichter 
von  dem  andern  zu  entlehnen;  denn  sie  liegen  gewissermaßen 
auf  der  heerslrafse  der  dichtersprache.  5)  auf  sogenannte  ter- 
mini  technici.  rilter-  und  turnierleben  musten  selbstverständlich 
gewisse  stereotype  redensarten  ausbilden,  jeder  sport  hat  sein« 
kunstausdrucke,  dasselbe  gilt  auch  für  sitten  und  gebrauche, 
besonders  für  die  mode  in  wohnung  und  kleidung. 

Die  drei  oben  genannten  arbeiten  sind  aber  nicht  blofs  ein- 
seitig, sondern  verraten  auch  mangel  an  logik.  ßie  machen  alle 
drei  einen  ganz  falschen  inductionsschluss,  dessen  princip  be- 
sonders von  Neumaier  (n  7)  unverhüllt  ausgesprochen  wird  :  'die 
einzelne  stelle  beweist  freilich  garnicbts,  aber  die  Vielheit  lässl 
doch  Schlüsse  zu',  gerade  der  umgekehrte  grundsatz  muss  I •  i «•  t 
gelten  :  die  menge  mts  freilich  nicht,  sondern  das  eil 
schlagende   beispiel.     denn    wir   haben  eben  nacbgewii 

1  über  den  Erec  vgl.  in  dieser  beziehnng  Bartsch  Gei 
Reck  Das   Verhältnis  des    Bartmannschen    Erek   zu   -    I 
Greifswald  1898]. 


272  GRUHN 

liei  dichtungen  derselben  gattung,  derselben  zeit,  derselben 
spracbe  uud  muudart  gewisse  äbnlicbkeiten  geradezu  unvermeid- 
lich sind. 

Gleichen  mangel  an  Überlegung  zeigt  ein  andrer,  in  jenen 
Untersuchungen  anerkannter  grundsatz.  es  wird  als  selbstver- 
ständlich hingestellt  und  das  gegenteil  für  absurd  erklärt,  dass, 
wenn  zwischen  zwei  dichtem,  die  einen  gewissen  Zusammenhang, 
eine  art  verwantschaft  verraten,  entschieden  werden  soll,  wer  von 
ihnen  der  abhängige  teil  sei,  es  unbedingt  der  kleinere  dichter 
sein  müsse,  beweist  die  litteraturgeschichte  nicht  vielfach  gerade 
das  gegenteil?  durch  zahlreiche  Untersuchungen  der  letzten  Jahr- 
zehnte, mögen  sie  nun  Walther  vdVogelweide  und  Reimar  oder 
Shakespeare  und  Marlowe  gegolten  haben,  sind  wir  von  diesem 
Vorurteil  ja  gründlich  curiert  worden,  mit  jener  verkehrten  Vor- 
stellung verknüpft  sich  aber  noch  eine  andre,  nämlich  die,  dass 
der  grofse  dichter  gleich  von  hause  aus  von  seiner  einstmaligen 
gröfse  objectiv  überzeugt  gewesen  sei.  Hartmann  wüste,  als  er 
zu  dichten  begann,  dass  er  ein  grösserer  dichter  als  Ulrich  sei? 

Ich  will  den  nachweis  führen ,  dass  die  meisten  der  von 
Schilling  und  Neumaier  beigebrachten  belege  ohne  beweiskraft 
sind,  weil  sich  ihr  Vorhandensein  noch  anders  als  durch  directe 
entlehnung  erklären  lässt.  dabei  werd  ich  anmerken,  ob  Hart- 
mann derartige  stellen  aus  seiner  vorläge,  dem  werke  Chrestiens, 
übernommen  hat,  oder  ob  es  ihm  eigentümliche  Zusätze  sind  :  die 
Schlussfolgerung  spar  ich  mir  bis  gegen  den  schluss  hin  auf. 

Schilling  stellt  zunächst  aus  dem  Lanzelet  und  dem  Erek 
ähnliche  Wendungen  zusammen,  die  sich  auf  den  ritterlichen 
kämpf  beziehen,  hier  findet  im  allgemeinen  das  oben  über  den 
terminus  technicus  gesagte  seine  anwendung. 

1)  Lanz.  2014  daz  sper  er  undem  arm  sluoc. 
Er.  809  daz  sper  er  undem  arm  sluoc. 
bei  Hartmann  aufserdem  noch  :  Er.  5502.  Iw.  5025.  Greg.  1725 
u.  sonst,  ein  formelhafter  turnierausdruck.  Eilh.  Trist.  854 f  zu 
samene  neigtin  sie  ir  sper  under  die  arme  sie  si  slügen.  in  der 
spätem  litleratur  sehr  häufig;  vgl.  Renecke-Müller  und  Lexer  s.v. 
sper.  der  ausdruck  scheint  mir  Chrestiens  wendung  v.  4441 : 
Erec  lor  vint  lance  sor  fautre  zu  entsprechen,  ohne  dass  er  ihn 
genau  widergibt,  er  steht  meines  erachtens  auf  derselben  stufe 
wie  ein  andrer,  oft  genug  in  der  epik  widerkehrender  :  diu  ros 


EREK  UND  LANZELET  273 

si  ndmen  mit  den  sporn  vgl.  Er.  701.5504,  Lanz.  5286,  Wigalois 
58,5  (ähnlich  En.  7526.  8669.  90061). 

2)  Lanz.  2022  IT  dö  liezens  dar  strichen 

so  si  beide  mit  ir  ahten 
aller  meist  gewinnen  mähten. 
Er.  812  ff  si  liezen  zesamen  strichen 
also  krefteclichen 
so  si  meiste  von  ir  sinnen 
üz  den  rossen  mohten  gewinnen, 
dar  strichen  Idn  ist  formelhart,  kehrt  im  Lanz.  3285.  4468  wider; 
ebenso  En.  7530.  8935.  11958.  12364  uö.   stets  si  Helen  dare 
striken;    die    für   Hartman n    charakteristische   Variante   zesamne 
strichen  begegnet  schon  Er.  766.    Ulrich  steht  also  Veldeke  naher 
als  Hartmann !    ferner  braucht  Ulrich  wie  hier  an  stelle  des  dem 
Hartmann   geläufigen  sinnen  :  gewinnen  sein  beliebtes  ahte  :  mähte, 
vgl.  Lanz.  6547.  6583.  6693.  7749;  6615  f.    er  ist  also  in  dieser 
an    sich    wenig    charakteristischen   phrase    Hartmann    gegenüber 
zwiefach  altertümlich  und  eigenartig.     Chrestiens  v.  866  por  as- 
sanbler   les   chevaus  poingnent   sieht   fast   so  aus,    als   ob  er  den 
deutschen  nachdichter  des  Erec  veranlasst  hätte,  in  der  ihm  ge- 
läufigen wendung  das  dar  durch  zesamne  zu  verdrängen (ESchröder). 
und  diese  stelle  ist  noch  eine  der  besten,  die  Schilling  und  Neu- 
maier  für  ihre  these  aufzuweisen  haben. 

3)  Lanz.  20661'  und  von  den  helmen  sprungen 

die  fiures  flammen  blicke. 
Er.  91491'  die  heizen  fiuwers  blicke 

frumten  diu  wdfen. 
das  bild  kehrt  im  Lanz.  3172.  4496  wider  und  beidemal  in  der 
charakteristischen  begleilung  :  von  den  helmen  sprangen  resp. 
vlugen,  die  Hartm.  fehlt,  es  gehört  zu  jenem  phrasenschatz,  den 
Ulr.  der  volkstümlichen  epik  entlehnt  reiohe  parallelen  biete! 
PSchütze  Das  volkstüml.  dement  im  stil  U?Z.  (Greifsw.  L883) 
s.  28;  vgl.  auch  Lanz.  531711.  —  dass  ähnliches  bei  Chrestien 
v.  5966  (also  uicht  an  entsprechender  stelle)  begegnet,  i>i  bei 
dieser  naheliegenden  und  weilverbreiteten  Vorstellung  aichl  weiter 
auffällig. 

4)  Lanz.  1518.1   tim   di-gen  er  iif  den  schilt  erriet 

gegen  den  vier  nageln  hin. 

Z.  F.  l>.  A.  XL1II.       Y   I.   XXXI. 


274  GRUHN 

Er.  2794  f  nu  erriet  er  in,  daz  ers  enphant, 

zen  vier  nageln  gegen  der  hant. 
Er.  9090  zno  den  nageln  gegen  der  hant. 
für  den  technischen  ausdruck  von  den  'vier  nageln',  der  bei 
Chrestien  fehlt,  genügt  es  jetzt,  einfach  auf  FNiedner  Das  deutsche 
turnier  s.  57  ff  zu  verweisen,  auch  das  verbum  erraten  (vgl. 
Er.  9202)  begegnet  in  ganz  ähnlichem  gebrauch  schon  lange  vor- 
her :  Rul.  224,  17  erriet  er  in  mitten  üf  den  heim;  284,  25  mit 
dem  swerte  er  in  erriet.  —  zu  dieser  und  andern  stellen  bemerkt 
übrigens  prof.  Roediger,  dass  gerade  die  reime  nicht  stimmen, 
die  sich  doch  dem  gedächtuis  zuerst  hätten  einprägen  müssen. 

5)  Lanz.  2552f  diu  ros  in  ouch  gesdzen 

uf  die  hehsen  dernider. 
Er.  774  ff  diu  just  wart  so  krefteclich 

daz  diu  ros  hinder  sich 

an  die  hähsen  gesdzen. 
ganz  ähnlich  noch  Er.  4390  ff.  Lanz.  4481  ff.  —  aber  auch  schon 
En.  7368  f  (Ettm.  201,  16)  her  beider  ros  gesäten  op  die  hassen 
neder.  da  Rehaghel  (einl.  z.  Eneide  ccix)  zeigt,  dass  Lanz.  4471 — 81 
fast  wörtlich  aus  En.  7357  —  69  entlehnt  ist,  hat  man  keinen 
grund,  für  2  oder  3  verse  innerhalb  dieser  partie  eine  entlehnung 
von  Hartmann  anzunehmen,  dieser  selbst  wird  wol  die  wenduug, 
wenn  er  sie  nicht  aus  der  turniersprache  schon  kannte,  von 
Veldeke  oder  einem  andern  übernommen  haben,  vgl.  auch  Gudr. 
1408,  2;  Bit.  11971;  Parz.  197,  8;  Wig.  6655;  Loh.  2110; 
jTit.  1376;  UvLicht.  87,  15. 

Hartmann  stimmt  dem  sinne  nach  mit  Chrestien  3782  :  et 
li  destrier  sont  aterre,  weniger  mit  872  ff  guerpir  lor  estuet  les 
estriers.  contre  terre  anbedui  se  ruient,  li  cheval  par  le  chanp 
s'an  fuient. 

6)  Lanz.  2574 ff  krütes  wart  diu  erde  blöz, 

wan  si  vertrdtenz  in  den  hert, 

her  slahende  und  hinwert. 
Er.  9162  ff  der  ke're  si  so  vil  taten 

unz  daz  si  gar  vertraten 

beide  bluomen  unde  gras. 
die  hervorhebung  dieses    und  ähnlicher  momente  ist  dem  volks- 
epos  eigentümlich,  ich  erinnere  an  Rul.  157, 13  f.  279,20.  293,11  I. 
nach  Schütze  s.  31  steht  die  stelle  im  Lanz.  vereinzelt.    Hartmanns 


EREK  UM)  LANZELET  275 

wendung  erinnert  mehr  als  an  den  Lanz.  an  Ecken).  107,  9 
vor  ir  füezen  niht  beleip  so  vil  so  in  der  hende  :  so  <j<ir  ver- 
träten si  daz  gras,  daz  nieman  mohte  kiesen  waz  dd  gestan- 
den was.  hervorzuheben  ist,  dass  Hartman ns  quelle  nichts  aho- 
liches bot.  Bartsch  bemerkt  Germ.  7,  176  z.  st.  :  'der  weitere 
verlauf  des  kampfes  zeigt  nicht  so  genaue  Übereinstimmung,  na- 
mentlich von  9155  an  weicht  H.  stärker  ab  und  folgt  eigner  er- 
lindung'. 

7)  Lanz.  693  ff  unz  daz  den  wiganden 

beleip  vor  den  banden 

niht  wan  daz  arm  g  est  eile. 
Er.  9140 ff  die  schilde  buten  si  dar: 

die  wurden  ouch  also  gar 

unz  anz  g  es  teile  zerslagen. 
hier  kann  man  die  Übereinstimmung  nur  in  dem  worte  gestehe 
linden;  denn  dass  die  schilde  gänzlich  zerhauen  wurden,  ist  ge- 
radezu stehend,  vgl.  auch  Schütze  s.  29 f.  das  simplex  gestelle 
(vom  schilde)  begegnet  auch  schon  En.  5760,  während  armgestelle 
eben  nur  an  der  Lanzeletstelle  bezeugt  scheint.  —  Chrestien  hat 
nichts  entsprechendes,     vgl.  das  unter  6  gesagte. 

8)  Lanz.  2561  ff  als  in  beiden  wcere 

der  lip   ze  nihte  mcere. 
Er.  708  f  jungelinc,  ob  in  wäre 

der  lip  ze  ihte  mwre. 
ähnlich  noch  Er.  6679  f.  8472  f.  ze  ihte  oder  ze  nihte  mcere  be- 
gegnet auch  zb.  Kehr.  6923.  Wig.  60,32  f.  WvdVog.  51,  6;  für  den 
hundertfach  bezeugten  reim  wcere  :  mwre  genügt  ein  verweis  auf 
Berger  Orendel  s.  170.  bemerkenswert  ist  immerhin,  dass  die 
phrase  beidemal  dasselbe  subjeet  lip  hat.  Zusammenhang  wäre 
also  möglich,      im  Erek    ist   die  wendung    eine  zutat  rlarlmanns. 

9)  Lanz.  1980 f  dö  was  er  varlds  unde  bleich 

und  er  si  gen  von  dem  blnote. 
Er.  5720 (T  des  bluotes  icas  er  gar  ersigen, 
die  siege  heten  in  er w igen 
daz  im  diu  varwe  gar  erbleich. 
da  ersigen  des  bluotes   oder   von  dem  blnote  eine  gani   gebrauch- 
liche   wendung   ist    (sie    kehrt   auch    Lanz.  5328    und    Er,  5418 
wider),  so  ligt  eine  äbnlichkeii  nur  in  dem  gleichzeitigen  binw«M 
auf  die  gesichtsfarbe  vor.     darin  aber  stimmt  der  Lanz.  wörüich 

18« 


276  GRUHN 

überein   mit   Eneide  10509   so  varelös  end  so  bleich;    10722  dd 
bleif  si  varelös  ende  bleich. 

Den  grofsen  blutverlust,    aber  nicht  den  färben  Wechsel,  hat 
Hartmann  hier  aus  Chrestien  4598  car  toz  ses  cors  an  sanc  beignoit, 
et  li  cuers  faillant  li  aloit. 
10)     Lanz.  1167  si  spülen  noetlich  dne  bret. 

Er.  942  f  doch  jener  die  besten  würfe  warf 
der  kein  zabelcere  bedarf. 
der  kämpf  und  insbesondre  der  einzelkampf  mit  einem  würfel- 
oder  brettspiel  verglichen,  das  ist  etwas  so  gewöhnliches  in  der 
mhd.  poesie,  dass  es  genügt,  an  Wolframs  riterschaft  ist  topelspil 
zu  erinnern,  da  anderseits  bei  Chrestien  das  bild  fehlt,  so  hat 
es  Hartmann  gewis  aus  der  deutschen  Überlieferung  geschöpft, 
und  die  knappe  form  der  metapher  bei  Ulrich  gegenüber  der 
breiten  ausspinnung  des  bildes  bei  Hartmann  spricht  zum  min- 
desten nicht  gegen  die  priorität  des  Thurgauers. 

11)  juste  Lanz.  5297.  5465.  6352.  6371.  6486;  Er.  769. 
774.  784.  —  justieren  Lanz.  5297.  6416.  6454.  6468;  Er.  2427. 
2460.  2602. 

juste  ist  die  altertümliche  form  für  tjoste;  ihr  vorkommen  im 
Lanz.  und  Er.  beweist  zunächst,  dass  diese  gedichte  noch  ins 
12  jh.  gehören,  den  ausdruck  brauchte  sich  Ulrich  natürlich 
nicht  erst  aus  dem  Er.  zu  holen,  da  ihn  die  ältere  epik  schon 
kennt,  zb.  En.7358  si  ddden  eine  juste;  dazu  justieren  5219.9053. 
wenn  Hartmann  in  seinen  spätem  werken  die  form  tjoste  an- 
wendet, so  scheint  sich  daraus  zu  ergeben,  dass  er  im  Er.  noch 
von  seinen  Vorgängern  abhängig  ist. 

Es  folgen  nun   bei  Schilling  ähnlich  lautende  Wendungen  für 
wallen  und  kleidungsstücke.     dabei  ist  alsbald  zu  erinnern,  dass 
in  beschreibungen    gleicher   gegenstände    beinahe   notwendig    ge- 
wisse züge  widerkehren  müssen. 
12)  Lanz.  4420  f  sin  schilt  was,  als  er  wolde, 
von  sinopele  rät  genuoc. 
Er.  2296  der  ander  [schilt]  von  zinober  rät. 
die   form    sinopel  ganz   allein    wäre    schon    ein   augenfälliger  be- 
weis,   dass  Ulrich  diese  stelle  nicht  aus  dem  Erek ,   sondern  aus 
seiner  'welschen'  vorläge  genommen  hat,    wenn  wir  uns  auf  die 
überlieferuns  unsers  Erek  verlassen  könnten. 


EREK  UND  LANZELET 


2i  > 


Im  übrigen  waren  schilde  von  dieser  färbe  sehr  häufig;  der 
allfranzösische  Lancelot  wie  der  Erec  Chrestiens  kennen  sie 
Jonckbloet  s.  lix  l'escu  d'or  d  leoncel  de  sinople;  ib.  s.  lxviii  mes- 
sires  Yveins  l'escu  de  sinople.  vgl.  Märtens  aao.  s.  672  escu  de 
sinople.  Chrestien  Rom.  de  la  cbarette  v.  5957  As  armes  de  si- 
nople taintes;  Er. 2153  tanz  bnens  escuz  fres  et  noviaus,  d'arjant 
et  de  sinople  biaus;  ib.  2143  (lances)  d'arjant  et  de  sinople  taintes. 
Konrads  F\irtonopier  19793    (sin  schilt)    gemdlet  von  zinober  rot. 

13)  Lanz.  6304  f  dar  üf  ist  in  allen  vliz 

ein  mouwe  von  zobel  gemäht. 
Er.  2306  f  dar  üf  ein  mouwe  zobelin, 
daz  diu  niht  bezzer  mohte  sin. 
ein  frauenärmel  als  schildzeichen  war  ein  sehr  beliebtes  wappen: 
vgl.  Ledebur  in  s.  Arch.  f.  d.  adelsgeschichte  i  265  ff.     im  roman 
van  Lancelot  spielt   der  '  ridder  metter  mouwen'   eine   besondre 
rolle,  vgl.  zb.  Jonckbloet  s.  clxxiii. 

Nach  KKochendörffer  Zs.  28,  246  ff  bezeichnete  das  wort 
zobel  in  der  spräche  der  mittelalterlichen  heraldik  nichts  weiter 
als  die  schwarze  färbe,  wie  hermin  die  weifse.  sable  bedeutet 
noch  heute  in  der  französischen  heraldik  'schwarz'  (Berger  Orendel 
s.  165  zu  v.  116). 

Die  erwähnung  eines  schwarzen  frauenärmels  als  wappen 
kann  in  der  ritterlichen  epik  also  nicht  als  auffallend  gelten. 
Hartmann  nennt  im  Er.  2293  noch  eine  seidene  und  229S  eine 
silberweifse  mouwe.    auch  Ulrich  kennt  4433  sidin  mouwen. 

Dass  beide  dichter  sich  des  niederdeutschen  ausdrucks  mouue 
statt  lies  oberdeutschen  stüche  bedienen,  könnte  vielleicht  dem 
eintlusse  der  Eneide  zugeschrieben  werden,  vgl.  En.  122  10  hedd 
er  doch  mine  mouwe  an  den  armen  sinen.  man  beachte  auch, 
dass  das  ritterceremoniell  aus  den  Niederlanden  nach  Oberdeutsch- 
em! gekommen  ist  (Roediger  Zs.  21,  320). 

Ob  der  frauenärmel  als  schildzeichen  in  Chrestiens  Erec  über- 
haupt vorkommt,  habe  ich  nicht  festgestellt;  an  der  entsprechen- 
den stelle  fehlt  er. 

14)  Lanz.  5736IT  mentel  vil  lange, 

gezobelt  wol  unz  an    die  haut, 
mit  den  besten  dachen  diu  man   ■ 
in  allen  k'unicrkhen 
mit  invillen  riehen. 


278  GKUHN 

Lanz.  8864  ff  hermin  wizer  danne  ein  swan1 

waren  diu  inville12. 
Er.  1567 IT  mit  eim  mantel  langen 

der  im  ze  mäze  mohte  sin, 

daz  geville  härmin, 

daz  dach  ein  richer  sigeldt. 

disiu  künecliche  wdl 

was  gezobelt  üf  die  hant. 
dass  zwischen  diesen  stellen  des  Lanz.  einerseits  und  des  Erec 
anderseits  ein  Zusammenhang  besteht,  wird  kaum  abzuleugnen 
sein  :  wenn  auch  keinerlei  züge  vorgeführt  werden,  die  sich  nicht 
anderwärts  in  ähnlichen  beschreibungen  widerholten,  so  ist  doch 
das  zusammentreffen  so  vieler  und  zum  teil  nicht  gerade  geläu- 
figer ausdrücke  frappant.  Hartmanus  quelle  hat,  wie  schon  Bartsch 
Germ.  7,  150  hervorhebt,  eine  viel  ausführlichere  beschreibung, 
die  der  nachdichter  knapp  und  keineswegs  genau  widergegeben 
hat.  im  frz.  Erec  heifst  es  1594  ff  Li  a  le  mantel  aporte  Et  le 
bliant  qui  jusqu'as  manches  Fu  forrez  d'erminetes  Manches,  das 
entspricht  zwar  dem  hermelinfutter  in  Lanz.  und  Erek,  aber 
keineswegs  dem  gezobelt  (unz)  uf  die  hant  der  beiden  deutschen 
werke,  dazu  kommt  weiter,  dass  Hartm.  dies  verbum  resp.  part. 
gezobelt  und  ebenso  das  subst.  geville  nur  eben  im  Erek  an- 
wendet, man  kann  die  Vermutung  kaum  abwehren,  dass  sich  ihm 
hier  bei  der  kürzenden  Übertragung  des  französischen  textes  re- 
miniscenzen  aus  einem  deutschen  gedichte  —  und  wahrscheinlich 
auch  aus  dem  Lanzelet  —  dazwischen  geschoben  haben,  wie 
früher  das  deutlichere,  aber  seltenere  armgeslelle  vor  Hartmanns 
gestelle,  so  hat  Ulrich  hier  das  archaische  irwiUe*  vor  Hartmanns 
geville  voraus  —  und  auch  das  spricht  für  seine  priorität. 
15)  Lanz.  5798f  mit  eime  riemen  von  Iberne 

was  si  begürtet  harte  wol. 
Er.  1556  ff  ouch  wart   der  frouwen  Eniten 

gegurt  umbe  ir  siten 

ein  rieme  von  Iberne. 
Haupt  verweist   zu    der  stelle  im  Erek  auf  seine  anmerkung  zu 
Neidhart  125,27,    wo  gezeigt  ist,    dass   das  mittelalter  kostbare 

1  vgl.  En.772f  end  einen  mantel  goeden  hermin  wit  alse  ein  swane. 

2  vgl.  Roth.  1862  (ed.  Rückerl)  die  inville  wären  herinelin;  das  wort 
ist  später  nicht  mehr  bezeugt! 


EKEK  UND  LANZELET  279 

gürtel,  borten  und  schnüre  besonders  aus  Irland  bezog,  in  der 
Krone  553  ff  wird  das  ausdrücklich  gesagt :  uz  Irlant  von  Lecester 
vil  manec  guot  kleinöt,  lüler  und  von  golde  röt,  riemen  unde  hilf- 
telin  etc.;  ebda  8276  der  rieme  was  von  Irlant.  —  hiernach  ist 
es  deutlich,  dass  die  übereinstimmende  erwähnung  eines  gürteis 
aus  Irland  bei  zwei  höfischen  dichtem  au  sich  nicht  viel  besagen 
will,  für  einen  directen  Zusammenhang  der  beiden  stellen  spricht 
aber  doch  wol  die  gelehrte  form  Iberne1  (beidemal  :  gerne),  die 
neben  Irlant  doch  immerhiu  die  seltenere  ist.  auch  Chrestien 
braucht  Er.  2176  (un  cheval  d')  Irlande  und  öfters  Irois  (3866. 
6646),  anscheinend  niemals  Ibernois.  und  gegen  Hartmanns  Pri- 
orität kommt  überdies  der  umstand  in  betracht,  dass  seine  quelle  von 
Irland,  wenigstens  an  der  stelle,  nichts  weil's,  Chrestien  1649  ff 
st  se  caint,  d'un  orfrois  a  un  tor  s'estraint;  dass  im  übrigen  auch 
die  franz.  quellen  den  cuir  d'Irlande  kennen,  zeigt  Haupt  z.  Erek- 
stelle.  es  wird  sich  also  bei  Hartmann  auch  hier  wider  um  eine 
reminiscenz  aus  deutscher  lectüre  handeln,  und  da  muss  man 
doch  wider  in  erster  linie  an  Ulrich  denken. 

Schilling  bringt  im  weiteren    einige  ähnlichkeiten,    die  sich 
auf  pferde  beziehen. 

16)  Lanz.  4412 f  sin  ors  was,  so"  man  uns  seit, 

zundervar  vil  tiure. 
Er.  9015 f  si7i  ros  was  gröz  utide  ho, 
stark  röt  zundervar. 
Haupt  z.  st.,  der  ausführlich  über   das  wort  handelt  und  allerlei 
parallelen    beibringt,    kennt    doch    eben    nur   diese  beiden    alten 
litterar.  belege,    also  auch  dies  wort  braucht  Hartmann  nie  wider, 
und    da   ist   es   doch   merkwürdig,    dass   gerade   wider   diese    an 
Ulrich    erinnernde   stelle    ein    besondrer   zusatz    Hartmanus   zum 
Erec  Chrestieus  ist.    vgl.  Bartsch  aao.   175. 

17)  Lanz.  8876  ff  ir  pherit  und  ir  kasteldn 

diu  waren  so  daz  man  niht  vant 
ze  Piddn  noch  ze  Spangenlunt 
(al.  ze  Spangen  noch  ze  Tenelant). 
Er.  2327  fünf  ros  von  Spanje. 
spanische  pferde  waren  im  mittelaller  in  Deutschland  so  allgemein 
bekannt,  dass  das  wort  kasteldn  als  appellativum  in  die  laodes- 

1  die  Wigaloisstelle  10558,  welche  die  gleiche  form  {einen  riemen  von 

Ibeme)  aufweist,  ist  natürlich  als  entlehnung  aufzufassen. 


280  GRÜHN 

spräche  übergegangen  ist,  wofür  gleich  die  Lanzeletstelle  einen 
amüsanten  beleg  bildet  :  kasteläne  kommen  danach  auch  aus  Püldn 
(Apulien?  oder  Polen?)  resp.  Dänemark. 

An  sich  ist  die  stelle  also  wenig  geeignet,  um  auch  nur 
einen  Zusammenhang  zu  constatieren.  gegen  Hartmanns  Vorrecht 
würde  aber  wider  sprechen  :  1)  dass  der  Erec  Chrestiens  eben  an 
der  entsprechenden  stelle  (21 56  ff)  nichts  von  spanischen  rossen 
weifs;  2)  dass  Ulrichs  pferdekenntnis  hier  weiter  ausgreift1. 

Im  Lanzelet  und  Erek  finden  sich  ähnliche  beschreibungen 
von  zelten. 

18)  Lanz.  47781T  ein  guldin  knoph  het  es  bedaht, 

der  was  lobebcere. 

von  golde  ein  ar  vil  mcere 

was  dar  uf  gemezzen. 
Er.  89 15  ff  daz  der  knoph  wesen  solde, 

daz  was  ein  wol  geworht  ar, 

von  golde  durchslagen  gar. 
Behaghel  hat  in  der  Germ.  25,  346  gezeigt,  dass  Ulrich  an  dieser 
stelle  Veldeke  nachgeahmt  hat  :  En.  9224  der  knop  ivas  goldin, 
dar  op  sat  ein  goldin  are.  da  Chrestien  von  dem  zelte  nichts 
weifs,  worüber  noch  weiter  unten,  so  hat  Hartmann  wahrschein- 
lich Veldeke  oder  Ulrich  zum  vorbilde  gehabt. 

Der  goldene  aar  muss  übrigens  eine  sehr  beliebte  zier  ge- 
wesen sein,  vgl.  Eckenl.  95,  4  ein  adelar  dar  obe  swebt  von 
golde  reht  alsam  er  lebt;  Jans.  Enik.  Weltchr.  16043  ein  ar  von 
gold  dar  ob  (auf  dem  heim)  swebt,  er  icas  reht  als  er  lebt;  ebda 
noch  16387. 

19)  Lanz.  4819  ff  dar  an  rötiu  bilde, 

glich  vogelen  und  wilde, 

meisterliche  tool  geworht. 
Er.  8908  ff  da  stuonden  antworfen  an 

beide  xoip  unde  man, 

und  die  vögele  sam  si  fingen,  .... 

diu  tier  wilde  unde  zam. 
ähnliche  Stickereien  auf  vorhängen  und  gewändern  werden  in  der 
epik  sehr  oft  erwähnt,  zb.  Athis  C  24.  D  134.    viele  belege  schon 

1  zu  Hartmanns  hippologischen  Studien  vgl.  jetzt  Schönbach  Über  HvA. 
s.  319  fT. 


EREK  UND  LANZELET  2s l 

aus   dem   Rolandsliede    bei   Golther  s.  138  f.     vgl.   auch    Herzog 
Ernst  2586  ff. 

Als  muster  für  solche  Schilderungen  konnte  Lamprechts 
Alexander  dienen,  besonders  die  beschreibung  von  Candacis  schloss 
v.  5736  lf.    daraus  mag  nur  eine  stelle  hier  platz  finden  v.  5798  ff. 

da  hinc  ein  Iure  umbehanc, 

der  was  breit  unde  lanc, 

von  edelen  golde  durchslagen. 

mit  sidin  waren  dar  in  getragen 

vögele  unde  tiere 

mit  manicfalden  ziere 

unde  mit  manigerslahte  varwe: 

daz  merketih  alliz  garwe. 

man  mohte  dar  an  scouxcen 

riter  unde  frouwen 

obene  unde  nidene 

mit  wunderlichen  bilide. 
Die  stelle  fehlt  wider  bei  Chrestien! 

20)  Lanz.  4874  diu  wintseil  geflöhten 

von  deiner  bortsiden. 
Er.  8921  f  disse  zeltes  snüere 
wären  sidin  garwe. 
von  altern   parallelen   geb   ich   nur  Raiserchr.  11892.   En.  7988. 
9108  (die  snüre)   wären   goet  siden;    9298  sidin  wären  die  seil; 
1779  (seil)  geflöhten  van  siden.  —  fehlt  bei  Chrestien  1 

Bei  Schilling  folgt  jetzt  eine  vergleichung  zwischen  der  be- 
schreibung des  waldes  Behforet  im  Lanzelet  und  der  des  gartens 
Mabonagrins  im  Erec. 

21)  Lanz.  3944  ff  da  stuont  manic  boum  so  frumer, 

der  aldaz  jdr  obez  truoc, 

zitig  unde  guot  genuoc 

und  anderhalp  doch  bluote. 
Er.  87 19  ff  boume  maneger  slahte, 

die  einhalp  obez  baren 

und  andersit  wären 

mit  wünneclicher  blüete. 
eine  ähnliche  beschreibung  aus  der  altern  epik  vermag  ich  oichl 
beizubringen. 


282  CRUHN 

Hartman u  folgt  inhaltlich  seiner  vorläge  Chrestien  5699 
i  avoit  ßors  et  fruit  meür. 

Auch  Ulrich   wird    wol   von   seiner   vorläge   abhängig   sein ; 
denn   für   die  französische  dichtung  hat  es   nichts  befremdendes, 
wenn    darin   von    der    gleichzeitigkeit   von   blute    und   frucht  ge- 
sprochen wird,     selbst   für  Deutschland  war   eine  solche  gleich- 
zeitigkeit  nicht   ausgeschlossen ;    denn  die  Jahrbücher  von  Basel 
bemerken  zum  15  aug.  1276  :  'an  demselben  tage  trugen  mehrere 
bäume  zugleich  fruchte  und  bluten'  (Schönbach  465). 
22)  Lanz.  3981  ff  so  was  der  wert  und  der  walt 
allez  sumerlich  gestalt. 
daz  was  billich  genuoc. 
swaz  ungemüetes  ieman  truoc, 
der  disiu  beidiu  durchgienc, 
ein  sö'lhe  vreude  er  gevienc, 
daz  er  trürikheit  vergaz. 

Er.  873011  nü  was  der  wdz  also  guot 

8734  und  solch  diu  ougenweide, 
swer  mit  herzeleide 
wäre  beva?igen, 
kam  er  dar  in  gegangen, 
er  müeste  ir  da  vergezzen. 
dazu   vgl.  man    den  zauberwald    in  Lampr.  Alex.  5220  ff  ih  unde 
mine   helede  halt,        vergdzen    unse  herzeleit       und  der  grözen 
arbeit      und  alliz  daz  ungemah     und  swaz  uns  leides  ie  gescach. 
Ebenda  5230  ff  da  vergaz  ih  angist  unde  leit      unde  min  ge- 
sinde,       unde  swaz   uns   von   kinde       ie  leides   gescach       biz  an 
den  selben  tach.      mir  dühte  an  der  stunt,      ih  ne  wurde  niemer 
ungesunt;      ob  ih  dar  imer  müste  loesen,      so  wäre  ih  garwe  ge- 
nesen      von  aller  angistlicher  not      und  ne  forhte  niwit  den  tot. 
Bei  Ulrich  kehrt  die  Vorstellung  von  einer  solchen  wunder- 
kraft  noch  in  einer  andern  Verbindung  wider. 
Lanz.  6197  ff  der  manlel  het  noch  einen  site, 
swer  in  truoc,  daz  er  vermite 
jdmer  unde  senedez  clagen. 
vgl.  auch  4767  ff. 

Aus  Chrestien  liefse  sich  der  gedanke  nur  indirect  folgern; 
5755  ff  ne  soz  ciel  n'a  oisel  volant,  qui  f  leise  a  home,  qui  n'i 
chant,    yor  lui  deduire  et  resjoir,    que  Van  n'an  i  potst  o'ir    plusors 


EREK  UND  LANZELET 

de  chascune  nature;  et  terre,  tant  com  ele  dure,  ne  yorte  espice 
ne  racine  qui  vaille  a  nule  mediane  que  Van  rian  i  eilst  planti. 
Mau  wird  demgegenüber  die  Vermutung  Dicht  abweisen  dürfen, 
dass  Hartmann  auch  hier  wider  deutschen  mustern  folgt;  denn 
es  wäre  doch  höchst  verwunderlich,  dass  gerade  seiue  Zusätze  zu 
Chrestiens  Erec  so  sehr  mit  den  gedanken  und  ausdrücken  an- 
drer  dichter  harmoniereu. 

23)  Lanz.  3993  ff  swin  und  swaz  man  jagen  teil, 

des  icas  dd  mer  danne  vil 

ze  rehler  tagalte. 
Er.  7151  ff  nnd  also  daz  dehein  man 

der  doch  gerne  wolte  jagen 

nimmer  dürfte  geklagen 

daz  er  niht  icildes  funde. 
einen  eigentümlichen  gedanken  wird  man  in  diesen  versen  kaum 
erblicken,  eine  eiuigermafsen  ähnliche  stelle  steht  En.  38911'  dat 
ie  fonden  sohle  werden  in  water  joch  in  erden,  des  vant  man 
alles  dd  genoech,  des  water  ende  lant  droech.  —  bei  Chrestien 
wider  nichts  entsprechendes  (Bartsch  aao.   171). 

24)  Lanz.  400811'  daz  wazzer  brdht  ouch  genuht 

von   allerhande  vischen, 

die  man  ze  küneges  tischen 

mit  e'ren  mühte  bringen. 
Er.  7 124 ff  ez  (daz  hüs)  stuont  enmitten  in  eime  se: 

der  gay  im  gnuoc  und  dannoch  me 

der  aller  besten  vische 

die  ie  ze  küneges  tische 

dehein  man  gebrühte. 
die  naheliegende  reimverbindung  vische  :  tische    ist   typisch,    vgl. 
Lampr.  Alex.  75.  4036;    Orendel  1532.  3404.     trotzdem  ist  die 
idiulicbkeit  beider  stellen  nicht  zu  leugnen,  und  da  Cbrestiei 
nichts  entsprechendes  bietet  (Bartsch   171),   lijU  die  Wahrschein- 
lichkeit, dass  Hartmann  entlehnt  hat,  nahe. 

Im  Lanzelet  wie  im  Erek  finden  sich  sehr  ähnliche  beschrei- 
bungen  eines  netzes. 
25a)  Lanz.  85081V  daz  netze  was  ouch  genannt, 

als  ez  von  rehte  sulde, 

von  Stilen   und  von  golde 

hurte  wol  gestricket. 


284  GHÜHN 

Er.  7 7 1 5 ff  daz  was  ein  netze  guldin, 

gebrüen  von  goltdrceten 

vesten  unde  statten. 
ich  füge  gleich  die  andern  parallelen  an: 
25b)  Lanz.  8512  ff  uf  die  waschen  wdrn  geschicket 

guldine  kästen  reine, 

dar  inne  edel  g  est  eine 

von  alder  weit  daz  beste. 
Er.  7719 ff  darumbe  waren  geleit 

edele  steine  genuoge, 

an  ieglicher  fuoge, 

dd  sich  die  ma sehen  strihten. 
25c)   Lanz.  8522  ff  daz  netze  was  sinewel, 

in  einen  knoph  wol  gemäht, 

der  was  ein  stein  von  fremder  slaht. 
Er.  7724 ff  an  iegliches  knophes  stat 

was  ein  rubin  üf  gesät 

in  lazürvarwe1  kästen. 
an  und  für  siel)  wäre  es  nicht  geradezu  unmöglich,  dass  Ulrich 
sowol  wie  Hartmann  hier  selbständig  sind,  solcher  netze  wird 
in  der  mittelalterlichen  epik  sehr  oft  gedacht,  zb.  Gudr.  1683,  3 ff; 
auf  weitere  beispiele  fuhren  die  mhd.  wbb.  s.  v.  netze,  beachtet 
man  aber,  dass  die  beschreibung  des  netzes  wie  die  ganze  um- 
gebende partie  abermals  ein  zusatz  Hartmanns  zu  seiner  vorläge 
ist  [s.  zuletzt  Reck  s.  18  oben],  dann  wird  es  doch  wahrschein- 
lich, dass  er  sich  an  deutsche  Vorbilder  angeschlossen  hat. 

26)  Seine  hauptbeweise  schliefst  Schilling  mit  der  gegen- 
überstellung  von  Lanz.  6730ff  und  Er.  1753 ff,  wo  die  jagd  auf 
den  weifsen  hirsch  und  der  damit  verbundene  brauch  beschrieben 
wird,  da  diese  jagd  zweifellos  ein  wesentlicher  bestandteil  der 
Artussage  ist,  wird  sie  im  französischen  Lancelot  wol  nicht  ge- 
fehlt haben,  in  dieser  hinsieht  sind  also  die  stellen  belanglos. 
wenn  Schilling  aber  hervorhebt,  dass  in  beiden  fällen  Utpandragon 
als  Artus  vater  und  urheber  dieses  Jagdvergnügens  genannt  werde, 
so  verweis  ich  auf  den  altfranzösischen  roman  von  Lancelot,  wo 
Uter-Pandragon  widerholt  als  der  vater  des  Artus  aufgeführt  wird 
(Jonckbloet  vm.  xn.  lxxi). 

1  hs.  saurvarbe. 


EREK  UND  LANZELET  285 

Ich  verwerte  diese  stellen  aber  in  einem  ganz  andern  sinne 
Clirestien  nämlich  hedient  sich  irn  Erec  der  form  Pandragon,  ib. 
1811  *.  Hartmaun  dagegen  schreibt  Utpandragon  (bs.  Urpandragon, 
vgl.  Lachm.  zu  Iweiu  897).  da  uns  diese  form  in  seiner  quelle 
nicht  überliefert  ist,  müssen  wir  wol  nach  einem  andern  gewährs- 
mann  suchen.  Uterpandragon  ganz  wie  der  frz.  Lancelot  Jonck- 
bloels  bietet  nun  freilich  auch  Chrestien  im  Yvain  663,  aber  wenn 
Hartmann  schon  im  Erek,  wo  er  nur  die  dreisilbige  form  vor- 
fand, die  aus  der  erweiterten  fünfsilbigen  zusammengezogene  vier- 
silbige form  braucht,  wie  sie  unsre  Überlieferung  des  Lanz.  6734 
bietet  (Urprandagoti  W,  Upandagron  P),  so  ist  das  doch  wol  Zu- 
sammenhang und  nicht  zufälliges  zusammentreffen. 

Bevor  ich  Schillings  kleinere  beweisstücke  der  kritik  unter- 
werfe, will  ich  aus  dem  bisher  besprochenen  einige  allgemeine 
Schlussfolgerungen  ziehen,  von  den  26  resp.  28  belegen,  die  die 
verwanlschaft  des  Lanzelet  und  Erek  erweisen  sollten,  haben  sich, 
wenn  man  die  bezugnahme  auf  Cbrestiens  Erec  aufser  betracht 
lässt,  nur  zwei  vor  der  kritik  einigermafsen  bewährt,  nämlich  nr  2 
und  nr  24.  eine  ganz  andre  bedeutung  jedoch  erhalten  die 
meisten  dieser  stellen  durch  eine  vergleichung  mit  Chrestiens 
Erec.  da  zeigt  sich  die  seltsame  tatsache,  dass  nur  8,  und  dazu 
noch  unbedeutende  stellen  mehr  oder  minder  direct  auf  Chrestien 
zurückführbar  sind  (nrr  1.  3.  5.  9.  12.  14.  21.  22),  dass  dagegen 
für  19  —  nr  11  scheidet  aus  — ,  wozu  alle  umfangreicheren  ge- 
hören, bei  dem  Franzosen  kein  analogon  sich  findet,  das  ist  un- 
bedingt entscheidend  zunächst  gegen  Hartmann  als  vorläge  Ulrichs; 
denn  niemand  wird  glauben  oder  uns  glaubhaft  machen,  dass 
Ulrich  fast  instiuetiv  Hartmanns  eigne  zusätze  zum  Erec  erkannt 
und  als  Schmuckstücke  seinem  werk  einverleibt  bat.  das  umge- 
kehrte Verhältnis  ist  hei  solcher  Sachlage  unbedingt  das  wahr- 
scheinlichere :  Hartmaun,  der  sein  original  oft  auf  lauge  strecken 
'wörtlich  (so  viel  ihm  die  gebundenbeii  des  verses  und  reimes 
es  erlaubte)  widergibt'  (Bartsch  s.  1S1),  schiebt  da  und  dort  Zu- 
sätze ein,  die  er  der  mehrzabl  nach  Ulrichs  Lanzelet,  teilweise 
andern  deutschen  epen  entlehnt  hat.  niemand  wird  dem  An- 
fänger, der  bewust  und  weit  mehr  noch  unbewust  mit  dera 
remiuiscenzen  arbeitete,  daraus  einen  Vorwurf  machen. 

1  die  lesarten  zeigen  daneben  Pendragon,  Pandagron. 


286  GRÜHN 

Ich  will  jedoch  dieser  Schlussfolgerung  einen  noch  höhern 
grad  von  Wahrscheinlichkeit  geben.  Schilling  hat  seine  beispiele 
recht  ungeschickt  gruppiert,  er  bietet  meist  nur  einzelne,  aus- 
einandergeworfene splitter  statt  eines  möglichen  gesamthildes. 
man  muss  ganze  partien  des  Lanzelet  und  Erek  vergleichen,  um 
resultate  von  einigem  gewicht  zu  gewinnen,  was  ich  hier  flüchtig 
skizziere,  dürfte  einer  ausführlichen  behandlung  wol  würdig  sein; 
für  unsern  zweck  aber,  die  priorität  des  Lanzelet  zu  erweisen,  wird 
schon  dieses  hinreichend  sein,  den  umfang  und  grad  der  be- 
einflussung  festzustellen,  muss  ich  andern  überlassen. 

nrr  1.  2  und  5  gehören  im  Lanzelet  und  Erek  einer  und 
derselben  Schilderung  an.  im  Lanz.  2011  ff  handelt  es  sich  um 
den  Zweikampf  zwischen  Lanzelet  und  Linier,  im  Er.  755 ff  um 
den  kämpf  zwischen  Erek  und  Iders. 

Hartmann  weicht  nun  bei  dieser  Schilderung  in  den  einzel- 
heiten  recht  erheblich  von  Chrestien  ab  (Bartsch  s.  146;  Reck 
s.  14  f).  vergleicht  man  Chrestien  857  ff  mit  den  genannten  stellen 
im  Erek  und  Lanzelet,  so  erkennt  man  ganz  deutlich,  wie  da 
züge  aus  dem  Lanzelet  in  die  Schilderung  Chrestiens  hinein- 
gearbeitet worden  sind,  neben  den  stellen,  deren  Wortlaut  oben 
unter  nrr  1.  2  und  5  mitgeteilt  ist,  hat  Hartmann  noch  eine  viel 
umfangreichere  dem  Lanzelet  entnommen.  Hartmann  weicht  näm- 
lich von  Chrestien  darin  ab,  dass  er  den  Erek  während  des 
Schwertkampfes  in  die  knie  sinken  lässt.  dieser  zug  ist  zweifel- 
los dem  werke  Ulrichs  entlehnt,     man  vgl. 

Lanz.  2073  er  treib  in  schiere  hin  wider. 

ze  jungest  slnoc  der  wirt  nider 

den  gast,  daz  er  kom  üf  diu  knie  .  .  . 
2083  er  spranc  üf  als  ein  degen. 

des  schiltes  moht  er  niht  gepßegen: 

hinder  rücke  er  in  stiez, 

als  in  sin  grimmer  muot  hiez. 

der  kämpf  düht  in  enblanden: 

er  nam  mit  beiden  handen 

daz  swert,  da  mit  er  vaht. 
Er.  846  des  triben  si  vil  unde  gnuoc, 

unz  daz  Iders  Erecken  sluoc 

üf  den  heim,  daz  er  gie 

von  dem  slage  üf  diu  knie. 


EREK  UND  LANZELET 

855  üf  sprang  er  und  begnnde  sd 
den  schilt  ze  rücke  tvenden 
und  gap  ze  beiden  henden 
daz  swert  mit  grimmen  muote 
und  vaht  sam  er  tcnote. 
Zwei  andre  unter  sich  zu  vergleichende  Schilderungen  betreffen 
Walweins   kämpf   mit  Lanzelet   (Lanz.  2539  ff)   und  Erecs    kämpf 
mit  Mabonagrin  (Er.  9071  ff).     Hartmann  macht  auch  hier  wider 
bedeutende  Zusätze  zu  Chrestien  5940  ff  (vgl.  Bartsch  s.  175),  und 
in  diesen  Zusätzen  zeigen  sich  wider  deutlich    bruchstücke  jener 
Lanzeletschilderung.     es    gehören    hierher   nr  7,    nr  6  und  nr  3. 
nr  7  ist  besonders  interessant,  bei  seinen  planlosen  vergleichungen 
hat  nämlich  Schilling  hier  eine  falsche  parallele  aus  dem  Lanzelet 
aufgeführt;  das  wort  gestelle  hat  ihn  dazu  verleitet,     zu 
Er.  9140  ff  die  schilde  buten  si  dar: 
die  wurden  ouch  also  gar 
unz  anz  gestelle  zeslagen, 
daz  si  ir  niht  tne're  getragen 
vor  den  armen  mohten, 
gehurt 

Lanz.  2563  (f  ouch  buten  si  die  schilte  dar 
und  zerhiwen  die  so  gar, 
daz  si  an  in  kiime  gehiengen. 
In    dieser    weise    müsten    sämtliche    kampfscbilderuogen    in 
Chrestiens    und    Hartmanns    Erek    und    in    Ulrichs    Lanzelet   mit 
einander  verglichen  werden,     dazu  ist  aber  hier  nicht  der  platz, 
und  wir  können  nur  noch  kurz  auf  ein  paar  andre  vergleichungen 
hinweisen. 

Die  zeltbeschreibung  im  Erec  hat,  wie  schon  oben  ange- 
deutet, Hartmann  nicht  von  Chrestien.  bei  diesem  heifst  es  Dur 
(5878  ff)  :  et  eil  s'an  va  tote  une  sante  seus,  sanz  compaignie 
de  jant,  tant  qu'il  trova  un  lit  d'arjant ,  covert  d'iin  drap 
brosde  a  or.  aus  diesem  lit  d'argent  ist  bei  Bart  mann  ein  seil 
geworden,  das  in  24  versen  (8901— S922)  beschrieben  wird,  zu 
mindestens  zwei  dritteln  dieser  versc  lassen  siefa  parallelen  aua 
einer  zeltbeschreibung  im  Lanzelet  beibringen,  in  den  bierber- 
gehörigen  nrr  18.  19.  20  ist  noch  nachzutragen: 
Lanz.  4809  siu  icas  hoch  unde  wit. 
Er.  8994  beide  hoch   unde  irit. 


288  GRUHN 

Lanz.  4750  f  röt  wiz  weüvar, 

brun  grüene  unde  gel, 

swarz  mervar  icolkenhel  usw. 
Er.  8924  f  röt  grüene  wiz  gel 

brun,  geworht  sinwel. 
da  die  beschreibung  im  Lanzelet  eine  viel  compliciertere  ist  — 
sie  umfasst  über  180  verse  (4745 — 4926)  — ,  indem  zb.  der  aar 
auf  dem  knöpfe  durch  einen  eigentümlichen  mechanismus  zum 
siugen  gebracht  werden  kann  (wozu  eine  parallele  in  Lampr. 
Alex.  6001  ff)  oder  indem  die  einzelnen,  verschiedenen  teile  des 
Zeltdaches  näher  beschrieben  werden,  was  Hartmann  nur  kurz 
andeutet  :  aus  diesem  gründe  muss  Hartmanns  beschreibung  als 
ein  kurzer  auszug  aus  der  Ulrichschen  betrachtet  werden. 

Nicht  ganz  so  abhängig  zeigt  sich  Hartmann  in  der  dar- 
stellung  mittelalterlicher  tiergärten  und  parkanlagen.  denn  um 
solche  handelt  es  sich  Lanz.  3939 — 4014,  wo  der  'schöne  wald' 
Behforet  beschrieben,  und  Er.  7130  ff,  wo  das  Jagdhaus  Penefrec; 
Er.  8698 — 8753 ,  wo  die  bürg  Brandigan  geschildert  wird,  bei 
der  stelle  über  das  jagdgehege  zu  Penefrec,  wo  Hartmann  von 
Chrestien  unabhängig  ist  (Bartsch  171),  tritt  auch  wider  der 
einfluss  Ulrichs  am  meisten  hervor,  es  gehören  hierher  nrr  23. 
24  der  Schillingschen  belege,  die  nunmehr  eine  ganz  andere 
beleuchtung  erhalten,  während  nrr  21.  22  in  dem  teile  über  die 
bürg  Brandigan  vorkommen,  auch  hier  sind  noch  nachtrage 
möglich. 

Ich  muss  schliefslich  noch  einige  bemerkungen  zu  den  netz- 
beschreibungen  (nr  25  a.  b.  c)  nachholen,  bei  Schilling  wird  ver- 
schwiegen, dass  es  sich  um  zwei  ganz  verschiedene  netze  handelt: 
bei  Hartmann  um  eiuen  pferdeschmuck ,  bei  Ulrich  um  eine  art 
fliegennetz,  unter  dem  man  ruht  (vgl.  Mhd.  wb.  n331a).  bei 
Hartmann  sind  die  troddeln  oder  fransen ,  vielleicht  auch  jede 
einzelne  masche,  mit  steinchen  verziert;  bei  Ulrich  trägt  jeder 
knoten  zwar  auch  einen  edelstein,  das  himmelartig  ausgespannte 
netz  wird  aber  aufserdem  noch  von  einem  besonders  grofsen 
edelsteiue  (galacia  8525)  im  scheitelpuucte  zusammengefasst.  von 
hier  aus  führt  eine  goldene  kette  zur  aufhängevorrichtung.  bei 
dieser  Sachlage  ist  es  fast  unmöglich,  dass  Ulrich  die  Hartmann- 
sche  beschreibung  nachgeahmt  haben  sollte,  da  er  mehr  als  Hart- 
mann   darzustellen    und   ein  ganz  andres  bild  zu  zeichnen  hatte; 


EREK  UND  LANZELET  289 

dagegen    ist   das    umgekehrte    durchaus   wahrscheinlich,    weil  die 
Hartmannsche   beschreibung   in  der  Ulrichschen  mitentbalteu  ist. 

Das  ergehnis  der  bisherigen  Untersuchung  ist  also  dieses, 
dass  Schillings  belege  mehr  für  Hartmanns  als  für  Ulrichs  ab- 
bängigkeit  sprechen. 

Wenn  ich  hiernach  die  oben  unterbrochene  kritik  fortsetze, 
so  geschieht  es  nur,  um  vollständig  zu  sein  und  jedem  mistrauen 
zu  begegnen. 

Das  subst.  adel  findet  sich  Lauz.  33.  260.  (1705).  Er.  1837. 
(9349).  Schilling  betont,  dass  es  bei  höfischen  dichtem  selten 
sei  und  im  lwein,  Tristan  und  Parzival  fehle,  was  kann  aber 
hiermit  bewiesen  werden?  doch  nur,  dass  der  Lanzelet  und  der 
Erek  in  gleicher  weise  der  frühzeit  der  höfischen  epik  angehören, 
und  allenfalls  dass  Hartmann  im  Erek  noch  von  seinen  mustern 
abhängig  ist. 

invanc  'abgegrenzter  platz'  Lanz.  208.  in  vdhen  'einfassen', 
Er.  7134.  7845.  seltsam!  Ulrich  soll  sich  ein  eigenes  Substantiv 
aufgrund  der  seltenen  Hartmannschen  verbalform  gebildet  haben? 
nach  Staub-Tobler  i  860  ist  infangen  =  'einfassen'  ein  schwei- 
zerischer Idiotismus.  Hartmann  und  Ulrich  verraten  durch  den 
gleichen  ausdruck  ihre  alemannische  herkunft;  das  geläufigere  wort 
ist  bevähen  (s.  die  wbb.). 

Lanz.  896  getuht  (im  plur.);  9023  getühtk;  Er.  996.  2587 
tuht.  —  das  wort  gehört  zu  denen,  die  in  Oberdeutschland  früh 
veralten  :  von  einer  abhängigkeit  kanu  nach  keiner  seile  hin  die 
rede  sein,  um  so  weniger  als  Ulrich  es  bereits  in  einer  »od  der 
etymologie  völlig  abweichenden  bedeulung  verwendet  ('wolerzogen- 
beit',  fast  wie  zuht). 

Was  Schilling  über  den  adverbialen  gebrauch  vou  nllcr- 
ncehste  (Lanz.  903)  und  der  erste  (Er.  2566)  und  von  der  an- 
weudung  des  bindeworls  oder  als  eiuleitung  eines  adversativs.it/r- 
sagt,  würde  nur  dann  etwas  beweisen,  wenn  diese  syntaktischen 
eigentiimlichkeilen  sich  bei  Hartmann  und  Ulrich  allein  fänden, 
aber  auch  dann  kaum  mehr,  als  dass  beide  dichter  derselben 
heimat  entstammen,  die  Voraussetzung  trifft  aber  ganz  un 
nicht  zu. 

menegin  Lanz.  1326.    5489.  6105;   Er.  L699.  9657.     auch 
hier  handelt  es  sich  um    ein  worl ,  das  Hartmano  oichl  ersl  zu 
der  engern  bedeutung  'höfische  gesellschaft,  Umgebung'  umgeprttgl 
Z.  F.  D.  A.  XLI1I.     N.  F.  XXXI. 


290  GRUHN 

hat,  das  er  vielmehr  der  altern  epik  (vgl.  zb.  Orendel  346) 
gemäfs  gebrauchte,  aber  später  aufgab. 

zürnen  an  Lanz.  4300.  Er.  5774  mag  eine  von  Hartmanu 
später  als  landschaftlich  gefärbt  aufgegebene  ausdrucksweise  sein, 
für  die  das  Mhd.  wb.  in  908a  belege  aus  Rudolfs  Barlaam  und 
aus  der  (Basler?)  fortsetzung  des  Trojanerkriegs  gibt. 

zehenzic  Lanz.  6426.  Er.  1917  ist  der  epik  des  12  jhs.  bis 
zu  Eilharts  Tristrant   (ix  175.  3594.  6787)    noch    ganz   geläufig. 

slahen  zuo  (intrans.)  entsprechend  unserm  'stoßen  zu,  zu- 
stofsen'  lässt  sich  in  guten  parallelen  zb.  aus  Ottokars  Reim- 
chronik nachweisen,  zu  Lanz.  8383  diu  lantmenege  zuo  im  sluoc 
vgl.  Ott.  84476  die  warn  zuo  im  geslagen;  zu  Er.  5141  kein  übel 
nie  dar  zuo  gesluoc  vgl.  Ott.  12009  daz  ungelucke  sluoc  dar  zuo. 

Im  Erek  und  Lanzelet  führt  der  schmähsüchtige  seneschall 
oder  truchsess,  Chrestiens  Keu(s),  Ke(s),  die  gleiche  namensform 
auf  -in  resp.  -in,  die  durch  folgende  reimbelege  gesichert  ist: 
Lanz.  5939  Keim  :  schin;  Er.  1153  u.  4678  :  sin,  4694  :  bin;  im 
verse  bietet  Hahns  text  des  Lanzelet  die  -In-formen  durchgeh nds: 
Keiin:  2890.  2907.  2911.  2933.  2982.  6146.  9266;  Kaiin :  5946. 
5956.  5971  *;  Haupt  im  Erek  (vgl.  die  anm.  zu  1153)  4730.  4735. 
4756.  aber  Hartmann,  der  schon  Erek  4664.  4723  daneben  Keii 
verwendet,  hat  diese  form  ohne  n  im  Iwein  allein  noch  ange- 
wendet (s.  Lachm.  zu  Iw.  74).  auch  die  Wolfenbüttler  hs.  des 
Erek  (Zs.  42,  261   anm.)  nahm  an  dem  n  anstofs. 

Eilharts  Tristrant  hat  nur  Keie  im  vers  (8  beispiele  in 
Lichtensteins  register),  keinen  reimbeleg. 

Da  Hartmann  später  sich  durchweg  der  form  Keii  bedient, 
wird  man  schwerlich  annehmen  dürfen,  dass  die  form  Keiin  resp. 
Keiin  (auch  dies  schwanken  in  der  quantität  ist  charakteristisch) 
seine  eigne  erfindung  sei.  der  gedanke  ligt  nahe,  dass  er  sie 
übernommen  und  nachher  seinem  Sprachgefühl  entsprechend  um- 
gebildet hat.  er  konnte  sie  aber  von  niemandem  anders  als  von 
Ulrich  entlehnen,  ob  er  bei  diesem  auch  das  schwanken  schon 
fand,  das  für  den  Erek  charakteristisch  ist,  lässt  sich  schwer  sagen, 
da  die  grofse  mehrzahl  der  Lanzeletbelege  auf  das  versinnere  fällt. 

Von  keinem  grofseren  wert,  als  ihn  diese  zweite  classe  der 

1  die  Wiener  hs.  des  Lanz.  zeigt  noch  folgende  Varianten  :  key  (2890); 
keye  (29t 1);  kay  (2981.  5939.  5946.  9266);  chay  (5956);  chein  (6146); 
chayn  (5971). 


EREK  UND  LANZELET  291 

Schillingschen  belege  hat,  sind  die  von  Baechtold  und  Neumaier 
gelieferten  nachtrage. 

Baechtolds  dissertation  ist  sehr  arm  an  eignen  gedanken.  für 
ihn  hatte  Schilling  'den  einfluss  Erecs  auf  Lanzelet  tiberzeugend 
dargetan'  (s.  35).  doch  spricht  er  von  dem  bösen  zwerge,  der 
im  Lanzelet  wie  im  Erek  eine  rolle  spiele  (Lauz.  426  IT.  Er.  1 1  ff), 
als  ob  es  in  der  mittelalterlichen  epik  nicht  allerorten  von  zwergen 
spukte I  zu  Lampr.  Alex.  6063  bemerkt  Kinzel  mit  recht:  'zwerge 
gehören  zur  Staffage  einer  holhaltung.  sie  waren  meist  nicht 
gerade  als  wol  gezogen  gerühmt',  um  böse  zwerge  zu  entdecken, 
brauchte  Baechtold  nicht  bis  zum  Mabinogion  hinabzusteigen; 
schon  im  allfranzösischen  romau  wird  Lancelot  von  einem  zwerge 
mit  dem  stocke  geschlagen  (Märtens  692  f). 

Charakteristisch  für  Baechtolds  Jugendarbeit  ist,  die  frage  :  'es 
ist  doch  nicht  wol  das  umgekehrte  anzunehmen,  dass  Hartmann 
aus  Ulrich  geschöpft  hat?'  (s.  37).  warum  nicht?  was  hinderte 
ihn?  die  autorität  Haupts  oder  Schillings?  später  hat  er  <\<-n 
mut  gefunden  und  die  frage  unbefangen  geprüft,  eine  special- 
arbeit darüber  hat  er  nicht  veröffentlicht,  aber  in  seiner  litteratur- 
geschichte  vertritt  er,  wie  wir  in  der  einleitung  sahen,  den  seiner 
dissertation  entgegengesetzten  standpunct. 

Auf  Schilling  und  Baechtold  baut  Neumaier  seine  abhandlung 
auf,  welche  für  PPiper  'die  abhängigkeit  Ulrichs  von  Hartmanns 
Erek  zur  gewisheit  erbebt'  (Höf.  epik  [Kürschner]  u  169).  ich 
finde  nicht  einmal,  dass  Neumaier  die  'nötige  Sorgfalt',  von  der 
er  spricht,  seiner  'compilation  von  da  und  dort  zerstreuten  an- 
merkungen'  hat  zu  teil  werden  lassen  (n  s.  5).  wie  kritiklos  er  die 
anmerkungen  aus  den  ausgaben  des  Lanzelet  und  Erek  zusammen- 
getragen hat,  dafür  nur  ein  beispiel.  neizwie  und  neizxcaz  werden 
als  eigentümliche  ausdrücke  des  Lanzelet  und  Erek  hingestellt, 
bei  einiger  Sorgfalt  hätte  sich  Neumaier  auch  Haupts  recension 
der  Hahnsehen  Lanzeletausgabe  angesehen,  wo  ihm  dann  folgende 
bemerkung  begegnet  wäre  :  'v.  2774  wird  das  ganz  bekannte  h«*- 
wie  am  unrechten  orte  erklärt  (denn  es  steht  schon  99)  und  zum 
Überflüsse  mit  einer  stelle  aus  dein  Erek  belegt,  aus  dem  I 
doch  gewis  nicht  solche  Wörter  zu  lernen  brauchte'  (Jahrb.  l. 
wiss.  krit.  14,  110).  dementsprechend  ist  der  -'.m/r  aa< 
Neumaiers  zu  Schillings  belegen  mit  der  grösten  wiss 
lieben  naivetät  zusammengestellt,     es  genügt  zu  der  menrzabl  der 


292  GRUHN 

Neumaier  aulfällig  erschienenen  Wörter  und  Wendungen  einfach 
auf  die  lexika  zu  verweisen,  die  Neumaier  offenbar  nicht  immer 
zur  hand  gewesen  sind  :  für  das  angeblich  seltene  entwichen  stv. 
in  der  bedeutung  'nachgeben,  gehorchen'  Lanz.  590.  Er.  4701 
gibt  zahlreiche  belege  aus  der  Kehr.  Schröder  im  glossar  s.  417. 
—  gerech  adj.  Lanz.  3328;  gereche  adv.  Lanz.  5967.  6252.  Er.  4665 
zeigen  von  spätem  landsleuten  unserer  dichter  HvLaügenstein 
Martina  22,  27  und  in  engerer  bedeutung  (körperlich  gerade  und 
in  Ordnung)  KvVVürzbnrg  Part.  1113;  weiter  verbreitet  scheint 
das  su bst.  gerech  stn.,  das  auch  im  Lanz.  1747.  6586.  8069  vor- 
kommt (immer  im  plur.  formelhaft).  Hartmann,  der  nur  einmal 
das  adv.  anwendet,  hat  dieses  offenbar  später  als  landschaftlichen 
ausdruck  gemieden.  —  ersigen  part.  c.  gen.  oder  von  'erschöpft' 
Lanz.  1981.  5328;  Er.  5418.  5720.  das  Mhd.  wb.  n  2,  286" 
liefert  reichliche  belege  aus  der  obd.  litteratur  des  12  u.  13  jhs.  — 
vespereide  für  das  später  durchdringende  vesperte  (vgl.  galeide 
neben  gälte)  Lanz.  2855.  Er.  2454  bat  auch  noch  KvWürzburg 
im  Engelhard  2475.  —  zu  uf  legen  Lanz.  4934.  5445.  Er.  5679 
genügt  es,  an  die  lehrreiche  anmerkung  Beneckes  zu  Iw.  1190 
zu  erinnern.  —  sweifen  stv.  intr.  Lanz.  5590.  Er.  7331  (vgl. 
2083.  7587,  immer  mit  präp.);  s.  Lexer  n  1351.  für  das  fehlen 
des  Wortes  im  Iwein  muss  wider  die  möglichkeit  herangezogen  wer- 
den, dass  Hartmann  es  als  dialektisch  zu  fühlen  glaubte;  von  einer 
'entlehnung'  kann  bei  derartigem  nicht  die  rede  sein.  —  geniez 
stm.  Lanz.  7494.  Er.  7176.  zu  Lexer  i  858  f  nehme  man  See- 
müllers glossar  zu  Ottokar  s.  v.  —  holde  swm.  Lanz.  1946.  4645. 
Er.  9963.  in  volkstümlicher  dichtung  speciell  mit  dem  stehen- 
den reim  holden  :  wolden  dutzendfach  belegt,  von  Hartmann  später 
als  unhöfisch  gemieden.  —  also  gröz  als  umb  ein  hdr  Lanz.  726. 
4774  (ähnlich  5867.  5949.  6965.  7102).  Er.  7521.  7388;  die 
wendung  kehrt  nicht  blofs  wörtlich  im  lw.  7269  (vgl.  auch  579. 
4607.  6063)  wider,  sondern  gehört  zu  einer  ganz  vulgären  Sipp- 
schaft, für  die  es  genügt,  auf  Zingerles  bekannte  abhandlung  WSB. 
39, 4 1 4 ff  zu  verweisen.  —  fürdermdle  Lanz.  5904.  Er.  4266;  s. 
Lachmann  zu  Iw.  8080 ,  wo  noch  weitere  belege  aus  Hartmann. 
Er.  1199  wird  ein  stein  auf  Artus  bürg  erwähnt,  dessen  man 
sich  beim  absitzen  von  den  rossen  bedient,  dieser  stein  soll  nach 
der  ansieht  Neumaiers  möglicherweise  das  muster  zu  Ulrichs 
'ehrenstein'  abgegeben  haben. 


EREK  UND  LANZELET  293 

Ob  wol  Neumaier  die  stelle  im  Lanzelet  mit  «1er  rechten 
aufmerksamkeit  gelesen  hat?    sie  lautet. 

v.  5177  IT  Nu  saz  Wdlwein  der  reine 

uf  der  Eren  steine. 

von  dem  ist  iu  gesaget  gnuoc, 

daz  er  den  man  niht  vertruoc 

an  dem  was  falsch  oder  haz. 
wo  findet  sich  im  Erek  auch  nur  der  geringste  hiuweis  auf  diese 
bedeutung  des  Steins?  wo  steht  im  Erek  die  als  bekannt  voraus- 
gesetzte bezeichnung  :  'der  ehrenstein'?  ich  dächte,  hier  konnte 
man  es  mit  händen  greifen,  dass  an  dieser  stelle  Ulrich  einer 
andern  quelle  folgt. 

Aber  bei  Ulrich  dient  dieser  stein  auch  zum  absteigen  von 
den  rossen,  v.  5189  :  (Lanzelet)  erbeizte  bi  dem  steine.  Ulrich  hat 
einen  grund,  seinen  beiden  gerade  dort  absitzen  zu  lassen,  weil 
er  ihn  damit  zugleich  die  probe  auf  seinen  Charakter  bestebn 
lässt.  bei  Hartmann  fehlt  die  molivierung.  sollte  also  hier  um 
jeden  preis  einer  von  dem  andern  abhängen,  so  müste  es  unbe- 
dingt Hartmann  sein. 

Nach  diesen  beispielen,  glaub  ich,  wird  man  den  scharfen 
tadel,  den  ich  über  Neumaier  ausgesprochen  habe,  nicht  für  un- 
berechtigt halten,  um  so  weniger  aber,  wenn  ich  nunmehr  zeigen 
werde,  dass  er  ebenso  wie  Schilling  und  Baechtold  gerade  die 
wichtigsten  punete,  die  bei  der  frage  nach  dem  abhängigkeits- 
verhältnis  des  Lanzelet  und  Erek  erörtert  werden  müssen,  nicht 
einmal  bemerkt  hat. 

Im  Lanzelet  begegnet  ein  einziges  mal  der  uame  Euite  v.  609S. 
woher  hat  Ulrich  diesen  namen?  in  der  deutschen  liiteratur  vor 
Hartmanns  Erek  fehlt  er.  wie  konnten  nur  Schilling,  Baechtold 
und  Neumaier  an  dieser  frage  stillschweigend  vorübergelm ! 

Zunächst  ist  die  müglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  Ulrich 
vZatzikhoven,  welcher  der  welschen  spräche  doch  vollkommen 
mächtig  war,  Chrestiens  Erec  kannte,  bevor  Hartmanns  Über- 
setzung erschien,  an  analogien  fehlt  es  nicht;  so  wenn  man 
annimmt,  dass  Wolfram  im  Parzival  (3S7 ,  1  IV.  58 
Chrestiens  Roman  de  la  charrelte  anspiele  (Baechtold  s.  18),  oder 
dass  Hartmann  den  Chevalier  au  lyon  schon  vor  sich  lull-'.  •'!> 
er  den  Erec  verdolmetschte  (Henrici  vorr.  xi  anm.  8)  —  oder  dass 


294  GRUHN 

Gottfried  vSlrafsburg  bei  der  bekannten  kritik  Wolframs  dessen 
quelle,  den  Perceval  Chrestieus,  im  sinne  hatte. 

Gegen  jene  Voraussetzung  spricht  aber  ein  sehr  gewichtiger 
umstand,  der  zugleich  die  annähme,  dass  Ulrich  den  oameo  aus 
Hartmanns  Erek  geschöpft  habe,  hinfällig  macht.  Enile  tritt  nicht 
aufalsEreks  'freundin',  dieser  erscheint  vielmehr  im  ganzen  ge- 
dichte  als  unverheiratet,  man  beachte  in  dieser  hinsieht  beson- 
ders solche  stellen  wie  7430  ff  und  77 16  ff,  wo  der  dichter  un- 
möglich die  erwähnung  der  freundin  hätte  unterlassen  können, 
wenn  Erek  eine  solche  besessen  hätte. 

Welche  möglichkeil  bleibt  da  noch  übrig?  textverderbnis 
oder  interpolation !  sehen  wir  zu,  ob  sich  anhaltspuncte  dafür 
finden. 

Es  fällt  zunächst  auf,  dass  Enite  vollständig  isoliert  steht; 
sie  ist  ohne  freund,  und  von  ihrer  herkunft  und  Stellung  erfahren 
wir  nichts,  eine  solche  einfühi  ung  von  frauen  ist  in  der  höfischen 
epik  ungewöhnlich. 

Der  zweite  grund  wigt  schwerer.  Enitens  namhaftmachung 
an  jener  stelle  des  gedichts  steht  mit  dem  voraufgegangenen  in- 
halt  in  unlösbarem  Widerspruch. 

Es  handelt  sich  um  die  bekannte  episode  der  mantelprobe, 
die  botin  der  meerfee  hat,  um  die  von  Lanzelet  verlassene  lblis 
für  ihre  treue  auszuzeichnen,  den  könig  Artus  veranlasst,  die 
tugend  der  an  seinem  hofe  versammelten  frauen  durch  anlegen 
des  mantels  zu  prüfen,  je  treuer  die  frau  ist,  um  so  besser  passt 
er  ihr.  neun  frauen  müssen  sich  der  tugendprobe  unterwerfen 
und  bestehn  sie  mehr  oder  minder  übel,  bevor  lblis  an  die  reihe 
kommt,  welcher  der  mantel  vortrefflich  sitzt. 

Diese  9  frauen  sind  folgende: 

1)  Ginovere,  5857  —  5832; 

2)  Orphilets  freundin,   5897  —  5926; 

3)  Walweins        *       ,   5927—5938; 

4)  Keiins  frau,  5939-5970; 

5)  Loifilols    freundin,   5971—6016; 

6)  Givreiz  *       ,   6017—6031; 

7)  Kailets  *       ,   6032—6051; 

8)  Malduz  *       ,    6052—6074; 

9)  Iwans  *       ,    6075—6094. 


EREK  UND  LANZELET  295 

man  sieht,  Enite  fehlt  in  dieser  reihe,  was  um  so  verwunderlicher 
ist,  als  sie  nachher  mit  namensnennung  besonders  hervorgehoben 
wird,    da  heilst  es  nämlich: 

v.  6095 ff  Als  ir  unz  her  hdnt  vemomen, 

der  mantel  wcere  genuogen  komen 

vil  wol  unz  an  ein  deine. 

Enite  diu  reine 

und  Wdlweines  vriundin, 

der  vrowen  mohte  manegiu  sin, 

diu  in  vil  wol  haben  solte, 

wan  daz  diu  maget  enwolte 

diu  in  dar  brdhte. 
diese  stelle  steht  aber  noch  in  andrer  weise  in  Widerspruch  zu 
dem  vorangegangenen,  unter  jenen  neun  frauen  ist  es  einzig 
und  allein  Walweins  freuudin,  die  bei  der  probe  einigermafsen 
gnädig  fortkommt,  diese  ihre  einzigkeit  wird  von  dem  dichter 
stark  genug  betont: 

v.  5935  ff  koeme  der  mantel  nieman  baz, 

so  trüege  in  billich  dne  haz 

diu  vrowe  diu  in  an  hat: 

siu  lebt  ab  der  er  baz  stdt. 
also,  wenn  Iblis,  die  in  dem  letzten  verse  gemeint  ist,  nicht  lebte, 
dann  hätte  Walweins  freundin  den  nächsten  anspruch  auf  den 
mantel,  und  niemand  hätte  grund,  ihr  ihn  zu  beneiden,  wo  bleibt 
da  Enite  diu  reine,  die  ?.  6098  noch  vor  Walweins  freundin  ge- 
nannt wird? 

Wenn  man  nicht  annehmen  will,  dass  Enite  und  'Walweins 
freundin'  identisch  sind,  dann  steht  jene  aufserhalb  jeder  be- 
ziehung  zum  gedichte  und  sogar  in  Widerspruch  mit  ihm,  und 
die  vermutuug  einer  interpolalion  hat  mehr  als  blofse  Wahrschein- 
lichkeit für  sich,  diese  'interpolation'  kann  aber  harmlos  und  un- 
freiwillig sein  :  der  text  ist  Lauz.  609S  tf  überhaupt  nicht  in  ord- 
nung;  Rüdiger  will  lesen  :  dne  diu  reine  Wdlweines  friundin. 

Auf  keinen  fall  aber  spricht  das  vorkommen  des  namens 
Enite  im  Lanzelet  dafür,  dass  Ulrich  den  Erek  Bartmanns 
kannte. 

Die  frage  Iigt  nahe,  wie  es  in  dieser  hinsieht  um  die  | 
Ereks  bestellt  sei.     er  tritt   im  Lanzelet  sehr  oft  auf   und  spielt 
eine   ziemlich    bedeutende    rolle,      vgl.    Lanz.  2 


296  GRUHN 

2996.  3006.  6234.  6377.  7001.  7259.  7277.  7296.  7332.  7459. 
7485.  7580.  7622.  7664.  7723.  7778.   8074.  9022. 

Er  gehört  zu  dem  kreise  der  ersten  beiden  der  tatelrunde, 
den  Walwein,  Lanzelet,  Tristan  und  Karjet  bilden,  besonders  mit 
Walwein  erscheint  er  in  engster  Waffenbrüderschaft  :  mit  ihm 
kämpft  und  leidet  er.  was  von  ihm  erzählt  wird ,  erinnert  aber 
keineswegs  an  Hartmanns  Erek;  es  sind  taten  eigentümlicher  art, 
die  zum  inhalte  des  Lanzeletromans  gehören,  ähnliches  wird  schon 
im  altfrauzösischeu  roman  von  Lancelot  über  Erec  berichtet  (s. 
Jouckbloetl).  unter  den  wenigen  Zügen,  die  an  Hartmanns  Erek 
erinnern,  ist,  glaub  ich,  irgendwo  schon  einmal  darauf  aufmerk- 
sam gemacht  worden,  dass  Erek  auch  im  Lanzelet  herr  von 
Destregals  ist  (Lanz.  8076).  ich  seh  in  dieser  Übereinstimmung 
nichts  besonderes,  da  die  beziehung  Ereks  zu  Destregals  wol 
keine  erfindung  Chrestiens,  sondern  ein  typischer  zug  der  Artus- 
sage ist.  demnach  konnte  die  französische  vorläge  Ulrichs  darüber 
ebensogut  unterrichtet  sein  wie  der  Erec  Chrestiens. 

Es  wird  nicht  überflüssig  sein,  wenn  ich  bei  dieser  gelegen- 
heit  gleich  noch  einige  namen  vor  den  äugen  der  kritik  revue 
passieren  lasse,  die  tatsache,  dass  Lanzelet  in  Hartmanns  Erek 
keine  rolle  spielt,  obwol  er  v.  1631  genannt  wird,  ist  immerhin 
beachtenswert,  wenn  sie  auch  für  sich  allein  nichts  beweist; 
Hartmann  ist  in  dieser  hinsieht  eben  seiner  vorläge  treu  geblieben, 
anders  verhält  es  sich  mit  der  tatsache,  dass  Parzival  nicht  in 
Ulrichs  Lanzelet  auftritt,  da  die  Gralsage  im  altfranzösischen 
roman  (s.  Jonckbloet!)  in  engster  beziehung  zur  Lanzeletsage  steht, 
ist  die  Vermutung  nicht  abzuweisen ,  dass  entweder  Ulrich  oder 
schon  sein  original  die  Gralabenteuer  absichtlich  ausgeschieden 
haben,  da  sich  aber  trotzdem  gewisse  anklänge  daran  im  Lan- 
zelet finden,  zb.  der  wunderbare  stein  galacia  (v.  8524  ff),  so  ist 
die  meinung  nicht  ganz  grundlos,  dass  Ulrich  des  Grals  oder 
Parzivals  gedacht  haben  würde,  wenn  er  bereits  vor  der  abfassung 
seines  werkes  das  grofse  gedieht  Wolframs  gekannt  hätte,  dar- 
nach müste  der  Lanzelet  vor  1203  oder  1204  verfasst  sein. 

Mehr  gewinn  für  unsre  Untersuchung  werden  wir  haben, 
wenn  wir  jetzt  unsre  aufmerksamkeit  dem  beiden  Walwein  zu- 
wenden, der  name  Walwein  begegnet  schon  im  altfranzösischen 
Lancelotroman, zb.  Jonckbloet  s. xxi.  Ulrich  wird  ihn  demnach  seiner 
vorläse  entnommen  haben,    sieht  man  von  dem  handschriftlichen 


ERER  UM»  LANZELET  297 

Walwin  ab  (W),  so  linden  sich  bei  ihm  2  formen,    ich  bei 
reimbelege  hei   beulen  durch  einen  stein   hervor. 

1)  Wdlwein  2297.  2312.  23135.  2381.  2397.  2400.  2404 
*2444.  2466.  2494.  2539.  2572.  2582.  2650.  2659.  2688.  2698. 
2726.  2704.  3012.  3032.  3247.  3373.  3404.  3445.  3454.  3482. 
3500.  4961.  5177.  *5190.  5199.  5208.  5213.  5221.  5239.  5754. 
5928.  0099.  *6141.  0229.  *6391.  *0411.  0127.  6437.  6620. 
6696.  *G825.  7007.  7259.  *7277.  *7333,  7459.  7484. 
*7622.  7664.  *7723.  8000.  *9020. 

2)  Wälwdn  *5372.  *7296.  *7778. 

In  Hartmanns  Erek  begegnet  che  letztere  form  zweimal  :  1 152 
und*9915  l.  Chrestien  hat  den  namen  nicht;  an  der  v.  1152  eul- 
sprechenden stelle  steht  bei  ihm  (v.  1090)  der  oame  Gauvain,  an 
der  9915  entsprechenden  fehlt  auch  dieser,  da  Hartman d  Chre- 
stiens  Gauvain  sonst  im  Erek  mit  Gd wein  verdeutscht,  zb.  1512. 
1029.2229.2500.4785,  so  muss  die  namenslorm  Wälwdn  bei  ihm 
als  durch  fremden  einfluss  eingedrungen  betrachtet  werden,  db.  der 
uame  Walwan  muss  ihm  geläufig  gewesen  sein,  neben  der  form 
Gawein,  die  Hartmanns  eigne  erfindong  ist,  macht  die  form 
Walwan  durchaus  den  eindruck  einer  reminiscenz.  wo  aber 
konnte  Ilartmann  den  namen  so  oft  gelesen  haben,  da>>  er  ihm 
unwillkürlich  in  die  feder  lloss?  nur  Ulrichs  Lauzelet  kann  ernst- 
haft in  frage  kommen,  zwar  steht  der  name  auch  in  Eilbarts 
Tristrant  (s.  die  belege  in  Lichtensteins  namensverzeichnis  s.  17  Ij, 
aber  sein  träger  ist  hier  blofs  eine  episodische  ßgur,  welche  nur 
in  einer  kurzen  parlie  (5027  —  5484)  erscheint,  sodass  sieb  der 
name  dem  gedüchtnisse  ganz  und  gar  nicht  aufdrangt,  da  auf 
die  besondre  form  Walwein  oder  Walwan  kein  gewicht  zu  legen 
ist,  so  ist  unsre  Schlussfolgerung  diese  :  Hartmann  rerdeutsehl 
den  namen  Gauvain  durch  Gdwein,  welche  form  ihm  gehört  und 
erst  seit  dem  Erek  üblich  wird;  wäre  Ulrich  von  ihm  abhangig, 
dann  müste  er  nach  allen  gesetzen  der  Wahrscheinlichkeit  eben- 
falls Gdwein  zeigen;  zum  mindesten  wäre  denkbar,  dass  er  ein- 
mal aus  versehen  Gdwein  statt  Wdlwein  setzte,  dieses  fers 
passiert  ihm  aber  nicht,  im  gegenteil  ist  er  in  der  namenssei 

1  die  Wolfenbüttlet  Erekfragmenle  i/-.  12,  261  anm.)  - 
//  atiwan  auch  v.  1785  ein,   indem  sie  den  namen   aua  dem 
hui. -ic  bringen;  liier  möchte  prof.  Schrödei  allerdings  ei  I 
annehmen. 


298  GRUHN 

wenigstens  was  die  erste  worthälfte  anbetrifft,  durchweg  einheit- 
lich, dagegen  trifft  die  annähme  bei  Hartmann  zu,  der  zwischen 
seine  neue  uamensform  Gdwein  zweimal  die  ältere  Wdlwdn  hinein- 
mengt, unsinnig  wäre  es,  anzunehmen,  dass  Ulrich  mit  dem  in- 
stincte  für  Hartmannsche  Seltenheiten,  den  ihm  die  gegner  seiner 
Priorität  zutrauen,  die  beiden  ganz  versteckten  formen  Wdlwdn 
—  sie  sind  so  versteckt,  dass  noch  Neumaier  (n  23)  und  Hagen 
(Zs.  f.  d.  phil.  27,473)  nur  eine  kannten  —  aus  dem  Erek  sofort 
herausgefunden  und  als  bessere  Verdeutschung  des  französischen 
Gauvain  Hartman us  Gdwein  vorgezogen  habe. 

Eine  eingehude  namenuntersuchung  dürfte  für  unser  thema 
noch  manches  brauchbare  ergebnis  liefern;  ich  will  aber  hier 
nur  noch  einen  Ortsnamen  behandeln. 

Neben  Kardigdn  (Lanz.  4949.  4983.  5162  uü.),  für  welches 
aber  im  Erek  (1101.  1112.  1151.  1197.  1798.  2853)  Bech  mit 
recht  die  viersilbige  form  Karadigdn  im  anschluss  an  die  hs.  und 
in  Übereinstimmung  mit  Chrestien  hergestellt  hat,  begegnet  ein- 
mal der  name  einer  zweiten  Artusburg,  Karidöl. 
Er.  7806  ff  wir  vinden  in  ze  Karidöl 

ode  benamen  ze  Tintajöl. 
bei  Chrestien  5320  fehlt  der  name;  im  Iwein  32.  3066  treffen 
wir  ihn  wider,  und  hier  hat  er  im  frz.  Yvain  v.  7  Carduel  als  stütze, 
aber  woher  die  form  Karidöl!  im  Lanzelet,  an  dessen  priorität 
wir  schon  kaum  noch  zweifeln  können,  treffen  wir  ihn  in  dieser 
Schreibung  widerholt  an  :  2730.  4973  (vgl.  auch  la.  von  P  zu  7035). 
Fraglich  bleibt  es,  ob  die  beiden  erwähnungen  der  zauber- 
kundigen Femurgdn  im  Lanz.  und  im  Erek  (Fdmurgdn)  in  irgend 
einem  zusammenhange  stehn.  im  alten  Lancelotroman  spielt  die 
fee  Morgain  oder  Morguein  eine  grofse  rolle,  sie  ist  die  Schwester 
des  königs  Artus  und  erst  die  freundin,  nachher  aber  die  un- 
versöhnliche feindin  der  königin  Ginover.  als  solche  verfolgt  sie 
Lancelot,  den  liebhaber  Ginovers,  in  jeder  weise,  bekommt  ihn 
endlich  in  ihre  gewalt  und  hält  ihn  lange  gefangen,  als  freundin 
Merlins  ist  sie  in  alle  geheimnisse  der  Zauberei  eingeweiht  (vgl. 
zu  dem  allem  Jonckbloet  s.  Lxxivff).  wenn  also  Ulrich  v.  7185ff 
einmal  vergleichsweise   die  fee  heranholt: 

dne  Femurgdn  die  riehen 

so  enkund  sich  ir  geliehen 

kein  icip  von  der  ich  ie  vernam, 


EREK  UM)  LANZELET 

so  brauchen  wir  nicht  weiter  zu  fragen,  woher  er  diese  künde 
hatte,  anderseits  aber  kann  diese  spärliche  notiz  oicht  etwa  die 
einzige  quelle  jenes  langen  excurses  über  Famurgan  sein,  den 
llartmann  im  Er.  5150 — 5242  selbständig  der  darstellung  seiner 
tjuelle  einfügt  (Bartsch  Genn.  7,  105).  denn  wenn  es  auch  Dicht 
viel  tatsächliches  ist,  was  llartmann  bringt,  so  ist  doch  etwas 
darunter,  was  er  bei  Ulrich  nicht  finden  konnte  :  er  weifs  zwar 
nicht,  woher  ihre  Zauberkünste  stammen  (5172  ich  enweiz  wer 
siz  leite),    aber  er  nennt   sie  richtig  des  küneges  swester  (5157). 

Wird  man  hier  vorsichligerweise  jeden  Zusammenhang  ab- 
lehnen, so  bleiben  doch  im  vorausliegenden  beweise  und  kriterien 
genug  für  das  gesamtergebnis  :  nicht  der  Lanzelet  ist  vom  Erek, 
sondern  der  Erek  vielmehr  vom  Lanzelet  abhängig;  Ulrich  von 
Zatzikhofen    ist  der   Vorgänger    Hartmanns  von  Aue! 

Zu  diesem  durch  negative  kritik  gefundenen  resullate  stimmt, 
was  als  positive  bestätigung  gelten  mag,  der  ganze  Charakter  der 
Lanzeletdichtung   aufs  vortrefflichste. 

Schon  Ulrichs  spräche  verrät,  dass  er  noch  ganz  im  banne 
der  alten  epik  steht.  Schilling,  Mllaupt  und  besonders  Schütze 
haben  das  volkstümliche  elemeut  im  Lanzelet  seinem  ganzen  um- 
fange nach  übersichtlich  dargelegt.  Ulrichs  epischer  wort-  und 
phrasenschatz  zeigt  noch  einen  ausgesprochen  archaischen  Charakter, 
auch  gegenüber  dem  Erek,  der  doch  unter  den  dichtungen  Bartmanns, 
wie  man  längst  weifs, eine  Sonderstellung  einnimmt.  Ulrichs  spräche 
ist  noch  sehr  durchsetzt  mit  ausdrücken  der  nationalen  diohtung 
(Schütze  s.  23).  der  dichter  steht  aber  nah  an  der  schwelle  der 
höfischen  epoche,  die  von  llartmann  bereits  überschritten  i-t. 

Zu  dieser  ansieht  kommt  man  auch,  wenn   man  Ulrichs  in. - 
trik  ins  äuge  fassi.     einen  ersten  anlanf  zu   ihrer  Charakteristik 
hat  Neumaier  gemacht  :  zu    einer   abschließenden  Untersuchung 
bedürfen  wir  unbedingt  einer  neuen  ausgäbe.    Neumaier  zufolge 
ist  die  poetische  technik  Ulrichs  keine  unbeholfene,    'im  ganzen 
sind  die  verse  von  gefälligem  llu^s    und  bezeugen  ein  nicht  un- 
bedeutendes feingefühl'  (i  (i).    Ulrich  steht  nach  ihm  aber  Eilhart 
und  Veldeke,   aber  an   die   vollkommenheil  Hartmanns  reicht  er 
doch  noch  nicht  ganz  heran;  denn  'vierhebige  klingende  ver* 
gegnen    im  Lanzelet  sehr  oft',   und   hierin   'erinnert   der  *; 
noch   an    die   alte   zeit'  (i  7).     Ulrich   erhall    also  nuh  hiei 
seinen  platz  vor  Hartmann. 


300  GKUHN 

Auch  Ulrichs  darstellungsart  ist  in  dieser  (rage  vod  hoher 
bedeutung.  wie  Cervinus  und  VVackernagel  darüber  urteilen, 
ist  schon  in  der  einleitung  mitgeteilt,  ich  reihe  hieran  noch 
einige  andre  meinungsäufserungen.  WGrimm  (Athis  u.  Proph.  371) 
stellt  Ulrichs  Lanzelet,  im  gegeusatze  zu  Ilartmanus  dichlungeu,  neben 
Eilharts  Tristrant  und  Lamprechts  Alexander,  'wo  die  darstellung 
der  ereiguisse  noch  ihr  recht  behauptet  und  dem  gefühlsieben  kein 
solcher  räum  vergönnt  wird',  nach  MHaupt  ist  Ulrich  'ärmlich  in  der 
darstellung'  (Jahrbb.  f.  w.  kr.  14, 113).  Schütze  schreibt  :  'nicht  nur 
im  häufigen  gebrauch  altherkömmlicher  formelu  und  ausdrücke  be- 
tätigt sich  Ulrichs  volksmäfsige  natur,  sondern  auch  in  seiner 
ganzen  darstellungsweise,  für  ihn  ist  noch  der  alte  künstlerische 
standpunct  malsgebend,  dem  zufolge  die  handlung  im  Vordergründe 
des  interesses  steht,  während  das  strengere  höfische  epos  auf  die 
darlegung  seelischer  zustände  und  auf  die  beschreibuug  von 
gegenständen  das  Hauptgewicht  legt'  (s.  26).  Goedeke  erklärt  (i  84) : 
'Ulrichs  darstellung  ist  nicht  darnach  angetan,  als  ob  er  durch 
Hartmanns  manier  gebildet  wäre,  der  stoff  ist  ihm  offenbar  ein 
neu  entdeckter,  dessen  er  nicht  sonderlich  meister  geworden', 
treffend  ist  auch  die  Charakteristik,  die  JBaechtold  in  seiner 
Schweiz,  litteraturgesch.  s.  90  gibt  :  'von  einer  Vertiefung  des 
überlieferten  rohen  Stoffes  keine  spur,  dagegen  zeichnet  sich  das 
gedieht  durch  einfachheit  der  erzählung,  klarheit  und  knappheit 
der  darstellung  aus.  der  deutsche  Übersetzer  verharrt  ganz  auf  dem 
altmodischen  slandpuncte  der  frühern  Spielmannsdichtung,  nach 
welchem  die  handlung  die  hauptsache  ist;  von  der  Schilderung 
seelischer  Vorgänge,  von  der  descriptiveu  weise  des  strenghöfischen 
epos  ist  er  noch  weit  entfernt,  an  seinem  werke  lässt  sich  der 
Übergang  von  der  alten  zur  neuen  kunstübung  am  deutlichsten 
verfolgen'. 

In  diesem  urteil  sind,  was  doch  sehr  beachtenswert  ist,  alle 
forscher  einig,  sie  mögen  nun  anhänger  oder  gegner  der  ansieht 
von  Ulrichs  priorität  vor  Hartmann  sein,  selbstverständlich  beugt 
sich  auch  Neumaier  vor  soviel  autorität,  aber  er  kann  doch  die 
bemerkung  nicht  unterlassen,  dass  im  Lanzelet  eigentlich  auch 
eine  sehr  umfangreiche  beschreibuug  von  400  versen  vorkommt, 
die  man  wol  der  berüchtigten  Hartmannschen  beschreibuug  von 
Enitens  pferd  in  500  versen  (7286  —  7766)  vergleichen  dürfte 
(n  9).    Neumaier  meint  damit  die  mantelepisode,  die  ihm  so  sehr 


EREK  UND  LANZELET  301 

misfällt,  dass  er  sie  missen  möchte,  wie  kann  man  aber  Ulrichs 
Schilderung,  die  voll  dramatischen  lebens,  voll  bandlung  und 
Spannung  ist,  der  langweiligen  begeh reibung  von  Enitens  pferd 
vergleichen!  ich  möchte  umgekehrt  Neumaier  den  ganzen  Lan- 
zeletroman  preisgeben  und  nur  diese  eine,  hochdramatische  Bcene 
der  mantelprohe  zurückbehalten. 

Es  bleibt  zum  schluss  noch  übrig,  die  wahrscheinliche  ab- 
fassungszeit  des  Lanzelet  festzustellen.  Ulrich  erzählt  selbst 
v.  9324 — 9349,  dass  er  seine  vorläge,  daz  welsche  buoch  von  hm- 
zelele,  das  nach  G Paris  Romania  10,  253  zweifellos  nordfranzö- 
sischen Ursprungs  war,  von  Hugo  vMorville  erhalten1,  und  dass 
dieser  Hugo  zu  den  geisein  gehört  habe,  die  um  könig  Richards 
von  England  willen  an  den  hof  kaiser  Heinrichs  vr  gekommen 
seien,  jener  Huc  vMorville  ist  nach  dem  Dictionary  of  national 
biography  39,  168  unter  den  verschiedenen  trägem  des  gleichen 
namens  höchst  wahrscheinlich  derjenige,  welchen  die  haupi- 
schuld  an  der  ermordung  Thomas  Reckets  trifft  und  der  1204 
gestorben  ist.  es  Tragt  sich,  wann  die  englischen  geisein  in 
Deutschland  eingetroffen  sein  dürften,  gewöhnlich  nimmt  man 
als  zeitpunet  den  februar  1194  an,  in  welchen  monat  Richards 
freilassung  zu  Mainz  fällt2,  es  ist  aber  mehr  als  wahrschein- 
lich, dass  ihre  ankunft  um  r>  jähr  früher  anzusetzen  ist. 
schon  iu  dem  vertrage  zu  Hagenau,  mitte  april  1193,  zwischen 
Richard  und  Heinrich  vi  wird  des  ersteren  befreiung  davon  ab- 
hängig gemacht,  dass  er  70000  mark  zahle  und  für  den  res!  des 
lösegeldes  geisein  stelle  (Rloch  Forschungen  z.  poIitik  k.  Hein- 
richs vi  [Berlin  1892]  s.  63).  auch  in  dem  Wormser  rertrage 
vom  29  juni  1193  heifst  es  :  Alias  quoque  50000  marcas  dabü 
imperatori  et  dtici  Austriae,  et  pro  Ulis  ponet  ohsides  (Bloch 
Richard,  der  seine  freilassung  aufs  sehnlichste  wünschte,  bat 
sicherlich  die  geisein  so  schnell  wie  möglich  zur  stelle  geschafft. 
in  einem  an  seine  multer  gerichteten,  aus  BagenSU  v.  \\\  ;i|>i.  1193 
datierten  briefe  (Rymer  Foedera  i  26)  fordert  Richard  bereits  aufs 
dringendste   die  absendung    der  geisein,    tu    liberatio    nostra   per 

1  9340 f  in  des  geioalt  uns  vor  erschein  duz  welsche  buot 
zelele   —    danach   lial  llv.Morville  dein   Dllich    resp.  dessen 

das  buch  gewis   nur  geliehen    and  nicht    etwa  dauernd  aul 
besitz  verzichtet  (ESehrüder). 

2  Bloch  aao.  TS  :  4  Februar,  nachmittags  :f  ohr. 


302  GRUHN  EREK  UND  LANZELET 

absentiam  obsidum  et  negligentiam  vestram  moram  patiatur.  sie 
dürften  also  wenigstens  teilweise  schon  im  sommer  oder  herbst 
1193  am  kaiserlichen  hofe  angelangt  sein1,  hiernach  könnte 
Ulrich  schon  im  j.  1193  die  Übersetzung  begonnen  haben,  da 
nicht  anzunehmen  ist,  dass  man  von  dem  französischen  original 
erst  eine  abschrift  genommen  hat,  und  da  deshalb  an  Ulrich  die 
anforderung  berantrat,  die  Übersetzung  möglichst  zu  beschleu- 
nigen, damit  die  hs.  an  Hugo  noch  vor  dessen  rückkehr  nach 
England  zurückerstattet  werden  konnte,  so  kann  man  das  jähr 
1195  als  das  späteste  ansehen,  in  dem  der  Lanzelet  vollendet 
wurde,  diese  datierung  haben  auch  Koberstein  (s.  einl.),  APeter 
(Germ.  28,  131)  und  andre  angenommen. 

Hiernach  ist  die  obere  grenze  für  die  abfassungszeit  von 
Hartmanns  Erek  bestimmt.  Naumann,  Fßech,  Eggert  und  andre  sind 
also  im  irrtum ,  wenn  sie  die  entstehung  des  Erek  in  die  jähre 
1192 — 93  verlegen;  dagegen  hat  Lachmann  (Eggert  6;  Iw.4  s. 479) 
mit  der  vorsichtigen  datierung  'vor  1197'  das  richtige  gewählt. 

Unsre  Untersuchung2  kommt,  wenn  ich  nicht  irre,  gerade 
zur  rechten  stunde,  um  einer  neuen  Verwirrung  in  der  Chrono- 
logie der  Hartmannschen  werke  vorzubeugen,  erst  eben  wider 
hat  Piquet  Romania  28,  135  gegenüber  Maxeiner  sich  für  die 
Priorität  des  Erek  vor  dem  Lanzelet  mit  grofser  Zuversicht  auf 
eine  ganze  reihe  von  gewährsmännern  (Vogt,  Golther,  Piper, 
Henrici,  Martin  [bei  Wackernagel  i  145])  berufen,  und  Saran  im 
neusten  hefte  der  Sieversscheu  ßeiträge  24,  36  macht  den  versuch, 
den  Ivvein  vor  1189,    den  Erek    noch  höher  hinauf   zu  datieren. 

[Die  weiterfuhrung  der  arbeit  :  'Hartmann  unter  dem  einfluss 
Ulrichs'  muss  ich  einem  andern  überlassen,  es  wird  ihm ,  hoff 
ich,  nicht  schwer  fallen,  auch  die  neuen  gründe  hinwegzuräumen, 
mit  denen  jetzt  Singer  (Bemerkungen  zum  Parzival  s.  81  f)  den 
Lanzelet  gar  unter  den  Wigalois  herabdrücken  möchte.] 

1  anderseits  wurden  die  geisein,  wie  ein  brief  Goelestins  m  an  den 
bischof  Adelard  vVerona  (Rad.  de  Diceto  ed.  Stubbs  n  119,  Rymer  Foedera 
i  28)  zeigt,  bis  in  den  sommer  1194  zurückbehalten,  damals  verlangte  der 
papst  nachdrücklich  ihre  freilassung. 

2  prof.  ESchröder  ist  für  die  fassung  mehrerer  stellen  mitverantwort- 
lich, die  arbeit  wurde  schon  1895  niedergeschrieben  uzw.  ziemlich  flüchtig, 
eine  nachprüfung  war  erforderlich,  und  prof.  Schröder  hat  sich  ihr  unter- 
zogen, soweit  es  seine  zeit  erlaubte. 

Berlin.  ALBERT  GRUHN. 


WULPENWERT  UND  WÜLPENSAND. 

Das  local  der  sagenhaften  küstenschlacht,  in  welcher  Betel 
seinen  tod  findet,  ist  durch  JGrimm  Zs.  2,4  als  die  landschall 
Wulpia  festgelegt  worden  :  die  gegend  an  der  Scheidemündung, 
die  heimat  der  homines  Wulpingi  einer  Urkunde  von  1190,  da 
wo  noch  karten  des  14  und  des  17  jhs.  (bei  Ploennies)  einen  ort 
Wulpen  kennen,  und  auch  in  der  etymologischen  deutung  des 
Ortsnamens  scheint  man  sich  sicher  zu  fühlen;  ich  habe  we- 
nigstens bei  deutschen  forschem  noch  keinen  protest  gegen  die 
landläufige  auffassung  gefunden,  die  zuletzt  Martin  kl.  ausg.  s.  xxix 
widergibt:  'Strand  der  Wölfinnen'1,  richtiger  wäre  wol  zunächst 
'Strand  der  wölfin',  denn  in  derartigen  Ortsnamen  pflegt  der  name 
des  (grofsen)  tieres  in  der  alten  spräche  und  vielfach  auch  noch 
heute  im  sing,  zu  stebn  :  also  Wolfsberg,  Schweinsberg,  Heninberc 
O  üenneberg),  Arnsberg,  Rabensberg.  das  fem.  will  ich  an  sieb 
nicht  anstofsig  finden;  so  gut  wir  neben  Fuchsicinkel  (Voswinkel) 
auch  Vohenwinkel,  Vohwinkel  haben  usw.,  könnte  etwa  einem 
*  Wolfeswert  (falls  es  den  gäbe)  auch  ein  Wülpenwert  zur  seile 
treten,  nur  freilich  scheint  mau  sich  niemals  überlegt  zu  haben, 
dass  die  gegend  um  die  Scheidemündungen  zu  keiner  zeit  ein 
aufeuthalt  für  wölfe  gewesen  ist,  ja  dass  überhaupt  ein  sandiger 
wert  wenig  geeignet  scheint,  nach  diesem  raubtier  benannt  zu 
werden. 

Die  richtige  erkläruug  hat  schon  vor  jähren  JteWinkel  in  8. 
Geschiedenis  der  nederlandsche  letterkunde  i  (1887)  s.  35  n. 
geben,  indem  er  auf  den  'an  der  friesischen  küste  sehr  bekannten' 
namen  eines  oder  vielmehr  zweier  Strandvögel  hinwies  ;  'numenius 
arquatus'  de  groote  wulp,  'numenius  phaeopus'  de  kleine  wulp  ol 
regenwulp;  er  verweist  dafür  auf  HSchlegel  Geweryelde  dieren, 
Vogels  s.  182 IT.  da  die  mir  zugänglichen  nieder),  lexica  und  idiotika 
das  wort  nicht  enthalten,  so  bin  ich  auf  JANaumanns  Naturgesch.  d. 
vögel  Deutschlands  bd  vin  (1836)  s.  478.  506  angewiesen  :  diesei 
gibt  ua.  als  deutsche  di.  niederdeutsche  na D   Für  beide  brach- 

1  an  eine  andre  erklärung  (etwa  wulp  nl.  =  toelp  'catulus 
Piper  zu  denken,  wenn  er  in  8.  ausgäbe  B.  \i  i  behaupte! 
ist  jedesfatis  niederdeutsch',     auch  Bartsch  freilich  hielt  (Kudru 
p  in  Wülpenwert  fflr 'niederdeutsch',  und  bei  ihm  wai  es  i 

den  er  spater  erkannt  hat. 


304      SCHRÖDER  WÜLPENWERT  UND  WÜLPENSAND 

vogelarten  regenwölp,  -worp,  -wulp,  aufserdem  citiert  er  s.  478 
für  den  groflsen  brachvogel,  'numenius  arquatus',  Sepp  Nederl. 
vog.  ii  109  graauwe  wulp,  s.  506  für  den  kleinen  oder  regen- 
brachvogel,  'numenius  phaeopus',  ebendaher  iv  305  de  kleine  regen- 
wulp.  auf  deutschem  bodeu  sclieinl  nur  noch  das  compositum 
regenwulp  uä.  vorhanden,  das  auch  als  regenwolf  umgedeutet  wird 
(DWb.  viii  526).  bei  ten  Doornkaat-Koolman  in  24  find  ich  regen- 
gilp,  regen-wilp,  mit  einem  hinweis  auf  Dähnert  (Pommern,  1781): 
regenwölp.  wer  die  Schilderung  der  brutstatten  dieses  strandvogels 
in  den  diinen  der  deutschen  und  holländischen  nordseeküste  bei 
Naumann  s.  498  gelesen  hat,  wird  nicht  mehr  zweifeln,  dass  es 
eben  der  grofse  brachvogel  ist,  dessen  friesisch -niederdeutscher 
name  an  dem   Wülpenwerde  und   Wülpensande  haftet. 

Ein  litterarisches  vorkommen  des  'numenius  arquatus'  in  der 
altgerm.  poesie  ist  bisher  nicht  als  solches  erkannt  worden,  es 
findet  sich  in  der  ags.  elegie  vom  Seefahrer  :  der  Seefahrer 
nennt  uns  die  geräusche  und  insbesondere  die  vogeltöne,  die  ihm 
da  draufsen  den  geselligen  lärm  der  menschen  ersetzen  müssen: 
ylfete  song  (19),  ganetes  hleopor(20),  maew  singende  (22),  dazwischen 

v.  21  and  huilpan  siveg  fore  hleahtor  wera. 
Grein  Sprachsch.  n  110  begnügt  sich  damit,  das  wort  als  dunkel 
zu  bezeichnen,  Rosworth-Toller  565  bringt  —  offenbar  verleitet 
durch  Grein,  der  es  mit  hu-  statt  hv  ins  aiphabet  eingestellt 
bat,  —  die  in  jeder  beziehung  schaurige  ansetzung  ihü-ilpa  .  .  . 
the  name  of  a  bird  so  called  from  its  note  [cf.  germ.  uhu  owl]'. 
wie  passt  denn  das  zu  der  ganzen  Umgebung  :  dyde  ic  me  tö  ge- 
mene  .  .  .  hwilpan  sweg  fore  hleahtor  weral  Sweet  schließlich 
(Stud.  dict.  of  anglo-saxon  s.  97)  gibt  eine  vorsichtige  erkläruug 
('a  sea-bird'),  setzt  aber  ohne  mir  ersichtlichen  grund  im  gegen- 
satzzuGreins  undBosworth-Tollers  swm.  ein  l'em.hwilp(e)  an,  gegen 
das  das  deutsche  und  niederländische  masculinum  protestieren. 

Es  dürfte  den  leser  interessieren,  dass  auch  ein  kenner  wie 
Naumann  die  töne  des  wülp,  die  dem  ags.  Seefahrer  offenbar  be- 
sonders anmutig  klangen,  mit  wahrer  begeisterung  beschreibt,  in- 
dem er  aao.  s.  494  f  fast  zwei  Seiten  darauf  verwendet,  'er  hat 
unter  allen  Sumpfvögeln  die  angenehmste  stimme  ....  keiner 
hält  einen  so  tiefen  ton ,  keiner  flötet  so  eigentlich  wie  er.  ... 
seine  abgerundeten,  vollen,  herlicheu  töne  sind  wahren  flöteu- 
tönen  zu  vergleichen,  und  dabei  so  kräftig,  dass  sie  bis  in  weite 
ferne  die  luft  erfüllen,  sie  haben  für  viele  menschen  einen  eigen- 
tümlichen, für  den  jagenden  naturforscher  aber  einen  hohen,  un- 
vergleichlichen reiz'. 

Marburg.  EDWARD  SCHRÖDER. 


RÜDIGER  VON  BECIILAREN  UND  DIE 
HARLUNGENSAGE. 

Für  die  sagengestalt  des  markgrafeo  Rüdiger  bat  man  bishei 
vergeblich  nach  einer  geschichtlichen  anlehnung  gesacht  da  ein 
markgraf  dieses  namens,  von  welchem  aufser  dem  epos  seit  dem 
13  jh.  auch  gelehrte  geschichtsconstrnction  allerlei  zu  berichten 
wüste,  im  hereich  der  bairischen  Ostmark  nicht  aufzufinden  war 
(Dümmler  Piligrim  9211',  Waitz  Jahrb.  Heinrichs  i  239,  VG.  ni  7  1 
u.  4),  hielt  man  seine  geschichtliche  herkunft  Oberhaupt  tu i 
zweifelhaft  und  eine  solche  mythischen  Charakters  für  um  so 
wahrscheinlicher,  als  auch  gewisse  momente  seines  Wesens  und 
seines  auftretens  diese  auffassung  zu  unterstützen  schienen  (Lach- 
mann Kritik  338,  WGrimm  HS.3  110,  Müllenholf  Zs.  10,  162. 
30,  237  ff,  Heller  Bll.  des  ver.  für  laudesk.  von  Nieder- österr. 
7,15111',  vMuth  W'SB.  85,  2651T).  andern  erschien  Rüdiger  im 
allgemeinen  als  Vertreter  der  Ostmark  innerhalb  der  deutschen 
heldensage  (WMüller  Myth.  der  hlds.  32),  specieller  als  ein  die 
doppelstellung  des  bairischen  greuzadels  vergegenwärtigender  typus 
(Lämmerhirt  Zs.  41,  111),  oder  überhaupt  als  eine  rein  poetische 
gestalt  (Symons  Germ,  hlds.2  702). 

Auch  wenn  in  Rüdigers  auftreten  ein  Übergewicht  mythische! 
motive  anzuerkennen  wäre,  würde  seine  mythische  herkimli  noch 
keineswegs  erwiesen  sein;  seine  Stellung  in  der  beldensage  aber 
erscheint  anderseits  zu  festgegründet,  als  dass  die  annähme  eines 
rein  poetischen  Ursprungs  im  schofs  eines  Zeitalters,  welches 
heldensage  als  geschichtliche  Überlieferung  naiv  hinnahm  und  naiv 
weiterbildete,  innere  Wahrscheinlichkeit  beanspruchen  konnte, 
wenn  nun  zb.  dicht  neben  ihm  der  letzte  ThOringerkOnig  im 
epos  (iN'ib.  2008,  3)  als  'landgraf'  erscheint,  so  ligl  die  mOglich- 
keit  nahe,  dass  auch  Rüdiger  seine  markgrafenwürde  einem  naiven 
versuch  verdankt,  seine  Stellung  den  zustanden  einer  bestimmten 
periode  der  sagenbildung  anzugleichen,  betör  man  daher  auf  eine 
geschichtliche  losung  des  Rüdigerproblems  vollkommen  fenicbtet, 
dürfte  die  frage  gestattet  sein,  ob  denn  die  eigentliche  belden- 
generation,  in  deren  mitte  er  erscheint  und  zu  deren  bauptver- 
tretern  er  in  festausgeprSgten  beziebungea  sieht,  keinen  Inhalt 
für  eine  solche  lOsung  bietet 
Z.  F.  l>.  A.   XLIII.      N.   F.   XXXI. 


306  MATTHAEI 

i. 

Versuchen  wir  der  ältesten  Überlieferung  über  Rüdiger  so 
nahe  als  möglich  zu  kommen,  so  ist  zunächst  festzustellen,  dass 
in  der  ältesten  fassung  der  Thidrekssaga  der  herr  von  Bechlaren 
(Bakalar)  nicht  Rüdiger,  Rofiingeirr,  sondern  Rodulf,  Rofoolfr,  ge- 
nannt wurde  (de  Boer  Zs.  f.  d.  phil.  25,  443  ff),  was  diese  fassung 
über  Rodolf  berichtete,  lässt  sich  infolge  der  nicht  überall  mehr 
klar  erkennbaren  Überarbeitung  nur  ganz  im  allgemeinen  fest- 
stellen, unzweifelhaft  berichtete  sie,  dass  Rodolf  dem  könig 
Attila  durch  Überredung  und  list  seine  gattin  Erka  (Helche), 
Osantrix  tochter,  zuführte  und  dadurch  selbst  deren  Schwester 
Bertha  zur  gemahlin  gewann  (cc.  43 — 56),  dass  er  Dietrich  nach 
seiner  Vertreibung  durch  Ermenrich  bei  der  aufnähme  im  Hunnen- 
lande Unterstützung  gewährte  (cc.  289.  290) ,  dass  er  zusammen 
mit  Dietrich  im  dienste  Attilas  sich  an  kriegsfahrten  gegen  sla- 
vische  Völkerschaften  beteiligte  (cc.  291 — 311),  wobei  er  einmal 
in  gefangenschaft  geriet  (c.  293),  endlich  dass  er  an  der  spitze 
von  Attilas  hilfsheer  Dietrich  auf  dem  feldzug  gegen  Ermenrich 
begleitete  (cc.  331—338). 

Der  erste  Überarbeiter  der  ThS.  liefs  den  namen  Rofiolfr  in 
der  Erka-Berthaepisode  und  im  c.  293  ungeändert,  ersetzte  ihn 
dagegen  in  allen  übrigen  partien  durch  Rofiingeirr  (was  ver- 
sehentlich nur  an  einer  stelle  des  c.  326  unterblieb,  de  Boer 
aao.  444).  er  erweiterte  ferner  den  altern  bericht  durch  gröfsere 
hervorhebung  der  besondern  Verdienste  dieses  helden  um  Dietrich 
und  Hildebrand  auf  den  östlichen  feldzügen  (cc.  297.  298)  und 
bei  der  Unternehmung  gegen  Ermenrich  (vgl.  cc.  334  und  338), 
führte  c.  289  Gudilinda  als  seine  gattin  ein  und  erzählte  in  der 
Niflungasaga,  die  er  hinzufügte,  die  geschichte  seines  Untergangs 
(cc.  357.  368 ff). 

Nach  der  ansieht  de  Boers  (aao.  443)  unterblieb  die  er- 
wähnte namensänderung  in  der  Erka- Bertha -episode,  weil  der 
Überarbeiter  wüste,  dass  Rüdigers  gattin  nicht  Bertha,  sondern 
Gotelinde  hiefs.  wäre  ihm  aber  die  entfiihrung  Helches  durch 
Rüdiger  aus  der  oberdeutschen  sage,  mit  welcher  er  sich  sonst 
durchaus  vertraut  zeigt,  bekannt  gewesen,  so  würde  er  kaum 
austand  genommen  haben,  nicht  nur  wie  in  den  übrigen  fällen, 
Rofoingeirr  einzusetzen,  sondern  auch  Bertha  in  Gudilinda  zu  ver- 


RÜDIGER  UND  DIE  HARLUNGENSAGE 

wandeln  l.  es  scheint  aber  grund  zu  der  annähme  vorzuliegen, 
dass  den  oberdeutschen  quellen  des  ersten  Überarbeiters  Rüdigers 
verdienst  um  die  erwerbung  Helches  unbekannt  war.  wenn  der 
sagenkundige  vf.  des  Bit.,  der  Rüdigers  umsieht  sonst  nicht  ge- 
nug zu  rühmen  vveifs,  trotz  zwiefacher  gelegenheit  dieser  tatsache 
zu  gedenken  (vgl.  v.  345  und  376),  darüber  vollkommen  schweigt, 
so  kann  sie  ihm  nicht  bekannt  gewesen  sein,  da  nun  vermutlich 
auch  im  c.  293  Rodolfs  name  deshalb  nicht  geändert  wurde,  weil 
die  oberdeutsche  sage  von  einer  gefangennähme  Rüdigers  nichts 
wüste,  so  ergibt  sich  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Überarbeiter 
grundsätzlich  nur  in  denjenigen  partien  änderte ,  wo  ihm  die 
Identität  der  beiden  hehlen  unbedingt  sicher  erschien. 

Dürfen  wir  also  diese  letztem  partien  der  ThS.  als  beweis 
dafür  ansehen,  dass  in  älterer  zeit  der  herr  von  Bechlaren  nicht 
Rüdiger,  sondern  Rodulf  hiefs,  so  darf  doch  kein  zweifei  obwal- 
ten, dass  auch  der  Rodolf  der  Erka-Berthaepisode  (und  des 
e.  293)  dem  Rüdiger  der  mini,  epen  entspricht,  dass  auch  er 
(c.  43)  seinen  sitz  in  Bechlaren  {Bakalar)  hat,  ist  hierfür  beweis 
genug,  aber  auch  die  Vertrauensstellung,  welche  Rüdiger  nach 
der  gesamten  Überlieferung  bei  Helche,  Oserichs  (Osantrix)  tochter, 
einnimmt,  tritt  durch  die  in  jener  episode  zwischen  ihnen  auf- 
gedeckten beziehungen  erst  in  ihr  rechtes  licht,  ebenso  erscheint 
seine  Sendung  nach  Worms,  von  wo  er  Etzels  zweite  gemablio 
ebenfalls  durch  kluge  Überredung  heimführt,  als  eine  nachbildung 
seiner  werbefahrt  zu  Osantrix2,  wie  denn  überhaupt  sein  rühm 
als  botschafter  (en  goüe  sendematür  ThS.  c.  47)  in  den  Nib.  und 
besonders  im  Bit.  vor  allem  durch  jene  glänzendste  probe  Beiner 
umsieht  und  Zuverlässigkeit  sich  erklärt,  vielleicht  darf  man  end- 
lich auch  Dietrichs  Verbindung  mit  Helches  Dichte  Herrad,  welche 
seine  frühere  gatlin  Godelinda  (ThS.  c.  240)  verdrängt,  als  ein 
seitenstück  zu  Bodulfs  Vermählung  mit  Helches  Schwester  aufTassen. 

Mag  nun  auch  die  in  cc.  43 ff  der  ThS.  vorliegende  einkleidung 

1  dass  er  dies  letztere  zb.  in   c.  289  getan  hat,   dürfte  deshalb  wahr- 
scheinlich sein,  weil  bei  Dietrichs  aufti  hme  in  Bechlaren  eine  erwähne 

RoSolfs  galtin  kaum  zu  umgehn  war;   danach   hat   c.  289   v.Timillich   DUI 
starke  Umarbeitung  erfahren    und    ist   nicht    (nach  de  Boer)    gänzlich 
schoben. 

2  der  in  der  altern  fassung  der  ThS.  c.  35t;  hier     n   H 
scheinende  Osiö  spielt  dabei  eine  ganz  passive  rolle. 


308  MATTHAEI 

jener  entführungssage  verhältnismäfsig  jung  sein  ],  so  dürfen  wir 
doch  ihren  kern  als  altertümlich  in  anspruch  nehmen  2.  die  gründe 
für  das  frühe  verblassen  dieser  sage  in  Oberdeutschland  werden 
sich  uns  später  ergeben. 

Gerade  diese  episode  aber  gestaltet  uns,  soweit  wir  alten 
sagengehalt  in  ihr  voraussetzen  dürfen,  in  Kodulfs  ursprüngliche 
Stellung  innerhalb  der  heldensage  einen  wichtigen  einblick.  der 
burgherr  von  Bechlaren  steht  hier  dem  künig  Altila  als  mäch- 
tiger Häuptling  und  freund  gegenüber  (mikiü  hoßingi  ok  vinr  Allila 
konongs  c.  43);  erst  nachdem  er  Erka  gewonnen  hat,  empfängt 
er,  ohwol  als  'mar greift'  schon  c.  43  bezeichnet,  von  ihm  eine 
herschafi  (mikit  riki  i  Hunalandi  c.56).  man  darf  daraus  schliefsen, 
dass  die  ältere  sage  eine  lehnsrechtliche,  dienstliche  Unterordnung 
Rodulfs  unter  Attila  überhaupt  nicht  kannte.  Rodolf  steht  Attila 
ungefähr  ebenso  gegenüber  wie  Sigurd,  dessen  namen  er  sich 
(c.  56 ff)  bei  Osantrix  bezeichnenderweise  beilegt,  dem  Gunnar; 
er  leistet  ihm  bei  der  erwerbung  seiner  gattin  einen  ähnlichen 
dienst  wie  jener  dem  Burgunderkönig  und  trägt  einen  ähnlichen 
lohn  davon  —  aber  auf  grund  eines  freundschafts-,  nicht  eines 
dienstverhällnisses.  dasselbe  mythische  motiv,  welches  dazu  diente, 
die  Siegfrieds-  und  Burgundersage  zusammenzuknüpfen,  setzte 
hier  Rodulf  und  Attila  zu  einander  in  die  nächsten  beziehungen. 
diese  Selbständigkeit  Rodulfs  gegenüber  Attila  weist  darauf  hin, 
dass  beide  sagengestalten  einander  ursprünglich  fremd  gegenüber- 
standen, vermutlich  weil  sie,  ihre  beiderseitige  historische  herkunft 
vorausgesetzt,  durch  ein  zeitliches  auseinander  getrennt  waren, 
welches  die  sage  in  ähnlicher  weise  wie  bei  Theoderich  und  Attila 
zu  überbrücken  wüste. 

Ergibt  die  ältere  fassung  der  ThS.  also  nach  dieser  seile  hin 
keinen  historischen  anhält,  so  steht  es  nicht  ganz  so  mit  dem 
freundschaftsverhältnis  zwischen  Rodulf  und  Dietrich,  welches 
schon  der  eigentliche  sagaschreiber  möglichst  deutlich  aus  licht 
zu  setzen  bemüht  war. 

Die    gesamte   heldensage  hat  Rüdigers  ursprünglich  isolierte 

1  Heinzel  WSB.  119,83  will  in  c.  55  ein  motiv  der  französischen  epik 
finden. 

2  an  eine  selbständige  niederdeutsche  Spielmannsdichtung,  welche  die 
Rother-Osantrixsage  umbildete  (Symons  aao.  701),  vermag  ich  aus  den  an- 
geführten gründen  nicht  zu  glauben. 


RÜDIGER  UND  DIE  HARLUNGENSAGE 

Stellung  dadurch  gekennzeichnet,  dass  sie  ihn  mit  keinem  andern 
helden  in  blutsverwantschaft  setzt;  sie  schweigt  vollständig  von 
seinem  vater;  erst  späte  dichlung  (Bit.)  gibt  ihm  in  Nudung  einen 
söhn  (IIS.3  1120;  aucn  m'1  ^tzt'l  kann  er  our  künstlich  in  Verbin- 
dung gebracht  werden  :  um  so  beachtenswerter  erscheint  das  in  dei 
gesamten  Überlieferung  zwischen  ihm  und  Dietrich  als  bestehend 
anerkannte  Freundschaftsverhältnis,  die  älteste  datierbare  nachrii  bl 
über  Rüdiger  (um  1160)  nennt  ihn  und  den  'alten  Dietrich'  als 
diejenigen  beiden,  welche  die  gegend  an  der  Erlaf,  db.  Bechlaren, 
berühmt  gemacht  hätten  x.  dies  lässt  darauf  schliefsen,  dass  ihm 
Rüdiger  sein  gastfreies  haus  nicht  blofs  bei  seiner  flucht  geüffnel 
hat.  wie  tief  dies  Verhältnis  in  der  sage  wurzelte,  zeigt  sich  be- 
sonders darin,  dass  es  als  bereits  vor  Dietrichs  Vertreibung  vor- 
handen angenommen  wird,  wie  ThS.  c.  2S9  eilt  Dietrich  auch 
nach  dem  anh.  zum  HR.  (IIS.3  333)  von  Bern  direct  nach  Bech- 
laren, als  oh  er  dort  hilfe  erwarten  dürfte,  auch  in  DD.,  wo  ihn 
Rüdiger  auf  hunnischem  boden,  in  Gran,  in  empfang  nimmt  und 
seine  aufnähme  bei  Etzel  vermittelt,  ist  diese  freundschaft  voraus- 
gesetzt :  beide  helden  kennen  sich  längst,  sie  küssen  sich  bei  der 
begrülsung,  sie  duzen  einander  und  versichern  sich  ihrer  gegen- 
seitigen anhänglichkeit  (v.  4741.  4748.  47SS  ich  und  du  wir  sin 
ein  leben.  4790). 

Wenn  die  sage  dieses  freundschaftsverhältnis  als  etwas  ge- 
gebenes, nicht  erst  zu  motivierendes  betrachtete,  so  legt  dies  den 
gedanken  nahe,  dass  wir  das  historische  urbild  Rüdigers  —  «venu 
es  ein  solches  gab  —  zwar  nicht  unter  Attilas,  aber  docb  unter 
Theoderichs  Zeitgenossen  zu  suchen  haben  werden. 

Eingang  in  die  heldensage  kann  aber  auch  dun  —  wie  liu- 
fried  oder  Günther  —  nur  ein  die  Zeitgenossen  nachhaltig  er- 
schütterndes ereignis,  dessen  mittel punct  er  bildete,  verschaff! 
haben,  in  seinem  Untergang  muss  der  grund  seines  fortlebens 
in  der  sage  zu  suchen  sein. 

Allerdings    haben    wir    nur   eine    und  zwar    »'in.'   Verhältnis- 
mäfsig  späte  iradition  über  seinen  lod,  diejenige,  welche  ihn  mil 
seinem  dienstverhältnis   zu  Etzel  und  mit   der  Nibelungen« 
Verbindung  bringt   (ThS.  Nib.  KL),      es  fragt  sieh,    ob  Rfl 
Untergang  an  der  spitze  seiner  mannen  die  späte  erfindung  eines 

1  Met.  Tegerns.  HS.3 49  :  regia  fhtmine  nobiUt  Brtaji  ' 

tonibui  eelebri,  inclita  Rogerii  cumitis  ro 


310  MATTIIAEI 

willkürlich  schaltenden  epischen  dichters  oder  in  alter  überliefe- 
rung  hegriindet  und  durch  die  natürliche  entwicklung  der  sage 
in  den  jetzt  vorliegenden  Zusammenhang  gebracht  worden  ist. 
alle  innre  Wahrscheinlichkeit  spricht  für  das  letztere. 

Für  die  grofsen  schlachten  der  Völkerwanderung,  welche  von 
der  sage  allmählich  cyklisch  zusammengefassl  wurden,  bot  ohne 
zweifei  der  dreijährige  kämpf  um  Ravenna  (491 — 493)  den  äl- 
testen vereinigungspunct  dar.  der  Untergang  von  Atlilas  söhnen 
in  der  schlacht  am  Nedao  (Jord.  50),  welche  das  Schicksal  des 
Hunnenreichs  entschied,  wurde  zu  einer  episode  der  Rabenschlacht 
(Heinzel  WSB.  119,57);  aus  späterer  zeit  verschmolzen  die  kämpfe 
der  Amelunge  mit  den  Griechen,  die  zt.  ebenfalls  um  den  besitz 
von  Ravenna  geführt  wurden,  mit  jenen  frühern  in  dem  grade, 
dass  der  Griechenkaiser  (Ermenrich)  Theoderichs  eigentlichen 
gegner  Odoaker  verdrängte1,  die  hauptvertreter  der  Amelunge, 
Wolfhart  und  Helferich,  fallen  nach  ThS.  c.  333.  334  in  der 
schlacht  bei  Gronsport,  welche  der  Rabenschlacht  der  mhd.  epen 
entspricht;  auch  noch  nach  den  darstellungen  in  Dfl.  und  Rab.  ver- 
liert Dietrich  in  diesen  kämpfen  den  eigentlichen  kern  seiner  mannen, 
seitdem  jedoch  die  Nibelungenkatastrophe  den  grofsen  kämpfen 
der  heldensage  einen  neuen  rahmen  bot,  löste  sich  ein  teil  der- 
selben aus  dem  bisherigen  Zusammenhang  oder  es  bildeten  sich 
neue  fassungen  der  alten  sagenmotive  :  wider  treten  Helferich  und 
Wolfhart  (neben  dem  der  altern  heldengeneration  angehörigen 
Hildebrand)  als  die  ersten  beiden  der  Amelunge  nun  im  ver- 
nichtungskampf  mit  den  Burgundern  hervor,  wider  findet  der 
erbe  von  Etzels  reich  seinen  tod  durch  feiudeshand.  wir  sehen 
keinen  grund  gegen  die  annähme,  dass  auch  Rüdigers  Vor- 
läufer Rodulf  nach  einer  altern  sagenfassung  in  den  kämpfen 
vor  Ravenna  seine  treue  gegen  die  Amelunge  mit  dem  tode  be- 
siegelte2, im  Hinblick  auf  die  Nibelungenscblacht  bleiben  in 
Dfl.  und  Rab.  Helferich  und  Wolfhart  beim  kämpf  mit  Ermenrich 
verschont;  ebenso  behält  schon  in  der  ThS.  Rodingeir  bei  Grons- 

1  dieser  kämpf  schob  sich  in  die  geschichle  Dietrichs,  der  als  einziger 
Vertreter  seiner  Schöpfung  erbelos  stirbt,  ebenso  ein  wie  der  Untergang  der 
Helchesöhne  in  diejenige  Etzels.    vgl.  auch  WMüller  Myth.  der  hs.  159. 

2  dass  die  sage  gerade  Nudung,  welcher  nach  ThS.  c.  332  seinen  tod 
durch  Witig  ebenfalls  vor  Raben  (Gronsport)  fand,  zu  Rüdigers  söhn  machte, 
dürfte  vielleicht  mit  der  erinnerung  zusammenhängen ,  dass  Rüdigers  her- 
schaft und  geschlecht  nach  älterer  Überlieferung  eben  dort  ihr  ende  nahmen. 


RÜDIGER  UND  DIE  HARLUNGCNSAGE  311 

port  das  leben,  um  zunächst  noch  einmal  zwischen  Dietrich  und 
dem  hunnischen  herscherpaare  den  Vermittler  zu  spielen  und  dann 
hei  dem  kämpf  mit  den  Burgundern  gegenwärtig  zu  sein,  wie 
auch  die  notwendigkeit,  Dietrich  an  diesem  kämpfe  teilnehmen 
zu  lassen,  seine  unmotivierte  riickkehr  zu  Attila  erklärt1,  die 
handgreiflichen  Widersprüche  aber  in  c.  338  der  ThS.,  au!  welche 
de  Boer  (aao.  445)  hinwies,  haben  die  spuren  einer  altern  Bagen- 
fassung  übrig  gelassen,  aus  welchen  hervorgeht,  dass  Attila 
die  nachricht  vom  tode  seiner  söhne  ursprünglich  nicht  von 
Rodingeir  erfuhr  —  vermutlich  weil  dieser  nach  einer  altern  auf- 
fassung  überhaupt  uicht  mehr  widerkehrte,  jedeslälls  lässt  uns 
der  Untergang  Rüdigers  an  der  spitze  seiner  mannen,  mag  er  nun 
erst  mit  der  INibelungenschlacbt  oder  schon  mit  der  Rabeuschiacht 
verflochten  worden  sein,  auf  den  reflex  eines  geschichtlichen  er- 
eignisses  schliefsen,  welches,  wie  etwa  der  Untergang  [rnfrieds, 
mit  der  heldensage  fühlung  suchte  und  fand,  so  dürfen  wir  auch 
in  seinen  500  mannen,  wie  in  den  600  mannen  Dietrichs.  (Im 
1000  mannen  Irnfrieds,  die  Vertreter  desjenigen  volksstamms  sehen, 
welcher  dieser  katastrophe  erlag2. 

Diesen  ergebnisseu,  zu  welchen  uns  eine  prüfung  der  äl- 
testen erschliefsbaren  Überlieferung  führt,  entspricht  nun  die  ge- 
schichtliche gestalt  des  Herulerkönigs  Rodulf,  eines  zeitgen 
Theoderichs,  der  ihn  'per  arma'  adoptierte,  um  ihn  so  lest  als 
möglich  an  sich  zu  ketten,  nachdem  dieser  Rodulf  in  Oberungarn, 
in  derselben  gegend,  wo  60 — 70  jähre  früher  Attila  den  mittel- 
punct  seiner  macht  gehabt  hatte,   an  der  spitze  der  Heruler  ein 

1  die  Edda  (n  und  in  Gudrunlied)  kennt  zwar  Dietrichs  aufentlialt  bei 
Atli,  weifs  aber  noch  nichts  von  seiner  teilnähme  am  kämpf  mit  den  Nif- 
lungen. 

2  das  unbedingte  verfügungsrecht,  welches  Rüdiger,  obwol  selbst  ein 
vasall  Elzels  ohne  eigene  allodien  (1619,  II.  aber  dieses  ingesinde  in  an- 
sprach nimmt,    zeigt  auch  in  den   Nil>.   noch    die  ursprüngliche  selbst 

keit  seiner  Stellung  (vgl.  1095,  I.  1206,  1.   1647,  1.  1  *-*:*«» ,  J.  2106,  1, 
sonders   120(i,  1  :  ich  hän  fünfhundert  mannt-  und  otteh  der  ndge  min). 
aus  der  fremde  kann  er  die^c  mannen    kaum   mitgebracht   haben  (kl.  1111 
der   lantliute  künne  körnen  niwan  riben),   wie  er  ihrer  auch   I 
ausstattnng  seiner  tochter  nicht  gedenkt  (1620),    Bie   können   all 
den  lehen,  die  er  seihst  von  Etzel  empfangen  hat  (2094,  '■'•■  211 
gestattet   worden   sein,      unter   diesen    umstanden    hat    m    • 
Stellung,    die  ihn    mit  Dietrich,    aber  uicht  mit  den   Q 
auf  gleiche  stufe  stellt,  etwas  befremdendes. 


312  MATTHAEI 

mächtiges  reich  begründet  und  die  benachbarten  Germanenstämme 
zinspflichtig  gemacht  hatte,  fand  er  gegen  das  jähr  512  mit  dem 
grösten  teil  seines  Volkes  in  einer  feblschlacht  gegen  den  Lango- 
bardenkönig Tato  seinen  Untergang,  wodurch  seine  Schöpfung  für 
immer  zusammenbrach. 

Der  parteiische  bericht  l'rokops l  (B.  Goth.  n  14)  und  der 
sagenhafte  des  Paul.  Diac.  (i  20)  geben  uns  nur  ein  getrübtes 
bild  dieses  herschers;  als  ebenbürtiges  glied  der  germanischen 
heldengeneration  lernen  wir  ihn  in  dem  schreiben  Theoderichs 
kennen,  durch  welches  dieser  ihn  an  sohnes  statt  annimmt2,  es 
heifst  darin  :  per  arma  fieri  posse  filium  grande  inter  gentes  con- 
stat  esse  praeconium,  quia  non  est  dignus  adoptari  nisi  qui  for- 
tissimus  meretur  cognosci  .  .  .  et  ideo  more  gentium  et  con- 
ditione  virili  filium  te  praesenti  munere  procreamus  :  ut  compe- 
tenter  per  arma  nascaris  qui  bellicosus  esse  dignosceris. 
damus  quidem  tibi  equos  enses  clypeos  et  reliqua  instrumenta 
bellorum  :  sed  quae  sunt  omnimodis  fortiora,  largimur  tibi  nostra 
iudicia 3.  summus  enim  inter  gentes  esse  crederis,  qui  Theoderici 
sententia  comprobaris  ,  .  adoptat  te  talis,  de  cuius  gente  tu  potius 
formideris.  nota  sunt  enim  Herulis  Gothorum  deo  iuvante 
solatia.  nos  arma  tibi  dedimus,  gentes  autem  olim  vir- 
tutum  pignora  praestiterunt  .  .  wenn  Theoderich  bei  der 
Plötzlichkeit  der  eintretenden  katastrophe  seinem  adoptivsohn  keine 
hilfe  gewährte,  so  spricht  dies  nicht  gegen  die  festigkeit  der  ge- 
knüpften beziehungen ;  es  steht  fest,  dass  er  flüchtigen  Herulern 
in  seinem  reiche  aufnähme  und  Versorgung  verschaffte  (Var.iv45. 
aao.  134).  eine  noch  längere  fortdauer  dieser  freundschaft  würde 
sich  dann  ergeben,  wenn  die  nachricht  des  Jordanes  (c.  3),  nach 

1  seine  feindselige  gesinnung  gegen  die  Heruler  erhellt  auch  aus 
B.  Vand.  ii  4;  vgl.  auch  Zeufs  480. 

2  Cassiod.  Var.  iv  2  (Auct.  antiqu.  xii  114).  dass  das  regi  Erulorvm 
der  Überschrift  (wie  auch  in  dem  schreiben  in  3)  sich  nur  auf  Rodulf  be- 
ziehen kann,  ist  allgemein  angenommen  (zb.  von  Ranke  Weltgesch.iv  1,444). 
die  'adoptatio  per  arma'  wird  auch  Var.  vm  1  und  9  (aao.  231  und  239) 
erwähnt.  Theoderich  war  von  kaiser  Zeno  in  derselben  weise  adoptiert 
(Jord.  57).  er  selbst  sante  in  diesem  sinne  auch  dem  Suebenkönig  Remis- 
mund warfen  (Isid.  Hist.  Goth.  c.  90).  zur  sache  vgl.  Paul.  Diac.  i  23.  24, 
auch  iv  38  und  vi  53. 

3  iudicium  =  'sententia  regis,  vox  sollemnis  in  dignitatibus  confe- 
rendis'  (Mommsen  aao.  554). 


RÜDIGER  UND  DIE  HARLUNGENSAGE  313 

welcher  ein  aus  Skandinavien  stammender  könig  namens  Rodvulf 
nach  freiwilligem  verzieht  auf  sein  Königreich  am  bufe  Theude- 
richs eine  Zuflucht  fand,  sich  auf  den  Herulerkönig  dieses  namens 
heziehen  liefse  I;  angesichts  der  bestimmten  angäbe  Prokops  (n  1-Jj, 
dass  der  letztere  in  der  feldschlacht  seinen  tod  gefunden  habe, 
scheint  jedoch  diese  möglichkeit  ausgeschlossen  2. 

Rodulfs  identität  mit  dem  Rodolf  der  ThS.  wird  aber  vor 
allem  durch  die  Verbindung  des  letzleren  mit  der  bürg  Pecblam 
bewiesen,  welche  noch  im  9  jh.  den  Herulernamen  trug,  denn 
die  in  einer  urk.  des  Jahres  832 3  an  der  milndung  der  Erlaf  er- 
wähnte Herilungoburg ,  deren  feste  gewölbe  man  noch  beute  in 
den  baulichkeiten  des  Schlosses  von  Pechlarn  widerzufinden  glaubt 
(Keiblinger  Gesch.  von  Melk  i2  73),  kann  ihren  namen  nur  von 
den  Herulern  empfangen  haben. 

Auf  der  Weltkarte  des  Houorius  im  4  jh.  erscheint  der  He- 
rulername  im  norden  der  mittlem  Donau  zwischen  Markomannen 
und  Quaden  (Müllenhoff  DAk.  in  221.  312).  wenn  nun  aueb  die 
grofse  masse  dieses  volkes  auf  dem  linken  Douauufer  verblieb 
und  hier  im  anfang  des  C  jhs.  unter  Rodulf  jenes  grofse  Heruler- 
reich  (Herolia  Paul.  Diac.  i20)  begründete,  so  traten  doch  im  laufe 
des  5  jhs.  sehr  bedeutende  teile  dieses  'flüchtigsten'  aller  deutschen 
stamme  (Zeufs  476)  nach  Noricum  über  (vgl.  Paul.  Diac.  l  19). 
bildeten  doch  die  Heruler  die  hauptslütze  Odoakers,  der  selbst 
(Jord.  46,  Paul.  Diac.  aao.,  epit.)  als  konig  der  Turcilingen, 
eines  den  Herulern  nabverwanten  volkes  bezeichnet  wird  (Aschbach 
Gesch.  der  Heruler  s.  9).  ums  jähr  477  zerstörte  ein  Heruler- 
haufe  Salzburg  (Eugipp.  Vita  Sever.  24),  in  dessen  nahe  noch 
heute  das  dort'  Hörlfing,  im  8  jh.  Herolvinga  (Förstemann  u"750, 
vgl.  Heller  aao.  154)  ihren  namen  bewahrt,  ebenso  zeigt  das 
verbrüderungsbuch  von  SPeter  in  Salzburg  widerholt  die  namen 
llarilunc,  Herilunc  uä.  (Förstemann  i  617).  in  Noricum  ripense 
weisen  so  zahlreiche  spuren  dieses  namens  in  das  Erlafgebiet, 
speciell  in  die  umgegend  von  Pechlarn,  dass  man  eine  geschl 

1  über  diese  controverse  vgl.   bea lers  rGntschmid   in  .lalni-  Jahrb. 

der  phil.  85,  124  gegen  die  »on  Schirren  uritl  Aschbach  behau]  ■ 
tat    der    beiden    Rodulfs,      auch    Möllenhofl   acheidel    beidi 
n  57  iii. 

■  nach  Edict.  Rothar.  (praef.J  tötete  ihn  könig    I 
3  .Mon.  Bo.  2S\  21  :  ubi  antiquitu*  cattrum  fuit  q 
hingobvrg.  —  IVz  Thea.  tom.  i  pars,  m  16  hat  Hartwti 


314  MATTHAEI 

ansiedelung  von  Herulern  in  der  nähe  des  römischen  castells 
Arelape  (Erlaf)  und  des  anliegenden  Donauhafens  Augusta  Praeclara 
mit  Sicherheit  voraussetzen  darf1,  neben  der  Heriluugoburg,  für 
welche  eine  mythische  beziehung  auf  die  neffen  Ermenrichs  we- 
nigstens denkbar  wäre,  erscheint  in  einer  Urkunde  von  853  auch 
ein  HeiilungoveW2,  bei  welchem  wir  nach  einer  solchen  beziehung 
vergeblich  suchen3,  es  sind  die  heutigen  Harlandwiesen,  so  ge- 
nannt nach  dem  dorfe  Harlanden  bei  Pechlarn,  welches  also  noch 
heute  den  alten  Stammesnamen  bewahrt 4.  ein  zweites  Harlanden 
finden  wir  oberhalb  Pechlarn  an  der  Erlaf  (bei  Blindenmarkl), 
ein  drittes  Harlanden  Östlich  Pechlarn  unweit  SPölten  (Keiblinger 
aao.,  Förstemann  n2  750).  auf  der  sog.  fränkischen  Völkertafel 
(um  520)  ist  nach  dem  Zusammenbruch  von  Rodulfs  reich  der 
Herulername  bereits  verschwunden  (Miillenhoff  DAk.  m  331),  und 
die  norischen  bestandteile  dieses  volkes  waren  den  Markomannen 
zu  schwach,  um  auf  die  bilduug  des  bajuvarischen  Stammes  we- 
sentlichen einfluss  zu  gewinnen  (vgl.  Riezler  Gesch.  Baierns 
i  15;  Bachmauu  WSB.  91,829),  dennoch  wird  man  bei  den 
dortigen  Herulern  die  fortdauer  selbständiger  sagenüberliefe- 
rungen  ebenso  voraussetzen  dürfen,  wie  bei  den  resten  der 
Goten  in  Südtirol  (Waitz  VG.  i  9  n.  3)  oder  der  Skiren  in  Steier- 
mark5, dass  die  erinnerung  an  den  mächtigen  könig  Rodulf 
und  das  jähe  ende  seines  reiches  und  seines  hauses  bei  den 
resten  der  Heruler,  wenn  auch  in  andrer  form,  ebenso  fortlebte 
wie  noch  zwei  bis  drei  jhh.  später  bei  den  Langobarden ü,  ist 
ebenso  verständlich  wie  die  Verlegung  seines  sitzes  nach  der  alten 
römerfeste  bei  Pechlarn,  welche  augenscheinlich   den  mittelpuuct 

1  es  ist  beachtenswert,  dass  die  Vita  Sever.  nirgends  mehr  dieser  Ort- 
schaften als  römischer  Zufluchtsstätten  gedenkt. 

2  M.  B.  aao.  48;  Pez  aao.  22  Havlungevelt  (rebus  quae  yertinent  ad 
Erlaffa  et  in  H.). 

3  Heller  aao.  154  vergleicht  das  'Herulerfeld'  mit  dem  'Rugierfeld'  in 
Kärnthen  (Ruginesvelt,  Förstemann  n2  1269,  der  diesen  namen  aber  von 
einem  nom.  pr.  desselben  Stammes  ableitet). 

4  Keiblinger  aao.  43.  es  ist  vermutlich  dasselbe  'velt',  auf  welchem 
Nib.  1599  die  knechte  der  Burgunder  ihr  lager  aufschlagen. 

5  über  das  fortleben  der  Wulfingensage  bei  den  nachkommen  der  Skiren 
vgl.  JGrimm  Gesch.  d.  d.  spr.  i3  327,  Mone  Teutsche  hlds.  16fT. 

6  soeben  liefert  Brückner  Zs.  43,  55  den  erwünschten  nachweis,  dass 
dem  bericht  des  Paul,  über  Rodulfs  tod  ein  deutsches  lied  über  die  kämpfe 
der  Langobarden  mit  den  Herulern  zu  gründe  gelegen  haben  muss. 


RÜDIGER  UND  DIE  HARLÜNGENSAGE  315 

ihrer  ansiedelungen,  eine  Zeitlang  vielleicht  den  wohnsitz  eines  he- 
rulischeu  fürslengeschlechts  bildete  (vgl.  auch  Dümmler  aao.  1 92 
D.  17).  die  Verlegung  von  Hagens  wohnsitz  nach  Tournay  (Tronje), 
dem  alten  hauptort  der  salischen  Franken,  wäre  hierzu  ein 
sprechendes  Seitenstück  (WMüIIer  Mylh.  d.  hs.  51). 

Rodulfs  Freundschaftsverhältnis  zu  Dietrich  entspricht  sowol 
der  geschichte  wie  den  nahen  beziehungen  der  von  beiden 
herschern  repräsentierten  germanischen  stamme,  sein  wohnsitz  an 
den  grenzen  des  spätem  Avarenreichs  ermöglicht  zugleich  einen 
bequemen  auschluss  an  den  hunnischen  Sagenkreis;  dennoch  gehörl 
er  ebensowenig  schlechthin  der  Etzelsage  wie  der  Dietrichsage  an. 

Bei  seiner  ursprünglich  isolierten  Stellung  darf  es  durchaus 
nicht  befremden,  dass  ihn  weder  die  Eddalieder  noch  die  ältere 
Walthersage  am  hofe  Etzels  kennen,  vielmehr,  da  sein  aul- 
treten an  Pechlaru  geknüpft  ist  und  seine  engere  Verbindung 
mit  dem  Hunnenreich  den  begriff  der  markgrafschaft  voraussetzt, 
werden  wir  diese  Verbindung  keinesfalls  vor  dem  ende  des 
8  jhs.,  vor  begründung  der  avarischen  mark,  ansetzen  dürfen, 
inzwischen  war  unter  der  fast  zweihundertjährigen  Avarenber- 
schaft  die  alle  Ilerilungoburg  jedesfalls  in  trümmer  gesunken 
(tibi  antiquüus  castrum  fuit,  qu.  d.  H.),  fremdsprachige  be- 
vülkerung  hatte  sich  in  der  verödeten  landschaft  eingenistet  (nun 
Sclavis  ibidem  commanentibus  in  d.  urk.  v.  832),  und  nach  einem 
Jahrhundert  legte  eine  neue  50jährige  barbarische  Überflutung  die 
deutsche  cultur  dieser  landschaft  abermals  brach,  es  konnte 
nicht  ausbleiben,  dass  iu  diesen  zeiten  die  alten  ethnologischen 
grundlagen  der  bajuvarischen  sagen,  zb.  die  kämpfe  der  Heruler 
mit  den  Langobarden,  allmählich  in  Vergessenheit  gerieten,  dass 
die  uameu  selbst  sich  verschoben  und  von  Westen  her  die  Nibe- 
lungensage allmählich  alle  alten  sagenreste  in  ihren  bereicb  sog 

Der  verlust    der    altern   Überlieferungen    seigl    Bicb    beson- 
ders   in    dem    kritiklosen    bestreben,    die    ältere    geschichte   des 
landes  mit  den  Goten  in  Verbindung  zu  bringen  (Ddmmler  aao.  92 
so  localisierte    man    in   Göttweih    (bei   Mautern),    dessen    Damen 
man   von   den  Goten  ableitete,  wegen   einer  dortigen   alten 

1  Riezler  Gesell,  Baierns  i  822  macht  darauf  aufmerksam, 
die  Donau  als  nonifirenze   Baierns  ansehen,  ein   verhälti 
744  und  831  würklich  bestand,    dies  weiat  auf  die  \ 

in   Baiern  im  '.)  jli. 


316  MATTIIAEI 

einen  gotischen  beiden  Gotefridus  (Vita  Altmanni  c.  26).  'Gotele 
der  marcman'  wird  eine  vielgenannte  localfigur  der  österreichischen 
sage  (Bit.,  Dfl.,  Rab.).  da  sich  aber  der  historische  Gotenname 
am  längsten  in  Spanien  erhalten  hatte,  so  brachte  man  die  ein- 
heimischen sageuheldeu  zugleich  mit  diesem  lande  in  Verbindung. 
Biterolf  und  Dietleib,  als  Goten  schon  durch  ihre  verwantschaft 
mit  Dietrich  gekennzeichnet,  führen  schliefslich  ihr  ganzes  volk 
aus  Spanien  nach  Steiermark  (Bit.  133861).  auch  der  vogt  von 
Bechlaren  erhält  an  stelle  der  in  Vergessenheit  geratenen  mythi- 
schen schwester  Helches  eine  gotische  gemahlin,  Gotelinde,  die 
sowol  mit  Dietrich  als  mit  Dielleib  verwant  ist  (HS.3  116.  139), 
ihn  selbst  liefs  man  dann  aus  Spanien  —  dem  arabischen  Spanien  — 
als  flüchtling  nach  der  Donau  kommen  (Bit.  751.  4107.  8958), 
man  legte  ihm  den  Westgotennamen  Roderich  bei  (Dümmler 
aao.  94),  bezeichnete  ihn  geradezu  als  'Goten'  (ib.  192).  diese 
gotisierung  des  landes  unter  der  Enns  wird  etwa  im  letzten  drittel 
des  10  jhs.  eingesetzt  haben,  als  nach  zurückdränguug  der  Ungarn 
die  Ostmark  wider  hergestellt  wurde,  wenn  im  9  jh.  der  name 
Heriluugoburg  noch  in  der  erinnerung  erhalten  war,  um  seitdem 
vollkommen  zu  verschwinden,  so  wäre  immerhin  möglich,  dass 
auch  der  name  Rodulf  hier  zwar  die  avarische  invasion  über- 
dauerte —  nicht  aber  die  magyarische;  die  letzten  spuren  jener 
frühern  sagenschicht  finden  wir  so  nur  noch  in  den  niederdeut- 
schen quellen  der  ältesten  fassung  der  ThS.  spätestens  nach  der 
widerherstellung  der  Ostmark  im  10  jh.  dürfte  Rüdiger  ganz  an 
Rodulfs  stelle  getreten  sein,  um  980  finden  wir  einen  grafen 
Rüdiger,  des  grafen  Markward  bruder,  in  Tuln  :  die  zwischen 
beiden  uamen  vorauszusetzende  ideenverbindung  lässt  vermuten, 
dass  damals  auch  der  name  Rüdiger  im  sinne  von  'grenzwart' 
geläufig  war1,  der  weitruf,  welchen  dann  die  normannischen 
träger  dieses  namens  im  11  und  12  jh.  gewannen2,  umgab  wol 
auch  den  österreichischen  neiden  mit  einem  gewissen  uimbus. 
als  Rogerius  comes  bezeichnet  ihn  unser  ältestes  Zeugnis  (HS.349), 
sein  ross  erhält  einen  normannischen  namen  (Poimunt  Kl.  1426), 
auch  seine  beziehungen  zu  den  Arabern  erinnern  an  das  halb- 
arabische reich  der  unteritalischen  Normannen. 

1  dieses  brüderpaar  nimmt  Heller  aao.  155  f  für  die  Eppensteiner, 
Lämmerhirt  aao.  20  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  die  Aribonen  in  an- 
spruch.  -  vgl.  den  Roditigeirr  af  Salerni  der  ThS.  c.  1  ff. 


RÜDIGER  und  DIE  HARLUNGENSAGE  317 

Die  frage,  wie  jene  namensverschiebung  eiotreteo  konnte, 
ist  im  gründe  vou  untergeordneter  bedeutung.  wie  Sifrii  um! 
Sigurftr,  Ge'rnöt  und  Gutpormr  (Godomar),  so  Btehn  auch  /•' << 
und  lloüolfr  nebeneinander  —  zwei  nordgermanische  namen, 
für  die  wir  in  Österreich  und  Baiern  die  gleiche  Vorliebe  wahr- 
nehmen l.  nebeneinander  erscheinen  aucli  im  Widsid  \.  1."»  als 
geschwisterkinder  die  dänischen  künige  Hrüpvulf  und  Hrößgär. 
es  ist  möglich,  dass  auch  dem  Rodulf  der  sage  von  anfaag  an 
ein  Rodgar  zur  seite  stand2,  doch  dürfte  es  kaum  nötig  Bein,  zu 
einer  solchen  annähme  seine  Zuflucht  zu  nehmen. 

Fester  als  der  name  behauptete  sich  durch  den  Wechsel  der 
zeiten  die  Verbindung  dieses  hehlen  mit  der  bürg  vou  Pechlam. 
denn  die  annähme,  dass  diese  bürg  würklich  einmal,  im  10  Jb., 
sitz  der  markgrafen  der  Ostmark  gewesen  sei,  i>t  mit  der  tat- 
sache  unvereinbar,  dass  bürg,  Stadt  und  umgegend  seit  dem  9  jh. 
im  besitz  des  Stiftes  Regensburg  verblieb  (Keildiuger  aao.  i2  73) 
und  durch  die  immunität  vor  dem  eintritt  königlicher  beamten 
geschützt  war3,  ferner  erhielt  sich  seil  dem  G  jh.  die  Überlieferung 
von  seinen  beziehungeu  zu  Dietrich  (HS.3  49). 

Aus  der  rolle  eines  hilfsbereiten  beschützers,  welche  ihn  die 
sage  seinem  freunde  gegenüber  spielen  liefs,  seitdem  die  flucht 
desselben  zu  Elzel  feststaud,  erklärt  sich  das  lob  der  Freigebig- 
keit, welches  schon  Spervogel  (MFr.  26,  1.2)  ihm  spendet,  ihr 
entspricht  seine  treue  gegen  Etzel ,  welche  diesen  emportr&gl 
aham  die  veder  tuot  der  winl  (Kl.  1021).  diese  eigenschafleo 
gaben  der  dichlung  eine  ausreichende  grundlage  Mir  ethischen 
Vertiefung  seines  wesens.  so  wie  Rüdiger  jetzt  im  epoa  vor  uns 
steht,  als  ritler  ohne  furcht  und  lade!,  i>i  er  im  wesenüichen 
eine  Schöpfung  des  12  jhs.,  welches  die  Forderungen  und  begriffe 
des  lehnswesens  in  allen  ihren  consequenzen  ausprägte,  in  dei 
arglosen  treuherzigkeit,  die  ihn  schließlich  ins  verderben  BtOrzt, 
dürfte  aber  die  sage  bewust  oder   unbewust  zugleich   einen  zug 

1  vgl.  Förstemann  ua  792 f  ;  üroäolvingm,  Ruotbhingen,  llrmlolfn- 
husiin  usw.  in  Baiern,  Ruadkertdorf  in  Österreich,  doch  lach  //■ 

in  Haiern. 

2  leider  verschweig!   am  Paul.  Diac.  d  SO)  de«   Mi 
Kodulfs,  dessen  treulose  ermordang  darch  eine  locht     I 
dein  unglücklichen  krieg  der  Heruler  mit  den  I  mg«  bai  l< 

3  was  Bädingei  <>-i<rr.  geacb.  i  466  ffli  dk  v 
doch  nicht  aus  dieses  bedenken  ^u  entkril 


318  MATTHAEI 

österreichischen  wesens  vergegenwärtigt  haben ,  welcher  seinem 
Charakter  eine  beimischuug  landschaftlicher  besonderheil  verleiht. 

n. 

Die  localisierung  Rüdigers  auf  Herilungoburg  hat  bekanntlich 
der  mythischen  erklärung  dieser  sagenfigur  zur  wichtigsten  stütze 
gedient,  da  die  ahd.  Herilunga  denselben  namen  führen  wie  die 
ags.  Herelingas  (Widsid  v.  112)  und  die  mhd.  Harlunge ,  so  hat 
man  wie  den  namen  der  bürg  so  auch  Rüdiger  selbst  mit  der 
Harlungensage  in  Verbindung  gebracht,  deren  rein  mythischer  und 
zwar  alemannischer  Ursprung  seit  Müllenhoffs  aufsatz  über  Frija 
und  den  halsbandmythus  (Zs.  30,  217  ff)  im  ganzen  als  gesichertes 
ergebnis  der  neuern  sagenforschung  gilt  (Heinzel  WSR.  119,  5. 
Jiriczek  Dtsche.  hldss.  i  110  ff.  Niedner  Zs.  42,  253.  257.  Symons 
in  Pauls  Grdr.  n2  616.  621.  685).  in  der  tat  bedarf  der  Zusammen- 
hang der  Herilunga  von  Pechlarn  und  der  Harlunge  der  sage 
einer  aufklärung,  ohne  welche  die  von  uns  versuchte  lösung  des 
Rüdigerproblems  nicht  allseitig  befriedigen  dürfte. 

Die  identität  der  Harlunge  mit  den  Herulern  ist  bereits  von 
JGrimm  (Gesch.  d.  d.  spr.  i3  330)  behauptet  worden,  dem  sich 
andre  angeschlossen  haben1;  auch  Müllenhoff,  der  sich  später 
(Zs.  30,  222)  so  schroff  dagegen  aussprach,  hat  sich  dieser  an- 
nähme früher  zugeneigt  (Nordalb.  stud.  i  122  n.  3) 2.  die  latei- 
nischen quellen  kennen  zwar  nur  die  form  Heruli,  wie  ent- 
sprechend Amali,  dass  aber  die  patronymische  form  daneben  schon 
früh  im  gebrauch  war,  wird  besonders  durch  die  eigennamen 
Harilunc,  Herilunc,  auch  Herulinc,  neben  welchen  das  eponyme 
Heril  viel  seltner  erscheint,  wahrscheinlich  gemacht3,  wenn  nun 
der  name  Harlunge  nicht  ethnologischen,  sondern  mythologischen 
Ursprungs  wäre   und  mit    dem  kriegerischen   wesen    des   diosku- 

1  Mone  hlds.  84.  Rieger  Zs.  9,  20t.  WMüller  Myth.  d.  hlds.  170.  Förste- 
mann  i  G17.  n2  750. 

2  von  den  historikern  halten  Keiblinger  aao.  43  und  Heller  aao.  154 
die  österr.  Herilunge  für  Heruler;  auch  Büdinger  (Österr.  gesch.  i  465  n.  3) 
und  Lorenz  (Drei  bücher  gesch.  u.  pol.  628),  welche  Rüdiger  für  eine  my- 
thische figur  halten  möchten,  äufsern  sich  skeptisch  gegen  die  mythische 
ableitung  des  namens  Herilungoburg;  auf  einen  träger  des  eigennamens  Heri- 
lunc lässt  sich  aber  mit  ihnen  der  name  des  orts  wegen  des  gen.  plur.  Heri- 
lungo  nicht  zurückführen. 

3  Förstemann  i  617.  Mone  aao.  vgl.  den  fingierten  Harelus  als  vater 
der  Harlunge  (Zs.  15,  312)  neben  Härtung  (anh.  d.  HB.  HS.3  331). 


RÜDIGER  UND  DIE  BARLUNGENSAGE  :;pi 

rischen  Zwillingspaars  zusammenhienge  (Zs.  30,  219) ',  so  mn 
zunächst  befremden,  dass  wir  ihn  eben  dort,  wo  auch  historische 
Zeugnisse  uns  herulische  Wohnsitze  vermuten  lassen,  zb.  in  ihr 
umgegend  von  Salzburg,  besonders  zahlreich  antreffen ,  während 
dieser  name  gerade  da,  wo  der  Flarlungenmythus  entstanden  Bein 
soll,  im  Oberelsass  und  Breisgau,  in  älterer  zeit  nirgends  nach- 
zuweisen ist.  denn  was  die  quellen  über  ein  im  Breis^au  an- 
sässiges geschlecht  oder  volk  der  Harlunge  berichten,  kommt,  als 
der  sage  entlehnt,  ebenso  wenig  in  betracht,  wie  das  Harlunge- 
lant  des  Bit.  (4594.  10683)  oder  das  Aurlungaland  der  ThS.  274; 
der  familienname  Härtung  aber  tritt  in  Freiburg  erst  im  spätem 
ma.  auf  (Mone  81).  auch  in  ganz  Alemannien  linden  wir  nur 
sehr  wenig  namensspuren  dieser  art,  während  sie  in  Baiern  ver- 
hältnismäfsig  zahlreich  sind  (Mone  aao.).  Ortsnamen  dieser  art, 
welche  im  Südosten  ebenfalls  in  grüfserer  zahl  begegnen  (Förste- 
mann  lla  742),  fehlen  im  südwestlichen  Deutschland  gänzlich. 
ebensowenig  lässt  sich  aus  dem  Verbreitungsgebiet  der  namen  der 
beiden  Harlunge  Ambrihho  (der  'unermüdliche')  und  Frltilo 
('Schönle'  Zs.  30,  222)  eine  locale  beziehung  auf  Alemannien  er- 
kennen (Förstemann  i  80.  423). 

Für  die  ethnologische  grundlage  des  Harlungennamens  sprich! 
nun  auch  der  zuerst  i.  j.  1166  (aber  noch  1632)  erwähnte 
'■Harlungeberg'  bei  Brandenburg  (HS.3  490).  wir  linden  in  zwei 
der  besten  codd.  Adams  von  Bremen  (l  und  6)  über  dem  namen 
der  in  dieser  gegend  ansässigen  Hevelli,  germanisiert  Heveldi,  daa 
superscriptum  vel  Her  uli  (MG.  Script. wn  312),  eine  glosse,  die  von 
hier  aus  in  den  text  des  Annal.  Saxo  a.  983  und  Helmold  i  2 
übergegangen  ist.  der  gelehrte  geistliche,  der  sie  in  den  teil 
Adams  hineinbrachte,  kann  auf  jene  identificierung  nur  durch  das 
vorkommen  des  Harlungennamens  im  Havelgau  gebracht  worden 
sein2,    veranlassten  doch  diese  havelländischen  Harlunge  auch  den 

1  auch  KMeyer  Dietrichs.  32  leitete   den  namen  Uartune  \ 

und  verwarf  die  identität  mit  den  Herniern,  wobei  <i  die  von  JGrimm  >nf- 
gestellte  ableitung  (von  got.  hairtu)  als  zutreffend  voraussetzte,    scho 
B.  47t)  aber  leitete  den   namen   richtiger  von   Bgs.  eorl,  alto.    fori  i 
auch  Aschbach  s.  9),  womit  die  von  I>id.  flispal.  gegebene  Übert 
mini'  stimmt,  vgl.  Maack  Germ.  4,  399. 

-  schon  Gondling  De  Heim.  auc.  159.  161  behaupte 
angäbe  Helmolds  die  Identität  der  Hernier  und  Harlunge,  Befll 
Brandenbi*.  25. 


320  MATTIIAEl 

Pegauer  aonalisten,  den  vater  der  Harlunge  nach  Brandenburg 
zu  versetzen  (HS.3  55).  die  locale  tradition  wüste  dieses  erscheinen 
der  Harlunge  au  der  Havel  —  auch  der  ortsname  Harlungate  er- 
scheint hier  ende  des  12  jhs.  (Heffter  aao.  25)  —  nicht  anders  zu 
deuten,  als  dass  sie  eine  ahteilung  der  Breisgauer  Harlunge,  die  sie 
als  volk  auffasste,  als  von  Karl  d.  Gr.  angesiedelte  grenzwächter  hier- 
her versetzte  (Heffter  aao.  25;  vgl.  HS.3  490).  daran  ist  schon 
deshalb  nicht  zu  denken,  weil  Heinrich  i  hier  nur  Slaven  vorfand 
(Slavos  qui  dicuntur  Heveldi  Widuk.  i  35).  dass  die  germanischeu 
eiuvvanderer,  welche  nach  der  mitte  des  12  jhs.  diese  gegend  be- 
siedelten, den  namen  erfunden  hätten,  ist  schon  deshalb  un- 
wahrscheinlich, weil  der  cod.  6  Adams  vielleicht  noch  dem  11, 
spätestens  dem  aufang  des  12  jhs.  angehört;  auch  würden  die  Ann. 
Pegav.  in  diesem  falle  schwerlich  noch  im  12  jh.  aus  einem  so 
jungen  namen  derartige  folgerungen  gezogen  haben,  vielmehr  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  nach  dem  abzug  der  Semnonen  würkhch  ein 
teil  der  Heruler  in  den  Havelgegenden  seinen  sitz  nahm  (Asch- 
bach 36.  Müllenhoff  DAk.  m  313).  der  name  'Harlungeberg'  lässt 
also  nicht  auf  einen  schatzberg  —  man  wüste  nicht,  wie  man 
hier  auf  eine  solche  Vorstellung  hätte  geraten  sollen  —  sondern 
auf  einen  alten,  vielleicht  schon  von  den  Semnonen1  benutzten 
opfer-  und  versammlungsplatz  der  Heruler  schliefsen,  der  bei  den 
einwandernden  Slaven  wie  bei  den  Germanen  den  ruf  einer  ge- 
wissen heiligkeit  behauptete  (hier  stand  ein  slavischer  tempel,  an 
dessen  stelle  später  eine  Marienkirche  trat),  germanische  namen 
haben  sich  innerhalb  der  slavischen  bevölkerung  in  noch  gröfserer 
entfernung  erhalten  (vgl.  Bügen,  Bügenwalde,  Meklenburg,  Müllen- 
hoff DAk.  ii  372);  in  den  slavisch- deutschen  grenzlandschaften 
zeigen  nicht  nur  die  flüsse  Spree  und  Havel  (Müllenhoff  aao.), 
sondern  auch  der  name  Brandenburg  germanischen  Ursprung2, 
die  Brennen,  Brenten  oder  Brendinge,  nach  welchen  die  Ortschaft 
vermutlich  von  anfang  an  heifst,  sind  ein  mit  den  Herulern  so 
eng  verbundenes  volk,  dass  sie  mit  diesen  identificiert  werden  und 

1  wie  ein  solcher  zb.  oberhalb  Brandenburg  unweit  Nedlitz  bei  Pots- 
dam erhalten  ist. 

2  die  ältesten  Zeugnisse  haben  bereits  den  namen  Brennaburg  oder 
Brandenburg,  Heffter  27  anm.  3,  Österley  Gesch.  geogr.  lex.  d.  mas.  84. 
gegen  die  gewöhnliche  ansieht,  dass  der  name  aus  slav.  Brennibor  =  'wol- 
befestigte  Waldgegend'  germanisiert  sei,  erklärte  sich  schon  Buttmann  Deutsche 
Ortsnamen  69.  , 


RÜDIGER  UND  DIE  HARLUNGENSAGE  321 

wahrscheinlich    als    eine   Unterabteilung   dieses   Stammes    zu    be- 
trachten sind  !. 

Als  gesichert  darf  jedesfalls  die  tatsache  gelten,  da> 
schichtskundige  geistliche  des  11  und  12  jhs.  über  die  identitai 
der  Harlunge  und  Heruler  ebensowenig  im  Zweifel  waren,  wie 
etwa  über  die  der  Amelunge  und  der  Goten,  nicht  überall  freilich, 
wo  der  Ilarluugenname  auftritt,  werden  wir  ursprüngliche  Heruler- 
sitze  zu  vermuten  haben,  zuweilen  mag  ein  Zusammenhang  mit 
der  friesischen  landschaft  Harlingen  vorliegen'2,  anderwärts  mag 
würklich  an  die  Harlunge  der  heldeusage  gedacbl  worden  Bein  : . 
wenn  wir  aber  im  Rreisgau  diesen  namen  nur  in  der  sage,  nicht 
au  örtlichkeiteu  oder  personen  erhalten  finden,  so  entspricht 
dies  der  tatsache,  dass  diese  landschaft  seit  römischer  zeit  nur 
alemannische  bevölkerung  kennt  :  die  Harlunge  leiden,  weil  die 
Heruler  fehlen,  schon  Mone  (aao.)  zog  aus  diesem  mangel  ao 
altern  zeugnisseu  den  schluss,  dass  den  alten  Alemannen  die 
Harluugensage  ursprünglich  unbekannt  war. 

Dass  die  Harlunge  von  anfang  au  in  einer  gewissen  be- 
ziehung  zur  Ermenrichsage  gestanden  haben,  ist  durcb  die  tat- 
sache sicher  gestellt,  dass  die  'Herelingas'  Emerca  und  Fridla  im 
heldenkatalog  des  Widsid,  7  Jh.,  unter  dem  gesinde  des  Ermenricb 
(v.  112.  113)  —  nicht  jedoch  als  seine  n  eilen  —  erscheinen. 
dies  würde  mit  der  nachricht  des  Jord.  (c.  25)  im  einklaog 
stehu,  dass  die  Heruler  an  der  Mäotis  durcb  Ermenrich  unter- 
worfen   und    dem    Goteureich    einverleibt    wurden,      den    Damen 

1  über  die  Bleuten  vgl.  .AlülletiholT  Nordalb.  stud.  i  151,  Pallmann  Gesch. 
der  Völkerwanderung  n  143.  Widsiö  v.25  erscheinen  die  Brondioge  Deben  den 
Warnen  (in  Meklenburg),  ibre  altern  sitze  in  Schleswig  («<>  die  Ortsnamen 
Branderup ,  Brandsbfill  uaa.)  zeigen  sie  als  nachbaut  der  (nach  Mullrnholl 
ursprünglich  auf  den  dänischen  inseln  ansässigen)  Beruler.  die  Wenden  über- 
setzten den  namen  verständnislos  mit  Zkorcelika  db,  'ort,  wo  es  gebrannt  bat' 
(Hefter  28). 

2  so  bei  Harlinghausen  in  Westfalen  (Neumann  Geogr.  lex.  d.  d.  reichs 
i  438),  vielleicht  auch  bei  Barlungerode  an  der  Ockei  (vgL  das  von    I 
albingem  gegründete  Elbingerode,  Helmold  i  26;  Osterle]  Bistor.  g« 

d.  mas.  256).     auch   diese    nacl    dem  Qüsschen  Bari    genannten 
llarlinge  halten  Kieger  Zs.   11,  201    und   Volckmai    Zui    Bta 
Friesen   und  Chauken   29 fl   Im    llciubr. 

3  so  vielleicht   bei  dem  von  Otto  iv   an  der  Ockei  ei 
Uarlungenberch  (Arnold  Chr.  Slav.  14,5),  w 

halb  gelegenen  llailungerode  milgewürkt  haben  dürft« 
Z.  F.  I».  A.  XLIII.     N.  F.  XXXI. 


322  MATTHAEI 

Herelingas  als  specielle  bezeichnung  eines  brüderpaars  zu  fassen, 
ligt  kein  grund  vor;  er  bezeichnet  ein  edles  geschlecht,  wie  das 
ihm  untergebene  volk.  wir  haben  ferner  keine  Veranlassung,  auch 
wenn  zwei  Herulerfürsten  darunter  zu  verstehn  sind,  vorauszu- 
setzen, dass  Ermenrich  in  der  sage  von  anfang  an  eine  feindselige 
Stellung  gegen  sie  eingenommen  habe,  denn  da  der  von  ihm  unter- 
worfene Herulerkönig  Alarich  hiefs  (Jord.  25),  haben  wir  in  jenem 
paar  vermutlich  ältere  Vertreter  jener  pontischen  Heruler  vor  uns, 
welche  im  übrigen  mit  ihren  überwindern  schnell  verschmolzen 
(Zeufs  477).  auch  zeigt  sich  in  jenem  briefe  Theoderichs  an 
Rodulf  nichts  von  einer  traditionellen  feindschaft  des  Heruler- 
und  Gotenstammes,  sondern  durchaus  das  gegenteil.  nichts  be- 
rechtigt auch  zu  der  annähme,  dass  der  vf.  des  Widsid  Ermen- 
rich und  die  Harlunge  sich  anderswo  als  im  Ostgotenreiche  an- 
sässig gedacht  habe. 

Dagegen  beweisen  zwei  nachrichten  aus  dem  8  jh.  aller- 
dings die  Verbreitung  zweier  Ermenrich  betreffender  sagen  im 
Breisgau.  in  einer  SGaller  Urkunde  vom  jähre  786  (Müllen- 
hoff  Zs.  12,  302)  erscheinen  nebeneinander  im  Breisgau  die 
namen  Heimo,  Suanailta,  Saraleoz  und  Eghiart;  im  Beowulf 
(v.  1197—1201)  neben  Eormenric  Hämo,  (Heime)  in  Verbindung 
mit  dem  schätz  Brisinga  mene,  dessen  localisierung  in  Breisach 
unbestritten  ist.  es  war  also  im  8  jh.  unzweifelhaft  im  Breisgau 
bekannt  1)  die  gotische  Suonhiltsage  (vgl.  Symons  aao.  683), 
2)  eine  locale  schatzsage,  in  welcher  neben  Ermenrich  auch 
Heime,  vermutlich  auch  Ekkehard,  eine  rolle  spielte,  die  ent- 
stehung  einer  schatzsage  bei  Breisach  erklärt  sich  wie  unterhalb 
bei  Worms  aus  dem  goldreichtum  des  Rheinsands  (vgl.  Simrock 
Myth.3  378);  ihre  Verbindung  mit  dem  Brisingo  meni,  dem  hals- 
band  der  Frija,  beruht  auf  der  Verehrung  dieser  göttin  am  'mons 
Brisiacus',  dem  Kaiserstuhlgebirge,  das  so  geheimnisvoll  aus  der 
Rheinebene  emporsteigt l.  diese  halskette  galt  also  als  das  kost- 
barste stück  dieses  ursprünglich  der  göttin  gehörigen,  in  ihrer 
behausung  inmitten    des  berges  lagernden  Schatzes   und  gab  ihm 

1  Venusberge  gab  es  mehrere  am  Oberrhein;  noch  Fischart  kannte 
sagen  von  einem  ßreisacher  Venusberge  (Hertz  Deutsche  sagen  im  Elsass  235). 
gewöhnlich  denkt  man  an  den  bei  Ufhausen,  östlich  Breisach,  gelegenen 
Venusberg  (Zs.  12  aao.),  ursprünglich  bildete  aber  wol  der  ganze  mons 
Brisiacus  einen  mittelpunct  des  Frija-(Berhta-)cultus. 


RÜDIGER  UiND  DIE  HARLUNGENSAGE 

den  namen.  man  darf  Ekkehard  als  Wächter  dieses  schätze«  auf- 
fassen, wozu  die  läge  des  schon  im  12  jh.  erwähnten  Ekkehards- 
berges  (HS.3  50),  gegenüber  dem  Kaiserstuhl,  sehr  wol  stimmt 
wie  anderwärts  steht  Ekkehard  auch  hier  in  einem  dienstverhältnis  zu 
frau  Venus (Frija),  die  in  der  sage  allmählich  zur  ältesten  beherscherin 
des  Rreisgaus  herabsank,  wie  nach  altgermanischer  anscbairung 
an  jedem  fürstenhof  der  kämmerer  und  die  aufsieht  Qber  den 
schätz  der  königin  zugewiesen  sind  (Waitz  VG.-  u  403).  dass  die 
Alemannen,  die  selbst  einer  einheitlichen  stammesüberlieferung 
entbehrten,  den  könig  Ermenrich,  den  mächtigsten  herscher  der 
vorzeit,  zum  besitzer  des  grösten  Schatzes,  von  dem  sie  künde 
hatten,  machten,  ist  um  so  natürlicher,  als  sie  während  ihrer 
Vereinigung  mit  dem  Gotenreiche  (Agathias  i  6)  zu  Theoderichs 
zeit  mit  gotischer  sage   bekannt  geworden  waren. 

Man  darf  annehmen,  dass  an  den  besitz  dieses  schaizes 
sich  ein  fluch  knüpfte,  wie  an  den  Nibelungenschatz,  wenn  es 
auch  unmöglich  ist,  aus  der  dürftigen  nachricht  hei  Benwulf  sich 
eine  bestimmte  Vorstellung  von  dieser  sage  zu  bilden,  die  bekannt- 
schalt  der  Alemannen  mit  der  Suonhiltsage  lässt  ferner  vermuten, 
dass  auch  diese  schatzsage  mit  der  aulfassung  Ermenrichs  als 
eines  tyrannischen  Wüterichs  in  einklang  gestanden  haben  wird; 
ein  zeugnis  dafür  aber,  dass  er  im  Beowult  bereits  als  vernichter 
dee  Ilarlunge  gedacht  ist,  ligt  nicht  vor,  und  das  Harlunge  golt 
Dfl.  7835  mit  einer  fünf  Jahrhunderte  altern  nachricht,  welche 
nur  von  Heime  etwas  zu  melden  weifs,  zu  cembinieren,  muss 
bedenklich  erscheinen. 

Dass  aufser  dieser  schatzsage  im  directen  Zusammenhang  mit 
dem  Frijacultus  eben  hier  auch  ein  altgermanischer  Dioskuren- 
mythus  localisiert  war,  ist  nach  Müllenhoffs  darlegungen  Zs 
30,  217  ff)  kaum  zu  bezweifeln1,  es  dürfte  jedoch  gestattet  Bein, 
dem  allgemeinen  typus  dieses  mytbus  hier  eine  locale  ergänzuog 
zu  geben,  wenn  Irmintiu  die  beiden  Jünglinge  mil  dem  lede  be- 
strafte, welche  ihm  sein.'  zukünftige  gattin  (Frija)  zuführen  Bullten, 
sie  aber  selbst  zu  gewinnen  suchten  und  ihr  das  güldene  hals- 
band  entwanlen,  sn  dürfte  auch  der  aul  diesem  balsl 
bauptstück   des  Breisacher   Schatzes   ruhende   Quch   ein< 

1  möglicherweise  fanden  die  Aleina >n   BDI  diee lÜti 

einen  derartigen  mytlius  bereits  vor;  Timaens  (Diod.  I. 
verehrten  ftoXtora  xmv  &eüv  roi»  Jtomtovfovr,   Myrianl 


324  MATTHAEl 

rolle  in  diesem  mythus  beansprucht  haben  :  man  darf  annehmen, 
dass  der  gott  die  beiden  frevler  mit  jener  goldenen  halskette  er- 
drosselte, erwürgung  mittelst  einer  goldenen  halskette  erscheint 
in  einer  bekannten  erzählung  bei  Widuk.  i  22  als  ein  sagenhaftes 
motiv,  welches  weitere  Verbreitung  gehabt  zu  haben  scheint 
(Ynglingasaga  33,  Simrock  Myth.3  377).  unter  dieser  Voraussetzung 
prüfen  wir  die  frage,  wie  die  Harlunge,  die  wir  mit  den  beiden 
dioskurischen  heroen  nicht  ursprünglich  für  identisch  halten 
können,  in  diesen  Zusammenhang  hineingerieten. 

Die  Ileruler  hatten  mit  dem  Untergang  von  Rodulfs  reich 
ihre  weltgeschichtliche  rolle  noch  nicht  ganz  ausgespielt  :  die 
reste  des  Stammes  fanden  unter  eigenen  führern  in  den  kriegen 
Justinians  als  Söldner  beschäftigung;  ihrem  beistand  vor  allem 
verdankten  die  Byzantiner  die  Unterwerfung  der  Vandalen  (Proc. 
B.  Vand.  j  11  ff),  Ostgoten  (Procop.  B.  G.  n  1 3 ff.  in  13  usw.)  und 
die  Vernichtung  der  fränkisch-alemannischen  scharen  des  Bucellin 
(Agath.  Hist.  n  7 ff),  wobei  es  freilich  sehr  schwierig  war,  ihre 
ungebändigten  scharen  im  zäume  zu  halten  (vgl.  Procop.  B.  G.  n  22, 
Agath.  n  7).  der  letzte  Herulerführer  Sindwal  oder  Sindwald, 
welchen  Paul.  Diac.  n  3  (ep.)  einen  'regulus  Herulorum'  nennt, 
machte  schliefslich  eiuen  versuch,  das  ganze  reich  in  seiue  ge- 
walt  zu  bringen,  wohei  er  seinen  Untergang  fand.  Paul.  Diac.  ii  3 
berichtet  über  dieses  letzte  auftreten  der  Heruler  :  habuü  Narsis 
certamen  adversus  Sinduald,  Brentorum  regem  (vgl.  oh. 
s.320),  quiadhuc  de  Herulorum  stirpe  remanserat,  quos 
secum  in  Italiam  veniens  olim  Odoacar  adduxerat.  huic  Narsis 
fideliter  sibi  primum  adhaerenti  multa  beneficia  contulit;  sed  no- 
vissime  süperbe  rebellautem  et  regnare  cupientem,  bello 
superatum  et  captum  celsa  de  trabe  suspendit.  man 
könnte  fast  glauben,  dass  Paulus  die  geschichte  dieses  letzten  Har- 
lung  (de  Herulorum  stirpe)  nach  der  Harlungensage  ausgestaltet 
habe,  aber  das  ereignis,  um  welches  es  sich  handelt,  wird  auch 
bei  Marius  Avent.  (Scr.  ant.  xi  238)  z.  j.  566  berichtet  :  eo  anno 
Sindewala  Erolus  tyrannidem  assumpsit  et  a  Narseo  patricio  inter- 
fectus  est.  dass  es  sich  hierbei  um  ein  sehr  gefährliches  unter- 
nehmen handelte,  ergibt  sich  daraus,  dass  Marius  die  Überwäl- 
tigung des  Sindwal  auf  dieselbe  stufe  stellt  wie  die  der  Ostgoten; 
vgl.  a.  568  (aao.)  Hoc  anno  Narses  .  .  post  tantos  prostralos  ty- 
rannos  id  est  Baduilam  et  Tejam  reges  Gothorum   et  Buccelenum 


RtDIGER  UND  DIE  HARLUNGENSAGE 

ducem  Francorum  et  Sindevalum  Erolum  .  .  .  de  ltalia  a  tupra 
d.  Augmio  remotus  est.  ganz  ebenso  verknüpft  Paul.  Diac.  u  l — 3 
die  kriegstateu  des  Narses.  der  Untergang  der  letzten  Amelunge 
und  der  letzten  Harlunge  erscheint  hier  unter  einen)  gleichen 
gesichtspunct  :  er  ist  das  werk  desselben  inannes,  des  ersten  be- 
amten  des  griechischen  kaisers,  welcher  dem  selbständigen  auf- 
treten der  Germanen  in  Italien   vorläufig  ein  ende  bereitete. 

An  stelle  der  gotischen  und  herulischen  epigonen  erscheinen 
nun  in  der  sage  die  älteren  Vertreter  dieser  stamme,  Dietrich, 
Fritilo  und  Ambrihbo,  an  stelle  des  Narses  Sibich,  an  stelle  des 
Justinian  Ermenrich.  nicht  überall,  aber  doch  in  den  ober- 
deutschen gebieten  gewöhnte  sich  die  historische  volksauffassung 
daran,  den  tückischen  und  grausamen  Gotenkönig  sich  als  ost- 
römischen kaiser  zu  vergegenwärtigen,  er  erscheint  als  herr  Ra- 
vennas  und  Unteritaliens,  dh.  des  griechischen  exarchats,  um 
dessen  besitz  im  7  und  8  jh.  Langobarden  und  Griechen  un- 
ablässig krieg  führten,  in  dieser  zeit,  in  welcher  germanische 
heldenkraft  und  "griechische  hinterlist  sich  mafsen,  muss  sich  im 
Süden  dieser  neue  historische  hintergrund  der  Ermenricbsage  ge- 
bildet haben,  während  die  nordgermanischen  stamme  die  älteren  an- 
schauungen  festhielten  und  weiterbildeten1,  nur  im  Alpbart  — 
unter  dem  eiudruck  staulischer  kaiserherlichkeit  —  wird  dem 
mächtigsten  herscher  der  sage  die  rolle  eines  römisch-deutschen 
kaisers  zugewiesen  2.  als  dieser  eindruck  verblasste,  im  laufe  des 
13  jhs.,  tritt  die  ältere  Überlieferung  wider  deutlicher  hervor, 
im  Rit.  hat  er  seinen  sitz  in  Raben,  der  hauptstadl  des  exarchats 
(4749),  seine  leute  heifsen  Rabenare  (5697.8813);  in  DO.  und 
Rab.  erhält  er  Apulien,  Calabrien  und  'Werners  mark*  ;  auch  nach 
der  Überlieferung,  aus  welcher  ThS.  c.  13  schöpfte,  feilt  ihm  als 
kaiser  Unteritalien  und  das  gebiet  bis  zu  den  griechischen  inseln 
zu4,     die  eriuneruug   an  Justinian  und  Narses,   die  eigentlichen 

1  als  Gotenkönig  erscheint  er  noch  bei  den  Angelsachsen (WidsiB),  in  dei 
Kdda,  in  QW.,  in  den  von  Ekkebard  kritisierten  Überlieferungen,  b<    S 

scheint  bereits  eine  gemischte  Vorstellung  zu  gründe  zu  lii 

'-  als  solcher  fordert  e<-,  wie  es  scheint,   ib.  von  Dietrich  n 

liehen  beistand  gegen  die  Barlange  (so  erklären  sieb  wol  31  l  9 

auch  die  etwa   gleichzeitigen  Pegauer  annalen  fassen    ihn 

als  'rex  Teutoniae'  |HS.S  55). 

3  di.  Spoleto,  Gamarino  and  Ancona,vgl.Gies( 

Rab.  S48.         4  vgl.  auch  K.M.  y  r  Dietrichsage  23,  WM 


326  MATTHAEI 

vernichter  der  Amelunge  und  Ilarlunge,  verblasste;  dass  gerade 
Ermenricli  und  Sibich  sich  an  ihre  stelle  schoben,  zeigt,  wie 
allgemein  die  südgermanischen  stamme  die  widereroberung  Italiens 
durch  die  Griechen  als  ein  werk  ruchloser  tücke  und  treulosigkeit 
betrachteten,  die  älteren  Überlieferungen  über  Dietrichs  kämpf 
mit  Odoaker  traten  gegen  die  eriunerung  an  diese  späteren  kämpfe 
zurück  :  der  kampfplatz  zwar  blieb  Raben,  aber  die  letzten  Ame- 
lunge, welche  den  Griechen  erlagen,  traten  unter  die  Führung 
Dietrichs,  Odoaker  räumte  Ermenricli  den  platz1,  auch  ein  andrer 
von  Odoaker  verfolgter  herscher,  Friedrich,  der  Rugenkönig,  ge- 
sellte sich  zu  den  opfern  von  Sibichs  und  Ermenrichs  bosheit- 
(QW.  ThS.  278.  Dfl.  2455).  die  verwantschaftliche  Verbindung, 
in  welche  diese  letzteren  zu  Ermenrich  gesetzt  wurden,  beruht 
auf  einer  nachwürkung  der  älteren  auffassung  dieses  herschers 
als  eines  Wüterichs  gegen  sein  eigenes  geschlecht,  wie  sie  in  der 
nordischen  sage  zu  tage  tritt,  wobei  hinsichtlich  Dietrichs  ihre 
beiderseitige  Zugehörigkeit  zum  Amalerhause  mitgewirkt  haben  mag. 
Es  entzieht  sich,  wie  bemerkt,  unsrer  kenntnis,  ob  schon  in 
der  altern  sage  Ermenricli  den  beiden  Herulerhelden  gegenüber  eine 
feindliche  haltung  einnahm,  dass  aber  die  herschend  gewordene 
form  der  sage  sich  unter  dem  eindruck  des  schmachvollen  Unter- 
gangs Sindwals  und  der  letzten  Heruler  bildete,  dafür  ist  zunächst 
die  combination  derHarlungenkatastrophe  mit  der  Überwältigung  der 
Amelunge  durch  Ermenrich,  wie  sie  überall  in  der  heldensage  zu  tage 
tritt,  ein  deutlicher  beweis,  ferner  aber  muss  die  festigkeit  über- 
raschen, mit  welcher  im  einklang  mit  Paul.  Diac.  n  3  ein  im  ganzen 
doch  nebensächlicher  zug  —  die  hinrichtung  des  brüderpaars  am 
galgen  —  in  allen  Fassungen  der  sage  widerkehrt,  während  scheinbar 
wichtigere  momente  der  sage  schwanken,  wir  finden  sie  in  QW., 
wo  die  Harlunge  als  Ermenrichs  'patrueles',  bei  Saxo,  wo  sie  als 
seine  'sororii',  in  den  übrigen  quellen,  wo  sie  als  seine  bruders- 
sühne  erscheinen;  mögen  sie  nun  gewaltsam  bezwungen  (Saxo, 
ThS.,    anh.  z.  HB.)    oder   durch    list  an  Ermenrichs  hof  gelockt 

1  s.  oben  s.  310.  die  dem  Hildebrandslied  zu  gründe  liegende  Über- 
lieferung kennt  zwar  Dietrichs  Verbannung,  aber  noch  durchaus  Odoaker  als 
seinen  gegner.     zuerst  erscheint  die  neue  Fassung  in  QW.  (HS.3  35). 

2  der  Widsiö  124  neben  Wudga  und  Hämo,  genannte  Freofoeric  ist 
wol  als  ein  gotischer  held  aufzufassen  und  vielleicht  mit  Friderich  von 
Raben  (HS.3  213)  identisch. 


RÜDIGER  UND  DIE  BARLUNGENSAGE  :;_'T 

werden  (Dil.),  endlich  darf  man  auch  die  verwantschaft  nicht 
übersehen,  welche  der  ausführliche  bericht  Saxos  mit  den  histo- 
rischen Vorgängen  aufweist  :  empörung  der  oeffen  gegen  den 
oheim,  Überwältigung  durch  krieg,  gefangennähme  durch  Bikkos 
rat,  erdrosselung,  Vernichtung  ihres  gefolges1.  dass  die  Härtungen- 
sage  im  norden  im  übrigen  vollkommen  fehlt,  beweis!  aufs  schla- 
gendste, dass  sie  nicht  zu  jener  älteren  sagenschjcht  gehört, 
welche  dort  ihre  Weiterbildung  gefunden  hat,  und  dass  Sibichs 
(Rikkis)  gestalt  nicht  erst  zugleich  mit  den  Harlungen  in  die 
deutsche  heldensage  eingetreten  ist  (Sigurdarkv.  n  Gl.  Gudru- 
narhvöt  pros.) 2. 

Die  Alemannen  nahmen  an  den  kämpfen  der  Amelunge  mit 
den  Griechen  lebhaften  anteil,  während  die  Raiern  sich  vollkommen 
passiv  verhielten  :  Narses,  aber  auch  die  Heruler  unter  Sindwal, 
traten  ihnen  selbst  im  kample  gegenüber  (Agath.  i  20  11).  da  sie 
uns  im  gegensatz  zu  ihren  nachbarn  im  G  jb.  noch  als  vollkom- 
mene heiden  geschildert  werden  (vgl.  Agath.  i  20.  n  1.  Vita  Columb. 
c.  27),  so  ist  es  erklärlich,  dass  sie  die  zu  ihnen  gelangenden 
sageustolfe  in  dieser  zeit  und  noch  lauge  darüber  hinaus  mit  rer- 
wanten  motiven  des  bei  ihnen  noch  kräftig  entwickelten  heid- 
nischen uaturmythus  in  Verbindung  setzten,  so  wurde  zb.  Dietrich 
als  dracheutüter  einer  hier  verbreiteten  form  der  Dioskurensage 
dem  mythus  von  Sintram  und  Paltram,  eingefügt  (Wackernagt  I 
Zs.  10,  156.  KMeyer  Dietrichs.  49),  so  traten  auch  die  «im  galgen 
erdrosselten  Harlunge  an  die  stelle  derjenigen  beiden  di<>>ku- 
rischen  heroen,  welche  durch  jenes  verhängnisvolle  balsband, 
Rrisinga  meni,  erwürgt  worden  waren,    wenn  aber  hier  Ermenrich 

1  lib.  viu,  s.  413  ed.  PE.Müller  :  qui  ex  torore  Jarmeriei  apud  Ger- 
manium orti  educatiquc  fuerant,  avito  nomine  freti,  in  acitncitluin  arma 
suseipiunt  aeque  sibi  regnu?n  atque  ei  deberi  certante*.  quontm  mitiu- 
tiones  rex  apud  Germanium  machinis  demolittu  .  .  .  incruentam  ad 
victoriam  reportavit  .  .  .  rurtum  Hierum*  inttinetu  Germanium  potent 
captit  hello  sururiis  laqwo  spiritum  eripere  nun  dubitavit.  <y- 
timatvs  quoque  convivii  limuiatione  contraclot  eodem  exempla  eontäwun- 
dos  curavit. 

-  Heinzel  WSB.  119  wollte,  um  die  berechende  aofluenng  u  - 
annehmen,  dass  uns  die  auf  die  Harlangensage  beiügliehea 
seien.    —    die  erhängung  Handvers   durch  Jörmunrek    darf  nicht 
stück   zu    derjenigen  der  Harlunge  BnfgefaMt  werden. 
citus  (Germ.  12)  erwähnte  binrichtnngaart  galt  den  Germam 
Bchimpflich  (JGrinun  RA.'  I 


328  MATTHAEI 

schon  früher  mit  dem  schätz  des  mons  Brisiacus  einen  sagen- 
haften Zusammenhang  gewonnen  hatte1,  so  traten  nunmehr  auch 
die  Harlunge  in  diese  heziehungen  ein.  da  ihre  Verpflanzung 
hierher  zugleich  die  identificierung  des  Narses  mit  Sibich,  des 
Justinian  mit  Ermenrich  voraussetzt,  werden  wir  frühestens 
das  7  und  8  jh.  als  denjenigen  Zeitraum  betrachten  dürfen, 
in  oder  seit  welchem  sich  die  specifisch  alemannische  fassung 
der  Harlungensage  ausbildete,  dass  sie  im  Beowulf  als  be- 
reits bekannt  vorauszusetzen  ist,  erscheint  demnach  zwar  immer- 
hin chronologisch  als  möglich,  ist  aber  nicht  erweislich,  das 
erste  positive  Zeugnis  über  die  Breisgauer  Harlungensage  reicht, 
soweit  ich  sehe,  nicht  über  die  erste  hälfte  des  12  jhs.  zu- 
rück, wo  Ekkehard  der  sage  gedenkt,  dass  der  Breisgau  fertur 
olim  fuisse  illorum  qui  Harelungi  dicebantur  (HS.3  42).  sie  er- 
scheinen also  hier  als  herren  des  landes,  vermutlich,  weil  sie 
nun  die  besitzer  des  grofsen  Schatzes  wurden  (Dfl.  7835).  denn 
der  alte  mythus  erfuhr  weitgehnde  Veränderungen  :  die  Harlunge 
wurden  von  Ermenrich  wegen  des  fluchbeladenen  Schatzes  ge- 
tötet, in  dessen  besitz  sie  als  söhne  der  vermenschlichten  frau 
Venus  gelangt  waren,  diese  letztere  annähme  stützt  sich  zwar 
zunächst  nur  auf  den  bericht  der  ThS.  c.  275,  281  ff,  wo  die 
brüder,  welche  von  Ermenrich  verfolgt  werden,  als  söhne  der 
Bolfriana  erscheinen,  der  'minniglichsten  aller  frauen'  (allra 
knenna  frtöust  c.  269.  275),  deren  buhlerisches  Verhältnis  zu  dem 
Wilden  Jäger2  sie  deutlich  als  frau  Venus  kennzeichnet;  sie  ist 
aber  auch  nötig,  um  die  Stellung  Ekkehards  zu  begreifen,  der 
als  kämmerer  der  königin  und  hüter  ihres  Schatzes  zum  pfleger 
und  beschützer  ihrer  söhne  wind,  nach  ThS.  c.  272  erschlägt 
er  den  Wilden  Jäger3,  aber  er  nimmt  auch  räche  an  Bibstein 
(Dfl.  9788)  und  Sibich  (Bab.  864),  ja  nach  einer  isolierten  nach- 
richt  erschlägt  er  den  Ermenrich  selbst  (anh.  z.  HB.  HS.3  326), 
dem  danach  der  schätz  ebenfalls  den  tod  bringt,    als  eingeborener 

1  ob